Zusammenfassung
Die Parazervikalblockade (PZB) gehörte ab den 1950er-Jahren bis Ende der 1980er-Jahre wegen ihrer scheinbar einfachen Anwendbarkeit und vermeintlichen Gefahrlosigkeit zu den meist von Geburtshelfern selbst durchgeführten örtlichen schmerztherapeutischen Verfahren bei Geburten. Die Anästhesiemethode fand daher v. a. während der schmerzhaften Eröffnungsphase eine häufige Anwendung und erlangte zwischenzeitlich eine weltweite Popularität, um nach Bekanntwerden der damit v. a. für den Fetus verbundenen Gefahren zu Beginn der 1990er-Jahre heute als obsolet zu gelten.
Die Ursprünge der Leitungsanästhesie gehen auf den in Dresden lebenden Arzt Philipp Gellert zurück, der erstmals 1926 über seine Erfahrungen mit der Methode berichtete. Wie Jahrzehnte später meist praktiziert, kombinierte er die Leitungsanästhesie mit einer Pudendusanästhesie und der Gabe eines Uterustonikums. Da weitergehende biografische Informationen zu dem aufgrund seiner jüdischen Wurzeln 1942 ermordeten Gellert bislang nicht bekannt geworden sind, sollen die wechselvolle Geschichte des von ihm beschriebenen Anästhesieverfahrens kurz skizziert und seine Vita geschildert werden.
Abstract
From the 1950s to the end of the 1980s the implementation of the so-called paracervical block (PCB) belonged to the therapeutic measures for pain relief. Due to its apparent simplicity and lack of potential risks the method was performed by the obstetricians themselves. The method is especially suitable for the painful opening period during the birth process. The procedure attained worldwide popularity up to the date when potential associated risks, namely for the fetus, became evident and is nowadays regarded as obsolete. The origins of the regional anesthesia procedure can be traced to Philipp Gellert, a Jewish physician from Dresden, Germany, who in 1926 first reported on his experiences with the method. Comparable to the anesthetic procedure performed decades later, he combined the nerve block with pudendal anesthesia and the administration of a uterine tonic. As further biographical information about Gellert, who was murdered in 1942 due to his Jewish roots, has not yet become widely known, the eventful history of the anesthetic procedure he once described are sketched and his biography is outlined.
Notes
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Leutgeb S (2018) Österreichische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe – OEGGG. Mitteilung zur Anwendungspraxis des parazervikalen Blocks (Schreiben vom 25. Juni 2018 an den Autor).
Pfirschke R (2014) Mitarbeiter am Sächsisches Staatsarchiv Dresden. Persönliche Mitteilungen zu Philipp Gellert sowie aus der angelegten Straftakte gegen Philipp Gellert wegen angeblicher „Rassenschande“ zitieren zu dürfen. Korrespondenz von 2012–2020
Pfirschke R (2014) Mitarbeiter am Sächsisches Staatsarchiv Dresden. Persönliche Mitteilungen zu Philipp Gellert sowie aus der angelegten Straftakte gegen Philipp Gellert wegen angeblicher „Rassenschande“ zitieren zu dürfen. Korrespondenz von 2012–2020
Pfirschke R (2014) Mitarbeiter am Sächsisches Staatsarchiv Dresden. Persönliche Mitteilungen zu Philipp Gellert sowie aus der angelegten Straftakte gegen Philipp Gellert wegen angeblicher „Rassenschande“ zitieren zu dürfen. Korrespondenz von 2012–2020
Pfirschke R (2014) Mitarbeiter am Sächsisches Staatsarchiv Dresden. Persönliche Mitteilungen zu Philipp Gellert sowie aus der angelegten Straftakte gegen Philipp Gellert wegen angeblicher „Rassenschande“ zitieren zu dürfen. Korrespondenz von 2012–2020
Pfirschke R (2014) Mitarbeiter am Sächsisches Staatsarchiv Dresden. Persönliche Mitteilungen zu Philipp Gellert sowie aus der angelegten Straftakte gegen Philipp Gellert wegen angeblicher „Rassenschande“ zitieren zu dürfen. Korrespondenz von 2012–2020
Pfirschke R (2014) Mitarbeiter am Sächsisches Staatsarchiv Dresden. Persönliche Mitteilungen zu Philipp Gellert sowie aus der angelegten Straftakte gegen Philipp Gellert wegen angeblicher „Rassenschande“ zitieren zu dürfen. Korrespondenz von 2012–2020
Pfirschke R (2014) Mitarbeiter am Sächsisches Staatsarchiv Dresden. Persönliche Mitteilungen zu Philipp Gellert sowie aus der angelegten Straftakte gegen Philipp Gellert wegen angeblicher „Rassenschande“ zitieren zu dürfen. Korrespondenz von 2012–2020
Pfirschke R (2014) Mitarbeiter am Sächsisches Staatsarchiv Dresden. Persönliche Mitteilungen zu Philipp Gellert sowie aus der angelegten Straftakte gegen Philipp Gellert wegen angeblicher „Rassenschande“ zitieren zu dürfen. Korrespondenz von 2012–2020
Geißler B (2014) Mitarbeiterin des International Tracing Service, Bad Arolsen. Persönliche Mitteilung zu Dr. med. Philipp Gellert von Frau B. Geißler, Benutzerservice, Korrespondenz vom 30.01.2015
Knoll A (2014) Archiv KZ Gedenkstätte-Dachau. Persönliche Mitteilung zu Dr. med. Philipp Gellert von Herrn Albert Knoll, Archiv, Korrespondenz vom 09.01.2014
Geißler B (2014) Mitarbeiterin des International Tracing Service, Bad Arolsen. Persönliche Mitteilung zu Dr. med. Philipp Gellert von Frau B. Geißler, Benutzerservice, Korrespondenz vom 30.01.2015
Geißler B (2014) Mitarbeiterin des International Tracing Service, Bad Arolsen. Persönliche Mitteilung zu Dr. med. Philipp Gellert von Frau B. Geißler, Benutzerservice, Korrespondenz vom 30.01.2015
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Danksagung
Der Autor dankt den zahlreichen im Literaturverzeichnis erwähnten Mitarbeitern der kontaktierten Archive für ihre Hilfe bei den Recherchen, insbesondere aber Frau Dr. Andrea Lorz aus Leipzig. Großer Dank schuldet der Verfasser Philipp Gellerts in Israel lebenden Enkeln Rafi und Eytan Gidron, die trotz der furchtbaren Geschehnisse, die auch in vielerlei Hinsicht ihr eigenes Leben betrafen, bereit waren, die Fragen des Autors zu beantworten und zahlreiche Abbildungen bereitwillig zur Verfügung stellten. Dieser Dank gilt auch dem Direktor der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie Herrn Prof. Dr. C. Zöllner für die jahrelange Unterstützung bei der Realisierung des Vorhabens.
Für die kritische Durchsicht des Manuskriptes dankt der Verfasser Herrn Dr. med. C. Nemes, Überlingen, und Herrn W. Schwarz, Nürnberg.
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M. Goerig gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden vom Autor keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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Weitergehende biografische Informationen zum Schicksal von Philipp Gellert und seiner Familie findet der interessierte Leser in einer Buchpublikation von M. Goerig und R. Schwoch: Philipp Gellert – der vergessene Dresdener Pionier der geburtshilflichen Anästhesie. Die Publikation wird in der Reihe „Jüdische Miniaturen“ des Hentrich & Hentrich Verlages – Verlag für jüdische Kultur und Zeitgeschichte, Berlin, im Herbst 2023 erscheinen.
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Goerig, M. Die Parazervikalblockade: die Methode und ihr Wegbereiter. Anaesthesiologie 72, 737–745 (2023). https://doi.org/10.1007/s00101-023-01309-w
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Schlüsselwörter
- Geburtshilfliche Anästhesie
- Anfänge der Regionalanästhesie in der Geburtshilfe
- Regionalanästhesie in der Geburtshilfe
- Parazervikalblockade
- Pioniere der Geburtshilflichen Anästhesie