Zusammenfassung
Hintergrund
Die Förderung gesundheitsförderlicher Ernährungsstile und alimentärer (die Ernährung betreffender) Teilhabe ist ein wesentlicher Aspekt von integrierten Gesamtansätzen kommunaler Gesundheitsförderung für Kinder. Mit Blick auf die hierbei im Fokus stehende Zielgruppe der Kinder aus sozial benachteiligten Familien wird den Settings Kindertagesstätte (Kita) und Grundschule besondere Bedeutung zugeschrieben.
Fragestellungen
Wie beschreiben Praxisexpert*innen und Eltern Status quo, Potenziale und Hemmnisse der Etablierung gesundheitsförderlicher Ernährungspraxen in den Settings Kita und Grundschule?
Welchen Stellenwert haben Ernährung und alimentäre Teilhabe aus Sicht von Praxisexpert*innen im Rahmen des integrierten Gesamtansatzes?
Methode
In zwei Städten wurden Experteninterviews mit Schlüsselakteuren der vernetzten kommunalen Gesundheitsförderung und Leitungskräften aus Kita und Grundschule geführt. Die Perspektive von Eltern in prekären Verhältnissen bzw. mit Zuwanderungsgeschichte wurde in Gruppendiskussionen exploriert.
Ergebnisse
Das Thema Ernährung nimmt in den Narrationen von Fachkräften und Eltern einen breiten Raum ein. Kitas und Grundschulen nutzen den alltäglichen Umgang mit Lebensmitteln sowie gemeinsame Mahlzeiten in vielfältiger Weise, um das Erleben und Erlernen gesundheitsförderlicher Ernährungspraxis und die alimentäre Teilhabe zu fördern. Deutlich wird, dass Kita und Schule in zunehmendem Maße der Delegation von Erziehungsverantwortung und Ernährungsarmut begegnen müssen. Eltern nehmen die Bemühungen von Kita und Schule anerkennend wahr, beklagen aber, dass das Essen in der Schule unter prekären räumlichen Bedingungen und immensem Zeitdruck stattfinden muss.
Diskussion
Ernährung wird von den Expert*innen als gesundheitsrelevante Ressource genutzt, aber anders als Bewegung oder seelische Gesundheit ohne Bezug zur integrierten kommunalen Gesundheitsförderung thematisiert. Die Förderung alimentärer Teilhabe und gesundheitsförderlicher Ernährungspraxis könnte größere Wirkungen entfalten, wenn die Akteure sie als wesentlichen Teil der kommunalen Gesundheitsförderung wahrnehmen würden.
Abstract
Background
The promotion of healthy nutrition and alimentary participation (the possibility of experiencing the social function of food) is an essential aspect of integrated overall approaches of community-based health promotion. Preschool and primary school settings are given particular importance in terms of the target group focused on by community-based approaches: children from socially disadvantaged families.
Objectives
How do parents and practice experts describe the status quo, potential, and obstacles in the implementation of healthy nutrition practices in the settings kindergarten and elementary school?
What ist the importance of nutrition and alimentary participation within the framework of the integrated overall approach attributed by practice experts?
Method
In two urban centers, expert interviews were conducted with stakeholders of integrated overall approaches and administrators from preschools and primary schools. The perspectives held by parents in financially precarious situations or with immigrant backgrounds were explored in group discussions.
Results
Nutrition takes on an important role in the narratives of parents and experts. Preschools and primary schools draw upon daily interaction with food and shared meals in a variety of ways to foster the development of healthy eating habits and alimentary participation. It has become clear that preschools and primary schools must increasingly counteract delegation of parenting responsibilities and poor nutrition practices, for instance by providing socially compensatory breakfasts. Parents acknowledge these efforts but express criticism that food in schools is eaten under problematic spatial conditions and intense time pressure.
Discussion
Nutrition is used by experts as a resource but, in contrast to physical exercise or mental health, without reference to integrated community-based health promotion. Promotion of alimentary participation and healthy nutrition practice could have more impact if stakeholders saw themselves as essential components of integrated community-based health promotion.
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Danksagung
Die Autorin und der Autor danken den Praxispartner*innen und Eltern aus Moers und Oberhausen für ihre engagierte Teilnahme am Forschungsvorhaben.
Förderung
Das Forschungsprojekt wurde gefördert vom BMBF, Förderkennzeichen 01EL1426B.
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Interessenkonflikt
R. Rehaag und S. Ehlen geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
R. Rehaag und S. Ehlen sind beim KATALYSE-Institut tätig, das den Forschungsverbund „Gesund Aufwachsen“ leitet und das Forschungsmodul „Soziale Teilhabe und Ernährung“ durchführt. Alle beschriebenen Untersuchungen wurden mit Zustimmung der zuständigen Ethik-Kommissionen (u. a. Deutsche Sporthochschule Köln, Nr. 107/2015, Medizinische Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Studiennr. 5394 und 5664), im Einklang mit nationalem Recht sowie gemäß der Deklaration von Helsinki von 1975 (in der aktuellen, überarbeiteten Fassung) durchgeführt.
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Rehaag, R., Ehlen, S. Ernährung als Ressource der vernetzten kommunalen Gesundheitsförderung für Kinder – Wahrnehmung durch Eltern und Experten. Bundesgesundheitsbl 61, 1242–1251 (2018). https://doi.org/10.1007/s00103-018-2810-3
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Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/s00103-018-2810-3
Schlüsselwörter
- Ernährungspraxen
- Alimentäre Teilhabe
- Soziale Ungleichheit
- Sozial bedingt ungünstige Gesundheitschancen
Keywords
- Nutrition practices
- Alimentary participation
- Social inequality
- Socially induced unfavorable health opportunities