Liebe Leserin, lieber Leser,

Das Bundesgesundheitsblatt hatte sich in der Vergangenheit immer wieder, meist mit Einzelbeiträgen, mit der medizinischen Qualitätssicherung beschäftigt. Im vorliegenden Themenheft sollen nun die inzwischen, wie wir meinen, recht gut fortentwickelte medizinische Qualitätssicherung beziehungsweise das umfassendere Qualitätsmanagement mit ihren methodischen und praktischen Aspekten dargestellt werden, wobei auch ihre Voraussetzungen, ihre Ergebnisse und Wirkungen auf das Gesundheitswesen kritisch zu diskutieren sind. Natürlich konnten wir bei Weitem nicht alle Aspekte, wie zum Beispiel die Qualitätssicherung mithilfe von Routine- oder Registerdaten oder die sich in aller Munde befindliche sektorenübergreifende Qualitätssicherung, behandeln, aber wir hoffen doch, eine informative und nützliche Auswahl exemplarischer Beiträge zusammengestellt zu haben.

Im ersten Artikel reflektiert Frau PD Eberlein-Gonska über die scheinbar einfache Frage, was überhaupt am Qualitätsmanagement evidenzbasiert sei. Die Entwicklung zu Aufbauorganisation, Prozessorientierung und Professionalisierung ist deutlich erkennbar, aber zur zugehörigen evidenzbasierten Evaluation dieser Maßnahmen gibt es sowohl methodisch als auch hinsichtlich des Nutzens für den Patienten einigen Nachholbedarf.

Im zweiten Beitrag diskutiert Dr. Blumenstock aus Tübingen die Qualität von Qualitätsindikatoren. Da Qualität nicht direkt, sondern nur über Indikatoren gemessen werden kann, ist es besonders wichtig, auf die Güte dieser Indikatoren zu achten. Sie sollen relevant, wissenschaftlich basiert, nützlich und praktikabel sein. Um die Kriterien quantitativ und standardisiert zu messen, wurde von der damaligen Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung (BQS) das QUALIFY-Instrument entwickelt. QUALIFY hat sich vielfach bewährt, bietet es doch die Chance, mit hochwertigen Qualitätsindikatoren auf die Verbesserung der Versorgung hinzuwirken.

Im nächsten Beitrag berichtet Frau Prof. Kopp aus Marburg, wie man von den Leitlinien (LL) zur Qualitätssicherung kommt. Mit LL-basierten Qualitätsindikatoren lässt sich nicht nur der Erfolg der LL-Einführung kontrollieren, sondern es lassen sich auch die gesetzlich geforderten externen Qualitätsvergleiche von Krankenhäusern unterstützen. Viele hochwertige LL der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) haben bereits expliziten Bezug zu Qualitätsindikatoren. Am Beispiel der LL für die Brustkrebsfrüherkennung wird dieser Bezug erläutert.

Prof. Schrappe und Frau Dr. Gültekin aus Bonn behandeln das Problem, ob langfristige Effekte und Anreize zur Qualitätsverbesserung mithilfe des Pay-for-Performance-Ansatzes zu erzielen sind, hohe Qualität im Gesundheitswesen also höher vergütet werden soll. Entsprechende Untersuchungen zeigen, dass die qualitätsorientierte Vergütung auch in Deutschland erfolgreich genutzt werden könnte. Allerdings gilt es dabei, negative Auswirkungen wie Risikoselektion oder Qualitätsverschlechterung nach Auslaufen der Anreize, wie sie zum Beispiel vereinzelt in Großbritannien aufgetreten sind, zu vermeiden. Das Bundesgesundheitsministerium hat im November 2010 eine erneute Aufbereitung der internationalen Erfahrungen mit Pay for Performance in Auftrag gegeben.

Hauptziele des Qualitätsmanagements sind immer die Sicherung und Verbesserung der patientenbezogenen Ergebnisse und dabei insbesondere die Erfüllung des hippokratischen Grundsatzes „primum non nocere“ (erstens nicht schaden). Prof. Conen aus Aarau berichtet in seinem Beitrag über Maßnahmen zur Verbesserung der Patientensicherheit, die zu findende Balance zwischen Nutzen und Schaden medizinischer Verfahren und die dazu notwendigen Wirksamkeitsevaluationen. Exemplarisch anhand von Fehlerberichtssystemen zur Verbesserung von Medikationsprozessen, von OP-Abläufen und zu Maßnahmen zur Verhütung nosokomialer Infektionen werden Nutzen und Aufwand vorgestellt. Schon einfache Checklisten, wie sie zum Beispiel vor jedem Flugzeugstart verwendet werden, können ganz wesentlich Fehler vermeiden helfen. Allerdings ist dazu grundsätzlich eine neue Kultur des Umgangs mit Fehlern in der Medizin unter Einbezug des Patienten zu fordern.

Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement sind nicht nur in der Krankenversorgung, sondern auch in der medizinischen Rehabilitation gefordert. Dr. Farin und Prof. Jäckel aus Freiburg berichten hierzu von den methodisch anspruchsvollen und bemerkenswert erfolgreichen Verfahren im Bereich der Rehabilitation. So wird zum Beispiel der im vorangehenden Beitrag geforderte Patientenbezug zentral berücksichtigt, das Studiendesign bei den Katamnesen ist methodisch verbessert, und die Therapiestandards sind mit den Trägern harmonisiert. Da die medizinische Rehabilitation neben anderen zwei dominierende Kostenträger – die gesetzlichen Krankenversicherungen und die Deutsche Rentenversicherung – besitzt und sie weitgehenden gesetzlichen Vorschriften zur Qualitätssicherung unterliegt, ist sie nahezu flächendeckend eingeführt. Allerdings finden erforderliche Evaluationen noch nicht immer systematisch statt, eine hohe Qualität wird von den Trägern nur selten honoriert, und die Nahtstellen zu anderen Versorgungssektoren sind selten angesprochen. Insgesamt bietet die medizinische Rehabilitation aber ein wissenschaftlich fundiertes und auch für andere Sektoren vorbildliches Qualitätsmanagement.

Prof. Geraedts und Mitautoren befassen sich mit dem Qualitätsmanagement in der ambulanten und stationären, sozialen Pflege und erläutern die aktuellen Entwicklungen und Besonderheiten. Prinzipiell unterscheidet sich das Qualitätsmanagement in der sozialen Pflege nicht von dem anderer Bereiche. Zwar unterliegt sie dem elften Sozialgesetzbuch, aber die Methoden des Qualitätsmanagements sind wie anderenorts mit Stichworten wie ISO-Normen, TQM oder dem PDCA-Zyklus ähnlich gekennzeichnet. Ein wesentliches Element des Qualitätsmanagements sind die inzwischen vom Bundesministerium finanzierten Expertenstandards, die von Pflegeexperten entwickelt wurden und ab 2010 für sieben wichtige Pflegethemen, wie zum Beispiel Dekubitus, Sturzprophylaxe oder Ernährungsmanagement, verpflichtend vorgeschrieben sind. Die Überprüfung der Pflegequalität durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen und das derzeitige Transparentmachen der Qualität der Pflegeeinrichtungen werden in diesem Beitrag – aber auch in der Öffentlichkeit – diskutiert. Ein Überarbeitungsbedarf ist nach Meinung der Autoren offensichtlich.

Für den Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung in Deutschland erläutert Thomas Kliche aus Hamburg die Versorgungsstrukturen und die Qualitätssicherung auf der Basis umfangreicher Versorgungsanalysen und Experteninterviews. Strukturen und Abläufe sind in der Prävention und Gesundheitsförderung besonders heterogen und zum Teil schwer erkennbar. Das Leistungsgeschehen ist zwischen den Akteuren kaum koordiniert, selten evaluiert und in aller Regel nicht evidenzbasiert. Für die Analyse entwickelte Thomas Kliche eine Qualitätssicherungsstruktur mit den drei Dimensionen Aussagekraft, Regelmäßigkeit und Verbindlichkeit, die er auf wichtige Präventions- und Förderungsmaßnahmen anwendete. Im Ergebnis zeigen sich in allen drei Dimensionen erhebliche Mängel. Eine wichtige Verbesserung dieser Lage könnte der Förderschwerpunkt Präventionsforschung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung bringen.

Im letzten Beitrag des Themenhefts wird das „klassische“ Problemfeld der Qualitätssicherung im Krankenhaus, nämlich das Qualitätsmanagement zur Infektionsprävention angesprochen. Frau Prof. Gastmeier und Mitautoren von der Charité in Berlin betonen hierzu explizit die Bedeutung der Surveillance. Die ständige Beobachtung von Art und Häufigkeit nosokomialer Infektionen ist essenziell, die Erhebung, Auswertung und Interpretation dieser Daten erfolgt bundesweit einheitlich mit speziellen QM-Verfahren (KISS, NEO-KISS, OP-KISS etc.), die vom RKI unterstützt werden. Bemerkenswerte Reduktionen solcher Infektionen sind inzwischen erreicht worden. Allerdings lässt die Breite der Beteiligung der Krankenhäuser noch zu wünschen übrig.

Das vorliegende Themenheft zeigt den mittlerweile intensiven und aufwendigen Einsatz des Qualitätsmanagements in allen Sektoren des Gesundheitswesens. Seine Entwicklung hat sich in den letzten fünf Jahren noch weiter beschleunigt. Das liegt unter anderem an der Zunahme der Märkte rund um das Qualitätsmanagement, der Erwartungen an das Qualitätsmanagement und der Transparenzforderungen von Krankenversicherungen, Patienten und Leistungserbringern. Das Qualitätsmanagement scheint sich an manchen Stellen sogar in Gefahr zu begeben, über das Ziel hinauszuschießen. Nicht alles aber, was Qualitätsmanagement heißt, verbessert die Qualität, und vieles ist im Qualitätsmanagement noch nicht evidenzbasiert.

Wir hoffen, dass wir mit diesem Themenheft eine sicherlich lückenhafte, aber doch insgesamt hinreichend breite und tiefe Darstellung des Status quo des Qualitätsmanagements in der Medizin bieten konnten. Daran werden sich die Entwicklungen der kommenden fünf Jahre messen lassen müssen.

Ihre

Rüdiger Klar

Hans-Konrad Selbmann