Einleitung

Der riskante und süchtige Substanzkonsum geht mit schwerwiegenden gesundheitlichen Belastungen [1] und einem vielfach erhöhten Sterberisiko [2,3,4] einher. Aufgrund der assoziierten gesundheitlichen und sozialen Risiken sind auch der exzessive Konsum von Glücksspielen [5, 6] sowie von Internet- und Computerspielangeboten [7] als stoffungebundene Suchterkrankungen anerkannt.

Der Gebrauch von Suchtmitteln beginnt bei vielen bereits in früher Jugend. In der Adoleszenz etablierte Konsummuster werden häufig auch im Erwachsenenalter beibehalten und intensivieren sich im Zeitverlauf. Für Frauen gilt ein die Menge von 10 g, für Männer von 20 g überschreitenden Konsum reinen Alkohols pro Tag als gesundheitlich riskant. Dies ist in Deutschland bei 13,8 % der Frauen und 18,2 % der Männer mindestens wöchentlich der Fall [8]. 16,6 % der Frauen und 25,5 % der Männer konsumieren täglich mehr als 20 Zigaretten. Einen klinisch relevanten Medikamentenkonsum weisen 4,5 % der Männer und 6 % der Frauen auf. Bei 1,4 % der männlichen und 1 % der weiblichen Bevölkerung finden sich Anzeichen für einen klinisch relevanten Cannabiskonsum [9]. Die Prävalenz problematischen und pathologischen Glücksspiels unter den 16- bis 70-Jährigen wird mit jeweils 3,0 % angegeben [10]. Die 12-Monats-Prävalenz der Computerspielabhängigkeit liegt geschätzt bei 0,8 % [11].

Um die Konsumprävalenzen zu senken und den mit ihnen verbundenen Gefahren zu begegnen, verfügt das Land Niedersachsen über ein letztmalig 2008 interministeriell abgestimmtes Konzept zur Suchtprävention. Alle relevanten Lebenswelten und Zielgruppen sollen adressiert und Kindern und Jugendlichen eine von Suchtmitteln und psychotropen Substanzen freie Entwicklung ermöglicht werden. Die in Niedersachsen umgesetzten Suchtpräventionsmaßnahmen sollen „… sich sowohl auf das Verhalten von Individuen und Gruppen (Verhaltensprävention) als auch auf Veränderungen der Umwelt (soziales Umfeld, Arbeitswelt) beziehen (Verhältnisprävention)“. Aufgabe der diversen suchtpräventiv tätigen Akteure sei es, für alle Altersgruppen geeignete Zugänge zur Vermittlung präventiver und die Risikokompetenz stärkender Inhalte zu erschließen [12].

Ein am 22.01.2014 vom Niedersächsischen Landtag verabschiedeter Beschluss fordert, die derzeit gültige Konzeption im Hinblick auf den verbreiteten Cannabiskonsum sowie die mit dem exzessiven Mediengebrauch jugendlicher Nutzer einhergehenden Suchtrisiken den gesellschaftlichen Realitäten anzupassen [13]. Deshalb wurde am Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) im Auftrag des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung ein mehrstufiges Forschungsprojekt zum Istzustand und den Weiterentwicklungspotenzialen der niedersächsischen Suchtprävention durchgeführt (vgl. [14, 15]). Die in diesem Beitrag thematisierten Befunde geben Aufschluss darüber, wie zentrale Akteure deren diesbezügliche Performanz bewerten und welche Entwicklungsbedarfe sie sehen.

Fragestellungen

Die nachstehenden Daten wurden durch eine Onlinebefragung niedersächsischer Suchtpräventionsakteure erhoben, die unter anderem ihre subjektive Sichtweise auf die aktuellen Stärken und Schwächen des niedersächsischen Suchtpräventionssystems thematisierte. Ausgehend hiervon sollen im vorliegenden Beitrag die nachstehenden Fragen beantwortet werden:

  1. 1.

    Wie gut werden aus Sicht der Suchtpräventionsakteure verschiedene Präventionsziele in Niedersachsen erreicht?

  2. 2.

    Welche verhältnispräventiv ausgerichteten Maßnahmen sollten aus Sicht der Suchtpräventionsakteure politisch umgesetzt werden?

  3. 3.

    Wie gut werden aus Sicht der Suchtpräventionsakteure in Niedersachsen verschiedene Qualitätsstandards erreicht?

  4. 4.

    Welche Zielgruppen sollten zukünftig stärker erreicht werden?

  5. 5.

    Welchen Akteursgruppen kommt aus Sicht der befragten Expertinnen und Experten eine besondere Zuständigkeit für die Suchtprävention zu?

  6. 6.

    Bestehen aus Sicht der Suchtpräventionsakteure bestimmte Probleme in der eigenen Suchtpräventionsarbeit?

Mit Blick auf die Heterogenität der suchtpräventiv arbeitenden Organisationen steht zudem die folgende übergeordnete Frage im Raum:

  1. 7.

    Welche Unterschiede bei der Bewertung der voranstehenden Fragestellungen lassen sich zwischen den Mitgliedern der einzelnen Akteursgruppen feststellen?

Methodik

Erhebungsinstrument

Auf Basis einer Literaturrecherche sowie 20 leitfadengestützter und inhaltsanalytisch ausgewerteter Experteninterviews konnten zentrale Themen und Kontroversen des Feldes herausgearbeitet werden. Sie waren Grundlage für die Entwicklung des Onlinefragebogens, der neben den hier präsentierten Einschätzungsergebnissen weitere Themenbereiche abdeckte [14, 15]. Die Befragung wurde mittels der Webbefragungssoftware Confirmit realisiert. Durch personalisierte Zugangslinks konnten nur eingeladene Personen an der Befragung teilnehmen. Dem Fragebogen waren Kontaktinformationen der Verantwortlichen sowie Definitionen universeller, selektiver und indizierter Suchtprävention vorangestellt. Die Befragten wurden auf die Freiwilligkeit ihrer Teilnahme, die streng vertrauliche Behandlung ihrer Angaben, deren pseudonymisierte Speicherung sowie die anonyme Datenauswertung hingewiesen. Programmierung und Hosting des Fragebogens sowie der Versand der Zugangslinks wurden unter strenger Einhaltung der deutschen und europäischen Datenschutzbestimmungen von rc-research & consulting durchgeführt. Entlang vorab definierter Fristen wurden bis zu drei Erinnerungsschreiben versandt.

Um Einschätzungen zur derzeitigen Wirksamkeit der niedersächsischen Suchtprävention zu gewinnen, wurden die Teilnehmenden mit der Frage: „Wie gut werden diese Präventionsziele aus Ihrer Sicht derzeit in Niedersachsen erreicht?“, um Angaben zu ausgewählten Zielen gebeten. Letztere orientieren sich am aktuellen niedersächsischen Präventionskonzept oder wurden der Fachliteratur entnommen und auf einer 10-stufigen Skala (mit den Polen „gar nicht“ und „sehr gut“) zur Bewertung gestellt. Eine mögliche Intensivierung der Verhältnisprävention wurde über eine Reihe möglicher Wunschmaßnahmen thematisiert. Der einleitenden Frage: „Wie sehr würden Sie die Umsetzung der folgenden Maßnahmen begrüßen?“, folgend konnten die Befragten auf einer 10-stufigen Skala („gar nicht“ bis „sehr“) 13 Maßnahmen bewerten. Ebenfalls mit einer 10-stufigen, von „gar nicht“ bis „sehr gut“ reichenden Skala wurde das Feld zudem mit der Frage: „Wie gut werden die folgenden suchtpräventiven Qualitätsstandards in Niedersachsen erreicht?“, konfrontiert. Weiterhin wurden die Teilnehmenden um eine Einschätzung zu den zukünftig vermehrt zu adressierenden Zielgruppen gebeten („Wie intensiv sollten die folgenden Endadressatengruppen zukünftig durch die Suchtprävention in Niedersachsen erreicht werden?“). Die Bewertungen wurden auf einer siebenstufigen Skala („sehr viel weniger“, „viel weniger“, „etwas weniger“, „unverändert“, „etwas stärker“, „viel stärker“, „sehr viel stärker“) vorgenommen. Die Bandbreite der Suchtpräventionsakteure reflektierend wurden die Befragten ferner zur Beantwortung der Frage: „Wessen Aufgabe sollte es sein, in Niedersachsen suchtpräventive Arbeit zu leisten?“, aufgefordert. Zur Bewertung der vorgeschlagenen Akteure wurde eine vierstufige Skala präsentiert („Nein, auf keinen Fall“, „Nein, eher nicht“, „Ja, eher schon“, „Ja, auf jeden Fall“). Schließlich hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, anhand der Frage: „Als wie problematisch stufen Sie Folgendes in Bezug auf Ihre Tätigkeit ein?“, und einer selbstentwickelten vierstufigen Skala („sehr unproblematisch“, „eher unproblematisch“, „eher problematisch“ und „sehr problematisch“) Stellung zu möglichen Problemen in der eigenen Suchtpräventionsarbeit zu beziehen.Footnote 1

In der deskriptiven Auswertung unterstützen Heatmaps (siehe Ergebnisteil) den Vergleich der mittleren Gruppenergebnisse, indem sie Unterschiede zum Skalenmittelwert zeilenweise farblich visualisieren. In der Spalte „Gesamt“ ist der jeweilige Itemmittelwert wiedergegeben. Hier ist die Färbung an der Abweichung vom Gesamtmittelwert der Skala orientiert.Footnote 2 Die Ergebnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fachstellen für Sucht und Suchtprävention (FSS) sowie der Fachkräfte für Suchtprävention (FSP) wurden in den Heatmaps optisch abgegrenzt. Als primäre, d. h. hauptamtlich und ausschließlich mit Suchtprävention und -hilfe befasste Akteure dienen ihre Ergebnisse als Referenz zur einordnenden Bewertung der Einschätzung der übrigen, ehren- und nebenamtlichen und somit sekundären Akteure.

Stichprobe

Anhand der Recherche gesetzlicher und nachgeordneter Grundlagen und Konzepte wurde das Feld systematisiert und zentrale Akteure wurden identifiziert. Insgesamt wurden 1113 Personen als Expertinnen und Experten für Suchthilfe und -prävention definiert und im Mai 2016 per E‑Mail bzw. postalisch zur Studienteilnahme eingeladen. Hintergrund war ihre Tätigkeit in der Suchtprävention, der Suchthilfe, der Suchtselbsthilfe oder angrenzenden, ebenfalls mit der Prävention oder Behandlung von Suchterkrankungen befassten Praxisfeldern. Von den Eingeladenen wurden 976 Personen als zentrale Akteure erkannt (Tab. 1). Hierzu wurden die insgesamt 318 Angehörigen der 79 von der Niedersächsischen Landesstelle für Suchtfragen (NLS) vertretenen niedersächsischen FSS sowie die dort exklusiv suchtpräventiv tätigen 33 FSP gezählt. Letztere wurden ergänzt um 24 Fachkräfte für Glücksspielsuchtprävention und -beratung, 4 Fachkräfte für Medienkonsum sowie 11 im Projekt „Hart am Limit“ geschulte Personen, sodass insgesamt 72 FSP angefragt wurden. Weiterhin wurde 245 niedersächsischen Präventionskräften der Polizei (Pol.) und 95 Personen aus den Reihen des Landespräventionsrats Niedersachsen (LPR) sowie der von ihm unterstützten Kommunalen Präventionsgremien (KPG) die Teilnahme ermöglicht. Weitere 69 Teilnehmende entstammten der betrieblichen Suchtprävention (BS), 19 dem Jugendschutz (JS). 158 waren Mitglieder von Suchtselbsthilfe- bzw. Abstinenzverbänden (SH). 119 Personen entstammten angrenzenden Versorgungskontexten.

Tab. 1 Absolute und relative Teilnehmerzahlen der zentralen Akteursgruppen und Rücklaufquote

Für diese Auswertung konnten 459 Fragebögen berücksichtigt werden. Die Rücklaufquote aus den zentralen Akteursgruppen betrug somit 47 %. Tab. 1 gibt einen Überblick über die absoluten und relativen Teilnehmerzahlen der sieben zentralen Akteursgruppen sowie deren Rücklaufquoten.

Ergebnisse

Erreichen von Präventionszielen (Abb. 1, Heatmap 1).

Mit Werten zwischen 3,3 und 5,9 auf der 10-stufigen Skala stellen die Akteure der Zielerreichung ein nur moderat positives Zeugnis aus. Eindeutig zustimmende Werte erreichen lediglich „Wissen über Suchtgefahren erhöhen“, „Einstellung verändern/Problembewusstsein stärken“, „Risikokompetenzen fördern“ und „Lebenskompetenzen und Ressourcen stärken“. Deutlich weniger Zustimmung fanden das Item „Problemkonsumenten frühzeitig erkennen“ sowie die verhaltenspräventiven Ziele „Verzögerung des Erstkonsums“ und „Zu kontrolliertem Konsum befähigen“. Gleiches gilt für die Zieldimensionen der Verhältnisprävention. In absteigender Reihenfolge erhalten „Alterskontrollen“ und, abgeschlagen, die Ziele „Werbung legaler Suchtmittel beschränken“, „Konsummöglichkeiten reduzieren“ und schließlich die „Preiserhöhung legaler Suchtmittel“ lediglich Ratings im Bereich zwischen 3,3 und maximal 4,7.

Abb. 1
figure 1

Einschätzungen der Akteure zur Erreichung von Präventionszielen (Heatmap 1), ihre Zustimmung zu verhältnispräventiven Maßnahmen (Heatmap 2) und ihre Einschätzung zur Erreichung von Qualitätsstandards (Heatmap 3). Ergebnismittelwerte auf der jeweils 10-stufigen Skala

Wunsch nach Umsetzung verhältnispräventiver Maßnahmen (Abb. 1, Heatmap 2).

Bei der zusammenfassenden Betrachtung der Ergebnisse der Akteursgruppen erreichten fast alle Maßnahmen Zustimmungswerte in der oberen Hälfte der Skala. Einzige Ausnahme bleibt hier die mögliche „Legalisierung [von] Cannabis“. Besonders mögliche Werbeverbote für Tabak, Alkohol und Sportwetten, die Reduktion der Anzahl von Casinos und Spielhallen sowie eine Verstärkung von Testkäufen zur Kontrolle des alkoholorientierten Jugendschutzes finden große Zustimmung (7,9 bis 8,5). Etwas weniger werden die Vorschläge „Verstärkte Drogentests und Verkehrskontrollen“, „Einführung Drug-Checking“, „Einführung Glücksspielkarte“, „Höhere Alterseinstufung Computerspiele“ und „Nächtliches Alkoholverkaufsverbot“ begrüßt (7,2 bis 7,6). Ein Verbot des Alkoholkonsums im öffentlichen Raum und ein Alkoholverbot für unter 18-Jährige bekommen mit 5,9 bzw. 6,4 zwar immer noch zustimmende, jedoch deutlich schwächere Bewertungen. Der interinstitutionelle Gruppenvergleich offenbart eine Streuung bei der Zustimmung zu einzelnen Items. „Verstärkte Drogentests und Verkehrskontrollen“ werden insbesondere von der SH, der Pol. und der BS begrüßt. Der JS signalisiert hingegen weniger Zustimmung zu einer höheren Alterseinstufung von Computerspielen. Ein Alkoholverbot für unter 18-Jährige wird insbesondere von der SH als hilfreich erachtet. Gemeinsam mit der BS, den KPG, den FSS sowie der Pol. spricht sich die SH auch eindeutiger für ein Verbot des Alkoholkonsums in der Öffentlichkeit aus. Während alle anderen einer Legalisierung von Cannabis sehr verhalten gegenüberstehen, scheinen FSS und FSP in dieser Frage offener zu sein.

Erreichen von Qualitätsstandards (Abb. 1, Heatmap 3).

Die unterschiedlichen Akteursgruppen bewerteten das Erreichen zentraler Qualitätsstandards im Durchschnitt mit zustimmenden Ratings zwischen 5,2 („Abdeckung regionalspezifische Bedarfe“, „Bedarfsgerechtigkeit (Endadressaten)“, „Bedarfsgerechtigkeit (Substanzen und Verhaltensweisen)“) und 5,9 („Qualitätssicherung“) und damit knapp oberhalb der Mitte der Skala. Eine Differenzierung der Ergebnisse entlang der einzelnen Akteursgruppen verdeutlicht jedoch, dass das Erreichen vieler Qualitätsstandards von den FSP positiver bewertet wird. Hingegen nehmen die Pol., der JS und die KPG bei ihren Bewertungen eine kritischere Haltung ein.

Zukünftiges Erreichen spezieller Zielgruppen (Abb. 2, Heatmap 4).

Die Befragten sehen bei keiner der zur Auswahl gestellten Gruppen abnehmenden Präventionsbedarf. Unterschiede lassen sich nur bei der Intensität des erwarteten Mehrbedarfs konstatieren. Die aggregierten Angaben aller Akteure weisen lediglich für geistig und für körperlich behinderte Menschen einen nur an der Schwelle zu „etwas stärker“ (5,0) gelegenen zukünftigen Bedarf aus. Für alle anderen wird ein Mehrbedarf zwischen „etwas stärker“ (5,0) und „viel stärker“ (6,0) gesehen. Ein besonders starker Suchtpräventionsbedarf wird zudem für „Kinder suchtkranker Eltern“ erkannt. Der institutionell differenzierte Vergleich der Akteursgruppen weist nur wenig Varianz bei den Einschätzungen auf. Von der Pol. wird bei Berufstätigen, Vorschulkindern und/oder ihren Eltern sowie bei behinderten und älteren Menschen geringfügig weniger Bedarf erwartet. Die KPG sehen geringfügig weniger Bedarf nur bei geistig und körperlich Behinderten und der JS lediglich bei körperlich Behinderten.

Abb. 2
figure 2

Einschätzungen der Akteure zur Notwendigkeit des Erreichens verschiedener Zielgruppen (Heatmap 4). Ergebnismittelwerte auf der 7‑stufigen Skala

Zuständigkeit für Suchtprävention (Abb. 3, Heatmap 5).

Keiner der zur Auswahl gestellten Institutionen und Organisationen wurde die Zuständigkeit abgesprochen. Besonders große Verantwortung wird bei den FSP, der BS und den FSS gesehen. Auch der Landesstelle Jugendschutz (LJS), den Schulen und der BS wird eine besondere Zuständigkeit zuerkannt. Besonders wenig Zuständigkeit wird den Kirchen sowie der Agentur für Arbeit und den Jobcentern zugeschrieben.

Abb. 3
figure 3

Einschätzungen der Akteure zur institutionellen Zuständigkeit für Suchtprävention (Heatmap 5) und zu Problemen bei der eigenen Tätigkeit (Heatmap 6). Ergebnismittelwerte auf der jeweils 4‑stufigen Skala

Probleme der eigenen Suchtpräventionsarbeit (Abb. 3, Heatmap 6).

Auch hier herrscht weitestgehend Einigkeit zwischen den Akteursgruppen. Die „Ressourcen für Evaluation und Dokumentation“, „Mittel für Druck/Kopien, Literatur und Materialien“ sowie die „Grundsätzliche Finanzierungssituation“ werden als tendenziell problematische Einflussgrößen beschrieben. Insbesondere die KPG wünschen sich noch mehr Unterstützung durch die NLS. Mitglieder der Pol., der SH und der BS vermissen kollegiale Unterstützung.

Diskussion

Die präsentierten Befragungsergebnisse skizzieren die Perspektive zentraler Akteure der niedersächsischen Suchtprävention. Die Daten demonstrieren große Einigkeit zwischen primären und sekundären Akteuren, Abweichungen in der Bewertung der Fragen sind gering. Das zum Erreichen von Präventionszielen insgesamt verhalten positive Resümee der Akteure attestiert nur ausgewählten Dimensionen hinreichenden Erfolg. Mit den Items zu Wissen, Einstellungsänderungen und Problembewusstsein werden jedoch solche Zielvorgaben als am besten erreicht beschrieben, deren mittel- und langfristige präventive Wirkung infrage steht (vgl. [16]). Als belegt gelten hingegen die präventiven Effekte der Förderung von Lebens- und Risikokompetenz, die ebenfalls mit Werten oberhalb der Mitte der Skala beurteilt wurden [17]. Die in der unteren Hälfte der Bewertungsskala verbleibenden Ratings zu den mit Konsumverzicht, -verzögerung und kontrolliertem Konsum assoziierten Präventionszielen lassen bei den Befragten Zweifel am Erfolg entsprechender Maßnahmen erkennen. Angesichts insgesamt rückläufigen Konsums, auch bei niedersächsischen Kindern und Jugendlichen [18], könnte erwartet werden, dass die Akteure Präventionserfolge durchaus deutlicher würdigen. Die Items verweisen jedoch auf kontroverse und häufig weltanschaulich gefärbte Debatten, in denen in der Vergangenheit um die von Suchtprävention und -hilfe zu priorisierenden Ziele gerungen wurde [19,20,21]. Dies kann die Bewertung beeinflusst haben. Im Zeitverlauf beobachtbare Schwankungen des Erstkonsumalters bei einzelnen Suchtstoffen [18] machen die im unteren Bereich der Skala angesiedelte Bewertung der Verzögerung des Erstkonsums ebenfalls nachvollziehbar. Die verhältnispräventiven Ziele betreffen Ansätze, deren Implementierung meist außerhalb des unmittelbaren Einflussbereichs der Befragten steht. Allerdings werden Mängel in der Umsetzung der Jugendschutzbestimmungen (Alterskontrollen) nicht nur von Suchtpräventionsakteuren wiederkehrend diskutiert [22,23,24]. Auch Forderungen nach Werbeverboten, einer stärkeren Besteuerung des Alkoholkonsums sowie schärferen Restriktionen für riskante Verhaltensoptionen werden seit Langem erhoben [23], blieben aber weitestgehend folgenlos. Die besonders schwach bewertete Zielerreichung spiegelt das von den Akteuren erlebte Umsetzungsdefizit. Dies gilt auch für das Beispiel der Früherkennung von problematisch Konsumierenden. Sie kann jedoch – in begrenztem Umfang – von den niedersächsischen Präventionsakteuren während ihrer Endadressatenarbeit selbst realisiert werden (z. B. [25]). Für eine darüber hinausgehende Stärkung der Früherkennung z. B. in den Hausarztpraxen mangelt es bisher an politischer Durchsetzungskraft.

Die große Zustimmung zu ausgewählten verhältnispräventiven Wunschmaßnahmen zeigt, dass die Akteure hierin besonderes Potenzial sehen. Die Akteure wollen Verbraucherinnen und Verbraucher durch Reduktion von Werbung, Angeboten und Konsumoptionen vor gesundheitsabträglichen Konsumentscheidungen schützen. Auch wollen sie die Einhaltung gesetzlicher Regelungen zur Zugangskontrolle und Verkehrssicherheit stärken. Auf Schadensminimierung gerichtete Ansätze (Drug-Checking, Glücksspielkarte) werden ebenfalls als geeignete Maßnahmen angesehen. Einzige Ausnahme ist die mögliche Legalisierung von Cannabis. Hiermit wird allerdings auch eine eher kriminalpräventive Wirkung intendiert (vgl. [26]). Auffällig ist das in dieser Frage weniger entschlossene Votum der primären Suchtpräventionsakteure, das sich als Offenheit für die Legalisierungsdiskussion interpretieren ließe. Allerdings deuten die über Jahre zwar schwankenden, letztlich jedoch relativ konstanten Konsumprävalenzen [27] auch darauf hin, dass der bisher verfolgte repressive Ansatz nur bedingt dazu geeignet ist, cannabisbezogenes Probier- und Konsumverhalten zu prävenieren. Diese sich gegebenenfalls auch in der Zielgruppenarbeit widerspiegelnde Erfahrung steht dem ansonsten klaren Bekenntnis zu einer Stärkung der suchtorientierten Verhältnisprävention nicht entgegen.

Die Einschätzungen zum Erreichen suchtpräventiver Qualitätsstandards bewegen sich mehrheitlich im mittleren Bereich der Skala. Hierin deutet sich Unsicherheit der Akteure bei der Bewertung der eigenen Präventionspraxis an. Besonders für sekundäre Akteure ist anzunehmen, dass ihnen weniger Kapazitäten für Maßnahmen der Qualitätssicherung und die Auswahl geeigneter, evidenzbasierter Maßnahmen zur Verfügung stehen. Unklar ist zudem, welche Referenzrahmen ihnen zur Beurteilung der eigenen Reichweite (Settings, regionalspezifische Bedarfe), der Bedarfsgerechtigkeit (Endadressaten, Substanzen und Verhaltensweisen) und der Nachhaltigkeit dienen. Suchtprävention sollte jedoch die regional vorhandenen und erhobenen Präventionsbedarfe verschiedener Zielgruppen und Settings berücksichtigen und sich auf theoretisch fundierte und empirisch abgesicherte Methoden stützen. Stets knappe Ressourcen machen ein prioritäres Adressieren von realistisch modifizierbaren gesundheitsrelevanten Verhältnissen und Verhaltensweisen sowie ein zwischen den Akteuren koordiniertes Vorgehen, unter Einbezug der Zielgruppen, erforderlich [28]. Dabei muss auch den z. T. abweichenden Präventionsaufträgen Rechnung getragen werden. Beispielsweise sind die Handlungsprämissen der Polizei u. a. durch die Vorgaben des Betäubungsmittelgesetzes (BTMG) eher repressiv geprägt. Die fast durchgängig positiveren Einschätzungen der FSP und – mit Einschränkungen – der FSS als primäre Präventionsakteure können im Kontext des bereits 2007 von der NLS etablierten Qualitätssicherungssystems (vgl. [29]) bewertet werden. Darüber hinaus nehmen die FSP exklusiv suchtpräventive Tätigkeiten wahr, waren besonders in die kontrovers geführte Debatte um die Möglichkeiten und Grenzen evidenzbasierter Suchtprävention (vgl. [30]) involviert und sind durch die regelmäßige Erfassung ihrer Aktivitäten im dot.sys-Dokumentationssystem der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) besonders für Fragen der Reichweite und Bedarfsgerechtigkeit sensibilisiert.

Nach den Ergebnissen zur Einschätzung der Notwendigkeit des zukünftigen Erreichens spezieller Zielgruppen wird von allen Zielgruppen ein Bedarf für intensivierte Suchtprävention gesehen. Dem Stand der fachlichen Diskussion und der besonderen Vulnerabilität der Kinder suchtkranker Eltern [31] entsprechend erhält diese Gruppe besonders hohe Zustimmung. Die Präferenz für Jugendliche lässt sich darauf zurückführen, dass das Erstkonsumalter vieler Suchtstoffe (vgl. [32, 33]) und riskanter Verhaltensoptionen [34] in die Alterspanne zwischen 13 und 17 Jahren fällt. Angesichts dessen sollte auch untersucht werden, wie es gelingen kann, mindestens die Gruppe der 10- bis 12-Jährigen mittels risikokompetenzfördernder, gegebenenfalls die legalen Suchtstoffe Tabak und Alkohol berücksichtigender Präventionsstrategien für den potenziellen Erstkontakt mit riskanten Konsum- und Verhaltensoptionen zu wappnen. Darüber hinaus wird auch für Geflüchtete, psychisch Kranke, Kinder mit niedrigem Bildungshintergrund sowie Auszubildende und Studierende ein erhöhter Präventionsbedarf konstatiert. Selbst bei einer Ausweitung der bisherigen Aktivitäten wird sich dieser Anspruch nur durch eine Stärkung suchtpräventiver Strukturen in deren Lebenswelten selbst verwirklichen lassen. Der Wunsch nach einer stärkeren Adressierung von Menschen mit Behinderungen scheint hingegen vergleichsweise schwach. Anhaltende Bestrebungen, die Teilhabe von Menschen mit Behinderung zu stärken, gehen jedoch mit der Reduktion institutionalisierter Wohn- und Betreuungsformen [35] einher. Dies kann dazu führen, dass die Zielgruppe vermehrt mit riskanten Konsum- und Verhaltensangeboten konfrontiert wird [36], was in einem erhöhten Suchtpräventionsbedarf resultiert sowie in neuen methodischen Herausforderungen – bspw. im Rahmen eines inklusiv gestalteten Schulunterrichts.

Für Erwerbslose wird von den Befragten ebenfalls ein intensiver Präventionsbedarf gesehen. Die Ergebnisse zur Frage der Zuständigkeit für Suchtprävention verdeutlichen jedoch, dass Arbeitsagenturen und Jobcenter nur in geringem Maße als die zuständigen Instanzen gesehen werden. Im niedersächsischen Kontext erscheint es möglich, dass das Votum in dieser Frage von regionalen Schwierigkeiten bei der Etablierung von Kooperationsbeziehungen zwischen der Suchthilfe und den Agenturen beeinflusst war [25]. Auch unzureichende suchtspezifische Qualifikationen beim Personal [37] und fehlende Fördermöglichkeiten für suchtkranke Erwerbslose könnten [38] verantwortlich für ihre schwache Nominierung sein. Die relativ geringe Verortung der Zuständigkeit bei Pol. und Sportvereinen überrascht. Obwohl in der Suchtprävention engagiert, scheinen die übrigen Akteure die Pol. nicht zuvorderst damit zu assoziieren. Über die Gründe hierfür und ob das polizeiliche (Sucht‑)Präventionsprofil geschärft werden sollte, bleibt zu diskutieren. Sportvereine stehen aufgrund des verbreiteten Sponsorings durch die Alkohol- und Glücksspielindustrie in der Kritik. Eine Mitgliedschaft ist für Jugendliche mit einem erhöhten Risiko der (riskanten) Nutzung von Glücksspielangeboten [39] sowie erhöhtem Alkoholkonsum verbunden [40]. Die ebenfalls relativ schwachen Zustimmungswerte für Kindergärten und die Kirchen sind überraschend, weil vulnerable Gruppen, wie beispielsweise Kinder suchtkranker Eltern, über diese erreicht werden könnten.

Bis auf eine Ausnahme betreffen die als bedeutend bewerteten Probleme mit der eigenen suchtpräventiven Arbeit Finanzierungs- und Ressourcenfragen. Die Ergebnisse lassen sich so als Appell für mehr externe Unterstützung, auch für Maßnahmen, die der Qualitätssicherung dienen, sowie generell verbesserte finanzielle Rahmenbedingungen interpretieren. Der Wunsch richtet sich auch an die NLS. Es kann nur vermutet werden, dass es dabei auch um Ressourcenfragen geht. Denn die maßgeblich von der NLS geleistete Binnenkoordination von Akteuren und Angeboten sowie die Teilnahmemöglichkeit an (vor allem von der NLS organisierten) Fortbildungsmaßnahmen, die auch der Qualitätssicherung dienen, werden als unproblematisch erlebt.

Mögliche Limitationen dieser Studie ergeben sich aus der Gefahr, dass zuvorderst besonders Engagierte und von der aktuellen Praxis Überzeugte teilgenommen haben. Gleichzeitig könnten auch vorwiegend mit der aktuellen Situation besonders Unzufriedene ihrer Frustration Ausdruck verliehen haben. Der Einführungstext des Fragebogens legte jedoch Wert auf eine neutrale, die Erfassung des Istzustandes betonende und auf eine Weiterentwicklung und Stärkung der niedersächsischen Suchtprävention gerichtete Intention der Befragung. Die, ausgehend von den jeweiligen Polen der Bewertungsskalen, auf absolute zu- oder ablehnende Positionen verzichtenden mittleren Ergebnisse aller Gruppen sprechen ebenfalls gegen eine gravierende Verzerrung durch die Non-Responder (53 %). Die Angaben der in Niedersachsen befragten Suchtpräventionsakteure vermitteln so den Eindruck professioneller Distanz.

Fazit

Resümierend ist somit festzuhalten, dass es zukünftig einer Stärkung der Verhältnisprävention bedarf, die zwar von einem zukünftigen Suchtpräventionskonzept gefordert werden kann, jedoch vor allem durch politische Entscheidungsträger initiiert werden muss. Suchtmittelbezogene Werbeverbote, Angebotsreduktionen bei riskanten Verhaltensangeboten sowie mehr Kontrolle der Einhaltung gesetzlicher Regelungen sind dabei zentrale Forderungen. Die sich in Bezug auf das Erreichen suchtpräventiver Qualitätsstandards andeutenden Unsicherheiten lassen weiteren Unterstützungsbedarf, insbesondere für sekundäre Suchtpräventionsakteure, erkennen. Hier kann eine neue Konzeption Impulse setzen und primäre Akteure in die Pflicht nehmen.

Ein aktualisiertes Suchtpräventionskonzept sollte die Akteure auch dazu anhalten, ihr Vorgehen im Sinne größerer Reichweite noch stärker aufeinander abzustimmen, die theoretische und empirische Fundierung ihrer Maßnahmen zu verbessern sowie durch eigene regionale Bedarfserhebungen und die Rezeption kommunaler Gesundheitsberichterstattung die Bedarfsgerechtigkeit weiter zu optimieren. All dies wird sich nur mit weiterer externer politischer wie finanzieller Unterstützung realisieren lassen, wie es unter anderem auch in den Angaben zu den Problemen mit der eigenen Arbeit zum Ausdruck gebracht wurde. Bei ihren Einschätzungen demonstrieren die Akteure weitestgehend Einigkeit. Unterschiede können auf abweichende Versorgungsaufträge und -perspektiven zurückgeführt werden.