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Genetische (Individual-) Informationen aus Sicht des Datenschutzrechts

Human genetic data from a data protection law perspective

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Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz Aims and scope

Zusammenfassung

Die Erhebung und Verwendung genetischer Daten rufen in der Bevölkerung Ängste hervor, denen das Datenschutzrecht begegnen muss. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass der Begriff "genetische Daten" immer im Kontext der betrachteten Erkrankung zu sehen ist und sich auf diese bezieht. Das Recht auf Schutz genetischer Daten muss sich in ein bestehendes datenschutzrechtliches Konzept einfinden, es gilt jedoch auch, ihre Besonderheiten, insbesondere ihren Familien- und/oder Gruppenbezug hinreichend zu würdigen. Der Brückenschlag zwischen der medizinischen Nutzung und dem Schutz dieser Daten lässt sich nur über die Anwendung des Indikationsmodells im datenschutzrechtlichen Zweckbindungskonzept realisieren. Ob es tatsächlich eines datenschutzrechtlichen Sondergesetzes zum Schutz genetischer Daten bedarf, lässt sich erst nach Beseitigung der bestehenden Mängel im gegenwärtigen Recht einschätzen. Die Humangenetik wirft allgemeine datenschutzrechtliche Fragen auf, deren Beantwortung sich in einem sektorspezifischen Gesetz als kontraproduktiv herausstellen könnte. Infolge der Umsetzung der EG-Datenschutzrichtlinie sind genetische Daten im medizinischen Kontext gegenwärtig nur unzureichend geschützt, die Regelungen im Bundesdatenschutzgesetz sind erheblichen rechtlichen Bedenken ausgesetzt. Eine Überarbeitung des Datenschutzrechts im Hinblick auf genetische Daten ist daher dringend angezeigt, die Revision des geltenden Rechts sollte sich jedoch an den rechtlichen Problemen orientieren und nicht an den Techniken der genetischen Informationsgewinnung.

Abstract

The collection and use of genetic data have caused much concern in the German population. Data protection is widely seen as the tool to address these fears. The term genetic data is not self-explanatory, as it depends on the different types of genetic diseases. The protection of genetic data as defined with regard to the different sets of diseases needs to fit into the preexisting data protection legislation. Still, the particularities of genetic data such as the multipersonal impact need to be considered. A balance between the information needs of society and the right to privacy requires a medically driven criteria. The medical term of indication which corresponds with the data protection term of purpose should serve as a tool in order to balance the rights of the patients and their relatives or between clients and third persons involved. Some countries have set up new legislative acts to address the challenges of human genetics. The current state of German data protection law leaves citizen rather unprotected as long as the data are used for medical purposes in a wider sense. A special law on the collection of genetic data has been discussed for several years, but it should be questioned whether the scope of a sector-specific law would serve citizens better. It seems to be preferable to adjust the existing Data Protection Act rather than drafting a specific law which covers the field of human genetics. This adaptation should reflect upon the different technical ways in which genetic data are collected and used.

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Literatur mit Anmerkungen

  1. Dazu die damaligen Veröffentlichungen in Science vom 16. Februar 2001, Science 2001, 1304–1351, sowie fast zeitgleich in der Nature vom 15. Februar 2001, Nature, Vol. 409, 934–941. Der letzte Schritt zur vollständigen Entschlüsselung wurde erst mit der Kartierung des Chromosoms Nr. 4 im April 2005 vollzogen. Es bestehen gegenwärtig nur noch kleine Lücken, an deren Erforschung weiterhin gearbeitet wird.

  2. FAZ vom 3.4.2006, S. 38 über eine zunächst scheinbar erfolgreiche Gentherapie bei zwei Patienten mit einer angeborenen "X-chromosomalen chronischen Granulomatose". Dabei handelt es sich um eine sehr seltene genetische Erkrankung. Besonders interessant aus juristischer Sicht ist, dass die Gentherapie große strukturelle Ähnlichkeiten mit anderen Therapieformen aufweist. Die Gentherapie ist Teil eines Behandlungskonzeptes und musste in diesem Fall mittels einer Chemotherapie vorbereitet werden. Die Behandlungsstrategie musste nach erheblichen Komplikationen, die zum Tode eines Probanden geführt haben, wieder verworfen werden. Siehe dazu die FAZ vom 23.5.2006.

  3. Europeans and Biotechnology in 2005: Patterns and Trends, Eurobarometer 64.3, A report to the European Commission's Directorate General for Research, zusammengestellt und bewertet von Gaskell et al, Mai 2006, S. 52–56.

  4. Wie vorstehende Fn. [3] , S. 53 f.

  5. Ebd.

  6. Abschlussbericht der Enquete-Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin", Berlin, 2002.

  7. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, Gemeinsam für Deutschland, vom 11.11.2005, dort S. 86.

  8. Dieser Diskurs ist jedoch kaum im Rahmen von Literatur stimmen abgebildet worden, zuletzt jedoch ein Überblick bei Hasskarl/Ostertag, MedR 2005, 640 ff.

  9. Eine Übersicht zu den rechtlich wichtigen Materien eines Gendiagnostikgesetzes bei Damm, MedR 2004, 1 ff.

  10. "Essentially Yours", Bericht ALRC 96 der Australian Law Reform Commission aus dem Jahre 2003, S. 129

  11. Simitis, in Simitis (Hrsg) Kommentar zum Bundesdatenschutzgesetz, 5. Aufl., Baden-Baden, 2003, § 3 Rdn. 259 ff.

  12. Im Einzelnen dazu Damm/Schulte in den Bäumen, Krit V 2005, S. 101–136.

  13. Siehe auch zur fachwissenschaftlich genetischen Bestimmung des Begriffes und der dortigen Abgrenzungsprobleme, R. Zimmern, "What is genetic information?", in Genetics Law Monitor, 2001, S. 9 ff.

  14. "Genomics and Global Health", Report of the Genomics Working Group Party of the United Nations Millennium Project, Toronto, 2004, S. 64.

  15. Dazu mit vielen weiteren Nachweisen, Halasz, Das Recht auf biomaterielle Selbstbestimmung, Berlin, 2004, S. 87 ff.

  16. Der Begriff des Datenschutzrechts ist insoweit irreführend, da es nicht um den Schutz der Daten geht, sondern um die Schaffung einer Informationsgerechtigkeit zwischen Individuum und Gesellschaft. Instruktiv dazu Hoeren, Informationsgerechtigkeit als Leitperspektive des Informationsrechts, in FS Kilian, Baden-Baden, 2004. In der Sache bereits die Begründung des Bundesverfassungsgerichts zur partiellen Zulässigkeit der Volkszählung im gleichnamigen Urteil, BVerfG Bd. 65, S. 1 [42 ff.].

  17. Dazu näher Schlussbericht der Enquete-Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin", Berlin, 2002, S. 281 ff. (306 f.)

  18. Im angloamerikanischen Rechtskreis wird auch zwischen einem "rights of sources" und der Ebene der "privacy" unterschieden, dazu mit weiteren Nachweisen Spinello, Ethics and Information Technology, 2004, S. 29 ff.

  19. Dazu ausführlich bei Simitis, in Simitis (Hrsg), Kommentar zum Bundesdatenschutzgesetz, § 4 Rdn. 6 ff sowie 19 ff. und bei § 4 a Rdn. 1.

  20. Globig in Roßnagel (Hrsg) Hdb. Datenschutzrecht, München, 2003, S. 653 ff., der explizit festhält: "Eine zweckfreie Datenerhebung oder eine Erhebung zu unbestimmten Zwecken ist nicht zulässig."

  21. So auch § 4 a Abs. 1 S. 2 des BDSG: "Er [der Betroffene, Anm. der Verf.] ist auf den vorgesehenen Zweck der Erhebung, Verarbeitung und Nutzung sowie, soweit nach den Umständen des Einzelfalles erforderlich oder auf Verlangen, auf die Folgen der Verweigerung hinzuweisen."

  22. Roßnagel in Roßnagel (Hrsg), Handbuch Datenschutzrecht, S. 15 f.

  23. Allgemein zur Verarbeitung und Nutzung innerhalb von Vertragsverhältnissen etwa Tinnefeld/ Ehmann Datenschutzrecht, 3. Aufl. München, 1998, S. 352 ff.

  24. So auch Gola/Klug, Datenschutzrecht, München, 2003, S. 48.

  25. Dazu Sokol in Simistis (Hrsg), BDSG, § 4 Rd. 42.

  26. Dazu und zur Indikation bereits bei genetischen Tests Damm, MedR 2004, 1 ff (9 ff.).

  27. So etwa im Sozialrecht hinsichtlich der Abrechnungsprüfung nach § 285 SGB V, zu Patientendaten in diesem Zusammenhang auch BVerfG NZS, 2000, 454 mwN.

  28. Paradigmatisch für öffentliche Stellen etwa die besondere Zweckbestimmung für Videoüberwachungen in § 6 b Abs. 1 Nr. 1–3 BDSG.

  29. Ähnlich bereits die Forderung der Ethik-Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin", Abschlussbericht, 2002, S. 360 ff. sowie 381 ff.

  30. Die Festsetzung eines Zweckes durch die beteiligten Akteure ist dem Datenschutzrecht selbstverständlich nicht fremd, vielmehr dürfte es in Einwilligungssituationen regelmäßig um ein explizites oder implizites Aushandeln des Zweckes gehen. Zu den Schwierigkeiten, etwa durch "Zwecksetzungen" in AGB, Simitis in Simitis (Hrsg) Kommentar zum Bundesdatenschutzgesetz, § 4 a, Rdn. 3 ff.

  31. In anderen Staaten wird daher eine Anwendung des datenschutzrechtlichen Grundkonzeptes bei einer gleichzeitigen, graduellen Stärkung des Informed Consent präferiert. So etwa im UK, dargestellt in Royal College of Physicians, Royal College of Pathologists and British Society for Human Genetics: Consent and confidentiality in genetic practice:guidance on genetic testing and sharing information. A Report of the Joint Committee on Medical Genetics, London April 2006, dort insbesondere S. 14.

  32. Begründung zum Entwurf des Gendiagnostikgesetzes vom 26.10.2004, S. 25.

  33. Dazu die Übersicht und Diskussion bei Schöder, Beitrag zum genetischen Exzeptionalismus im Bundesgesundheitsblatt, bereits Ende Juni eingereicht.

  34. Diese Relativierung des Individualbezuges setzt sich auf der Ebene der genetischen Beratung im Sinne des § 12 GenDG-E nahtlos fort. Nach Abs. 2 S. 4 soll der Berater dem Beratenen empfehlen, seinerseits mitbetroffenen Verwandten eine genetische Beratung zu empfehlen. Diese Regelung birgt die Gefahr, dass zunächst im Rahmen der Erhebung der Daten das Persönlichkeitsrecht der Mitbetroffenen tangiert wird, diese jedoch nur dann von dieser Entwicklung Kenntnis gewinnen, wenn der unmittelbar Einwilligende sich ihnen gegenüber offenbart.

  35. Engelien-Schulz spricht sogar davon, der Absatz passe nicht in die Systematik des § 14 BDSG, RDV 2005, 207.

  36. Simitis (Hrsg) Kommentar zum Bundesdatenschutzgesetz, § 14 Rdn. 122 ff.

  37. Ratzel/Lippert, Kommentar zur MBO-Ärzte, 3. Aufl., Berlin, 2002, S. 87 ff.

  38. Simitis (Hrsg) Kommentar zum Bundesdatenschutzgesetz, § 14 Rdn. 122 f.

  39. BT-Drucks. 14/4329, S. 40.

  40. Simitis (Hrsg) Kommentar zum Bundesdatenschutzgesetz, § 14 Rdn. 123 f.

  41. Marburger, Regeln der Technik im Recht, Köln, 1979, S. 390 ff. mit weiteren Nachweisen.

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Schulte in den Bäumen, T. Genetische (Individual-) Informationen aus Sicht des Datenschutzrechts. Bundesgesundheitsbl. 50, 200–208 (2007). https://doi.org/10.1007/s00103-007-0144-7

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