Seit jeher übt die Reparatur des Menschen durch künstliche oder biologische Ersatzmaterialien eine große Faszination aus und manifestiert sich nicht nur in antiken Mythen und mittelalterlichen Sagen, sondern findet auch in konkreten klinischen Ansätzen frühe Anwendung. Detaillierte Beschreibungen verfasste z. B. Leonardo da Vinci, der überzeugt war, technische Entwicklungen zum Nutzen des menschlichen Körpers einsetzen zu können. Goethe wurde durch die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse seiner Zeit zu der Laborszene in „Faust“ und seinen „Homunculus“ inspiriert.

Obwohl der Begriff „tissue engineering“ erst 1987 offiziell eingeführt wurde, entstanden einige der Prinzipien, die sich hinter diesem Konzept verbergen, deutlich vor unserer Zeit: So erkannte Rudolf Virchow schon 1858, dass die Regeneration von Gewebe in hohem Maße von den Mechanismen der Zellproliferation beeinflusst wird. Und bereits 1902 wurde das Konzept der Kultivierung von Zellpopulationen außerhalb des menschlichen Körpers anhand von porkinen, embryonalen Hautzellen von Loeb et al. vorgestellt. Methoden, die wir heute als „guided tissue engineering“ bezeichnen würden, hielten zu Beginn des letzten Jahrhunderts Einzug in die klinische Wirklichkeit der kardiovaskulären Medizin, indem autologer Skelettmuskel zur Reparatur ischämisch geschädigten Herzmuskels eingesetzt wurde.

Erfolge bei der Vaskularisierung myokardialen Ersatzgewebes eröffnen neue Perspektiven

Heute sind wir in einigen Bereichen bereits in der Lage, funktionales artifizielles Gewebe herzustellen. Das kardiovaskuläre Tissue Engineering spielt in diesem vielversprechenden Bereich der medizinischen Forschung eine führende Rolle, nicht zuletzt, weil die meisten der heutigen kardiovaskulären, chirurgischen Behandlungen einen Ersatz von erkrankten Geweben und Organen vorsehen. Dabei könnte keines der bisher für den Ersatz kardiovaskulärer Strukturen erhältlichen Materialien als ideale Prothese beschrieben werden. Mechanische und biologische Herzklappenprothesen unterliegen nach wie vor den bekannten Einschränkungen, wie der Notwendigkeit der lebenslangen Antikoagulation oder der frühen Degeneration. Allerdings gibt es Hinweise aus der jüngeren Vergangenheit, dass implantierte, dezellularisierte Homografts in Pulmonalposition bei Kindern zum Wachstum und damit zur Regeneration befähigt sind. Erste Erfolge nach Implantation in Aortenposition versprechen sogar eine noch breitere Anwendbarkeit dieses Konzepts.

Die Herztransplantation als bisheriger Goldstandard der chirurgischen Therapie der schweren Herzinsuffizienz wird auch weiterhin durch ungenügende Spenderorgane einer fatalen Limitation unterliegen. Die Rekonstruktion geschädigten Myokards mittels regenerativer Ersatzmaterialien könnte hier Abhilfe schaffen. Ein wesentliches Hindernis bei der Erzeugung myokardialen Ersatzgewebes von ausreichender Stärke, das den hohen mechanischen Anforderungen im Hochdruckbereich des Herzens standhält, stellt die Versorgung mit Sauerstoff und Nährstoffen dar. Die jüngsten Erfolge bei der Vaskularisierung eröffnen auch in diesem Feld neue Perspektiven.

Schließlich gibt es Ansätze zur Züchtung von kleinlumigen Gefäßprothesen, mit denen der hohen Verschlussrate aufgrund von thrombotischen Ablagerungen oder Intimahyperplasien begegnet wird. Hierbei werden natürliche Substanzen, wie z. B. Kollagen und Fibrin, sowie synthetische Materialien, wie z. B. Polymilchsäure und Polycaprolacton oder Hybride, bisher vorwiegend in vitro oder in Tiermodellen getestet.

In allen Segmenten des kardiovaskulären Tissue Engineerings werden zellfreie synthetische und künstliche Substrate untersucht, die entweder auf soliden vorbestehenden Gerüsten basieren oder über eine De-novo-Synthese erzeugt werden. Über die Repopulation dieser zellfreien Strukturen mit embryonalen Stammzellen oder (induzierten) pluripotenten Stammzellen in geeigneten Bioreaktorsystemen oder auch erst im Körper des Empfängers, scheint die Funktionalisierung aller bioartifizieller Ersatzgewebe zur Therapie geschädigter kardiovaskulärer Strukturen möglich zu werden. In naher Zukunft werden unsere Patienten, die bisher mit nichtidealen Implantaten oder gar nicht versorgt werden konnten, von dieser Technologie profitieren. Ökonomische und rechtliche Aspekte sowie technische und ethische Fragen sind heute noch nicht abschließend geklärt. Das kardiovaskuläre Tissue Engineering hat jedoch einen fortgeschrittenen Stand der Entwicklung erreicht, welcher den Lesern dieser Ausgabe von Der Chirurg für Herzklappen, Myokard, Gefäße und der Auswahl geeigneter Zellquellen vorgestellt wird.

Prof. Dr. Axel Haverich