Kasuistik
Anamnese:
Eine 55-jährige Patientin wird wegen Adynamie, rezidivierenden Erbrechens und Gewichtsabnahme stationär vorgestellt. In den letzten Jahren waren bereits mehrere Krankenhausaufenthalte wegen ähnlicher Episoden notwendig geworden. Dabei war allerdings nie eine Ursache für die Beschwerden gefunden worden. Die Patientin konnte bislang jeweils nach Infusion von physiologischer Kochsalzlösung oder Ringer-Lösung wegen Hyponatriämie bei Aufnahme immer wieder deutlich gebessert in die ambulante Nachbehandlung entlassen werden.
Medikamentös werden wegen einer ebenfalls mehrmals festgestellten sehr leichten TSH-Erhöhung (thyreoidastimulierendes Hormon) bei peripherer Euthyreose und sonomorphologisch unauffälliger Schilddrüse ohne Nachweis von Schilddrüsenantikörpern 50 μg Levothyroxin pro Tag eingenommen. Bei der gezielten Anamnese berichtet die Patientin, dass nach der komplizierten Entbindung ihres letzten Kindes im 35. Lebensjahr die Menstruation nicht wieder aufgetreten sei.
Untersuchung:
Bei der körperlichen Untersuchung ist die Patientin blass und in einem reduzierten Allgemein- und Ernährungszustand. Gewicht 50 kg, Größe 164 cm. Blutdruck 100/65 mmHg, Herzfrequenz 74/min. Axillar- und Schambehaarung fehlend.
Laborchemisch zeigt sich eine Eosinophilie von 6%. Natrium im Serum 123 mmol/l, Kreatinin und Harnsäure im Serum leicht erniedrigt. TSH unter 50 μg Levothyroxin 3 mU/l.
Die erweiterte endokrinologische Diagnostik zeigt ein diskret erhöhtes Prolaktin im Serum, normale freie Schilddrüsenhormonwerte, ein morgens im unteren Normbereich liegendes Serumcortisol, ein erniedrigtes freies Cortisol im 24-h-Urin, einen hypogonadotropen Hypogonadismus sowie einen deutlich erniedrigten IGF-1 („insulin-like growth factor 1“ [Somatomedin C]). Ein Insulin-Hypoglykämie-Test ergibt die Diagnose einer partiellen sekundären Nebenniereninsuffizienz sowie eines Wachstumshormon-(GH-) Mangels.
Bildgebend zeigt sich im MRT der Hypophyse eine „empty sella“ mit einer nur sehr flach am Sellaboden nachweisbaren sichelförmigen Hypophyse.
Therapie und Verlauf:
Unter der Diagnose einer partiellen Hypophysenvorderlappeninsuffizienz bei postpartaler Hypophysennekrose, wie von Simmonds und Sheehan beschrieben, wird eine Therapie mit 10 mg Hydrocortison morgens eingeleitet, die zu einer sofortigen und dauerhaften Verbesserung des klinischen Zustands der Patientin führt. Eine GH-Therapie ist bei Beschwerdefreiheit nicht erforderlich. Nach Substitution tritt keine Hyponatriämie mehr auf, auch die leichte Erhöhung von TSH ist im Verlauf – auch nach Absetzen von Thyroxin – nicht mehr nachweisbar.
Schlussfolgerung:
Rezidivierende klinisch relevante Hyponatriämien können Folge einer Hypophyseninsuffizienz sein. Das Fehlen des tonisch inhibierenden Einflusses von Cortisol kann zu einer ADH- (und manchmal auch TSH-)Erhöhung führen (SIADH [Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion]). Anamnestisch weist eine sekundäre Amenorrhö nach Schwangerschaft und komplizierter Geburt mit schwerer Blutung oder septischem Schock auf eine postpartale Hypophysennekrose als Ursache der Hypophyseninsuffizienz hin.
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*Anerkannte Endokrinologische Einrichtung DGE.
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Hensen, J. Hypophyseninsuffizienz im Erwachsenenalter: Diagnostik und Therapie. Med Klin 104, 225–234 (2009). https://doi.org/10.1007/s00063-009-1036-4
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