Abgesehen von spezifischen mit der malignen Grundkrankheit assoziierten Notfällen oder postoperativer Überwachung sind die Gründe für die Aufnahme von Patienten mit hämatologischer oder onkologischer Grunderkrankung akute, meist lebensbedrohliche Krisen. Im Vordergrund stehen respiratorische und infektiologische Probleme, seltener auch Blutungen oder neurologische Krisen. Die Besonderheiten dieses Patientengutes sind eine häufig nicht oder fraglich „heilbare“ Grunderkrankung, oft therapieassoziierte Komplikationen und eventuell vorliegende Immunsuppression. Daraus ergeben sich in einigen Punkten zum Management des „normalen“ Intensivpatienten divergente für den Intensivmediziner relevante Regeln zur Prognoseverbesserung.

Überlegungen zur Prognose

In den vergangenen Jahren wurde eine Vielzahl an Arbeiten publiziert, die Verlauf, prognostische Faktoren und Möglichkeiten der therapeutischen Intervention beschreiben und der oft an den Tag gelegten Zurückhaltung bezüglich einer intensivmedizinischen Betreuung von Patienten mit hämatologischer oder onkologischer Erkrankung viel an Boden entziehen. Dazu kommt, dass aufgrund der rasanten Entwicklung der antineoplastischen Therapien und der damit einhergehenden Verbesserung der Prognose der Druck auf die Intensivmedizin steigt, Patienten mit therapieassoziierten Komplikationen adäquat zu versorgen.

Die kurzfristige ICU-Prognose wird nicht von der Grunderkrankung bestimmt

Bereits im Jahr 2000 konnte unsere Arbeitsgruppe an einer Serie von 414 Patienten zeigen, dass die ICU(„intensive care unit“)-Mortalität mit 47% zwar schlechter war als bei nicht hämatoonkologischen Intensivpatienten, jedoch durchaus vergleichbar den Mortalitätszahlen anderer Subgruppen schwer kranker Patienten, z. B. solchen mit septischem Schock oder ARDS („acute respiratory distress syndrome“, [24]). Diese Ergebnisse konnten durch weitere Publikationen bestätigt werden [15, 22]. Die Überlebenskurven von kritisch kranken hämatoonkologischen Patienten verglichen mit Krebspatienten, die im Verlauf ihres Krankenhausaufenthaltes nie auf eine Intensivstation mussten, zeigt Abb. 1: Es ist sehr deutlich erkennbar, dass die Notwendigkeit eines Intensivstationsaufenthaltes die allgemeine Prognose beträchtlich vermindert. Die Differenz zwischen den Überlebenskurven tritt in den ersten Tagen und Wochen nach Aufnahme auf der Intensivstation auf, dann verlaufen die Kurven nahezu parallel. Das bedeutet, dass bei Überleben des akuten, kritischen Problems die Patienten in dieselbe Langzeitprognose wie vor der Aufnahme auf der Intensivstation quasi „zurückkehren“. In mehreren großen Serien konnte bestätigt werden, dass nicht die Grunderkrankung, sondern das akute Problem die kurzfristige Prognose auf der Intensivstation bestimmt [10, 14].

Abb. 1
figure 1

Survival-Kurven über 1 Jahr ab stationärer Aufnahme von 414 Intensivstationspatienten mit hämatologischer oder onkologischer Grunderkrankung (ICU) verglichen mit 2772 Krebspatienten ohne Aufenthalt auf einer Intensivstation (Non-ICU). (Adaptiert nach [24])

Eine individuelle Vorhersage, ob ein Patient die Intensivstation überleben wird, ist auch beim hämatoonkologischen Kollektiv nicht ausreichend möglich.

Spezifische, auf kritisch kranke Krebspatienten zugeschnittene Scores haben im Vergleich zu konventionelle Krankheitsschwerescores wie dem SAPS II oder dem APACHE II keine prädiktiven Vorteile [6, 20]. Welche Unsicherheiten in der Prognosabschätzung herrschen und welche Strategien dafür sinnvoll sind, werden zunehmend Thema der Literatur [12, 25] und werden in diesem Heft an anderer Stelle ausführlich besprochen. Die in den letzten Jahren gewonnenen Kenntnisse haben jedenfalls zu einer Abkehr von der restriktiven Intensivstationsaufnahmepolitik von Krebspatienten mit vorhandener potentiell lebensverlängernder onkologischer Therapieoption geführt.

Intensivmedizinische Maßnahmen können auch im palliativen Setting sinnvoll sein

Die große Gruppe der Patienten, bei denen dies im Falle einer akuten Krise (noch) nicht klar beurteilt werden kann, stellt allerdings ein Dilemma dar. Außerdem mag es im Einzelfall auch im palliativen Setting sinnvoll sein, zumindest beschränkte intensivmedizinische Maßnahmen zu setzten. Kommunikation zwischen Intensivmedizin und Onkologie bzw. Hämatologie und Wissen um die Optionen der jeweiligen Fachdisziplinen sind die Voraussetzung für adäquate Entscheidungen im Einzelfall.

Infektionen und Sepsis

Krebspatienten haben ein bis zu 10-fach erhöhtes Risiko für das Auftreten von septischen Komplikationen [26]. Obwohl Krebspatienten von der Teilnahme an den meisten großen Sepsisstudien der vergangenen Jahre ausgeschlossen waren, konnte gezeigt werden, dass die aus den Studien abgeleiteten Therapieempfehlungen bei Krebspatienten anwendbar sind und die sepsisassoziierte Mortalität auch in dieser Patientengruppe deutlich abgenommen hat und derjenigen von nichtonkologischen Patienten entspricht [13, 28]. Es konnte auch eine deutliche Prognoseverbesserung durch Anwendung protokollgestützter Sepsistherapie (nach den damals gültigen Leitlinien der Surviving Sepsis Campaign) im Vergleich zu einer historischen Kontrollgruppe gezeigt werden [18].

Nahezu jeder zweite Krebspatient mit Sepsis hat eine rezente Chemotherapie hinter sich und häufig eine Neutropenie. Beide Faktoren haben keinen Einfluss auf das Überleben [27]. Das Entfernen beziehungsweise Wechseln eines zentralen Venenkatheters, die erfolgreiche Identifizierung eines Erregers, sowie möglicherweise die Kombination eines Pseudomonas-wirksamen ß-Laktams mit einem Aminoglykosid, sind mit einem verbesserten Überleben assoziiert [11, 13]. Im Gegensatz dazu ist ein erhöhtes Ausmaß an Organdysfunktionen, die Notwendigkeit einer invasiven Beatmung, ein pulmonaler Infektionsfokus und eine Pilzinfektion mit schlechtem Überleben assoziiert [13, 18, 27]. Diagnostik und spezifische Therapie spezieller Infektion werden in einem eigenen Beitrag in diesem Heft besprochen.

Interessanterweise scheinen Krebspatienten, die mit Sepsis nach Chemotherapie auf die Intensivstation aufgenommen wurden, eine scheinbar bessere Prognose zu haben als hämatoonkologische Patienten, die ohne eine vorhergehende Chemotherapie wegen Sepsis auf die Intensivstation kamen [27]. Auf den ersten Blick könnte man also den Eindruck haben, dass Chemotherapie vor dem Tod an der Sepsis schützt. Wenn die Ergebnisse allerdings an die Krankheitsschwere angeglichen wurden, zeigte sich, dass das Überleben nicht mit dem Faktor „stattgehabte Chemotherapie“ korrelierte. Die wesentliche Botschaft ist demnach, dass die Komplikation „schwere Sepsis“ oder „septischer Schock“ nach Chemotherapie nicht mit einer Verschlechterung der Prognose trotz der häufig bestehenden Neutropenie vergesellschaftet ist. Anders gesagt stellt eine vorliegende Neutropenie nach Chemotherapie keinen Grund dar, eine Aufnahme auf die Intensivstation in Frage zu stellen. Dass Neutropenie per se keinen negativen Einfluss auf die Prognose hat konnte mehrfach gezeigt werden [3, 24]. Die Dauer der Neutropenie scheint allerdings einen Einfluss auf die Prognose zu haben, wobei sich diese mit zunehmender Dauer erwarteter Weise verschlechtert [4]. Der Einsatz von G-CSF nicht als Prophylaxe, sondern als Therapie der febrilen Neutropenie ist bei kritisch kranken Patienten zwar nicht unüblich, allerdings auch nicht evidenzbasiert [3].

Respiratorisches Versagen

Das akute respiratorische Versagen ist der mit Abstand häufigste Aufnahmegrund von Krebspatienten auf eine Intensivstation und zugleich der wichtigste Risikofaktor für schwere Verläufe und erhöhte Mortalität, vor allem dann, wenn eine invasive Beatmung notwendig wird. Auch aufgrund der teils spezifischen diagnostischen und therapeutischen Besonderheiten ist das Lungenversagen somit das zentrale Organversagen in dieser Patientengruppe. Die Ursachen einer akuten Dyspnoe können grob einerseits in pulmonale und extrapulmonale, andererseits in tumorassoziierte und therapieassoziierte unterteilt werden. Eine Übersicht der häufigsten Ursachen, aufgegliedert nach diesen Aspekten, zeigt Tab. 1.

Tab. 1 Ursachen der Atemnot beim onkologischen Patienten

Pneumonie, Sepsis, ARDS

Tumorpatienten sind per se einem erhöhten Risiko für schwerwiegende infektiöse Komplikationen ausgesetzt. Besonders aggraviert wird das Risiko jedoch im Rahmen der chemotherapieassoziierten Neutropenie. Neben klassischen bakteriellen Erregern finden sich bei diesen Patienten auch opportunistische Infektionen,u. a. Pneumocycstis carinii, Cytomegalievirus, Mycobakterien, Pseudomonaden und Pilze. Jede empirische antibiotische Therapie muss diesem erweiterten Spektrum Rechnung tragen, insbesondere, da die rasche und adäquate Therapie stark mit der der Mortalität korreliert.

Diagnostik bei akutem hypoxischen respiratorischen Versagen

Nach Ausschluss der oben angeführten tumorspezifischen Ursachen einer akuten Atemnot fokussiert sich die Diagnostik in der Regel auf pulmonale Ursachen und hier wiederum auf die Infektionsdiagnostik. Insbesondere bei hämatologischen Patienten kündigen „respiratory events“ bereits früh, vor dem Auftreten einer Oxygenierungsstörung die drohende Beeinträchtigung des respiratorischen Systems an: Infiltrate in der Röntgenaufnahme der Lunge, erhöhte Atemfrequenz, Husten, Sputum, Rasselgeräusche, Thoraxschmerzen und Hämoptysen sind mit erhöhten Intubationsraten und Mortalität assoziiert [2]. Bei schwer neutropenischen Patienten kann die Röntgenaufnahme des Thorax irreführend sein, da diese Patienten nur sehr eingeschränkt Infiltrate bilden können.

Ein akutes respiratorisches Versagen mit unbekannter Ätiologie ist bei Krebspatienten mit schlechter Prognose assoziiert.

Die somit notwendige Abklärung der mannigfaltigen, häufig infektiösen und teilweise sehr spezifischen Ursachen erfordert die Abarbeitung eines aufwendigen evidenzbasierten Diagnosealgorithmus (Tab. 2). Neben nichtinvasiven Tests sollte auch eine bronchoalveoläre Lavage durchgeführt werden, die in knapp 20% der Fälle zusätzliche diagnostische Informationen erbringt [1].

Tab. 2 Diagnosealgorithmus beim akuten respiratorischem Versagen hämatoonkologischer Patienten

Respiratorische Unterstützung und Beatmung

Noch in den 1980er-Jahren lag die Mortalität invasiv beatmeter Krebspatienten mit akutem respiratorischen Versagen bei bis zu 90%. Heute bewegt sie sich auch in Patientenkollektiven mit hohen Anteilen an Mehrorganversagen und Sepsis trotz durch Scores höher prognostizierter Mortalität zwischen 40 und 60% [12, 22]. Diese Erfolge sind wahrscheinlich auf verbesserte Patientenselektion, allgemeine Fortschritte in Beatmungs- und Supportivtherapie, Weiterentwicklung der Diagnostik sowie auf neue antimikrobielle Substanzen zurückzuführen. In diesem Zusammenhang sei auf die Sonderstellung knochenmark- bzw. stammzelltransplantierter Patienten in der Peritransplantphase (d. h. innerhalb von etwa 100 Tagen nach Transplantation) verwiesen. Noch 1996 wurde von Rubenfeld u. Crawford [19] in einer großen Patientenserie kritisch kranker knochenmarktransplantierter Patienten mit respiratorischem Versagen eine Mortalitätsrate von fast 98% (!) publiziert, die bei Vorhandensein eines zweiten Organversagens auf 100% stieg. Seither konnten auch bei diesem Krankengut erhebliche Fortschritte verzeichnet werden: Das beatmungspflichtige respiratorische Versagen in der Peritransplantperiode ist dennoch immer noch mit einer Mortalität um 80% assoziiert, zusätzliche Organversagen erhöhen die Sterblichkeit beträchtlich [8, 17, 23].

Ein besonderer Stellenwert kommt deshalb bei diesem Patientengut, aber auch bei nicht transplantierten hämatologischen oder onkologischen Patienten, der nichtinvasiven Beatmung (NIV) zu. Hilbert et al. [7] publizierten eine Reduktion der Intubationsrate und eine Verbesserung des Überlebens durch frühzeitigen Einsatz nichtinvasiver Beatmung bei beginnender respiratorischer Insuffizienz. Einer der Gründe dürfte die Erhaltung der Spontanatmung und der damit verbundene verbesserte Gasaustausch, sowie der Erhalt von respiratorischer Muskelmasse, vor allem aber auch die Vermeidung der ventilatorassoziierten Pneumonie (VAP) sein. Große, retrospektiv erhobene Daten hämatoonkologischer Patienten mit respiratorischer Insuffizienz zeigen einen deutlichen Überlebensvorteil durch den Einsatz nichtinvasiver Beatmung [5, 16]. Einschränkend ist jedoch zu bemerken, dass hierbei sicher ein Selektionsbias vorliegt (d. h. je schwerer das respiratorische Problem ist und je mehr Komorbiditäten vorliegen, desto höher ist die primäre Intubationsrate oder die Rate an NIV-Versagen sowie natürlich die Mortalität). Ferner wurden moderne Beatmungsstrategien (erhaltene Spontanatmung, Einsatz von VAP-Bundles, protektive Beatmungsstrategien) im Vergleich zur NIV noch nicht ausreichend evaluiert. Andererseits gelingt es durch frühzeitigen Einsatz von NIV, diejenigen Patienten zu identifizieren, die nicht intubiert und maschinell beatmet werde müssen. Dadurch können die mit der Beatmung verbundenen Komplikationen vermieden werden. Problematisch sind die hohen Mortalitätsraten einer sekundären, d. h. nach dem Versagen und dem Abbruch einer NIV erfolgten Intubation, die in manchen Studien sogar höher als bei primär intubierten Patienten liegen [16]. Manche Autoren propagieren deshalb einen zurückhaltenden Umgang mit nichtinvasiver Beatmung beim Krebspatienten [21].

Unbestritten ist jedoch die deutlich bessere Prognose eines mittels NIV erfolgreich über eine respiratorische Krise geführten Patienten.

Pragmatisch empfiehlt sich deshalb folgendes Vorgehen:

  • Frühzeitiger Beginn mit NIV (z. B. bei Sauerstoffpflichtigkeit, zunehmender Dyspnoe, Veränderungen im Lungenröntgen)

  • Beachtung der Indikation bzw. evtl. bestehender Kontraindikationen für NIV (Tab. 3)

  • Genaue Beobachtung und Beachtung der Abbruchkriterien innerhalb der ersten Stunde bis 4 h nach NIV-Beginn bzw. Identifikation eines NIV-Spätversagens (Tab. 4)

Tab. 3 Indikationen und Kontraindikationen für nichtinvasive Beatmung
Tab. 4 Nichtinvasive Beatmung: Abbruchkriterien (Intubationskriterien)

Ist eine invasive, maschinelle Beatmung nötig, sind natürlich auch bei diesem speziellen Patientenkollektiv die Richtlinien einer schonenden (protektiven) Beatmungsstrategie zu beachten. Erhaltene Spontanatmung, die Etablierung eines Sedierungsprotokolls sowie von Prophylaxemaßnahmen zur Vermeidung einer ventilatorassoziierten Pneumonie (VAP-Bundle) könnten insbesondere bei immunsupprimierten Patienten zu einer Prognoseverbesserung beitragen. Spezialisierte Zentren berichten auch über den erfolgreichen Einsatz von extrakorporalen Gasaustauschverfahren bei ausgewählten hämatoonkologischen Patienten, teilweise unter Vermeidung von Intubation.

In einer 2012 publizierten Arbeit [9] wurde über erfolgreiche Intubationsvermeidung bei NIV-Versagen durch extrakorporale CO2-Elimination berichtet. Ob dies bei ausgewählten hämatoonkologischen Patienten, z. B. stammzelltransplantierten Patienten, erfolgversprechend sein könnte, bedarf zukünftiger Untersuchungen.

Fazit für die Praxis

  • Die Prognose kritisch kranker hämatologischer und onkologischer Patienten hat sich in den letzten Jahren als Folge zunehmenden Wissens um ihre Besonderheiten und optimierter supportiver Therapie deutlich verbessert.

  • Eine generelle Zurückhaltung in der Aufnahmepolitik gegenüber akut kranken Krebspatienten ist dementsprechend keinesfalls gerechtfertigt.

  • Häufig liegen infektiöse Komplikationen und/oder eine respiratorische Insuffizienz vor.

  • Umfangreiche infektiologische Diagnostik, kausale und supportive Therapie entsprechend der geltenden Leitlinien kann die Prognose einer Sepsis auch bei hämatoonkologischen Patienten verbessern.

  • Die respiratorische Insuffizienz ist als das zentrale Organversagen zu betrachten und geht mit einer deutlichen Prognoseverschlechterung einher.

  • Neben spezifischen, mit der malignen Grundkrankheit einhergehenden Ursachen, sind es in erster Linie infektiöse Komplikationen, die zu einem Versagen der respiratorischen Funktion führen.

  • Umfassende Diagnostik, frühzeitige nichtinvasive Beatmung und die Beachtung des Ansprechens auf diese Therapiemaßnahme können helfen, die Prognose zu verbessern.