Studiendaten aus Utrecht stellen das Dogma infrage, nach dem Patienten mindestens zwei Stunden vor einem elektiven Eingriff nichts mehr trinken dürfen. Nach Liberalisierung der Trinkvorschriften litten die Teilnehmenden weniger unter Durst und postoperativer Übelkeit - zum Preis eines leicht erhöhten, aber nach Ansicht der Forschenden akzeptablen Regurgitationsrisikos [Marsma M et al. JAMA Surg. 2023;158 (3):254-63]. Bei der stark liberalisierten Trinkstrategie darf theoretisch bis zur Ankunft im Operationssaal getrunken werden, zumindest klare Flüssigkeiten (höchstens ein Glas pro Stunde).

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Die neue Regelung wurde am Universitätsklinikum Utrecht zwischen Juni 2019 und September 2020 schrittweise implementiert. Von insgesamt 76.451 ausgewerteten chirurgischen Patientinnen und Patienten (median 56 Jahre) hatten 59.036 das herkömmliche Trinkregime befolgt, die übrigen hatte man über die tolerantere Fastenpolitik aufgeklärt. In der liberaleren Gruppe hatten 71 % ein oder mehrere Gläser getrunken, bevor die Anästhesie eingeleitet wurde, dies hatte sich in der Standardgruppe nur die Hälfte getraut. Im Mittel war die präoperative Nüchternphase für klare Flüssigkeiten (primärer Endpunkt) nach Implementierung der neuen Strategie von gut drei Stunden auf 1,20 Stunden gesunken. Am größten war der Effekt bei ambulant Operierten, hier betrug die mediane Nüchterndauer 44 Minuten.

Um die Sicherheit der Maßnahme zu beurteilen, wurden Aspirationen und Regurgitationen betrachtet. Bei insgesamt 146 Personen war es zu einer Regurgitation als Folge des präoperativen Trinkens gekommen, was einer Rate von 0,2 % entspricht. Die Inzidenz in der Gruppe mit liberaler Beratung lag bei 24 pro 10.000, in der Gruppe mit Standardberatung bei 18 pro 10.000. Weniger als 10 % der Fälle (aus beiden Gruppen) hatten aspiriert, die Inzidenzen lagen bei 2,4 bzw. 1,7 pro 10.000 Teilnehmenden. Von den insgesamt fünf Personen mit gesicherter Aspirationspneumonie hatten drei das Standard- und zwei das gelockerte Regime befolgt.

In der liberaleren Gruppe hatten deutlich weniger Teilnehmende über ein präoperatives Durstgefühl geklagt (37 vs. 46 %). Postoperative Übelkeit und Erbrechen waren im Vergleich zur Standardgruppe signifikant seltener (9,4 vs. 10,6 %). Außerdem wurden deutlich weniger Antiemetika benötigt (9,5 vs. 11,0 %), wobei dieser Unterschied vor allem auf Patienten mit kleineren Eingriffen zurückzuführen war.