Die stationäre Langzeitpflege wird im öffentlichen Diskurs vielfach mit dem Stereotyp belegt, in ihr stehe allein die „Verwahrung“ von alten, großteils an Demenz erkrankten Menschen im Zentrum. Aspekte wie Aktivierung, Rehabilitation, rehabilitative Pflege und Tertiärprävention werden mit der stationären Langzeitpflege nur in den seltensten Fällen assoziiert. Dieses Stereotyp ist nicht nur vereinfachend und falsch, sondern schadet auch dem Ruf der stationären Langzeitpflege sowie der Pflege als Profession. Pflegeeinrichtungen unterscheiden sich erheblich in ihren pflegerischen Konzepten, in ihren Autonomie- und Teilhabekonzepten, in ihren Leitbildern sowie in ihren infrastrukturellen Rahmenbedingungen.

Die heutigen Pflegekonzepte weisen ein hohes fachliches, anthropologisches und ethisches Potenzial auf; sie betrachten Menschen mit Pflegebedarf zumeist auch aus einer Plastizitäts- und Resilienzperspektive sowie aus einer Werte- und Sinnperspektive, deren Verwirklichung im pflegerischen Alltag mit hohen Anforderungen verbunden ist, zugleich aber auch eine hohe berufliche Zufriedenheit vermittelt.

Eine bedeutende Aufgabe mit Blick auf die Weiterentwicklung der stationären Langzeitpflege ist zunächst darin zu sehen, dass alle stationären Pflegeeinrichtungen infrastrukturelle und personelle Rahmenbedingungen vorhalten, auf deren Grundlage eine personen- und beziehungsorientierte Pflege verwirklicht werden kann. Dabei ist nach Nolan et al. (2004) mit dem Begriff der beziehungsorientierten Pflege auch gemeint, dass Pflegefachkräfte nicht nur mit den Bewohnern und deren Angehörigen im engen Austausch stehen, sondern auch mit Vertretern anderer Disziplinen (zum Beispiel Medizin, Physiotherapie, Sport, Sozialarbeit, Psychologie, Seelsorge) – und dies mit Blick auf ein umfassendes und zugleich hochdifferenziertes Assessment und ein mehrdimensionales Interventionskonzept.

Bislang mangelt es noch an standardisierten und evaluierten Interventionen zur Gesundheitsförderung und Prävention, die auf die spezifischen Bedarfslagen und Fähigkeiten der besonders vulnerablen Zielgruppe pflegebedürftiger Menschen zugeschnitten sind. Vor diesem Hintergrund hat die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) – mit finanzieller Unterstützung des Verbands der Privaten Krankenversicherung e. V. – die Forschungsgruppe Geriatrie Lübeck beauftragt, das „Lübecker Modell Bewegungswelten“ als bewegungsorientiertes Präventionsprogramm für Pflegebedürftige zu entwickeln. Unterstützt wurden die Entwicklung und Implementierung des ganzheitlich angelegten Programms durch das Institut für Pflegewissenschaft an der Universität Bielefeld, das die formative Evaluation sowie eine beratende, wissenschaftliche Begleitung übernahm.

Ziel des Lübecker Modells Bewegungswelten ist es, persönliche Ressourcen der Teilnehmenden zu fördern und zugleich die Einrichtungen darin zu bestärken, die präventiven und gesundheitsförderlichen Potenziale in der Langzeitversorgung Pflegebedürftiger besser auszuschöpfen. Die BZgA verfolgt dabei den Ansatz, mithilfe verhaltenspräventiver Maßnahmen den Zugang zu den Lebenswelten älterer Menschen zu erleichtern, Beteiligte der Lebenswelten einzubeziehen und für das Thema Gesundheits- und Bewegungsförderung bei Älteren zu sensibilisieren. Ziel der BZgA ist es, ein gesundheitsförderndes Setting zu schaffen, das verhaltens- und verhältnispräventive Aspekte verbindet.

Das vorliegende Themenheft nimmt das Potenzial von Prävention und Gesundheitsförderung in der stationären Pflege in den Blick und stellt exemplarisch das Lübecker Modell Bewegungswelten einschließlich der Ergebnisse der begleitenden wissenschaftlichen Evaluation vor. Dabei verbindet die Beiträge besonders der Ansatz, die stationäre Langzeitpflege aus einer ressourcenorientierten Perspektive zu betrachten.

Der erste Beitrag von Lampert und Hoebel zeigt auf, dass die durch die Erhöhung der Lebenserwartung gewonnenen Jahre in Abhängigkeit vom sozialen Status in sehr unterschiedlicher Gesundheit verbracht werden, dass soziale Ungleichheiten im Bereich der Gesundheit mithin im Alter fortbestehen und in Zukunft vielleicht gerade auch im hohen Alter in akzentuierter Weise in Erscheinung treten werden.

Kruse et al. konzentrieren sich in ihrem Beitrag auf die Zielgruppe hochaltriger Menschen in stationären Einrichtungen. Sie zeigen auf, dass soziale Teilhabe, im Sinne von Selbstständigkeit, Selbstverantwortung und Mitverantwortung, als ein grundlegendes Ziel von Gesundheitsversorgung anzusehen ist, geben einen Überblick über Interventionsansätze und diskutieren deren Effektivität für verschiedene Bevölkerungsgruppen.

Der Beitrag von Jessen gibt einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand zu Möglichkeiten der Früherkennung und Prävention der Alzheimerdemenz und geht dabei auf medizinische, ethische, rechtliche und wirtschaftliche Fragen ein.

Blüher und Kuhlmey machen deutlich, dass die Förderung von eigenverantwortlichem Gesundheitsverhalten und Partizipation in Pflegeheimen auch sozialräumliche Bedingungen in den Blick nehmen muss und die Unterstützung der Bewohner durch Anleitung, Begleitung und Motivation in diesem Zusammenhang eine wichtige Aufgabe der Pflegefachkräfte ist.

Im Beitrag von Ralf, Krupp und Willkomm wird das Konzept des „Lübecker Modells Bewegungswelten“ als innovatives Präventionsprogramm für ältere pflegebedürftige Menschen in stationären Einrichtungen dargestellt. Im folgenden Artikel geben Krupp et al. einen differenzierten Überblick über die Ergebnisse der Evaluation des Modells, die positive Auswirkungen auf die körperliche Leistungsfähigkeit sowie auf soziale und kognitive Ressourcen belegen.

Horn, Kleina und Schaeffer stellen Erfahrungen im Zusammenhang mit der Implementierung des Modells zusammen und geben Empfehlungen für die Weiterentwicklung des Programms.

Dierich, Nicolai und Franzen stellen die Umsetzung des Programms für die Modellregion Berlin-Pankow dar. Der Beitrag beleuchtet die Einbindung in kommunale Strukturen sowie spezifische Anforderungen an die beteiligten Akteure.

Tempelmann et al. stellen in ihrem Beitrag das vom AOK-Bundesverband durchgeführte Projekt „Qualitätsorientierte Prävention und Gesundheitsförderung in Einrichtungen der Pflege“ (QualiPEP) vor und erläutern dessen Ziele sowie das Forschungs- und Umsetzungsdesign.

Bartholomeyczik befasst sich in ihrem Beitrag mit der Prävention von Mangelernährung als einer gerade auch in der stationären Altenpflege wichtigen pflegerischen Aufgabe und erläutert diese anhand des Expertenstandards des Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP).

Sulmann et al. berichten empirische Ergebnisse des Kooperationsprojekts „Weiterentwicklung der Qualitätsberichterstattung in der Langzeitpflege“ zu Informationsbedarfen von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen, die im Zusammenhang mit der Suche nach einer geeigneten Pflegeeinrichtung auftreten und im Interesse der Möglichkeit einer realistischen Einschätzung von Pflegequalität gedeckt werden müssen.

Angele und Calero diskutieren in ihrem Beitrag die präventiven Potenziale in der Beratung von Pflegebedürftigen und deren Angehörigen, wie sie im Kontext der Pflegeversicherung in Form von Pflegeberatung, Beratungsbesuchen und Schulungen vorgesehen ist. Vor dem Hintergrund von Informationen über die Inanspruchnahme der drei Angebote und Zielgruppenbefragungen werden der aktuelle Stellenwert von Prävention aufgezeigt und Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Angebote gegeben.

Die vorliegenden Beiträge zeigen, wie wichtig und fruchtbringend es ist, in pflegerischen Kontexten Förder- und Interventionskonzepte zu entwickeln und umzusetzen, die sich auf die Erhaltung bzw. auf die Verbesserung der körperlichen, alltagspraktischen und kognitiven Leistungsfähigkeit, der sozialkommunikativen Kompetenz wie auch der emotionalen Befindlichkeit zielen. Die Beiträge weisen in ihrer Gesamtheit auf Entwicklungspotenziale hin, die auch bei alten Menschen erkennbar sind und entsprechend gefördert werden sollten. Es wird deutlich, wie wichtig es ist, Gesundheitsförderung in die pflegerische Versorgung zu integrieren, multidisziplinäre Ansätze zu stärken und die sozialräumlichen Bedingungen der Lebenswelt Pflegeeinrichtung gesundheitsförderlich zu gestalten. Dabei sollte insbesondere auch die Partizipation der Pflegebedürftigen gefördert werden. Und schließlich verdeutlichen die Beiträge einmal mehr, wie wichtig das systematisch, kontinuierlich durchgeführte Assessment für Kompetenz, Lebensqualität und Wohlbefinden von Bewohnern (wie auch für die berufliche Zufriedenheit von Pflegefachkräften) ist.

Wir danken allen Autoren für die wichtigen Impulse zur Stärkung von Prävention und Gesundheitsförderung in der Pflege und wünschen Ihnen, liebe Leser, eine bereichernde Lektüre.

figure d

Andreas Kruse

figure e

Haidrun M. Thaiss

figure f

Theresia Rohde