Was ist Risikokommunikation?
Eine zentrale Aufgabe von Public Health ist es, gesundheitliche Risiken zu verringern, die durch Lebensverhältnisse oder menschliches Verhalten entstehen, und gesundheitsförderliche Faktoren zu stärken. Die Kommunikation spielt dabei eine wichtige Rolle [1]. Gesundheitskommunikation umfasst die Vermittlung und den Austausch von Informationen, welche die Gesundheit und Gesunderhaltung, aber auch Krankheit, diagnostische und therapeutische Verfahren betreffen [2, 3]. Oft kommen hier Massenmedien über Funk, Fernsehen, Plakatwände und das Internet zum Einsatz [4, 5]. Als Teilbereich wird die Risikokommunikation abgegrenzt, die die Öffentlichkeit zielgerichtet über Risiken informieren soll, z. B. über die Art, Bedeutung und Kontrollierbarkeit eines Risikos [6]. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO; [7]) definiert Risikokommunikation als „Austausch von Informationen, Empfehlungen und Meinungen zwischen Experten und der Bevölkerung angesichts von Bedrohungen für ihre Gesundheit und/oder ihr wirtschaftliches oder soziales Wohlergehen“. Lundgren und McMakin differenzieren darüber hinaus zwischen „Care Communication“, d. h. der Risikokommunikation, die sich auf riskante Lebensstile wie Tabakrauchen oder die Nebenwirkungen von klinischen Therapien bezieht [8, 9], und der „Crisis Communication“ (Krisenkommunikation) bzw. der Risikokommunikation in akuten Public-Health-Notlagen [10]. Sie kommt bei plötzlichen, unerwarteten Gefahren wie Pandemien, Naturkatastrophen, Hungersnöten oder Bioterrorismus zum Tragen.
Warum ist Risikokommunikation in Public-Health-Notlagen wichtig?
Risikokommunikation gilt als zentrale Säule des Krisenmanagements bei Public-Health-Notlagen und ist entscheidend dafür, dass Maßnahmen zur Bewältigung der Krise erfolgreich umgesetzt werden [11]. Risikokommunikation muss informierte Entscheidungen ermöglichen, schützendes bzw. lebenserhaltendes Verhalten fördern und das Vertrauen in öffentliche Institutionen bewahren [12, 13]. Effektive Risikokommunikation kann die Risikokompetenz in der Bevölkerung fördern, also die Fähigkeit, informiert, kritisch und reflektiert mit Risiken umzugehen. Hierzu gehören statistisches Denken, heuristisches Denken, Systemwissen (z. B. über das Gesundheitswesen) und psychologisches Wissen [14].
Expertinnen und Experten bzw. Behörden müssen bei Public-Health-Notlagen schnell kommunizieren, um den Menschen ein Gefühl persönlicher Kontrolle wiederzugeben und Schaden abzuwenden; gleichzeitig müssen sie sich der Herausforderung stellen, dass in Krisensituationen die Sachlage oft unübersichtlich und unsicher ist und sich kontinuierlich ändert. In Public-Health-Krisen sind Bürgerinnen und Bürger meist akut besorgt über ihre Gesundheit und fragen daher gesundheitsbezogene und handlungsleitende Informationen verstärkt nach. Diese erhöhte Nachfrage, aber auch die Dynamik, mit der sich Sachlagen, Erfahrungen und Expertenwissen ändern können, führen zu einer hohen Frequenz an gesundheitsbezogenen Botschaften während Public-Health-Notlagen.
Zarocostas [15] zitiert eine WHO-Vertreterin mit der Aussage, dass jedes Ausbruchsgeschehen von einem „Tsunami an Informationen“ begleitet werde. Um unter diesen schwierigen Rahmenbedingungen Menschen zu erreichen und so informieren zu können, dass sie in der Lage sind, sich selbst und andere zu schützen – also risikokompetent handeln können –, muss Risikokommunikation bestimmte Kriterien erfüllen. Diese Kriterien basieren auf verschiedenen Modellen und Theorien für Risikokommunikation, wie sie unter anderem von Covello und Sandman [16] beschrieben wurden.
Die Theorie des psychischen Lärms (englisch „mental noise theory“) beispielsweise beschreibt, dass die Fähigkeit von Rezipientinnen und Rezipienten, Risikoinformationen wahrzunehmen und zu verarbeiten, stark beeinträchtigt ist, wenn sie unter Bedrohung oder Stress stehen [17]. Dieses Modell impliziert, dass Kommunikationsbotschaften während einer Krise klar und verständlich, gut strukturiert und leicht zugänglich sein müssen; Wiederholung und Visualisierung können die Klarheit der Kommunikation verbessern.
Die Theorie der Vertrauensbestimmung (englisch „trust determination theory“) geht davon aus, dass es für eine effektive Risikokommunikation unerlässlich ist, Vertrauen aufzubauen. Die größte Herausforderung besteht darin, dass die Öffentlichkeit in Krisenzeiten zunehmend skeptischer gegenüber Behörden und Autoritäten wird. Um glaubwürdig zu sein, muss die Kommunikation daher von Empathie, Kompetenz und Transparenz geprägt sein [18].
Das Modell der negativen Dominanz (englisch „negative dominance model“) basiert auf der Beobachtung, dass die Menschen in einer Krise, wenn sie verängstigt oder wütend sind, negativen Informationen und Ergebnissen mehr Aufmerksamkeit schenken und sich eher auf potenzielle Verluste denn auf mögliche Chancen und positive Entwicklungen konzentrieren [16]. Hinweise auf Gefahren sollten daher mit lösungsorientierten Botschaften flankiert werden.
Die Theorie der Risikowahrnehmung (englisch „theory of risk perception“) bezieht sich auf die Vorstellung, dass die Wahrnehmung von Gefahren oftmals durch Faktoren bestimmt wird, die nicht unbedingt mit dem tatsächlichen Schweregrad dieser Gefahren korrespondieren, sondern z. B. mit dem Grad an moralischer Empörung und gefühlter Hilflosigkeit. Diese sogenannten Empörungsfaktoren (englisch „outrage factors“ [19, 20]) zeichnen Chapman und Wutzke [21] am Beispiel der öffentlichen Reaktion auf geplante Mobilfunkmasten nach, wo z. B. unausweichliche und als unfair empfundene Risikoexposition, fehlende Kontrollierbarkeit sowie ausbleibende Dialogbereitschaft der Verantwortlichen zu einer großen öffentlichen Risikowahrnehmung führten. Als Gegenbeispiel eines gefährlichen Gesundheitsrisikos mit niedrigem Empörungsfaktor kann z. B. die Grippe (Influenza) gelten. Malecki et al. beschreiben, wie sich bei der COVID-19-Pandemie in den USA die Empörungsfaktoren über die Zeit verändern und damit die Risikowahrnehmung hinsichtlich SARS-CoV‑2 gestiegen ist [22].
Risikokommunikation muss auf die besonderen Eigenschaften der Risikowahrnehmung und Informationsverarbeitung in der Bevölkerung eingehen und auch verschiedene Bevölkerungsgruppen berücksichtigen, um in Public-Health-Notlagen handlungsleitende und lebensrettende Botschaften zu transportieren.
Kriterien der Risikokommunikation in Public-Health-Notlagen
Kapazitäten und Kompetenzen zur Risikokommunikation sollten prophylaktisch und strategisch entwickelt werden und integraler Bestandteil von Bereitschafts- und Reaktionsplänen z. B. für Ausbrüche von Infektionskrankheiten sein. Die WHO hat einen Leitfaden veröffentlicht, um die am Krisenmanagement beteiligten Akteurinnen und Akteure dabei zu unterstützen, eine effektive Risikokommunikation zu implementieren [13]. Auch die US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention haben ein Handbuch zur Krisen- und Notfallrisikokommunikation herausgegeben, das Theorie und Praxis der Reaktion auf Public-Health-Notlagen im öffentlichen Gesundheitswesen darstellt [23].
Aus den unterschiedlichen Modellen und Leitlinien zur Risikokommunikation lässt sich eine Reihe von Kriterien identifizieren, die in Public-Health-Notlagen berücksichtigt werden sollten.
Vertrauen und Glaubwürdigkeit.
In Public-Health-Notlagen müssen Menschen sehr schnell informiert und befähigt werden, sich selbst und andere zu schützen. Dies kann nur gelingen, wenn den Expertinnen und Experten bzw. Regierungsorganisationen, die über die Risiken aufklären und Handlungsempfehlungen geben, ausreichend Vertrauen entgegengebracht wird. Das ist nicht selbstverständlich, zumal gesundheitliche Krisensituationen Ängste schüren und die Skepsis gegenüber Behörden und Autoritäten erhöhen können [12, 24]. Die Art der Risikokommunikation kann dazu beitragen, Vertrauen in Botschaften und Institutionen herzustellen, z. B. indem fundierte, akkurate Informationen zeitnah, kompetent und verständlich vermittelt werden [13]. Die Botschaften müssen zudem empathisch sein und die betroffenen Bevölkerungsgruppen respekt- und verständnisvoll ansprechen [10, 24]. Es gibt auch Faktoren, die das Vertrauen der Bevölkerung in Risikokommunikation untergraben können, so zum Beispiel das Zurückhalten von Informationen, fehlende aktive Einbindung der Öffentlichkeit oder Uneinigkeit zwischen Expertinnen und Experten [10].
Eingeständnis von Unsicherheit.
In akuten Public-Health-Notlagen muss sich Risikokommunikation mit einer komplexen, sich ständig verändernden Ausgangslage und einem unvollständigen Wissensstand auseinandersetzen. Empfehlungen können sich immer wieder ändern, wenn die Krisensituation sich weiterentwickelt oder neue Erkenntnisse, z. B. zur Übertragung von Erregern, generiert werden [13]. Wenn Expertinnen und Experten oder Entscheidungstragende über Risiken informieren, sollten sie transparent machen, was bekannt ist, aber auch wozu die Kenntnisse bislang nicht ausreichen oder unsicher sind [25]. Botschaften sollten entsprechend formuliert werden [26, 27]. Gleichzeitig darf der wiederkehrende Hinweis auf die Unsicherheit des vermittelten Wissens nicht dazu führen, dass die Bevölkerung zusätzlich beunruhigt wird. Ziel von Risikokommunikation muss sein, dass sich Menschen innerhalb der Grenzen verfügbaren Wissens angemessen informiert fühlen [28].
Balance zwischen Alarmierung und Beruhigung.
In einer akuten gesundheitlichen Bedrohung ist von einer emotionalen Stimmungslage auszugehen, die von Angst, Wut, Verstörung und Unsicherheit geprägt ist [10, 24]. Es besteht die Gefahr, dass die Bevölkerung oder manche Bevölkerungsgruppen die Risiken stark überschätzen, was Ängste verstärken und Überreaktionen hervorrufen kann. Die Kommunikation muss dieser Situation Rechnung tragen und darauf abzielen, irrationale Ängste zu verhindern und die Öffentlichkeit – in einem vertretbaren Maße – zu beruhigen. Die „Angst vor der Angst“, d. h. die Sorge vor einer öffentlichen Panik, darf hingegen keine Rechtfertigung dafür sein, Ängste unbegründet zu zerstreuen und Bedrohungen kleinzureden. Risiken müssen klar benannt werden, um Verhaltensempfehlungen rechtfertigen zu können und um glaubwürdig zu bleiben. Sandman fasst diese Schwierigkeit prägnant zusammen: „We have these two very different activities, both called risk communication: alerting people and reassuring them“ [29].
Verständnis unterschiedlicher Bedarfe und Partizipation.
Die Risikokommunikation muss auf die spezifischen Bedarfe unterschiedlicher Gruppen zugeschnitten sein. Um komplexe kulturelle und sozioökonomische Unterschiede sowie Unterschiede in der Fähigkeit, Risikobotschaften zu verstehen und einzuordnen, zu berücksichtigen, ist es sinnvoll, Betroffene, Bevölkerungsvertretungen und Multiplikatoren in die Formulierung von Botschaften einzubinden [30]. Vulnerable Gruppen fühlen sich oftmals bei Maßnahmen des Risikomanagements nicht ausreichend berücksichtigt [31]. Daher kann es hilfreich sein, die Risikokommunikation bewusst als Dialog bzw. zweiseitige Kommunikation anzulegen [12, 13] sowie die Wirkung der Botschaften kontinuierlich zu evaluieren. Zudem müssen Public-Health-Institutionen mit Gemeinden, Städten, betroffenen Bevölkerungsgruppen und lokalen Organisationen aktiv zusammenarbeiten („community engagement“). Dazu müssen lokale Schlüsselakteurinnen und -akteure an Entscheidungen beteiligt werden, um sicherzustellen, dass Maßnahmen bedarfsgerecht sind und gemeinsam getragen werden [12, 13].
Allianzen mit relevanten Akteurinnen und Akteuren.
Vernetzungen mit anderen Institutionen und Expertinnen und Experten sollen genutzt werden, um Informationen auszutauschen und die Kommunikation aufeinander abzustimmen. Wenn die Botschaften zwischen verschiedenen Expertinnen und Experten und Akteurinnen und Akteuren nicht konsistent sind, führt das zu Misstrauen in der Bevölkerung [24].
Monitoring und Evaluation.
Nur wenn man die Zielgruppenerreichung und Wirkung von Risikokommunikation kontinuierlich erfasst und bewertet, können die am besten geeigneten Vorgehensweisen und Tools in einer Public-Health-Notlage identifiziert werden [13]. Eine Evaluation muss verschiedene Fragen beantworten: Inwieweit klärt die gewählte Kommunikationsstrategie Bevölkerungsgruppen über die Gesundheitsrisiken auf? Werden Schutzmaßnahmen verstanden und akzeptiert? Kann Vertrauen bei Kooperationspartnerinnen und -partnern und der Bevölkerung aufgebaut werden [12]? Die Antworten müssen kontinuierlich in die weiteren Planungen zur Risikokommunikation integriert werden. Effektive Risikokommunikation ist ein dynamischer, interaktiver und adaptiver Prozess, denn die Reaktion der Bevölkerung kann sich verändern, z. B. indem Gerüchte entstehen oder Fehlinformationen kursieren [26]. Das Widerlegen von falschen oder verzerrten Informationen gehört daher auch zu einer gelingenden Risikokommunikation.
Die Vorgehensweisen, die sich aufbauend auf diesen Kriterien bewährt haben, werden in Tab. 1 zusammengefasst. Inwieweit sie an spezifische Charakteristika von Public-Health-Krisen angepasst werden müssen, soll im Folgenden am Beispiel der COVID-19-Pandemie aufgezeigt werden.
Tab. 1 Kriterien für eine gelingende Risikokommunikation in Public-Health-Notlagen und spezifische Herausforderungen bei der COVID-19-Pandemie