Das Vertrauen des Patienten in seinen Arzt wird durch die Offenlegung seiner Gesundheitsakte gestärkt. Das zeigen Erfahrungen mit dem Programm Open Notes in den USA. Ist es auch hierzulande einsetzbar?

Ärzte, die ihren Patienten volle Transparenz über die Behandlung verschaffen, brauchen nicht zu befürchten, dass dies dem Verhältnis zum Patient schadet. Im Gegenteil: Beide Seiten können von dieser Offenheit profitieren. Man sollte Transparenz nicht nur als neues Schlagwort, sondern als therapeutisches Tool sehen, forderte Prof. Tobias Esch, Witten/Herdecke, bei einem Symposium zur Verabschiedung des Präsidenten der Ärztekammer Westfalen-Lippe, Dr. Theodor Windhorst, in Münster. "Es macht etwas mit dem Patienten, wenn er Transparenz und Einsicht hat", betonte er. Das zeige die Erfahrung mit dem von der Universität Harvard entwickelten Programm Open Notes, das Esch in der Uniambulanz für Integrative Gesundheitsversorgung und Naturheilkunde einsetzt.

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© Fancy / Image Source (Symbolbild mit Fotomodellen)

Gewähren Ärzte ihren Patienten Einblick in die Gesundheitsakte, kann das auch die Gesundheitskompetenz verbessern.

Positive Folgen für das Arzt-Patienten-Verhältnis

Open Notes gibt den Patienten über ihre individuelle Gesundheitsakte Zugriff auf alles, was der Arzt über sie und die Behandlung dokumentiert - und zwar "nicht in einer für den Patienten aufbereiteten Version, sondern im Original", erläuterte Esch. Das stärke das Vertrauen der Patienten - sie hätten ohnehin das Recht, all diese Dinge einzusehen. "Wir wollen sie es nicht erst einklagen lassen, sondern es ihnen geben", betonte er.

In den USA nutzten bereits 50 Millionen Patienten Open Notes, dort sei bereits eine Erweiterung des Programms geplant: So sollen die Patienten künftig auch selbst Dinge in die Akte eintragen können, etwa selbst gemessene Daten. In der Wittener Ambulanz können die Patienten vor dem Arztbesuch drei Fragen in die Akte schreiben. "Ich weiß im Vorfeld, was sie auf dem Herzen haben", berichtete Esch. Das reduziere die Gefahr, dass Arzt und Patient aneinander vorbeireden.

Untersuchungen zu den Effekten des Programms zeigen die positiven Folgen der Entwicklung: Das Arzt-Patienten-Verhältnis werde nachweislich gestärkt - selbst wenn der Patient Dinge erfährt, die ihm nicht zusagen. Auch das Vertrauen der Patienten in den Arzt verbessert sich Esch zufolge: "In den USA gibt es keinen Haftpflichtfall, der sich auf Open Notes bezieht."

Mitgestalter statt Bremser

Durch die Arbeit mit dem Programm erhöht sich nach den bisherigen Erfahrungen die Gesundheitskompetenz der Patienten und die Compliance. Auch das Fehlermanagement verbessere sich, so Esch: "Der Patient ist ein wesentlicher Fehlerkorrektor". Auch würden Patienten aktiver an der Therapie mitarbeiten. "Die Bindung der Patienten an ihre Versorgung ist nachweislich gestiegen."

Viele digitale Entwicklungen dürften das Arzt-Patienten-Verhältnis beeinflussen, erwartet Esch. Die entscheidende Frage sei für ihn, ob die Ärzte sich dabei als Bremser und Verhinderer positionieren. "Ich plädiere dafür, dass wir Ärzte Mitgestalter werden und uns gemeinsam mit dem Patienten engagieren und nicht nur zuschauen."

Auch der Gesundheitsökonom Prof. Wolfgang Greiner von der Universität Bielefeld hält es für notwendig, weitreichende Trends wie die Digitalisierung in der Medizin mitzugestalten. Wichtig sei, dass der Nutzen der Entwicklung deutlich wird. Es müsse gelingen, die Potenziale deutlich zu machen. "Sonst wird es schwierig sein, die Digitalisierung so umzusetzen, dass sie all ihre Kraft entfalten kann."

Die Digitalisierung gehört für Greiner zu den fünf großen Trends, die weltweit im Gesundheitswesen wirken. Die vier anderen sind: die Evidenzbasierung zur Priorisierung und Qualitätssicherung, Koordination und Integration, die Pauschalisierung bei der Finanzierung und Honorierung sowie das Austarieren zwischen Zentralisierung und Regionalisierung.