Liebe Leserinnen und Leser von URO-NEWS, ich möchte an dieser Stelle einfach mal aus meinem urologischen Tagebuch zitieren - zwar kondensiert, aber wirklich so passiert:

Montag: Zum Wochenanfang findet sich im E-Mail-Postfach ein Initiativ-Personalvermittlungsangebot in gebrochenem Deutsch: „Ambitionierter Arzt erwartet nach seinem Studium an der Universität von Ghana demnächst die deutsche Approbation und interessiert sich sehr für die Urologie. Deutschkenntnisse: B2-Niveau. Bei Vertragsabschluss werden zwei Bruttomonatsgehälter Vermittlungsprovision fällig“. Mein Gedanke: Könnte man mit solchen Mails kein Geld verdienen, gäbe es sie nicht.

Dienstag: Ich habe heute auf Bitte eines gynäkologischen Oberarztes aus dem insolventen Nachbarkrankenhaus dort das Beckenwandrezidiv eines primär radiochemotherapierten Zervixkarzinoms mit Ummauerung von Ureter und Beckengefäßen reseziert. Gelang ohne Psoas-Hitch-Ureterozystoneostomie und gefäßchirurgische Intervention, der Oberarzt beließ danach den Uterus in situ - kein Handlungsbedarf. Den Chefarzt der Abteilung traf ich zwar nicht intraoperativ, aber später in seiner Tumorkonferenz, wo er für eine 88-jährige Patientin mit panfilialisiertem und exulzerierendem Mammakarzinom (HER2-negativ, Ki67 36 %) die noch ausstehende BRCA-Analyse anmahnte, um die Refinanzierung der geplanten Olaparib-Gabe sicherzustellen. „Brave new world“, dachte ich auf dem Heimweg.

Mittwoch: Die Neubeschaffung eines wegen erhöhten Steinaufkommens beantragten zusätzlichen PNL-Sets (8.000 €) ist aufgrund fehlender Liquidität von der Geschäftsführung abgelehnt worden. Offenbar werden die Überschüsse aus den Rekordumsätzen meiner Fachklinik, der größten chirurgischen Vollabteilung unseres 300.000-Einwohner-Landkreises (+6 % gegenüber 2022, +22 % gegenüber 2019), an anderer Stelle zur Unterstützung dysfunktionaler Abteilungen oder Standorte der Holding benötigt. Wir sind halt ein katholisches Haus - der eine trage des anderen Last.

Donnerstag: Bei der Morgenvisite fand ich eine junge Frau vor, die sich am Sonntag in der inneren Notaufnahme des Mutterhauses mit rechtsseitigen Flankenschmerzen vorgestellt hatte und ohne Urinuntersuchung mit dem Verdacht auf Gallenkoliken zum Hausarzt geschickt wurde, der auch die von der Patientin selbst angeregte Sonografie übernehmen sollte. Dieser fand am Montag eine drittgradige Harnstauungsniere und riet zu forcierter Beobachtung und oraler Fosfomycin-Einmalgabe. Als die WG-Mitbewohnerin ihre Freundin am Mittwoch bewusstlos in der Duschkabine fand, weigerte sich die alarmierte Rettungsstelle zunächst, „wegen so einer Lappalie“ zu kommen. Erst nach telefonischer Intervention des Hausarztes brachte der KTW die fiebrige Patientin gestern Abend zu uns, wo stante pede bei fulminanter Urosepsis infolge eines mittleren Harnleitersteines eine DJ-Schiene gelegt wurde.

Freitag: Heute in Mainz ganztägiges urologisches Studentenseminar in gewohnter Konfiguration (zwölf Damen, vier Herren). Wie üblich im Rahmen der Begrüßungsrunde den Zehntsemestern die Frage nach der beruflichen Zukunftsperspektive gestellt (arbeitszeitorientierte konservative Medizin oder projektorientierte operative Medizin). Analog zum letzten Termin lautete die Antwort 16:0 für die Planungssicherheit. Mir wird mulmig.

Die Lawine hat sich gelöst und beginnt, alles mit sich zu reißen. In welche Richtung, ist bekannt. Ihnen trotzdem viel Vergnügen mit der vorliegenden Ausgabe zur Beckenbodenchirurgie - es steckt viel Herzblut darin!

Ihr

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Prof. Dr. med Christian Hampel,

Dreifaltigkeitshospital, Erwitte