Hintergrund

Rauchen ist in Deutschland die wichtigste vermeidbare Ursache für chronische Erkrankungen und frühzeitigen Tod [1]. Beispielsweise leiden annähernd 6 % der Bundesbürger unter einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD), für die das Tabakrauchen als bedeutendster vermeidbarer Risikofaktor gilt [2]. Es wird geschätzt, dass insgesamt etwa 121.000 Bürger/innen jedes Jahr durch tabakattributable Krankheiten bedingt sterben (=13,5 % aller Todesfälle nach Sterbestatistik) [3]. Die globale Mortalität von 5 Mio. Menschen pro Jahr (2010) wird sich schätzungsweise in den nächsten Jahrzehnten auf 10 Mio. verdoppeln [4]. Etwa ein Drittel der jungen Erwachsenen raucht regelmäßig, etwa die Hälfte davon wird an ihrer Sucht sterben [5, 6]. In Deutschland besteht hinsichtlich der Tabakprävention noch großer Aufholbedarf. Deutschland belegt im Bereich Tabakpräventionspolitik laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) vor Österreich den vorletzten Platz in Europa [7]. So ist Deutschland z. B. das letzte Land in der Europäischen Union (EU), in dem Tabakaußenwerbung noch erlaubt ist [8, 9].

Vor diesem Hintergrund entstand 2012 das multinationale Netzwerk „Aufklärung gegen Tabak“ (AGT), auf Englisch: Education Against Tobacco (EAT). Im Folgenden werden die Initiative und ihr Konzept sowie die verschiedenen Aktivitäten des Netzwerks im Einzelnen vorgestellt, gefolgt von den Ergebnissen der durch AGT durchgeführten wissenschaftlichen Begleitstudien.

Das Netzwerk „Aufklärung gegen Tabak“

Das multinationale Netzwerk „Aufklärung gegen Tabak“ ist eine von dem heutigen Arzt Dr. Titus J. Brinker im Jahr 2012 während des vorklinischen Teils seines Medizinstudiums gegründete Initiative, bei der sich inzwischen an circa 80 Medizinfakultäten in 14 Ländern über 3500 Medizinstudierende ehrenamtlich für die Tabakprävention engagieren (Stand: Mai 2018). AGT führt wissenschaftlich fundierte Präventionsseminare mit neuartigen Methoden durch. So finden zum Beispiel Facemorphing-Apps für das Smartphone Anwendung, die über 45.000 Schüler/innen pro Jahr erreichen. Zudem werden angehende Ärztinnen und Ärzte für die Problematik des Rauchens sensibilisiert. Zur Verbesserung der medizinischen Lehre wurden durch AGT wissenschaftlich fundierte Wahlfächer an 13 Medizinfakultäten in Deutschland initiiert. Diese sollen angehende Ärztinnen und Ärzte in der professionellen Tabakentwöhnung schulen, um ihren zahlreichen rauchenden Patientinnen und Patienten in Zukunft die bestmögliche Unterstützung beim Rauchstopp gewährleisten zu können. Bereits über 500.000 Raucherinnen und Raucher konnten kostenlos durch die selbstentwickelten Apps „Smokerface“ und „Smokerstop“ beim Aufhören unterstützt werden. Die Wirksamkeit der von AGT durchgeführten Maßnahmen wird durch Evaluationsstudien mit aktuell über 20.000 Sekundarschüler/innen stetig geprüft und verbessert. Sensibilisierte Medizinstudierende können nach ihrer Approbation im „Ärzteverband Tabakprävention“ mit Politikern des Deutschen Bundestages in den Dialog treten [10,11,12,13].

Handlungsebenen des Netzwerks zur Tabakprävention

Schulische Tabakprävention

Die meisten Raucherinnen und Raucher beginnen ihren Tabakkonsum im frühen Jugendalter [14]. Laut einem Bericht der WHO aus dem Jahre 2016 rauchen in Deutschland 13 % der Jungen und 15 % der Mädchen bereits im Alter von 15 Jahren mindestens einmal in der Woche Zigaretten [15]. Bis zum jungen Erwachsenenalter steigt die Rauchprävalenz auf ungefähr ein Drittel [16]. Etwa die Hälfte der rauchenden Jugendlichen erfüllt bereits Kriterien der Nikotinabhängigkeit [17].

Vor diesem Hintergrund besucht AGT Schüler/innen der Jahrgangsstufen 6–8 aller Schultypen, um sie interaktiv und auf Augenhöhe über die Folgen des Rauchens aufzuklären. Sie sollen durch die Aufklärung eine bewusste eigenverantwortliche Entscheidung gegenüber dem Rauchen treffen. Die Einbindung von ehrenamtlichen Medizinstudierenden in das Programm bietet verschiedene Vorteile. Die Studierenden werden von den Jugendlichen durch den geringeren Altersabstand potenziell als authentischer und zugänglicher wahrgenommen als Lehrer oder Ärzte. Von Ärzten durchgeführte Präventionsprogramme zeigten bereits positive kurz- und langfristige Effekte [18, 19], allerdings sind diese Programme nicht vergleichbar breitenwirksam und kostengünstig wie AGT [18,19,20].

Das Präventionsprogramm der Initiative basiert auf einem sogenannten kombinierten Sozialeinfluss- und Sozialkompetenz-Ansatz („combined social influence and social competence approach“), der in der Literatur als erfolgversprechendster Weg in der schulbasierten Tabakprävention beschrieben wird [21]. Auf altersgerechte Inhalte und Interaktivität wird besonderer Wert gelegt, da es wissenschaftliche Hinweise auf eine erhöhte Motivation zu einem Aufhörversuch gibt, wenn die Person die gesundheitlichen Folgen selbst erarbeiten muss, anstatt sie vorgetragen zu bekommen [22].

Pro Schuljahr betreut AGT im deutschsprachigen Raum mit etwa 1500 Medizinstudierenden aktuell ca. 23.800 Schüler/innen (durchschnittlich 700 Schüler/innen pro Universität, 28 Universitäten in Deutschland (Abb. 1a), 4 in Österreich, 2 in der Schweiz). Die Lokalgruppen organisieren sich selbstständig, die Gruppenleitung übergibt ihre Funktion bei Abschluss des Studiums an jüngere Studierende. So bestehen die meisten Lokalgruppen bereits erfolgreich in mindestens der zweiten Generation (Abb. 1b). Die Gruppenleiter investieren ihre Zeit ehrenamtlich in die Koordination der Lokalgruppen (Abb. 1c und 2).

Abb. 1
figure 1

Lokalgruppen von „Aufklärung gegen Tabak“ (AGT) an deutschen Medizinfakultäten. a AGT-Standorte in Deutschland. Medizinfakultäten mit AGT-Lokalgruppen: AGT-Logo; ohne AGT-Lokalgruppe: grüner Punkt. b Lokalgruppenleitung. Ergebnisse der Gruppenleiterbefragung 2018 zu der Frage „Wie ist es dazu gekommen, dass du den Standort leitest?“ (n = 23). c Zeitaufwand pro Woche. Ergebnisse der Gruppenleiterbefragung 2018 zu der Frage „Wie viele Stunden investierst du pro Woche in AGT?“ (n = 23)

Abb. 2
figure 2

Gruppenleiter von „Aufklärung gegen Tabak“ auf dem Bundestreffen in Heidelberg. a Bundestreffen 2015. b Bundestreffen 2016. c Bundestreffen 2017

Smokerface-App und Mirroring-Ansatz

Das selbst wahrgenommene Aussehen ist der stärkste Prädiktor für Selbstbewusstsein im Jugendalter [23]. Burford et al. konnten in einer randomisierten kontrollierten Studie nachweisen, dass ein mittels Desktop-Programm verändertes Selbstporträt (=Selfie), welches das eigene Gesicht als Raucher/in vs. Nichtraucher/in mehrere Jahre in der Zukunft zeigt, signifikante Auswirkungen auf die 6‑Monats-Prävalenz bei 18- bis 30-jährigen jungen Erwachsenen hat (Abstinenz in der Interventionsgruppe nach sechs Monaten = 27,5 % vs. Kontrollgruppe = 6,3 %). Auch die Aufhörmotivation von 14- bis 18-jährigen Frauen konnte durch das Computerprogramm gesteigert werden [24]. Allerdings sind diese Programme oft teuer und nicht in der Breite verfügbar.

Das starke Interesse der Jugendlichen für ihr Aussehen führte zu der Idee, die Smokerface-App zu entwickeln [23]. Diese verändert grafisch ein Selfie des Nutzers und prognostiziert die Veränderungen im Gesicht, die durch das Rauchen einer Zigarettenpackung pro Tag zu verschiedenen zukünftigen Zeitpunkten (nach 1, 3, 6, 9, 12 oder 15 Jahren) im Vergleich zum Nichtrauchen entstehen würden (Abb. 3). Die App-Algorithmen beachten das aktuelle Alter des Nutzers und verändern das Gesicht unter Berücksichtigung publizierter Auswirkungen des Rauchens auf das Aussehen, wie zum Beispiel ein erhöhtes Aknerisiko oder blassere Haut durch verminderte Kapillarperfusion (bereits nach einem Packungsjahr), sowie Bindegewebsschäden und Falten [25, 26].

Abb. 3
figure 3

Smokerface-App-bewerbendes Poster, welches nach erfolgter Intervention aufgehängt wird. Gezeigt werden die Effekte der App an einem Beispielgesicht. Linke Gesichtshälfte: jeweils Alterung als Nichtraucher/in; rechte Gesichtshälfte jeweils Alterung bei Konsum von einem Päckchen Zigaretten pro Tag

Zunächst war die Smokerface-App nur als Computerversion in 2D verfügbar. Um sie noch breiter nutzbar zu machen, wurde die App auch für Smartphones herausgebracht, von denen fast jeder Jugendliche eines besitzt [27]. Des Weiteren wurde die App kontinuierlich verbessert und ist nun mit 3D-Animationen verfügbar. Der Nutzer kann mit seinem eigenen Smokerface durch Berührung interagieren. Über eine Erklärgrafik erläutert die App weiterhin die positiven Aspekte des Nichtrauchens und die negativen Auswirkungen des Rauchens anhand der Gegenüberstellung eines Nichtrauchergesichtes und eines frühzeitig gealterten Rauchergesichtes [12]. Die im Internet frei und kostenlos zugängliche, in die sechs meistgesprochenen Sprachen übersetzte App wird derzeit ca. 100-mal pro Tag heruntergeladen.

Um die Nutzung der App im Schulsetting stärker zu fokussieren, wurde der Mirroring-Ansatz entwickelt: Anstatt der bisher verwendeten Computerversion wird nun die neuere Smartphone-Version genutzt und das dreidimensionale Selfie mithilfe einer Mirroring-Software vom Smartphone des Schülers oder von zur Verfügung gestellten Tablets über den Beamer auf eine Leinwand übertragen. Somit haben alle Mitschüler/innen (und auch die Lehrer/innen) die Möglichkeit, auf das Bild zu reagieren. Diese Reaktionen beeinflussen die subjektive Norm, welche einen Einfluss auf jugendliches Rauchverhalten hat [28]. Die Funktionsweise der App wird anhand eines freiwilligen Jugendlichen erklärt, und die Schüler/innen werden aufgefordert, die ihnen aufgefallenen Veränderungen zu beschreiben. Die Medizinstudierenden erklären ihnen im Anschluss, weshalb das Rauchen diese verursacht.

Die Smokerface-Posterkampagne: eine Alternative zu angeleiteten Präventionsprogrammen?

Die meisten effektiven schulischen Tabakpräventionsprogramme benötigen externe Mentoren und sind daher nicht in der Breite verfügbar. Des Weiteren sind solche Interventionen oft mit hohen Kosten und organisatorischem Aufwand verbunden, was eine großflächige Implementierung in Schulen behindert [21]. Auch wenn das AGT-Programm durch das ehrenamtliche Engagement von Medizinstudierenden günstiger und breitenwirksamer ist als von Ärztinnen und Ärzten durchgeführte Präventionsprogramme, sind die Kapazitäten dennoch durch die zeitliche Verfügbarkeit der Medizinstudierenden limitiert. Daher wurde eine weitere Implementationsmethode entwickelt, die davon unabhängig ist: Eine die Facemorphing-App bewerbende Posterkampagne ist eine günstige (weniger als 50 € pro Schule), breitenverfügbare, einfach zu verwendende Alternative oder Ergänzung zu den bisherigen Präventionsprogrammen.

Die Poster illustrieren die Auswirkungen des Rauchens auf das Gesicht anhand einer Gegenüberstellung des zukünftigen Nichtrauchergesichts und des vorzeitig gealterten Rauchergesichts (Abb. 3). Des Weiteren enthält das Poster eine Aufforderung an die Jugendlichen, sich die kostenlose App herunterzuladen und herauszufinden, wie ihr persönliches Smokerface aussehen würde.

Wahlfach Tabakprävention

Die bisher vorgestellten Aktivitäten von AGT verfolgen einen überwiegend primärpräventiven Ansatz, denn der größte gesundheitliche Nutzen für eine Person wird ohne Frage dann erzielt, wenn die Nikotinsucht primär nicht einsetzt und nicht therapiert werden muss [4]. Dennoch ist der Rauchstopp sekundär- und sogar noch tertiärpräventiv oft die effektivste Maßnahme, um tabakbedingte Folgeerkrankungen zu verhindern oder den Verlauf bereits eingetretener Erkrankungen zu beeinflussen [29].

Trotz der enormen Wichtigkeit der Tabakentwöhnung zeigen Studien, dass die Tabakabhängigkeit im Vergleich zu anderen chronischen Erkrankungen wie Diabetes oder Hypertension nicht adäquat behandelt wird [30,31,32]. Als mögliche Ursachen werden fehlende Motivation, nicht trainierte Fertigkeiten und Unkenntnis von geeigneten Beratungsstrategien und Behandlungsmethoden genannt [30,31,32,33]: Im Rahmen mehrerer an deutschen Medizinfakultäten durchgeführter Studien konnten sich weniger als 5 % der Studierenden im letzten Studienjahr überhaupt daran erinnern, jemals praktisch zur Beratung von Raucher/innen angeleitet worden zu sein [34], und vielen Studierenden war nicht bekannt, welche Behandlungsmethoden effektiv sind und welche nicht [35]. Über die Hälfte der Studierenden wünschte sich eine Intensivierung der Lehre zur Tabakabhängigkeit [36].

Die Ausbildung Medizinstudierender hinsichtlich der Beratung und Behandlung rauchender Patientinnen und Patienten ist somit verbesserungswürdig. Um diese Missstände zu beheben, wurde durch AGT an 13 Standorten ein wissenschaftlich-konzipiertes Wahlfach eingeführt. Die Studierenden erlernen unter anderem Elemente des 5 A-Schemas zur Raucherberatung (Ask, Advise, Assess, Assisst, Arrange) und die Effektivität ärztlicher Maßnahmen und Unterstützungsmethoden. Diese werden auch an Schauspielpatient/innen praktisch erprobt. Des Weiteren nehmen die Studierenden im Rahmen des Wahlfachs an einem Schulbesuch teil. Am Ende des Wahlfachs sollen die Studierenden in der Lage sein, basierend auf einer gründlichen Raucheranamnese, eine detaillierte, individuelle, leitliniengerechte Therapieempfehlung zu entwickeln.

Durch die Teilnahme werden angehende Ärztinnen und Ärzte für die Problematik des Rauchens sensibilisiert und beim Mentoring im Klassenraum in wichtigen didaktischen Fähigkeiten geschult, die später im Patientengespräch [37] hilfreich sind.

Aus der Literatur geht hervor, dass die Teilnahme an einem Seminar zur Gesundheitsförderung bei Jugendlichen durch Tabakprävention bei den Medizinstudierenden zusätzlich zur Folge hatte, dass sie auch bei ihren (älteren) Patientinnen und Patienten häufiger den Rauchstatus erhoben und zum Thema Rauchen berieten [38]. Vor diesem Hintergrund ist zu vermuten, dass auch die ehrenamtliche Mentoren des AGT-Programms, selbst wenn sie nicht am Wahlfach teilgenommen haben, ihre Patientinnen und Patienten bezüglich ihrer Tabakabhängigkeit besser betreuen können.

Ärzteverband Tabakprävention

Ein starker Fokus der Maßnahmen von AGT liegt auf individueller Verhaltensprävention. Diese ist ungemein wichtig; einen größeren Erfolg verspricht jedoch eine Kombination mit einer konsequenten Verhältnisprävention, um die äußeren Umstände, die zu der Entstehung von Tabakabhängigkeit und tabakbedingten Folgeerkrankungen beitragen, zu verändern.

Das Ziel von AGT ist es daher, die Verbreitung der tabakbedingten chronischen Erkrankungen durch den Anstoß legislativer Maßnahmen zu reduzieren. Mittels ehrenamtlicher Einflussnahme sollen Ärzte und Ärztinnen mit lokalen Mitgliedern des Bundestags in den Dialog treten und die politischen Entscheidungsträger überzeugen, ein gesetzlich verankertes Spitzenniveau in der Tabakprävention anzustreben. Von diesem Spitzenniveau ist Deutschland weit entfernt, zurzeit ist es eines der rückständigsten Länder in Europa. Deutschland belegt den vorletzten Platz auf der Tabakkontrollskala, welche die nationale Implementation von politischen, wissenschaftlich fundierten Maßnahmen zur Senkung der Rauchprävalenz misst. [7].

Durch den Kontakt mit der Politik soll eine positive Gegenstimme zur Tabakindustrie die Umsetzung der bereits im Jahr 2003 von Deutschland unterzeichneten, im Rahmenübereinkommen der WHO zur Tabakkontrolle geforderten Maßnahmen fördern. Die Herangehensweise hierbei orientiert sich an international erfolgreichen Ärzteverbänden. Die Forderungen beinhalten ein vollständiges Tabakwerbeverbot, die Erstattung der Kosten von Tabakentwöhnungsmaßnahmen durch die Krankenkassen, eine Erhöhung der Tabaksteuer, Verbesserung des Nichtraucherschutzes und bessere Aufklärung der Bürger über die Folgen des Tabakkonsums. Medizinstudierende, die durch AGT während ihres Studiums für die Thematik sensibilisiert wurden, können ihr Engagement im Ärzteverband fortsetzen. Auch approbierte Ärztinnen und Ärzte, die keine AGT-Alumni sind, können mitwirken.

Internationalisierung des Programms ausgehend von der Schulebene

Die Problematik der Tabakabhängigkeit ist nicht auf Deutschland begrenzt. Daher wurde das zu Beginn nur in deutschsprachigen Ländern verfügbare Programm von AGT in verschiedene Sprachen übersetzt und findet nun an über 80 Medizinfakultäten in 14 Ländern Anwendung. Derzeit werden durch die Standorte außerhalb des deutschsprachigen Raumes etwa 21.000 Schüler/innen erreicht. Die Länder, in denen Medizinfakultäten das Programm implementiert haben, werden in Abb. 4 gezeigt. Die internationalen Standorte organisieren sich selbstständig und arbeiten an einer Ausweitung des Programms innerhalb der eigenen Landesgrenzen sowie an einer Expansion in gleichsprachige Länder. Auch werden über die schulbasierte Aktivität hinaus eigene Ideen und Initiativen lanciert, wie beispielsweise ein Social-Media-Wettbewerb auf Facebook mit der Smokerface-App zum Weltnichtrauchertag 2017 in Pakistan oder die Ausschreibung eines Awards für Tabakkontrolle für die beste Idee zur Senkung der Rauchprävalenz in Brasilien.

Abb. 4
figure 4

Weltweite Verbreitung von „Aufklärung gegen Tabak“ (Stand: April 2018). In den hellgrau markierten Ländern befinden sich Medizinfakultäten, an denen das Programm implementiert wurde. Oben rechts: einheitliches Logo. Mit freundlicher Genehmigung von Selina Schmidt und Benedikt Gaim (Vorstandskoordination Europa)

Wissenschaftliche Begleitung – Ergebnisse der Evaluationsstudien

Schulische Tabakprävention

Um die Wirksamkeit des durch AGT entwickelten Präventionsprogramms zu untersuchen und zu verbessern, werden durch AGT die deutschlandweit größten Multicenterstudien zum Thema schulische Tabakprävention durchgeführt.

Eine erste prospektive, quasi-experimentelle Studie mit etwa 1500 Jugendlichen zur Wirksamkeit der Schulpräventionsprogramme auf die Reduktion der Rauchprävalenz bei 11- bis 15-jährigen Schüler/innen wurde bereits 2014 von AGT durchgeführt [10, 37]. Die Intervention bestand aus dem ursprünglichen zweistündigen Präventionsprogramm von AGT. Ein Patient mit einer tabakbedingten Erkrankung konnte von den Jugendlichen bezüglich seiner Beweggründe und Erfahrungen mit dem Rauchen befragt werden. Es konnten signifikante Effekte auf den Rauchstopp (=sekundärpräventive Effekte) nachgewiesen werden. Die Intervention hatte nach einem halben Jahr einen stärkeren sekundärpräventiven Effekt auf Gymnasiasten als auf Gesamtschüler/innen. Ein primärpräventiver Effekt (Raucheinstieg) konnte nach sechs Monaten nicht festgestellt werden [10].

Aufgrund der Ergebnisse dieser Studie wurde das Curriculum für Schultypen mit niedrigerem Bildungsniveau (Gesamt‑/Hauptschulen) unter Einbezug eines Schülerfeedbacks angepasst und nach neuen Ansätzen gesucht, die diese Jugendlichen besonders ansprechen könnten. Der Fokus wurde verstärkt auf die Vorteile des Nichtrauchens gelegt, anstatt das Rauchen abzuwerten, da Studien zeigen konnten, dass ärztliche Präventionsprogramme mit einem Schwerpunkt auf Abschreckung und Angstinduktion keinen Langzeiteffekt auf die Reduktion der Rauchprävalenz aufwiesen [20, 39,40,41,42]. Im Gegensatz dazu konnte ein ärztliches multimodales Präventionsprogramm in Berlin in einer quasi-experimentellen Studie signifikante Kurzzeiteffekte auf den Rauchbeginn aufzeigen. Dies könnte eine vielversprechende Alternative zu dem traditionell genutzten Abschreckungsansatz darstellen [19]. Die von AGT entwickelte Smokerface-App wurde in der ursprünglichen 2D-Computerversion erstmals in das Curriculum eingebaut, und jeder Jugendliche erhielt sein eigenes überarbeitetes Selfie [10]. Die randomisierte Studie mit einem Jahr Follow-up prüfte die Effektivität des überarbeiteten Curriculums hinsichtlich der Prävention des Rauchens bei 11- bis 15-jährigen Schüler/innen [43]. Zusammenfassend zeigte diese erste Langzeitstudie zu den AGT-Präventionsprogrammen mit Smokerface-Intervention Hinweise auf einen protektiven Effekt bezüglich Rauchbeginn, besonders bei weiblichem Geschlecht (Number Needed to Treat (NNT) = 24), bei niedrigem Bildungsniveau (NNT = 30, im Gegensatz zu NNT = 199 bei Gymnasien) oder bei Migrationshintergrund (NNT = 44). Dies lässt sich mit anderen Studien vereinbaren, die eine besondere Bedeutung der selbstwahrgenommenen Attraktivität als stärksten Einfluss auf das Selbstbewusstsein, vor allem für Mädchen oder Schüler/innen niedrigerer Bildungsstufen beimessen [23]. Sekundärpräventive Effekte wie eine Motivation zum Rauchstopp konnten in dieser Studie nicht nachgewiesen werden.

Der Mirroring-Ansatz, bei dem das Smokerface eines freiwilligen Jugendlichen vor die gesamte Peergroup projiziert wird, wurde an drei weiterführenden Schulen getestet. Direkt nach der Intervention wurden die Schüler/innen mittels eines anonymen Fragebogens nach ihrer Meinung zu der Intervention gefragt. Die meisten Jugendlichen gaben an, die Intervention habe ihnen Spaß gemacht (77/125, 61,6 %), sie zum Nichtrauchen motiviert (79/125, 63,2 %), ihnen bisher unbekannte Vorteile des Nichtrauchens vermittelt (81/125, 64,8 %). Nur eine Minderheit verneinte es, teilweise oder völlig neue Vorteile des Nichtrauchens gelernt zu haben (16/125, 12,8 %) oder zum Nichtrauchen motiviert worden zu sein (18/125, 14,4 %). 90 % der Jugendlichen hielten die App für eine geeignete Maßnahme, um ihre Mitschüler/innen vom Nichtrauchen zu überzeugen [11].

Im Jahr 2016 wurde das AGT-Curriculum nach den Erkenntnissen aus den eigenen Studien und anderen aktuellen Forschungsergebnissen erneut optimiert. Elemente zur Verstärkung von Gruppeneffekten (wie der Mirroring-Ansatz) und zur Repetition des Gelernten (wie zum Beispiel App-bewerbende Poster [Abb. 3]) wurden integriert. Langzeitfolgen für die Gesundheit wurden aufgrund ihrer Ineffektivität komplett aus dem Curriculum genommen [44]. Es handelt sich dabei um die aktuellste Version, wie sie derzeit in den Klassenräumen durchgeführt wird (Stand: Mai 2018). Ihre Wirksamkeit wird in einer momentan noch andauernden kontrolliert randomisierten Studie mit ca. 10.000 Siebtklässler/innen in 140 Sekundarschulen untersucht. Als primärer Endpunkt ist der Unterschied (Kontroll- vs. Interventionsschulen) in der Veränderung des Anteils an Raucher/innen und Nichtraucher/innen nach 24 Monaten im Vergleich zur Baseline definiert („difference of differences approach“). Der sekundäre Endpunkt ist die Veränderung der Einstellungen der Jugendlichen zum Rauchen (basierend auf der Theorie des geplanten Verhaltens) in den beiden Studienarmen nach 24 Monaten im Vergleich zur Baseline.

Smokerface-Posterkampagne

Die Wirksamkeit der Posterkampagne wird derzeit in einer randomisierten kontrollierten Studie evaluiert [45]. 9851 Schüler/innen von 126 weiterführenden Schulen nehmen an der prospektiv experimentellen Studie teil. Die Datenerhebung erfolgt mittels Fragebogen zu Beginn, sowie 6, 12 und 24 Monate nach Intervention. Die Abschlussbefragung wird durch zufällig ausgewählte Kohlenmonoxid-Atemtests zur biochemischen Validierung der Ergebnisse ergänzt. Die Interventionsschulen erhalten die Smokerface-Posterkampagne, Kontrollschulen mit vergleichbaren Baseline-Daten erhalten keine Intervention. In der Baseline-Befragung war die Prävalenz für Zigarettenrauchen 4,7 %, für E‑Zigaretten 4,6 % (1,6 % nutzen beides). Der primäre Endpunkt ist die Differenz der Rauchprävalenz in der Nachbefragung nach 24 Monaten in der Kontrollgruppe im Vergleich zur Interventionsgruppe. Als sekundäre Endpunkte werden Veränderungen in den Einstellungen zum Rauchen, sowie die Zahl der Jugendlichen, die das Rauchen neu begonnen oder beendet haben, gemessen. Die Datenerhebung wird im August 2018 abgeschlossen und die Ergebnisse im Anschluss präsentiert und zur Publikation eingereicht.

Internationale Verbreitung und Generalisierbarkeit des Programms

Da in einer vergangenen Studie bereits die unterschiedliche Wirksamkeit eines Tabakpräventionsprogramms in verschiedenen europäischen Ländern gezeigt werden konnte, kann angenommen werden, dass auch das AGT-Curriculum vor verschiedenen soziokulturellen Hintergründen nicht generalisiert präventiv wirkt [34, 46]. Daher werden parallel zu der Evaluation in Deutschland der Mirroring-Ansatz sowie das komplette Curriculum in randomisiert kontrollierten Langzeitstudien mit über 1500 Sekundarschüler/innen in Brasilien untersucht [13, 47].

Ausblick

Zu Beginn fokussierte sich das Engagement von AGT auf die schulische Tabakprävention in Deutschland. Anhand der derzeit noch ausstehenden Ergebnisse der laufenden Evaluationsstudien wird das Programm nach neuesten Erkenntnissen auch in Zukunft immer wieder verbessert. Auch eine Übertragbarkeit auf andere soziokulturelle Hintergründe ist Bestand aktueller Evaluationen. Die internationale Verbreitung und Implementierung des Programms weitet sich stetig aus. Auch auf Tabakkontrollebene nehmen die Aktivitäten national und international zu: Der Ärzteverband Tabakprävention versucht über einen politischen Dialog Verhältnisprävention zu betreiben (z. B. Erhöhung der Tabaksteuer, Tabakwerbeverbot) und gewinnt stetig an Mitgliedern. In Zukunft wird eine Ausweitung des Programms auf neue Zielgruppen wie zum Beispiel Krankenpflegeschüler/innen evaluiert, um auch verhaltenspräventive Effekte in einer neuen Zielgruppe mit deutlich höherer Rauchprävalenz weiter zu steigern. Vor diesem Hintergrund wurde eine Übertragbarkeit des Mirroring-Ansatzes mit 197 Pflegeschüler/innen im April 2018 in Köln und Bonn getestet (Raucherquote 27,3 %; [48]) Anhand dieser Ergebnisse soll ein neues, für diese Altersgruppe zugeschnittenes Curriculum entwickelt, national sowie international ausgerollt und evaluiert werden.