Deutschland war einmal das Land der Infektiologen; mit Emil von Behring (1901), Robert Koch (1905) und Paul Ehrlich (1908) gewannen 3 Deutsche im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts den Nobelpreis. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die Medizin in Deutschland stark organbezogen strukturiert, Querschnittsfächer rückten in den Hintergrund, insbesondere etablierte sich weder in der Lehre noch in der Ausbildung ein strukturiertes Curriculum für die Infektiologie; es blieb dem Zufall überlassen, inwieweit in den Organfächern infektiologische Inhalte vermittelt wurden. Spätestens in der Coronapandemie wurde dieses Defizit sichtbar. Auch durch die mediale Präsenz wurde deutlich, dass die Infektiologie eines der spannendsten Fächer der Gegenwart ist. Sie überzeugt durch ihre Interdisziplinarität und Vielfalt. In allen Bereichen, ob internistisch, chirurgisch, in der Pädiatrie oder der Neurologie – um nur einige der Disziplinen zu nennen –, stationär wie ambulant spielen Infektionen und deren Diagnostik und Therapie eine Rolle. Auch aus diesem Grund ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit der Fachdisziplinen (Kliniker, Mikrobiologen/Virologen, Apotheker) bei infektiologischen Fragestellungen sowie die kontinuierliche Fort- und Weiterbildung in allen Bereichen wichtig.

Antibiotikaresistenzen bleiben eine wachsende Gefahr. In der Vergangenheit wurden Antibiotika häufig unkritisch eingesetzt, was zu einer Deutschland- und auch weltweiten Zunahme der Verbräuche geführt hat. Die im Anfang des letzten Jahres in The Lancet veröffentlichte „Global Burden of Disease Study“ schätzte die Zahl der Menschen, die im Jahr 2019 gestorben sind, weil Antibiotika nicht mehr gewirkt haben, auf 1,27 Mio. Damit gehört der durch Antibiotikaresistenzen begünstigte Tod an Infektionskrankheiten weltweit zu den häufigsten Todesursachen. Wesentlich für eine steigende Resistenzentwicklung sind dabei vor allem der Antibiotikaverbrauch in der Tiermast, in der Humanmedizin der Verbrauch im ambulanten Bereich, der wesentlich größere Effekte hat als der Antibiotikaeinsatz im Krankenhaus.

Antibiotika wurden häufig unkritisch eingesetzt, was zu einer Zunahme der Verbräuche führte

Für Deutschland gibt es jedoch mit Blick auf den Antibiotikaverbrauch erste Erfolge. Wie Analysen des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) zeigen, gehen Verordnungszahlen von Antibiotika in den letzten beiden Jahrzehnten kontinuierlich zurück. Wurden im Jahr 2000 noch 48,9 Mio. Antibiotikaverordnungen in Deutschland ausgestellt, sank ihre Zahl 2019 auf 34,1 Mio. Während der COVID-19-Pandemie sind diese Zahlen sogar nochmals zurückgegangen.

Problematisch bleibt die Lage bei multiresistenten gramnegativen Erregern. Diese sind bei uns noch selten, aber in anderen Bereichen der Welt, unter anderem in Osteuropa, sieht das bereits anders aus. Eine aktuelle Untersuchung des Nationalen Referenzzentrums für gramnegative Erreger zeigt, dass Kriegsverletzte, die aus der Ukraine für die weitere Versorgung in Deutschland übernommen werden, häufig mit verschiedenen Carbapenemase-Bildnern kolonisiert oder infiziert sind. Mittlerweile stehen uns einige neue Antibiotika in der Therapie von multiresistenten gramnegativen Erregern zur Verfügung. Die Indikationsstellung muss hierbei streng gestellt werden. In diesem Zusammenhang sollten 2 Dinge unbedingt beachtet werden: es sollte nie eine Kolonisation, sondern nur eine Infektion behandelt werden und ein resistenter Erreger ist nicht automatisch auch virulenter als ein sensibler Erreger.

Letztere können zu schwersten Infektionen führen. So haben wir insbesondere im letzten Winter schwere Streptokokken-Infektionen mit S. pyogenes oder Pneumokokken gesehen, bei denen ein hochdosiertes Penicillin die Therapie der Wahl darstellt.

Dass auch Viren bei pulmonalen Infektionen eine wichtige Rolle spielen, zeigte sich bereits vor der COVID-19-Pandemie. In einer Kohorte von Patienten mit ambulant erworbener Pneumonie wurden bei 25 % Viren nachgewiesen, am häufigsten Influenza. Die Notwendigkeit einer Intensivtherapie war bei Patienten mit viralen Pneumonien signifikant höher. Weitere relevante virale Erreger stellen das Respiratory-Synzytial-Virus (RSV) und Rhinoviren dar, welches diesen Winter ebenfalls sehr häufig nachgewiesen wurde. Wirksame Impfungen (z. B. gegen RSV) und innovative antivirale Therapien könnten in Zukunft an Bedeutung gewinnen.

Der sinnvolle Einsatz von Antiinfektiva mit dem bestmöglichen Ausgang für den Patienten ist nur durch ein Zusammenspiel von Surveillance, Infektionsprävention, sachgerechtem Antibiotikaeinsatz, strukturiertem Qualitätsmanagement und einer Stärkung von Aus‑, Weiter- und Fortbildung des medizinischen Personals sowie Forschung und Entwicklung erreichbar. In diesem Themenheft möchten wir wichtige Felder des Antiinfektivaeinsatzes in der Notfall- und Intensivtherapie inklusive neuen Forschungsergebnissen darstellen.

Wir hoffen, dass wir Ihr Interesse an der Infektiologie wecken können und Ihnen Anregungen geben konnten, um die Versorgung unserer Patienten noch weiter zu verbessern.

Mit kollegialen Grüßen,

Jessica Rademacher und Tobias Welte