Vor Einführung der minimal-invasiven Techniken in die Nebennierenchirurgie in der Mitte der 1990er Jahre konzentrierten sich die chirurgischen Diskussionen im Wesentlichen auf die Zugangswahl (anterior vs. posterior) und beim bilateralen Cushing-Syndrom auf die Frage des ein- oder zweizeitigen Vorgehens. Zwei Entwicklungen haben die Nebennierenchirurgie seitdem grundlegend verändert: die minimal-invasive Chirurgie von Seiten der chirurgischen Technik und die Genetik, durch die offenbar wurde, dass hereditäre Nebennierentumoren insbesondere des Nebennierenmarks nicht nur deutlich häufiger sind, als bislang erkennbar war, sondern diese auch in Abhängigkeit von der zugrunde liegenden genetischen Störung unterschiedliche Tumorbiologien besitzen und somit unterschiedliche chirurgische Strategien ermöglichen bzw. erfordern. Dies betrifft sowohl das perioperative Management als auch das Resektionsausmaß. Das vorliegende Heft von Der Chirurg versucht daher erstmals, diese beiden Entwicklungen mit Beiträgen national und international bekannter Autoren zusammenzuführen.

Die Arbeitsgruppe von H.P.H. Neumann gehört zu den international führenden Arbeitsgruppen auf dem Gebiet der Genetik hereditärer Phäochromozytome. Heute ist davon auszugehen, dass ca. ein Drittel aller Phäochromozytome erblich bedingt sind. Nachdem zunächst nur das MEN2-Syndrom als auslösende Ursache hereditärer Phäochromozytome bekannt war, sind aktuell 9 weitere autosomal-dominante Phäochromozytomerkrankungen nachgewiesen. Das Malignitätsrisiko und das Vorkommen assoziierter abdominal-retroperitonealer und zervikaler Paragangliome sind syndromal unterschiedlich. Die hieraus resultierenden unterschiedlichen Strategien werden im Beitrag von M. Brauckhoff eingehend dargelegt. Notwendigerweise implizieren diese neuen Erkenntnisse, dass wenn immer möglich zur Festlegung des Resektionskonzeptes bereits präoperativ geklärt werden sollte, ob eine sporadische oder eine primär nicht bekannte oder erkennbare familiär-genetisch-bedingte Erkrankung vorliegt.

Beim MEN2-Syndrom ist die subtotale Adrenalektomie indiziert

Der Arbeitsgruppe von M. Brauckhoff ist zu verdanken, dass wir heute sehr viel genauer wissen, wie groß der Nebennierenrest bei einer bilateralen Teiladrenalektomie sein muss, um eine ausreichende körpereigene adrenokortikale Stressreserve zu gewährleisten. Dieses Wissen ist deshalb so wichtig, weil insbesondere bei Phäochromozytomen im Rahmen der MEN2-Erkrankung heute bereits beim Ersteingriff und zunächst nur unilateralem Befall eine partielle bzw. subtotale und nicht totale Adrenalektomie angestrebt werden sollte. Hauptargumente für dieses Konzept sind, dass beim MEN2-Syndrom maligne Phäochromozytome extrem selten sind (3,6%), die Rezidivrate relativ gering (15%) und wenn Rezidive auftreten, diese in Abhängigkeit vom Genotyp erst nach langjähriger Latenz manifest werden.

Die Würzburger Arbeitsgruppe von B. Allolio und M. Faßnacht hat durch ihre langjährigen interdisziplinären Bemühungen ein Nebennierenkarzinomregister von internationalem Rang aufgebaut, das zu drei ganz wesentlichen Fragen datenbasiert schlüssige Konzepte erarbeitet hat: der minimal-invasiven Chirurgie, der Lymphadenektomie und der adjuvanten Mitotane-Therapie. Kurz zusammengefasst lauten die Statements der Arbeitsgruppe: das laparoendoskopische Vorgehen beim Nebennierenrindenkarzinom ist, wenn technisch möglich, nicht grundsätzlich abzulehnen, erfordert jedoch eingehende operative Erfahrung zur Vermeidung erhöhter Rezidivraten. Lokoregionäre Lymphadenektomien können die Prognose verbessern. Auch die postoperative Mitotane-Therapie trägt zu einer Prognoseverbesserung bei.

Ebenso wie die laparoskopische Cholezystektomie die Gallenblasenchirurgie revolutioniert hat, gilt dies mit Recht auch bez. der Nebennierenchirurgie für die minimal-invasive Adrenalektomie. Die Arbeitsgruppe von M.K. Walz hat den retroperitoneoskopischen Zugang weltweit in die chirurgische Praxis eingeführt. Sein Beitrag belegt nicht nur eindrucksvoll die immense Erfahrung seiner Arbeitsgruppe mit diesem Zugang, er zeigt auch in der kritischen Auseinandersetzung mit dem alternativen laparoskopischen Vorgehen, dass beide Zugangswege gleichermaßen möglich sind und vergleichbare Ergebnisse aufweisen.

Im Einzelfall ist die Operation ohne medikamentöse Vorbehandlung möglich

Der besonders spannenden und in letzter Zeit vermehrt geführten Diskussion, ob beim Phäochromozytom grundsätzlich oder nur in besonderen Fällen eine präoperative α-Rezeptoren-Blockade erforderlich ist, widmen sich die zwei Pro- und Kontrabeiträge von L. Bracker und H. Groeben. Nachdem die α-Rezeptoren-Blockade, vor ca. 50 Jahren eingeführt, zu einer erheblichen Senkung des operativen und postoperativen Letalitätsrisikos geführt hatte, gab es in den zurückliegenden Jahren vermehrt Stimmen, die sich für eine individualisierte Indikation und Durchführung der präoperativen medikamentösen Vorbehandlung beim Phäochromozytom aussprachen. Die beiden sehr präzisen, dabei ausgewogen jeweils ein „Pro“ bzw. „Kontra“ formulierenden Beiträge lassen für den Leser meines Erachtens den Schluss zu: α-Rezeptoren-Blockade beim Phäochromozytom in dubio ja, aber es kann zur Vermeidung subjektiver Nebenwirkungen und Vereinfachung des nicht unerheblichen logistischen Aufwands bei subtiler operativer Technik, kleinen und wenig symptomatischen Tumoren und entsprechender intraoperativ-anästhesiologischer Erfahrung auch individuell darauf verzichtet werden. Da mit letzterem Konzept bislang nur wenige publizierte Erfahrungen vorliegen, sollte die Phächromozytomoperation ohne medikamentöse Vorbehandlung jedoch vorerst nur unter sehr gut kontrollierten Bedingungen durchgeführt werden.

Genetische Erkenntnisse und laparoskopische bzw. retroperitoneoskopische Techniken der letzten Jahre haben die Nebennierenchirurgie grundlegend verändert. Die Notwendigkeit zur Interdisziplinarität ist dadurch gestiegen, aber der Vorteil eines „tailored approach“ zum Vorteil der Patienten ebenfalls.