Einleitung

Während der COVID‑19-Pandemie stehen epidemiologische, virologische und pathologische Fragestellungen weltweit im Zentrum der Gesundheitsforschung und gesundheitspolitischer Debatten. Die pandemiebedingten Auswirkungen auf die psychische Gesundheit werden im Zuge dessen häufig vernachlässigt und die Bedeutung psychologischer Aspekte für die Gesamtdynamik der COVID‑19-Pandemie unterschätzt [1, 2]. Dabei ist es im Verlauf der COVID‑19-Pandemie zu einem weltweiten Anstieg von psychischen Belastungen gekommen [3]. So wurde in Deutschland, der Schweiz und Österreich während des ersten Lockdowns eine Zunahme an Depressions- und Angstsymptomen verbunden mit subjektiv erlebter Einsamkeit und einer Abnahme der Lebensqualität beobachtet [4,5,6,7]. Sowohl Personen, die bereits an einer psychischen Störung litten [8, 9] als auch jene mit körperlichen Vorerkrankungen, die mit einem erhöhten Infektionsrisiko für COVID‑19 verbunden waren, waren von den psychischen Folgen stärker betroffen [9]. Es kam hinzu, dass aufgrund der Kontaktbeschränkungen der Zugang zu psychotherapeutischen und somatischen Behandlungen verzögert oder erschwert wurde [10]. Daher sollten psychosoziale Aspekte als Co-Faktoren bei der Pandemiebekämpfung beachtet werden. Dies gilt insbesondere für Menschen, die einem MinoritätenstressFootnote 1 ausgesetzt sind, der sie auch ohne Pandemiefolgen anfällig für die Entwicklung psychischer Störungen macht.

Vor diesem Hintergrund richtet der vorliegende Beitrag den Fokus auf die Lebenssituation von trans Menschen und ihre Gesundheitsversorgung und fragt, ob und inwiefern diese von den Folgen der COVID‑19-Pandemie besonders betroffen sein könnten [11,12,13,14,15,16]. Das Wort „trans“ verwenden wir im vorliegenden Beitrag als Sammelbegriff für Menschen, die sich nicht bzw. nicht vollständig mit dem ihnen bei Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren. Der Begriff dient als Kurzform für unterschiedliche Beschreibungen einer individuellen Geschlechtlichkeit (z. B. transgender, transident, transsexuell; [17]). Die geschlechtliche Selbstbezeichnung variiert bei trans Personen zwischen binär (männlich oder weiblich) und non-binär (weder ausschließlich männlich noch weiblich). Das kann beispielsweise bedeuten, dass sich eine Person als oszillierend zwischen verschiedenen Geschlechtern erlebt (z. B. genderfluid) oder eine Geschlechtszuschreibung als Ganzes ablehnt (z. B. agender).

Klinisch bedeutsam sind geschlechtlich variante Lebensformen dann, wenn sie die diagnostischen Kriterien einer Geschlechtsinkongruenz oder Geschlechtsdysphorie erfüllen. Als Diagnose wurde die Geschlechtsdysphorie (GD) von der American Psychiatric Association (APA) im DSM‑5, der fünften Auflage des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, eingeführt, die den Leidensdruck aufgrund einer ausgeprägten Diskrepanz zwischen geschlechtlichem Erleben und Zuweisungsgeschlecht beschreibt [18]. Die 11. Version der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-11) spricht von Geschlechtsinkongruenz (GI; [19]). Die Inhalte einer transitionsunterstützendenFootnote 2 Behandlung verfolgen ein individuelles Konzept, in dem sowohl begleitende psychotherapeutische Ansätze als auch somatische Eingriffe (hormonell, chirurgisch) im Zuge einer Geschlechtsangleichung indiziert sein können [17].

Als marginalisierte Gruppe erfahren trans Personen im Vergleich zur CisFootnote 3-Bevölkerung im sozialen Raum überzufällig häufig Diskriminierungen, z. B. in Form von Benachteiligung bei der Arbeits- und Wohnungssuche [20], und leiden unter körperlicher und sexueller Gewalt [20, 21]. Neben der konkreten Belastung durch Benachteiligung und Gewalt kann der resultierende Minoritätenstress die Vulnerabilität für psychische und körperliche Erkrankungen noch verstärken. Doch auch auf der Suche nach medizinischer oder psychotherapeutischer Behandlung erleben trans Personen strukturelle Diskriminierung und Barrieren, die von der Ansprache mit einer geschlechtsbezogenen falschen Anrede (das sog. misgendern) bis zur Behandlungsverweigerung reichen [23]. Das resultiert vor allem daraus, dass Behandler:innenFootnote 4 häufig unzureichend über transbezogene Probleme und Versorgungsbedarfe informiert sind [27]. Hier zu berücksichtigen ist, dass trans Personen, die Diskriminierung im und durch das Gesundheitssystem erleben, selbiges tendenziell meiden [23, 27]. Dies ist insofern besorgniserregend, weil diese Vermeidung auch im Fall einer körperlichen oder psychiatrischen Erkrankung wirksam ist [27]. Im Zusammenhang mit geschlechtsangleichenden somatischen Behandlungen erleben trans Personen zudem im Bezug auf die Kostenübernahme medizinischer Maßnahmen erhebliche Barrieren. Sie sind für die Kostenübernahme von geschlechtsangleichenden Behandlungen auf eine Diagnose- und Indikationsstellung durch approbierte Psychotherapeut:innen oder Psychiater:innen angewiesen [28], die wiederum sozialmedizinisch in jedem Einzelfall geprüft wird [29]. Zudem sind qualifizierte und informierte Fachkräfte selten und praktizieren eher in Großstädten [30]. Diese defizitäre Situation führt für trans Personen zu einer begrenzten Auswahlmöglichkeit zwischen geeigneten Behandler:innen, langen Wartezeiten bis zu einem Erstkontakt sowie zu zeit- und kostenintensiven Anfahrten zum Behandlungsort [30].

Einschränkungen während der COVID‑19-Pandemie

Es gibt bereits Hinweise darauf, dass bestehende Vulnerabilitäten von trans Personen durch die pandemiebedingten Einschränkungen verschärft wurden. So berichtet eine internationale Untersuchung, dass weltweit der Zugang zu transitionsunterstützender Versorgung seit Beginn der COVID‑19-Pandemie eingeschränkt wurde [11]. Beratung und Therapie für die Behandlung psychischer Störungen waren am häufigsten von den Einschränkungen betroffen, es folgten ein eingeschränkter Zugang zur Hormontherapie und zur Nachsorge nach Operationen. Fachkräfte aus einer auf Transgender-Versorgung spezialisierten Klinik in Peking, China, berichten ebenfalls, dass der Zugang zu Hormonbehandlungen eingeschränkt und Operationen verschoben wurden [13]. Auch die Nachsorge im Anschluss an operative Eingriffe habe nicht stattfinden können [13]. In den Niederlanden wurde außerdem über vermehrte Barrieren zur allgemeinen Versorgung berichtet [14]. Soziale Isolierung und ein erschwerter Zugang zu psychosozialer (z. B. Sozialarbeit und communitybasierte Hilfen) sowie psychotherapeutischer Unterstützung (z. B. fehlende Angebote für eine telemedizinische Behandlung) könnten das Risiko für psychische Störungen erhöhen [14]. Trans Personen in den USA berichteten neben den zunehmenden Barrieren zur Trans-Gesundheitsversorgung und zunehmender psychischer Belastung außerdem, dass die wahrgenommene Unterstützung durch die Trans-Community abgenommen habe [12].

Zusammenfassend zeigt sich, dass die Gesundheit von trans Personen während der COVID‑19-Pandemie übermäßig gefährdet sein könnte. In der vorliegenden Arbeit berichten wir Daten zu dieser Fragestellung aus deutschsprachigen Ländern. Die Studie fokussiert hierbei auf die psychische und physische Gesundheit von trans Personen in Deutschland, der Schweiz und Österreich sowie auf Einschränkungen im Zugang zur Trans-Gesundheitsversorgung seit Beginn der COVID‑19-Pandemie.

Methoden

Studiendesign

Die zugrunde liegenden Daten stammen aus einem internationalen Online-Survey zur Situation der Trans-Gesundheitsversorgung während der COVID‑19-Pandemie: TransCareCovid-19 (www.transcarecovid-19.com). Die TransCareCovid-19-Studie ist eine Querschnittstudie, die von Andreas Köhler, Joz Motmans und Timo O. Nieder erarbeitet und weltweit in Kooperation mit 23 Communityorganisationen sowie Fachkräften weiterentwickelt wurde. Der Survey wurde in 27 Sprachen übersetzt. In die Konzeption der deutschen Version des Survey waren neben den Wissenschaftler:innen des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) und des Westküstenklinikums Heide, der Bundesverband Trans* (BVT*), die deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti e. V.) und Transgender Europe (TGEU) involviert. Am gesamten Forschungsprozess war eine Vielzahl von Personen beteiligt, die sich als Angehörige der LGBTQ+-CommunityFootnote 5 verstehen. Die Entwicklung, Übersetzung und Distribution des Survey wurden partizipativ mit den beteiligten Autor:innen erarbeitet und hatten zum Ziel, die Wirklichkeit der Zielgruppe möglichst lebensweltnah zu erfassen. Obgleich sich ein partizipatives Vorgehen für die Forschung mit marginalisierten Populationen, wie z. B. trans Personen [31], besonders empfiehlt, kann die Studie dem Anspruch, durchgehend partizipativ gearbeitet zu haben, nicht gerecht werden.

Stichprobe

Zur Teilnahme an der Studie eingeladen wurden Personen, die sich als trans identifizieren und zum Zeitpunkt der Erhebung mindestens 16 Jahre alt waren. Rekrutiert wurde über LGBTQ+-relevante soziale Medien, Mailinglisten von Trans-Verbänden und Organisationen sowie über ein Schneeballverfahren. Daten wurden seit Mai 2020 gesammelt. Der vorliegende Artikel berücksichtigt Daten aus den deutschsprachigen Ländern, die bis zum 31.01.2021 erhoben wurden.

Maße

Der Fragebogen beinhaltete Items zu folgenden demografischen Daten: Alter, bei Geburt zugewiesenes Geschlecht, geschlechtliche Selbstbezeichnung, Bildungsgrad, Beschäftigungsstand, Wohnsitz (Land, städtische vs. ländliche Region), Einkommen und Minderheitenstatus (People of Color, religiöse Minderheit, sexuelle Minderheit, Minderheit wegen der geschlechtlichen Selbstbezeichnung, Selbstbezeichnung als Personen mit Behinderung, andere). Der Gesundheitsstatus wurde über Items aus vorherigen Studien [32] und Freitextantworten erhoben. Items, die die Erfahrungen mit COVID‑19 erfragten (z. B. COVID‑19-Symptomatik in den letzten 14 Tagen, Kontakte mit an COVID‑19 erkrankten Personen) orientierten sich ebenfalls an vorliegenden Studien [33]. Mit Bezug auf COVID‑19 wurden transspezifische Diskriminierungserfahrungen und die Vermeidung von medizinischer Versorgung erfragt. Weiterhin wurden Daten zur Inanspruchnahme von geschlechtsangleichenden Behandlungen und der Einfluss der COVID‑19-Pandemie auf den Zugang zu diesen Behandlungen erhoben. Auch der Zugang zur Unterstützung durch die Trans-Community – in Form von Selbsthilfegruppen oder Trans-Beratungsstellen – und der Zugang zur Psychotherapie wurden erhoben. Über eine Pfadabhängigkeit wurden den Teilnehmenden (TN) ausschließlich Fragen zu Behandlungen gestellt, die sie bereits in Anspruch genommen hatten. Zum Beispiel wurden nur TN, die schon eine Hormontherapie begonnen hatten, gefragt, ob der Zugang zu dieser eingeschränkt war. Zuletzt wurde die psychische Belastung der TN mit dem Brief Symptom Inventory (BSI-18) erhoben [34]. Der BSI-18 beinhaltet 18 Items, die psychische Belastung aus 3 Bereichen (Depressivität, Ängstlichkeit, Somatisierung) erfassen. Die Items werden auf einer Likert-Skala von „überhaupt nicht“ (0) bis zu „sehr stark“ (4) beantwortet. Diese werden zu einem Gesamtwert – dem Global Severity Index (globaler Schweregradindex, GSI) – zusammengefasst, der die allgemeine psychische Belastung widerspiegelt [34].

Statistische Analysen

Demografische Daten, Gesundheitsstatus sowie die Einschränkungen der Trans-Gesundheitsversorgung wurden mittels deskriptiver Statistik analysiert. Für kontinuierliche Daten geben wir Mittelwerte und Standardabweichungen an, für kategoriale Daten werden die Häufigkeiten und Prozentanteile berichtet. Fehlende Daten wurden paarweise aus den Analysen ausgeschlossen. Aspekte, die zu vermehrten Einschränkungen im Zugang zu geschlechtsangleichenden Maßnahmen führten, haben wir mit einer multiplen logistischen Regression analysiert. Dabei haben wir folgende Prädiktoren untersucht: die geschlechtliche Selbstbezeichnung (binär/nichtbinär), das bei Geburt zugewiesene Geschlecht (männlich/weiblich), das monatliche Einkommen (als kontinuierliche Variable mit höheren Werten für ein niedrigeres Einkommen), die Zugehörigkeit zu einer religiösen Minderheit, einer sexuellen Minderheit, die Selbstbezeichnung als Person mit Behinderung und das Vorhandensein mindestens einer körperlichen Erkrankung. Die Voraussetzungen der logistischen Regression (Linearität des Logits, keine Multikollinearität) lagen vor. Wir haben keine Ausreißer mit einem überproportionalen Einfluss auf das Modell gefunden. Cox-Snells R2 und Nagelkerkes R2 werden als Indikatoren für die Modellanpassung angegeben. Zuletzt wurde die psychische Belastung mit einer multiplen linearen Regression untersucht, wobei der GSI als Kriterium diente. In diesem Modell untersuchten wir folgende Prädiktoren: die geschlechtliche Selbstbezeichnung (binär/nichtbinär), das bei Geburt zugewiesene Geschlecht (männlich/weiblich), das Einkommen (als kontinuierliche Variable mit höheren Werten repräsentativ für ein niedrigeres Einkommen), die Zugehörigkeit zu einer religiösen Minderheit, einer sexuellen Minderheit, die Selbstbezeichnung als Person mit Behinderung, das Vorhandensein mindestens einer körperlichen Erkrankung und der eingeschränkte Zugang zu mindestens einer geschlechtsangleichenden Behandlung. Wir haben die Voraussetzungen für eine multiple lineare Regression und das Vorkommen von Ausreißern mit den entsprechenden Diagnoseverfahren analysiert [35].

Ergebnisse

Demografische Daten

In dem Zeitraum vom 01.05.2020 bis zum 31.01.2021 haben 2125 Personen an der deutschen Version der Studie teilgenommen. Wir haben 618 TN ausschließen müssen, weil diese weniger als 50 % des Fragebogens beantwortet hatten. Insgesamt haben wir die Daten von N = 1507 Teilnehmenden analysieren können, die zu 77 % aus Deutschland stammten. Die TN waren im Mittel 33,06 Jahre alt (SD = 13,08 Jahre). 1106 (73,4 %) TN nutzten eine binäre geschlechtliche Selbstbezeichnung, 334 (22,2 %) eine nichtbinäre geschlechtliche Selbstbezeichnung. Weitere Informationen zu den demografischen Daten finden sich in Tab. 1.

Tab. 1 Demografische Daten. N = 1507 Teilnehmende (TN)

Aktuelle Gesundheitssituation und Erfahrungen mit COVID‑19

Mehr als die Hälfte der TN (n = 826; 54,8 %) gab an, mindestens an einer der erfragten körperlichen Erkrankungen zu leiden. Darüber hinaus ergab sich aus der Analyse der Freitextantworten zum Gesundheitsstatus, dass etwa ein Drittel der Befragten (n = 492, 32,6 %) an einer psychischen Störung litt. Aufgrund von Problemen, die nicht mit der geschlechtlichen Selbstbezeichnung assoziiert waren, befanden sich 565 (37,5 %) der TN in psychotherapeutischer Behandlung. Allerdings konnten 299 (53,1 %) der TN die Therapie seit Beginn der COVID‑19-Pandemie nur eingeschränkt weiterführen. Hinsichtlich der COVID‑19-Versorgung haben sich 41 (2,7 %) der TN seit Beginn der COVID‑19-Pandemie auf SARS-CoV‑2 testen lassen, wobei 31 TN (2,1 %) Diskriminierung und 30 TN (2,0 %) Fehlbehandlungen bei der Testung erlebt haben. Weitere Informationen zum Gesundheitsstatus finden sich in Tab. 2.

Tab. 2 Gesundheitsstatus der Teilnehmenden (TN) und ihre Erfahrungen mit COVID‑19. N = 1507 Teilnehmende (TN)

Zugang zu trans-spezifischen Behandlungen

Von den 1101 TN (73,1 %), die zum Befragungszeitpunkt geschlechtsangleichende Maßnahmen in Anspruch nahmen, berichteten 490 (36,4 %) einen eingeschränkten Zugang zu mindestens einer dieser Maßnahmen (Abb. 1a). Am stärksten wurden die Epilationsbehandlungen eingeschränkt (59,9 %), gefolgt von der Nachsorge nach einer geschlechtsangleichenden Operation (21,9 %) und der Hormontherapie (18,1 %; Tab. 3). Weiterhin berichteten 771 TN (51,2 %) von den 1392 TN (92,4 %), die eine geschlechtsangleichende Maßnahme geplant oder in Anspruch genommen hatten, dass sie über zukünftige Einschränkungen aufgrund der COVID‑19-Pandemie besorgt waren (Abb. 1b). Weitere Informationen finden sich in Tab. 3.

Abb. 1
figure 1

Zugangseinschränkungen zu geschlechtsangleichenden Behandlungen (a) und Sorge vor zukünftigen Zugangseinschränkungen (b) aufgrund der COVID‑19-Pandemie. Zu a blau: Anteil der Teilnehmenden (TN) der Gesamtstichprobe, die eine Behandlung in Anspruch genommen haben; rosa: Anteil der TN, die Einschränkungen wegen der COVID‑19-Pandemie erlebt haben. Zu b blau: Anteil der TN der Gesamtstichprobe, die eine Behandlung geplant oder in Anspruch genommen haben; rosa: Anteil der TN, die besorgt sind, dass der Zugang zur Behandlung in Zukunft wegen der COVID‑19-Pandemie eingeschränkt sein wird. GA Geschlechtsangleichung. (Eigene Abbildung)

Tab. 3 Einschränkungen bei transspezifischen Behandlungen während der COVID‑19-Pandemie. N = 1101 Teilnehmende, die eine transspezifische Behandlung in Anspruch genommen haben (73 % der Gesamtgruppe)

Das logistische Regressionsmodell zur Untersuchung der Prädiktoren für vermehrte Einschränkungen im Zugang zu geschlechtsangleichenden Behandlungen erlangte statistische Signifikanz, χ2 = 104,126, p < 0,001 (Tab. 4). TN, denen bei der Geburt ein männliches Geschlecht zugewiesen wurde, haben demnach ein höheres Risiko, einen erschwerten Zugang zur Trans-Gesundheitsversorgung zu erleben (OR = 3,062). Ebenso haben Personen mit niedrigerem Einkommen ein höheres Risiko für Zugangseinschränkungen (OR = 1,139).

Tab. 4 Der Einfluss der geschlechtlichen Selbstbezeichnung, des zugewiesenen Geschlechts, des Minderheitsstatus und des Einkommens auf die Zugangseinschränkungen zu geschlechtsangleichenden Behandlungen während der COVID‑19-Pandemie

Psychische Belastung

Der Mittelwert des GSI für psychische Belastung lag für die Gesamtstichprobe bei 16,57 (SD = 12,96). Das Regressionsmodell zur Untersuchung der Prädiktoren für einen höheren GSI erlangte statistische Signifikanz, F (8, 1255) = 25,54, p < 0,001 (Tab. 5). Ein bei der Geburt zugewiesenes männliches Geschlecht war signifikant mit niedrigeren GSI-Werten assoziiert (B = −2,503, p = 0,001). Ein niedrigeres Einkommen (B = 2,074, p < 0,001), die Zugehörigkeit zu einer sexuellen Minderheit (B = 3,722, p < 0,001), die Selbstbezeichnung als Person mit Behinderung (B = 3,870, p < 0,001) und das Vorhandensein von mindestens einer körperlichen Erkrankung (B = 3,242, p < 0,001) waren signifikant mit höheren GSI-Werten assoziiert.

Tab. 5 Der Einfluss der geschlechtlichen Selbstbezeichnung, des zugewiesenen Geschlechtes, des Minderheitsstatus, des Einkommens und der erlebten Einschränkungen zu geschlechtsangleichenden Behandlungen auf den Grad der psychischen Belastung (globaler Schweregradindex, GSI)

Diskussion

Ausgangspunkt dieser in Deutschland, der Schweiz und Österreich durchgeführten Studie war die Frage, welche Auswirkungen die COVID‑19-Pandemie auf die Gesundheit und die Gesundheitsversorgung von trans Personen hat. Hierbei fokussierten wir auf die unterschiedlichen Erfahrungen von trans Personen, die Maßnahmen der Trans-Gesundheitsversorgung in Anspruch genommen haben und nehmen.

Wie auch andere Studien fand die vorliegende Arbeit, dass der Zugang zu geschlechtsangleichenden Behandlungen (z. B. Hormontherapie, Epilation, geschlechtsangleichende Operationen) für trans Personen während der COVID‑19-Pandemie eingeschränkt war [11,12,13,14]. Der Vergleich zu anderen Ländern zeigt hier ein differenzierteres Bild, wobei TN aus dem deutschsprachigen Raum spezifisch von bestimmten Einschränkungen betroffen zu sein scheinen [11]. So berichten in den USA trans Personen fast doppelt so häufig von einem erschwerten Zugang zur Hormontherapie. Demgegenüber wurden geschlechtsangleichende Operationen in Deutschland öfter verzögert oder abgesagt [12]. Das Erleben von Einschränkungen im Zugang zur medizinischen Versorgung (v. a. erschwerter Zugang zur Hormontherapie und Verzögerung oder Absage geschlechtsangleichender Operationen) wurde von zwei Merkmalen beeinflusst. Zum einen haben TN, denen bei der Geburt ein männliches Geschlecht zugewiesen wurde, ein höheres Risiko, mindestens eine Einschränkung zu erleben. Eine mögliche Erklärung hierfür könnte sein, dass diese Epilationsbehandlungen in Anspruch nehmen, die aufgrund der Kontaktbeschränkungen bei körpernahen Dienstleistungen nahezu vollständig ausgesetzt wurden. Darüber hinaus kann diskutiert werden, ob trans Personen, denen bei Geburt ein männliches Geschlecht zugewiesen wurde, häufiger Diskriminierungen erleben, was diesen Zusammenhang ebenfalls vermittelt haben könnte [36]. Außerdem war für TN mit einem niedrigen Einkommen das Risiko erhöht, Einschränkungen im Zugang zu geschlechtsangleichenden Maßnahmen aufgrund der COVID‑19-Pandemie zu erleben. Dieses Ergebnis stimmt mit Befunden aus weiteren Studien überein, die zeigen, dass Personen mit niedrigem sozioökonomischen Status während der COVID‑19-Pandemie finanziell und gesundheitlich benachteiligt wurden [37, 38]. Einschränkend ist anzumerken, dass die Effekte beider Prädiktoren klein waren [39].

Einschränkungen im Zugang zu geschlechtsangleichenden Maßnahmen können negative gesundheitliche Folgen für trans Personen haben [11,12,13,14]. Die Verschiebung einer geschlechtsangleichenden Operation oder auch die Unterbrechung bzw. Verschiebungen einer Hormontherapie kann die Zunahme von klinisch relevanter Depressivität und Ängstlichkeit bis hin zu manifesten Suizidgedanken bedingen [11]. Außerdem bedarf die medizinische Transition im Sinne einer professionellen Gesundheitsversorgung eines regelmäßigen Monitorings (z. B. benötigt eine Hormontherapie regelmäßige Kontrollen des Hormonstatus sowie möglicher Nebenwirkungen und ggf. Dosisanpassung; [40, 41]). Wenn Termine bei zuständigen Fachärzt:innen pandemiebedingt verschoben oder abgesagt werden mussten, kann dies zum Beispiel das Risiko steigern, mögliche sekundäre somatische Erkrankungen einer Hormonersatztherapie nicht rechtzeitig zu erkennen. Die unzureichende Nachsorge nach einer Operation geht darüber hinaus mit einem erhöhten Risiko für Wundheilungsstörungen oder anderen postoperativen Komplikationen einher [13]. Ein eingeschränkter Zugang zu Epilationsbehandlungen kann den Transitionsprozess ebenfalls verlängern, die Geschlechtsdysphorie aufrecht halten und das Risiko für Diskriminierungserfahrungen erhöhen [17]. Das Ausmaß und die potenziellen Auswirkungen der zusätzlichen, durch die COVID‑19-Pandemie bedingten Einschränkungen im Zugang zur Trans-Gesundheitsversorgung sollten vor dem Hintergrund der dargestellten Vulnerabilität von trans Personen als bedeutsames Risiko für die psychische und physische Gesundheit betrachten werden [20, 21, 23, 28]. Hinzu kommt, dass die TN der vorliegenden Studie angaben, im Vergleich zur europäischen Allgemeinbevölkerung öfter an akuten oder chronischen Erkrankungen zu leiden [42]. Einige dieser chronischen Erkrankungen (z. B. Lungenerkrankungen) stellen ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf einer COVID‑19-Erkrankung dar [43]. Außerdem erleben trans Personen öfter als die Allgemeinbevölkerung in verschiedenen Lebensbereichen Diskriminierungen [20, 21]. In diesem Zusammenhang berichten die TN der vorliegenden Studie ebenfalls über Diskriminierungen und Fehlbehandlungen während der Testungen auf SARS-CoV‑2. Bis zu 15 % gaben an, eine Testung aus Angst vor Diskriminierung und Fehlbehandlung zu vermeiden. Neben den genannten Einflüssen von Zugangseinschränkungen zur medizinischen Versorgung war eine höhere psychische Belastung außerdem mit einem niedrigeren Einkommen, der Zugehörigkeit zu einer sexuellen Minderheit, der Selbstbezeichnung als Mensch mit Behinderung sowie dem Vorhandensein mindestens einer körperlichen Erkrankung assoziiert. Verschärft wurden die genannten Probleme von trans Personen während der COVID‑19-Pandemie zuletzt durch einen erschwerten Zugang zu Communityressourcen, wie zum Beispiel Unterstützung durch Selbsthilfegruppen und Trans-Beratungsstellen, sowie zu psychiatrischer und/oder psychotherapeutischer Behandlung [12].

Die vorliegende Studie verdeutlicht, dass trans Personen während der COVID‑19-Pandemie vielfältige Einschränkungen im Zugang sowohl zur Trans- als auch zur allgemeinen Gesundheitsversorgung erlebt haben. Für trans Personen kann dies eine Unterbrechung oder Verzögerung ihrer Behandlungen bedeuten und somit eine Verschlechterung der Geschlechtsdysphorie, der psychischen Gesundheit und der Lebensqualität bedingen [44, 45]. Hinzu kommt, dass trans Menschen bereits vor der COVID‑19-Pandemie einen erschwerten Zugang zum Gesundheitssystem erlebten [27, 30].

Obwohl viele Bereiche des Gesundheitssystems mit mangelnden Ressourcen und eingeschränkten Behandlungsmöglichkeiten wegen der COVID‑19-Pandemie zu kämpfen haben, sollte berücksichtigt werden, dass diskriminierte und marginalisierte Gruppen stärker von dieser Ressourcenknappheit betroffen sein können als die Allgemeinbevölkerung [37, 38, 46]. Basierend auf den Daten der vorliegenden Studie kann dies auch für trans Personen angenommen werden. Die pandemiebedingt erlebten Einschränkungen addieren sich zu einer bereits vorhandenen sozialen und medizinischen Vulnerabilität und verschärfen somit das Risiko von trans Personen, sowohl psychisch als auch physisch schwerwiegende gesundheitliche Probleme zu entwickeln.

Limitationen und Ausblick

Die Erhebungsmethode via Online-Befragung begrenzt die Aussagekraft der analysierten Daten, da ausschließlich Personen mit einem internetfähigen Endgerät und hinreichenden technischen Kenntnissen an dem Survey teilnehmen konnten. So müssen wir annehmen, dass dieses Befragungsformat die Stichprobe in Richtung jüngerer, höher gebildeter TN verzerrt hat. Auch durch die Verbreitung der Studie über soziale Medien und Mailinglisten wird es wahrscheinlicher, dass Personen mit einer stärkeren Nutzung sozialer Medien eher an der Studie teilgenommen haben. Diese Einschränkungen gelten grundsätzlich für webbasierte Studien. Eine weitere wichtige Einschränkung der vorliegenden Studie ist das Fehlen einer Kontrollgruppe. Die erhobenen Daten können lediglich mit vorherigen Studien verglichen werden, die sich in Design und Methodik unterscheiden können. Weiterhin ist die fehlende Beteiligung der Praxispartner:innen an allen Schritten dieser Untersuchung eine Limitation der Studie. Aufgrund der rapiden Entwicklung der Pandemie haben die Autor:innen Schnelligkeit vor Partizipation priorisiert, um die erhobenen Daten so zeitnah wie möglich veröffentlichen zu können [47]. Zukünftige Forschung sollte diese Einschränkungen adressieren, z. B. indem die Einschränkungen beim Zugang zur Trans-Gesundheitsversorgung aufgrund externer Ereignisse longitudinal untersucht werden. Weithin sollten auch die langfristigen Folgen der beschriebenen Einschränkungen im Zugang zur Trans-Gesundheitsversorgung auf die physische und psychische Gesundheit von trans Personen erfasst werden.

Schlussfolgerung

Für die Situation von trans Personen in Deutschland, der Schweiz und Österreich fand die vorliegende Studie vielfach Einschränkungen im Zugang zur Gesundheitsversorgung durch die COVID‑19-Pandemie. Der Zugang sowohl zu transitionsunterstützenden Behandlungen als auch zur allgemeinen Gesundheitsversorgung wurde bei gleichzeitig zunehmender Isolation von der Trans-Community eingeschränkt. Vor dem Hintergrund der bereits vor der COVID‑19-Pandemie dokumentierten Vulnerabilitäten von trans Personen zeigen die empirisch erfassten Einschränkungen, dass sich die gesundheitlichen Risiken von trans Personen im Rahmen der COVID‑19-Pandemie maßgeblich verschärft haben.