Der Beitrag von Mattenklodt et al. beschäftigt sich mit einem Thema, welches gleich aus zwei Gründen hohe Relevanz besitzt.

Zum einen nehmen Schmerzerkrankungen weiterhin zu; zum anderen ist die Versorgung geriatrischer Patienten eine der großen Herausforderungen des Gesundheitssystems.

Dabei ist von Vorteil, dass sich ein wissenschaftlich untermauertes ganzheitliches Verständnis sowohl in der Schmerztherapie als auch in der Geriatrie etabliert hat. Zugrunde liegt ein biopsychosoziales Krankheitsbild, ergänzt um spirituelle Aspekte.

Zugrunde liegt ein biopsychosoziales Krankheitsbild, ergänzt um spirituelle Aspekte

Dieses Krankheitsverständnis muss diagnostisch und therapeutisch in Standards umgesetzt werden. Dies begann in den 1990er-Jahren, insbesondere in Bayern, mit den ersten Aktivitäten in der Arbeitsgemeinschaft Schmerztherapeutischer Einrichtungen in Bayern (ASTIB e. V.) und der Ärztlichen Arbeitsgemeinschaft zur Förderung der Geriatrie in Bayern (AFGIB e. V.).

Um die verschiedensten Aspekte einer Schmerzerkrankung zu erfassen, wurde das Interdisziplinäre Assessment entwickelt. Die anzuwendende Therapie wurde als multimodal charakterisiert, und die Notwendigkeit eines multiprofessionellen Behandlungsteams, welches nach einem gemeinsamen Krankheitsverständnis arbeitet, wurde begründet. Besonders wichtig ist dabei, dass dieses Team nicht konsiliarisch arbeitet, sondern als eine selbstständige, auf Schmerztherapie spezialisierte Organisations- und Behandlungseinheit aufgestellt ist. Nur dieses Vorgehen sichert das gemeinsame „mindset“, welches notwendig ist für die Ausarbeitung des multimodalen und multiprofessionellen Behandlungsprogramms, für die regelmäßigen Teambesprechungen und den täglichen Austausch sowie für die Konsistenz der Aussagen einzelner Teammitglieder gegenüber den Patienten.

Mittlerweile sind diese Standards in den Fachgesellschaften weiterentwickelt worden. Insbesondere die Ad-hoc-Kommission „Interdisziplinäre Multimodale Schmerztherapie (IMST)“ der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. hat entsprechende Standards für das Assessment und die IMST ausgearbeitet, publiziert und in die Definition der zu kodierenden Prozeduren (OPS) eingebracht.

Mattenklodt et al. beschreiben nun die Besonderheiten der Diagnostik und der IMST beim alten Menschen detailliert und kompetent. Dabei können die Autoren auf eine langjährige praktische Erfahrung zurückgreifen. Besonderer Wert wird auf die Evaluation und Integration der biopsychosozialen Besonderheiten chronischer Schmerzen bei älteren Menschen gelegt. Dazu werden spezifische Untersuchungsinstrumente angewendet. wie z. B. das „Strukturierte Schmerzinterview für geriatrische Patienten“. Therapieziele sind neu zu definieren, und die Belastungsintensität muss an die physiologischen Gegebenheiten angepasst werden. Angesichts der häufig zu beobachtenden Polypharmazie und vieler Kontraindikationen bei häufig vorliegenden Komorbiditäten tritt die medikamentöse Schmerztherapie in den Hintergrund.

Es geht um psychische Stabilisierung, gesundheitsförderndes Verhalten, angemessene körperliche Aktivität, Desensibilisierung des hochgefahrenen nozizeptiven Systems und Optimierung der Schmerzverarbeitung, auch durch Verbesserung der internen Kontrollüberzeugung („Ich kann mir selbst helfen und habe Methoden für den Umgang mit Schmerzen erlernt“).

Das von den Autoren vorgestellte Konzept erfüllt diese Kriterien vollständig unter fortwährender Integration der geriatrischen Besonderheiten. Neben den klassischen verhaltens-, bewegungs- und ergotherapeutischen Bestandteilen empfehlen die Autoren auch sinnvolle Verfahren der Komplementärmedizin wie die MBSR, Qigong und klassische Naturheilverfahren.

Lediglich eine Ergänzung sei erlaubt angesichts der im Beitrag beschriebenen psychosozialen Besonderheiten. Einerseits sind die höhere Resilienz im Alter („Wohlbefindensparadox“) und eine geringere Rate psychischer Störungen beschrieben, andererseits erschweren Faktoren wie Angst, Depression, kognitive Störungen und soziale Isolation die Schmerztherapie. Darüber hinaus ist jedoch eine andere Beobachtung aus Sicht des Autors ebenfalls wichtig. Es ist der Begriff des „unhappy aging“. Es ist zu beobachten, dass ein relevanter Anteil der geriatrischen Schmerzpatienten unvorbereitet in den Alterungsprozess eintritt und unrealistische Erwartungen an körperliche Fitness, Schmerzfreiheit und Leistungsfähigkeit bis ins hohe Alter hat, sicherlich getriggert von gesellschaftlichen Einflüssen. Da fällt es umso schwerer, Einschränkungen zu akzeptieren und alltägliche altersbedingte Schmerzen zu verarbeiten. Diesbezüglich gibt die Anamnese wertvolle Hinweise. Eine den Patienten motivierende und dennoch realistische Therapiezieldefinition kann vor Enttäuschungen bewahren. Auf diesen Aspekt sollte im Rahmen der Therapiezieldefinition eingegangen werden.

In jedem Fall gilt jedoch: Gerade auch ältere PatientInnen mit Schmerzen brauchen eine sorgfältige somatische Diagnostik und Therapie als Voraussetzung für die multimodale Schmerztherapie. Einfache somatische Ursachen wie beispielsweise die osteoporotische Fraktur oder die Ischämie dürfen nicht übersehen werden und sind zu behandeln. In der geriatrischen Schmerztherapie geht es dann um die Verbesserung der Lebensqualität und der Funktionalität im Alltag. Im Mittelpunkt steht der gesamte Mensch mit Körper, Psyche, Geist und sozialem Umfeld. Es geht um Befinden und nicht um Befund.

Es ist den Kollegen aus Erlangen in diesem lesenswerten Beitrag gelungen, ein Konzept vorzulegen, welches alle diese Aspekte umfassend in die Diagnostik und Therapie chronischer Schmerzen bei älteren Menschen einbezieht.