In der Sucht- und Alkoholprävention gilt der Settingansatz (zur Umsetzung der Prinzipien der Ottawa-Charta, WHO 1986) als Schlüsselstrategie, die sich nach dem Modell von Kilian et al. [13] zwischen einer Verhaltensorientierung (Stärkung individueller Kompetenzen und Ressourcen) und einer Verhältnisorientierung im Sinne einer Strukturentwicklung gesundheitsförderlicher Lebens‑, Lern- und Arbeitsbedingungen aufspannt. Die Kommune wird im Settingansatz als das zentrale Setting betrachtet, das alle Lebenswelten – wie etwa Bildungseinrichtungen, Betriebe und Arbeitsstätten, Freizeiteinrichtungen – umfasst und einen unmittelbaren Zugang zu den Menschen ermöglicht. Außerdem ist die Kommune „Plattform für präventive Interventionen“ und gleichzeitig „Gegenstand der [gesundheitsförderlichen] Entwicklungen“ [14]. Um das präventive Potenzial bestmöglich entfalten zu können, sollten Strukturen, Prozesse, Angebote und Werte der Kommune gemeinsam betrachtet und entwickelt werden, was den Settingansatz zu einem teilweise normativen Konzept macht, dessen Umsetzung komplex ist [14]. Folgend werden Rahmenbedingen und Organisationsstrukturen der Alkoholprävention in Kommunen betrachtet.
Organisationsstruktur der kommunalen Alkoholprävention
Gemäß Art. 28 Absatz 2 Grundgesetz (GG), der die kommunale Selbstverwaltung regelt, ist den Städten und Gemeinden das Recht garantiert, sämtliche Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze selbst zu regeln. Entsprechende Zuständigkeiten sind in Kommunalverfassungen bzw. Gemeindeordnungen festgelegt, die auf Ländergesetzgebungen basieren. Zwar zählt die Gesundheitsförderung im Sinne des Schutzes vor gesundheitlichen Gefährdungen zu den kommunalen Pflichtaufgaben – als jüngstes Beispiel können zahlreiche Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie genannt werden –, die Suchtprävention ist hingegen keine kommunale Pflichtaufgabe.
Die realen Leistungen zur Erfüllung dieser freiwilligen Aufgabe werden überwiegend durch freie Träger erbracht, die kommunal oder durch Landeszuwendungen finanziert werden [1]. In der Regel werden dort Suchtpräventionsfachkräfte beschäftigt, die für die Umsetzung konkreter Maßnahmen vor Ort zuständig sind. Zu deren Aufgabenfeldern gehören u. a.:
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die Initiierung, Koordinierung und Durchführung von Präventionsmaßnahmen vor Ort,
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die Information und Aufklärung über Ursachen von Sucht und deren Prävention,
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die Beratung von Interessierten und Betroffenen, Multiplikatorinnen und Multiplikatoren sowie Institutionen zu Fragen der Suchtprävention,
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die Durchführung von Qualifizierungs- und Fortbildungsmaßnahmen für haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitende.
Zur Koordinierung und Steuerung dieser Aufgaben werden häufig institutionalisierte Strukturen, wie beispielsweise Fach- und Arbeits- oder Koordinierungskreise oder Präventionsräte, geschaffen, die Sucht- und Alkoholprävention optimalerweise im Sinne einer Querschnittsaufgabe (also durch alle beteiligten Personen bzw. Institutionen) bearbeiten. Zu den kommunalen Akteuren, die in die Bearbeitung dieser Aufgabe involviert sind, zählen Gesundheits‑, Sozial- und Ordnungsämter, Fachstellen für Suchtprävention, kommunale Suchtbeauftragte, kommunale Präventionsräte, aber auch Wohlfahrtsverbände, Nichtregierungsorganisationen (NRO), Selbsthilfegruppen, lokale Initiativen oder die örtlichen Polizeibehörden etc.
Trotz unterschiedlicher Ausprägungen, Herangehensweisen und Zuständigkeiten herrscht Konsens darüber, dass „Suchtprävention am besten vor Ort beginnt“ [15]. Außerdem wird bei der praktischen Umsetzung „im Hinblick auf Betreuungs‑, Beratungs- und allgemeine Präventionsaktivitäten in einigen Bundesländern die Zuständigkeit der Kommunen in den letzten Jahren verstärkt betont“ [4]. Vorteilhaft ist in dem Kontext, dass die Kommunen „am besten die Probleme vor Ort [kennen] und die lokalen Akteure des Dritten Sektors bzw. der Zivilgesellschaft, die einen Beitrag zur Lösung leisten können“ [1].
Strategien der kommunalen Alkoholprävention
Für die kommunale Alkoholprävention wird eine strategische Ausrichtung im Sinne einer Kombination aus verhältnis- und verhaltenspräventiven Maßnahmen als sinnvoll erachtet [13, 17]. Als Vorbild könnte die Tabakprävention dienen: In den letzten 10 Jahren hat sich gezeigt, dass gerade die Kombination verhältnispräventiver Maßnahmen (Tabakkontrolle, Nichtraucherschutzgesetz, Tabaksteuererhöhung, Werbebeschränkungen, Abgabebeschränkungen etc.) und verhaltenspräventiver Maßnahmen (Aufklärungs- und Informationskampagnen, Förderung der Tabakentwöhnung etc.) zur Erreichung der nationalen Gesundheitsziele einen beträchtlichen Beitrag leisten kann [16]. Tendenziell ist eine Orientierung an dem in der Tabakprävention erfolgreich praktizierten „Policy-Mix“ (Kombination verhältnis- und verhaltenspräventiver Maßnahmen) hilfreich. Ein bedeutender Unterschied besteht allerdings im Hinblick auf gesetzgeberische Möglichkeiten. Rauchverbote können etwa mit dem direkten Nichtraucherschutz und der Schädigung Dritter durch das Passivrauchen begründet werden. Eine Fremdschädigung durch Alkoholkonsum wird hingegen von der Rechtsprechung nicht festgestellt. Konsumbeschränkungen im öffentlichen Raum sind schwierig umzusetzen, denn das Grundgesetz Art. 2 Abs. 1 schützt die allgemeine Handlungsfreiheit [18].
Nichtsdestotrotz sind Maßnahmen der kommunalen Verhältnisprävention oft politisch orientiert. Sie setzen auf eine Veränderung und Beeinflussung der sozialen, kulturellen, rechtlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen innerhalb einer Kommune. In entsprechenden Einrichtungen oder gesellschaftlichen Bereichen werden Strukturen und Regeln so gestaltet bzw. beeinflusst, dass Rauschtrinken eingeschränkt oder verhindert wird. Hierzu zählen insbesondere [18]:
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Alkoholkonsumbeschränkungen bzw. -verbote in öffentlichen Bereichen, Beschränkungen des Mitsichführens von Alkohol,
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Alkoholkonsumbeschränkungen bzw. -verbote im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) und deren Überwachung,
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Alkoholverkaufsverbote und deren Überwachung,
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Alkoholsteuererhöhungen,
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Alkoholtestkäufe und Schulungen des Verkaufspersonals,
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Verzicht auf Alkoholwerbung auf kommunalen Werbeflächen,
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Erhöhung des Kontrolldrucks/Alkoholkontrollen im Straßenverkehr,
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Bereitstellung eines attraktiven Angebots an alkoholfreien Getränken bei Festen und Veranstaltungen.
Zum Spektrum verhaltenspräventiver Interventionen zählen solche, die sich auf Wissen, Einstellungen und Verhalten einzelner Personen oder Gruppen beziehen und häufig mit pädagogischen Methoden versuchen, Individuen zu einem gesundheitsbewussten Verhalten zu bewegen. Hierzu gehören vor allem [17]:
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Förderung von Lebens- und Risikokompetenzen, z. B. durch erlebnispädagogische Maßnahmen,
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Peer-Education (sozialpädagogischer Arbeitsansatz, der vorsieht, dass speziell ausgebildete Jugendliche Gleichaltrige über die Risiken des Alkoholkonsums informieren),
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Alternative Freizeitangebote, die unter Einbeziehung der Zielgruppe entwickelt werden,
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Streetworking und aufsuchende Hilfe und Beratung,
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Informations- und Aufklärungsmaßnahmen zur Verhinderung von Rauschtrinken,
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Förderung von Punktnüchternheit, etwa im Straßenverkehr.
Weitere unterstützende Maßnahmen, die sowohl verhaltens- als auch verhältnispräventiv ausgerichtet sein können, sind etwa [17]:
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Fortbildung von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren,
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Medienarbeit und Öffentlichkeitskampagnen,
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Erarbeitung von Leitfäden, Arbeitshilfen, Infomaterialien.
Durch den Auf- bzw. Ausbau von alkoholpräventiv agierenden Netzwerken kann Präventionsarbeit nachhaltig in allen Lebenswelten im Dachsetting Kommune verankert werden. Ein Netzwerk sollte stets unter Einbeziehung kommunalpolitischer Entscheidungstragenden agieren, da die Kommunalpolitik die maßgeblichen Rahmenbedingungen für die Umsetzung einer alkoholpräventiven Strategie setzen kann. Bestenfalls wird die Präventionsarbeit dabei durch kommunalpolitische Beschlüsse gestützt. Eine 6‑stufige Strategie zur Umsetzung von kommunalen Alkoholpräventionsvorhaben hat Jordi mit dem – auf die Alkoholprävention angepassten – Konzept des politischen Zirkels (Policy Cycle) vorgelegt (Abb. 3; [19]).
Inzwischen wurde dieses Modell in verschiedenen Projekten umgesetzt (s. unten; [19, 31]). Eine wichtige Voraussetzung für die Umsetzung alkoholpräventiver Aktivitäten ist aber immer der politische Wille. Dieser ist insbesondere dann ausgeprägt, wenn sich in der Kommune aufgrund eines Missstands ein Handlungsdruck aufbaut, der durch die breite und mediale Öffentlichkeit verstärkt wird [20].
Herausforderungen der kommunalen Alkoholprävention
Folgend werden die Herausforderungen der kommunalen Alkoholprävention skizziert, mit denen Kommunen in unterschiedlichen Bereichen konfrontiert sind:
Folgen des Rauschtrinkens im öffentlichen Raum.
Durch das Rauschtrinken im öffentlichen Raum kommt es zum Beispiel zu nächtlichen Ruhestörungen in der Nähe von öffentlichen Plätzen oder Ausschankbetrieben, die ein behördliches Einschreiten erfordern. Wesentlich aufwendiger gestaltet sich mitunter der Umgang mit rauschtrinkenden Jugendlichen auf An- und Abreisewegen zu Veranstaltungen oder Nachtclubs. Fußballspiele oder Großveranstaltungen (Volksfeste, Musikkonzerte, Kirmes, Karneval etc.) sind ebenfalls Anlässe, um Rauschtrinken zu betreiben. In vielen Städten wird darüber hinaus von Personengruppen in Parks oder auf öffentlichen Plätzen Alkohol in großen Mengen konsumiert. Im Zusammenhang mit dem Rauschtrinken im öffentlichen Raum stehen außerdem folgende Punkte:
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Alkoholintoxikationen: Besonders gefährdet sind Jugendliche und junge Erwachsene. Mehr als 14.900 Jugendliche im Alter von 10–17 Jahren wurden im letzten Erhebungsjahr (2018) mit einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert [21].
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Gewaltkriminalität im Sinne der polizeilichen KriminalstatistikFootnote 2: Etwa ein Drittel aller durch die Behörden aufgeklärten Fälle von Gewaltkriminalität werden unter Alkoholeinfluss verübt [22].
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Teilnahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss: Im Jahr 2018 ereigneten sich rund 35.600 Unfälle in Deutschland, bei denen mindestens ein Beteiligter unter Alkoholeinfluss stand [23].
Zusätzlich verzeichnen deutsche Städte und Gemeinden nicht zu beziffernde Fälle von Vandalismus gegen öffentliches und privates Eigentum. Häufig stehen diese im Zusammenhang mit Rauschtrinken. Ebenso lassen sich viele Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auf Rauschtrinken zurückführen.
Folgen einschränkender Maßnahmen auf ökonomischer Ebene.
Die Bekämpfung der genannten Probleme ist ihrerseits ebenfalls mit Herausforderungen verbunden, zum Beispiel im Bereich der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Einschränkungen oder gar Verbote des Alkoholkonsums oder -verkaufs sorgen etwa für niedrigere Gewerbesteuereinnahmen. Regionen, in denen die Produktion von alkoholischen Getränken wie Bier oder Wein als tradiertes Kulturgut betrachtet wird, befürchten bei einer Verhängung von Alkoholkonsumverboten Nachteile in der touristischen Vermarktung. Rückgänge im Tourismus können zu direkten finanziellen Einbußen im kommunalen Haushalt führen. Gleiches gilt für die Einschränkung des Alkoholkonsums auf Festen und Veranstaltungen. Häufig werden Kosten für kulturelle Programme durch Einnahmen aus dem Alkoholverkauf (mit-)finanziert. Außerdem wertet das Angebot jugendaffiner alkoholischer Getränke das angestaubte Image manches Dorffestes auf, verführt gleichzeitig aber das jüngere Publikum zum Rauschtrinken [15]. Dies bringt Kommunalpolitikerinnen und -politiker in einen Interessenskonflikt zwischen der Förderung von Präventionshandeln und der attraktiven Vermarktung der Kommune.
Intra- und interpersonelle Konflikte bei Politiker/innen.
Siebenhüter diagnostiziert des Weiteren eine hohe Responsivität zwischen Bürgerinnen und Bürgern (Wählerinnen und Wählern) und Kommunalpolitikerinnen und -politikern (Gewählten). Politikerinnen und Politiker müssen, wenn sie die kommunale Alkoholprävention vorantreiben wollen, am Gemeinwohl orientierte Maßnahmen treffen, die aber als unpopulär oder freiheitseinschränkend empfunden werden können. Gleichzeitig nehmen Kommunalpolitikerinnen und -politiker mit ihren Wählerinnen und Wählern gemeinsam am kommunalen Leben teil. Oft sind sie in denselben Brauchtumsvereinen engagiert, in denen entgegengesetzte Interessen vertreten werden und der Konsum von Alkohol möglicherweise einen hohen Stellenwert genießt. Lokalpolitikerinnen und -politiker stehen somit in einem intra- und interpersonellen Konflikt in Bezug auf die Umsetzung alkoholpräventiver Maßnahmen [15].
Begrenzte Fördermittel.
Als eine weitere bedeutsame Herausforderung beklagen die freien Träger und Initiativen der Suchthilfe und Suchtprävention eine Unterfinanzierung des Bereichs infolge stagnierender kommunaler Finanzierungsbeiträge. Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung kommt zu der Auffassung, dass kommunale Fördermittel zwar erhöht wurden, die Träger jedoch weder mit wachsenden Aufgaben noch mit wachsenden Kostensteigerungen Schritt halten können [1].
Wirksamkeit der Präventionsprojekte.
Als letzten Aspekt sind kommunale Alkoholpräventionsprojekte kritisch im Hinblick auf ihre Wirksamkeit zu betrachten. Vielerorts besteht nicht die Möglichkeit, nachzuweisen, wie effektiv eigeninitiierte Interventionen sind. Selbst wenn Budgetierungen für Evaluationen vorhanden sind, sind diese meist knapp bemessen und analysieren daher häufig eher den Prozess (Prozessevaluation) – also wie eine Intervention funktioniert. Seltener wird eine Ergebnisevaluation ermöglicht, durch die belegt werden kann, dass eine Intervention die gewünschte Wirkung erzielt [24]. Eine Übersichtsarbeit zur Wirksamkeit kommunaler Alkoholpräventionsprojekte fehlt aktuell noch [25]. Dies ist angesichts der „außerordentliche(n) Komplexität kommunaler Prävention“ auch nicht verwunderlich, allerdings dennoch nötig. Um Gesamteffekte von Maßnahmen in mehreren Kommunen miteinander vergleichen zu können, bedarf es allerdings aufwendiger Evaluationsdesigns. Aufgrund von geringer Standardisierung und unterschiedlichen Rahmenbedingungen für kommunale Interventionen könnten am Ende möglicherweise wenig aussagekräftige Ergebnisse stehen [25]. Weiterhin gilt: Eine „kommunale Alkoholpolitik, die unter Einbeziehung lokaler Stakeholder mehrere Regulierungen umsetzt (Beschränkung des Zugangs zu Alkohol, seine Verfügbarkeit, Alkohol im Straßenverkehr), könnte präventive Effekte auf die negativen Folgen des Alkoholkonsums haben“ [25].Footnote 3