_ Im Vortrag von Dr. Astrid Marek, Bochum ging es nicht etwa um ein beliebtes Kinderspiel, sondern darum, auditorische Phänomene voneinander abzugrenzen. Denn: Ohrgeräusche werden häufig falsch gedeutet und längst nicht jede auditive Phantomwahrnehmung ist auch ein Tinnitus. Teilweise haben Menschen, die Töne oder Geräusche wahrnehmen, Angst, unter Halluzinationen zu leiden oder gar verrückt zu werden, schilderte Marek.

Auditive Phänomene ohne adäquaten Sinnesreiz können sich z.B. als Rauschen in den Ohren oder im Kopf bzw. als drohende Ohnmacht äußern. Diese kurzfristige Fehlfunktion sei mit dem „Sternchensehen“ im visuellen System vergleichbar, veranschaulichte die Referentin.

Darüber hinaus existieren auch auditive Phänomene mit Sinnesreiz, bei der die Höreindrücke haften bleiben, so z.B. Palinakusis („Ohrwurm“), Synästhesie (Vermengung der Sinne, z.B. Töne farbig sehen), eidetische Phänomene (detailgetreue Hörerinnerung) sowie Pareidolien (z.B. Worte im Rauschen wahrnehmen). Zudem können (Pseudo)-Halluzinationen ohne akustischen Sinnesreiz auftreten, dabei wird der irrationale Charakter der Sinnesempfindung vom Betroffenen nach dem Motto „das kann doch nicht wahr sein“ erkannt. Marek nannte als Beispiele die auditive Aura (z.B. bei Migräne, Epilepsie oder hirnorganischen Veränderungen), das Musical-Ear-Syndrom (bei dem der Betroffene ständig Musik hört) sowie das akustische Charles-Bonett-Syndrom.

Eine weitere Form sei die akustische Halluzination, die als „leibhaftig und echt“ erlebt werde, wie z.B. infolge von Überhitzung, Sauerstoffmangel, Hunger, Isolation, Drogenkonsum, hypnagogenen Zuständen (Trance, Rhythmizität) oder Psychosen.

Bei Tinnitus und „Ohrwurm“ gebe es gemeinsame klinische Merkmale und gleiche Strategien zur Umlenkung, aber auch Unterschiede, die differenzialdiagnostisch hilfreich seien. So sei der Affekt beim „Ohrwurm“ positiv bis neutral, bei Tinnitus neutral bis negativ. Die Häufigkeit des Auftretens des „Ohrwurms“ nehme mit dem Alter eher ab. Während der Patient mit „Ohrwurm“ meist vokale und motorische Reaktionen auf das Phänomen zeige — z.B. Summen, Mitsingen, Klopfen mit Fingern, Wippen der Füße — zeige der Tinnitus-Patient keine audiomotorische Reaktion.

Sowohl bei Vorliegen eines Tinnitus als auch bei Psychosen können ungerichtete Geräusche ohne erkennbare Inhalte, sog. Akoasmen (als Pfeiffen, Klopfen, Brummen) wahrgenommen werden. Hier riet Marek dazu, die Audiometrie auszuschöpfen und den Hörverlust der Patienten zu bewerten. „Gesteigerte Geräuschempfindlichkeit tritt auch häufig bei psychotischem Erleben auf — hier gilt es, eine audiometrische Testung der Unbehaglichkeitsschwelle durchzuführen. Diese werden sie bei einer Psychose nicht finden“, sagte Marek und resümierte: „Tinnitus präsentiert sich phänomenologisch vergleichbar den einzelnen Gruppen positiver spontaner auditiver Phänomene: splitterhaft-texturlos, repetitiv-statisch, oszillierend-szenisch bis hin zum komplexen Rauschen. Er kann mit allen Gruppen im Kontinuum der positiven spontanen auditiven Phänomene assoziiert sein.“