Das Jugendalter definiert sich biografisch als Übergangsphase von der Kindheit ins Erwachsenenalter. Dies bringt eine Vielzahl von Entwicklungsherausforderungen für die Jugendlichen mit sich, z. B. Veränderung des Körpers, des Gehirns und des Hormonhaushaltes, der Geschlechtsrolle, die Ablösung vom Elternhaus, den Berufseinstieg, die Entwicklung einer eigenen Zukunftsperspektive und Weltsicht und damit verbunden die Übernahme von Verantwortung für die eigene Lebensführung. Die neue Lebensphase bringt auch neue Rahmenbedingungen für die psychische Gesundheit mit sich, etwa was den Kontakt mit Alkohol, Tabak und illegalen Drogen angeht, sexuelle Erfahrungen oder – mit Blick auf den Berufseinstieg – neue psychische Belastungen und neue Möglichkeiten der persönlichen Entfaltung gleichermaßen. Jugend ist ein multiples Transitionsgeschehen.

Insofern verwundert es nicht, dass auch im Jugendalter, wie in jedem Lebensalter, psychische Belastungen und psychische Störungen zum Lebensalltag gehören und keine Randerscheinungen sind. Nicht jede Form von psychischem Leid hat dabei einen Krankheitswert. Wenn sich junge Menschen unverstanden vorkommen, wenn sie sich orientierungslos fühlen, es in der Schule nicht mehr aushalten oder Liebeskummer haben, sind das nicht unbedingt Fälle für die Psychotherapie. Aber auch in solchen Situationen brauchen Jugendliche oft Unterstützung und einen „Halt“. Zudem sind die Übergänge zu klinisch relevanten psychischen Störungen nicht immer eindeutig. Eine „alterstypische Krise“ kann mitunter schnell in selbstschädigendes oder suizidales Verhalten münden. Gilt es also einerseits, den Jugendlichen auch zuzutrauen, mit schwierigen Lebensumständen fertig zu werden, nicht jedes Leid voreilig zu medikalisieren, so gilt es andererseits auch, Hilfebedarf nicht zu übersehen, frühzeitig und präventiv Hilfe anzubieten und Jugendliche nicht mit Problemen allein zu lassen, mit denen sie selbst nicht fertig werden. Ein Lackmustest dafür, womit man es zu tun hat, wäre manchmal gut.

Das Robert Koch-Institut verwendet im Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS) den Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ), um die Häufigkeit psychischer Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland festzustellen. Dabei geht es, wie gesagt, um „Auffälligkeiten“, nicht um Diagnosen. Während im Kindesalter häufiger Jungen als Mädchen psychische Auffälligkeiten zeigen, kehrt sich das Geschlechterverhältnis im Jugendalter um. Der KiGGS-Welle 2 zufolge, deren Daten 2014–2017, also in der Zeit vor der COVID-19-Pandemie, erhoben wurden, waren 12,2 % der Jungen im Alter von 15–17 Jahren und 14,6 % der gleichaltrigen Mädchen im SDQ psychisch auffällig. Jugendliche aus sozial schwierigeren Verhältnissen sind häufiger betroffen. Das Grundgesetz der Sozialepidemiologie – je schlechter die soziale Lage, desto schlechter die Gesundheit – gilt auch für die psychische Gesundheit.

Die Coronakrise hat die psychische Gesundheit von Jugendlichen – wie die der Kinder – in besonderer Weise belastet. In vielen Bereichen zeigt sich eine Zunahme von Beschwerdebildern, von Angststörungen über Depressionen bis hin zu Essstörungen oder dem Einsamkeitsempfinden. Einsamkeit im Schulalter ist zwar kein Problem, das erst mit der Coronakrise entstanden ist. Mit dem Einzug der elektronischen Medien in den Alltag der Kinder und Jugendlichen hat die Einsamkeit im Jugendalter schon vor Jahren zugenommen, aber durch die zeitweise Schließung von Schulen und Freizeiteinrichtungen in den ersten Pandemiewellen hat es sich noch einmal verschärft. Studien wie die HBSC-Studie (Health Behaviour in School-aged Children Study) zeigen, dass manche der psychischen Beschwerden wieder zurückgehen, das Vor-Corona-Niveau jedoch noch nicht wieder erreicht ist. Und vieles deutet darauf hin, dass auch solche Normalisierungsprozesse sozial ungleich verlaufen, in Abhängigkeit von den sozialen Ressourcen, die den Jugendlichen zur Verfügung stehen.

Bedauerlicherweise ist die Pandemie nicht durch eine neue Zeit bester Zukunftsperspektiven für die Jugendlichen abgelöst worden, sondern durch Verunsicherung infolge des Ukrainekriegs und düstere Aussichten, was die Bewältigung des Klimawandels angeht. „Zukunftsangst“ ist für viele Jugendliche zu einer Alltagsbefindlichkeit geworden. Vor diesem Hintergrund ist die psychische Gesundheit Jugendlicher nicht nur eine medizinisch-therapeutische Angelegenheit, sondern eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Der vielfach zu vernehmende Ruf nach „mehr Prävention“ ist dabei so berechtigt, wie präventiver Aktionismus zu vermeiden ist. Zudem können auch Präventionsmaßnahmen zuweilen schaden. Evidenz ist daher auch hier gefragt.

Für Jugendliche, die professionelle Hilfe benötigen, gibt es ein differenziertes, aber auch sehr unübersichtliches Hilfeangebot. Die weitaus meisten Jugendlichen mit psychischen Beschwerden werden ambulant versorgt. Dafür standen 2022 allein in der vertragsärztlichen Versorgung mehr als 7000 Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut:innen sowie knapp 1200 Kinder- und Jugendpsychiater:innen zur Verfügung. Viele Fälle werden von Kinder- oder Hausärzt:innen versorgt, viele finden Unterstützung in Beratungseinrichtungen, etwa der Kinder- und Jugendhilfe oder spezialisierten Drogenberatungsstellen. An den Schulen gibt es vielfältige präventive Angebote. Etwa 160.000 junge Menschen im Alter von 15 bis 25 Jahren mussten 2022 aufgrund einer psychischen Störung stationär behandelt werden. Zugleich hat sich die Patientenklientel verändert, Kliniken berichten z. B. vermehrt Fälle mit schweren Suizidalitätskrisen.

Das Versorgungssystem war schon vor Corona nicht gut auf die Bedarfe von Jugendlichen eingestellt. Oft greifen die Angebote für Kinder nicht mehr und die für Erwachsene noch nicht. Nur bedingt lassen sich Übergänge flexibel gestalten, etwa was die durchgehende Behandlung bis ins junge Erwachsenenalter bei Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut:innen und Ärzt:innen angeht oder, bei Bedarf an einer stationären Behandlung, die Unterbringung in einer altersangemessenen Abteilung. Das ist mit Corona und in der Folgezeit nicht besser geworden.

Das vorliegende Themenheft setzt das Heft „Psychische Gesundheit von Kindern“ (Juli 2023) fort. Dabei können aus dem breiten Themenspektrum naturgemäß nur einzelne Aspekte herausgegriffen werden. Das Heft verfolgt gleichwohl den Anspruch, den Zusammenhang der verschiedenen Problemfelder erkennbar werden zu lassen und neben dem, was die psychische Gesundheit der Jugendlichen belastet, auch auf Hilfen und Lösungsansätze aufmerksam zu machen.

Der erste Abschnitt behandelt exemplarische psychische Störungsbilder des Jugendalters. F. Resch und P. Parzer präsentieren eine narrative Übersicht über Angst und Depression bei Jugendlichen. Detailliert beschrieben werden die unterschiedlichen klinischen Ausdrucksformen dieser emotionalen Syndrome, die Entwicklungswege einer Kombination beider Störungen und die subklinischen Formen von Angst und Depression und deren Bedeutung für die Entwicklung in der Adoleszenz. Der Beitrag von Ghotbi et al. behandelt grundlegende Konzepte der Chronobiologie und Schlafmedizin. Darauf aufbauend werden Gesundheitsrisiken und Zusammenhänge mit Depressionen benannt und Empfehlungen für die klinische Versorgung bei Schlafstörungen und Depressionen im Jugendalter formuliert. S.-M. Schön und M. Daseking setzen sich mit dem externalisierenden Problemverhalten Jugendlicher anhand des Konzepts der „Callous-unemotional Traits“ auseinander und legen Ergebnisse einer Untersuchung an 169 Jugendlichen vor. B. Herpertz-Dahlmann et al. geben eine Übersicht über neuere Forschungsergebnisse zur Ätiologie der Anorexia nervosa. Vor dem Hintergrund der steigenden Behandlungszahlen während der Corona-Pandemie wird die Bedeutung der Gen-Umwelt-Interaktion diskutiert, neuere Behandlungsmethoden werden dargestellt. R. Eilers et al. diskutieren, ob die in der ICD-11 enger gefassten Kriterien für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) und die Einführung der komplexen PTBS (kPTBS) zu einer Unterdiagnostik dieser Störungen führen.

Die beiden folgenden Beiträge befassen sich im weiteren Sinne mit Stress und Bewältigungsreaktionen. C. Wiegel fokussiert Stresserleben, Copingstrategien, psychische und körperliche Beschwerden sowie berufliche Belastungen bei Auszubildenden unter besonderer Berücksichtigung des Geschlechts. Die Daten sprechen für die Notwendigkeit präventiver Angebote, bei denen Geschlechtsspezifika zu berücksichtigen wären. L. Neuperdt et al. analysieren auf der Basis der KiGGS-Studie elterliches Belastungserleben, Unaufmerksamkeits‑/Hyperaktivitätssymptome und elternberichtete ADHS bei Kindern und Jugendlichen. Dabei zeigt sich u. a., dass finanzielle Sorgen und Erziehungsprobleme signifikante Prädiktoren sowohl für Unaufmerksamkeits‑/Hyperaktivitätssymptome als auch für eine elternberichtete ADHS-Diagnose des Kindes sind.

Die folgenden 4 Beiträge greifen unterschiedliche Probleme aus dem Themenkreis Substanz- und Medienkonsum auf. R. Hanewinkel und J. Hansen befassen sich mit dem Thema Rauschtrinken auf der Basis einer schulbasierten Studie. Demnach hat bereits jeder vierte Heranwachsende Rauscherfahrungen, konsequente verhältnis- und verhaltenspräventive Maßnahmen seien geboten. B. Isensee et al. berichten Ergebnisse einer randomisierten prospektiven Studie zur Wirksamkeit eines Cannabispräventionsprogramms in der Schule. Sie bewerten das in 4 Bundesländern eingesetzte Interventionsprogramm als erfolgversprechend. K. Paschke und R. Thomasius präsentieren in einer narrativen Übersicht Chancen und Gefahren digitaler Medien für Kinder und Jugendliche. In Deutschland verfügen fast alle Jugendliche über ein Smartphone und können davon profitieren, z. B. durch Spiele und sozialen Austausch, sind aber gleichzeitig Inhalten wie der Darstellung von Gewalt, extremen politischen Ansichten oder persönlichen Angriffen durch Cybermobbing ausgesetzt. K. Lochbühler et al. untersuchen die Verbreitung des Konsums von Alkohol, Tabak und Cannabis, die Nutzung sozialer Medien, von E‑Produkten, Computerspielen und Glücksspielen bei Auszubildenden. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass es sich bei Auszubildenden um eine Risikogruppe für Suchtprobleme handelt, die erhöhten Interventionsbedarf aufweist.

Zusammengefasst unter Rahmenbedingungen der Versorgung von Jugendlichen mit psychischen Problemen finden sich 2 Diskussionsbeiträge. Zunächst formulieren T. D. Vloet et al. rechtliche, fachliche und strukturelle Anforderungen einer modernen akutstationären Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Störungen. M. Romanos et al. fokussieren abschließend das gesamte Versorgungsangebot für Kinder und Jugendliche mit psychischen Erkrankungen und benennen notwendige Veränderungen, um lange Wartezeiten, weite Wege und regionale Unterversorgung zu vermeiden. Das Diskussionspapier beschreibt die Reformbedarfe, die strukturellen Besonderheiten der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie (KJPP) und die wesentlichen Elemente einer möglichen Weiterentwicklung der Strukturen zur Sicherung der Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Störungen.

Wir hoffen, dass es mit diesem Themenheft gelungen ist, durch die Auswahl der Beiträge ein zutreffendes Bild über die aktuelle Situation von Jugendlichen mit psychischen Problemen zu vermitteln. Wir danken allen Autorinnen und Autoren für die gute Zusammenarbeit und wünschen Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, eine anregende Lektüre.