Die Notfallmedizin ist wieder ins Gerede gekommen. Ein wirklich wichtiges Thema, deshalb hat es auch Der Chirurg aufgegriffen. Dies hat viele Gründe:

  • Wer die Notfallmedizin als Patient benötigt, für den ist ihre Qualität häufig lebensrettend. Für die Daseinsfürsorge der Bevölkerung ist sie also von besonderer Bedeutung.

  • Für jedes medizinische Fach ist die Beherrschung von Notfällen ein entscheidender Qualitätsnachweis und wesentlicher Inhalt der Weiterbildung.

  • Für ein Klinikum ist eine gut organisierte und erfolgreiche Notfallmedizin ein wichtiges Eingangsportal für stationäre Patienten und zugleich öffentlichkeitswirksames Aushängeschild. Leider ist sie aber auch sehr teuer.

An der Bedeutung der Notfallmedizin kann somit kein Zweifel bestehen; sie ist wichtig, ihre Qualität ist entscheidend, sie ist also unverzichtbar. Man kann nicht über das „Ob“, sondern nur über das „Wie“ diskutieren – das aber muss man! Welches sind die Kostentreiber in der Notfallmedizin? Um es auf den Punkt zu bringen, es sind in erster Linie die hohen Kosten der Personalvorhaltung. Dies umso mehr, wenn man Personal an verschiedenen Orten eines Klinikums in verschiedenen Kliniken vorhalten muss. Die traditionelle Organisation der Notfallmedizin geht von einer fachspezifischen Notfallmedizin aus. Das heißt, jedes Fach organisiert seine eigene Notfallmedizin je nach Wahrscheinlichkeit des Patientenaufkommens größer oder kleiner. So bestehen häufig 10 oder 12 Notfallanlaufstellen in einem Klinikum. Dies kostet nicht nur Geld, sondern ist auch für den Notfallpatienten gelegentlich verwirrend.

Abgestimmte Therapiekonzepte für den Notfallpatienten sind die Ausnahme

Der Patient kann sich nicht aussuchen, wem er sich im Notfall anvertraut – die Zeit drängt und man muss es nehmen, wie es kommt. Die Patiententriage – d. h. die Entscheidung, welcher Patient in welcher Notfallambulanz landet, ist oft dem Notarzt oder dem entsprechenden Notfallsanitäter überlassen. Dabei gibt es natürlich Graubereiche in der Entscheidung, welche notfallmedizinische Anlaufstelle man aufsucht. Durch die Auswahl wird aber häufig auch die Art der Therapie beeinflusst. Konservative Fächer bevorzugen eine konservative Therapie; operative Fächer eine operative. Abgestimmte Patientenpfade (sog. SOPs) gibt es nur selten; d. h. ein abgestimmtes Therapiekonzept für den Notfallpatienten, das gilt, egal wo der Patient eintrifft, gibt es nur im Ausnahmefall. Diese Situation ist für den Patienten ebenso unbefriedigend wie für den Kostenträger.

So gibt es viele Argumente, die Struktur der Notfallmedizin zu überdenken. Mehr und mehr, nicht zuletzt unter Kostenaspekten, aber auch im Sinne des Patienten, gehen große Klinika dazu über, die Notfallmedizin an einem Ort zu bündeln, die Patiententriage dort vorzunehmen und den behandelnden Arzt dann an den Patienten zu holen. Dieses Prozedere, das natürlich an räumliche Voraussetzung gebunden ist, kann die Personalvorhaltekosten deutlich reduzieren, die Art der Therapie verschiedener Notfälle standardisieren und so zum Vorteil für alle Beteiligten werden.

Unter diesen Gesichtspunkten sollen die folgenden Beiträge verstanden werden. Dabei haben wir uns bemüht, das Problem Notfallmedizin aus der Sicht der verschiedenen Beteiligten darzustellen. Einmal aus Sicht der Standespolitik, zum anderen aus Sicht des Krankenhausmanagements und schließlich aus Sicht der wissenschaftlichen Fachgesellschaften. Erstaunlich ist, dass praktisch alle ein ganz ähnliches Ziel formulieren: eine zentrale Anlaufstelle für alle Patienten mit entsprechend optimaler Ausstattung. Das wiederum kostet viel Geld und daher wird die Umsetzung moderner Konzepte der Notfallmedizin wohl auch noch Zeit in Anspruch nehmen.

Prof. Dr. Dr. h.c. J.R. Siewert