Wer kennt nicht die Geschichte von Moby Dick? Herman Melvilles Roman erzählt von dem harten Leben der Walfänger und dem riesigen weißen Wal, der letztendlich den einbeinigen Kapitän Ahab für immer mit sich in die Tiefen des Ozeans zieht. Aber wie kommt Moby Dick in die Apotheke? Und was haben eigentlich Verdauungsbeschwerden mit dem teuersten Parfum der Welt zu tun?

Die Walfänger-Crew von Kapitän Ahab arbeitete in einem der wichtigsten Industriezweige des 19. Jahrhunderts in den USA. Vor Entdeckung des Erdöls 1859 und der Elektrizität wurden vor allem Lampen mit Tran aus der Fettschicht der Wale betrieben - was sich in unserem Sprachgebrauch bis heute im Begriff "Tranfunzel" wiederfindet. Der Tran wurde aus der isolierenden Fettschicht der Wale, dem sogenannten Blubber, durch Erhitzen und Pressen gewonnen. Synonyme Begriffe sind Polaröl oder Fischöl. Heute ist Fischöl wegen seines hohen Gehalts an Omega-3-Fettsäuren ein Bestseller unter den Nahrungsergänzungsmitteln und wird auch bei der Herstellung von Tierfutter verwendet.

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© Grafik: Eva Künzel

Grauer und Weißer Amber

Aber noch wertvoller als Tran war eine wachsartige Substanz aus dem Kopf des Pottwals. Bis heute umgibt den Walrat, der auch Spermaceti, Weißer Amber oder Cetaceum genannt wird, ein Geheimnis. Produziert wird die Substanz in der "Melone", einem speziellen Organ im Kopf des Pottwales. Da sie optisch dem Sperma ähnelt, vermutete man zunächst, dass es sich um Wal-Sperma handelte, daher stammt der Begriff "Spermaceti". Noch immer ist die Funktion von Melone und Spermaceti wissenschaftlich nicht vollständig geklärt, aber es befinden sich ca. 3.000 l Spermaceti im Kopf eines Pottwals. Früher war Walrat in Pulverform in Apotheken erhältlich und wurde gegen Husten und Lungenerkrankungen angewendet. Es war außerdem Bestandteil vieler Salben und Cremes, insbesondere von Pflege- und Regenerationssalben. Erst seit 1978 ist Walrat aus dem Deutschen Arzneibuch gestrichen.

Wo es einen Weißen Amber gibt, ist auch der Graue Amber nicht weit. Grauer Amber - meist unter dem Namen Ambra oder Ambergris bekannt - ist ebenfalls ein Pottwal-Produkt und bis heute geheimnisumwoben. Ambra gilt als der teuerste tierische Duftstoff der Welt, mit einem Marktpreis von bis zu 50.000 Euro pro Kilogramm. Es stammt allerdings nicht aus der Melone im Kopf des Wals, sondern ist ein Verdauungsprodukt. Wissenschaftler streiten derzeit noch, um was es sich genau handelt. Man vermutet, dass die Wale durch unverdauliche Nahrungsbestandteile, vor allem aus Tintenfischen, schwere Verdauungsstörungen mit Blähungen und Klumpenbildung entwickeln. Diese Klumpen werden erbrochen oder als Kotsteine ausgeschieden. Die stinkende Masse treibt zunächst im Meer und entwickelt erst im Laufe der Zeit unter dem Einfluss von Luft, Sonne und Salzwasser die heißbegehrte holzig-trockene bis tabakartige Duftnote. Herman Melvilles trocken-sarkastische Worte zu Ambra waren: "Wer würde wohl vermuten, dass die feinsten Damen und Herren sich an einem Wohlgeruch ergötzen, den man aus den ruhmlosen Gedärmen eines kranken Pottwals holt!"

Ambra wird seit dem Mittelalter aber auch als Medizin verwendet, vor allem als Aphrodisiakum, bei depressiven Stimmungslagen, Burnout, Schwindelanfällen und Herzerkrankungen. Heute kommt Ambra nur noch in homöopathischen Mitteln zum Einsatz und kann auch synthetisch produziert werden.

Kinderschreck Lebertran

Ein ebenso markant riechendes wie polarisierendes Produkt ist der Lebertran. Die gelbe, dickflüssige Substanz stammt jedoch nicht von Walen, sondern wird aus Dorschleber gewonnen. Lebertran war über Jahrhunderte das bevorzugte Stärkungsmittel für Kinder von besorgten Eltern. Häufigste Nebenwirkung der Einnahme war sofortiges Erbrechen. Daher und wegen seines ranzigen Geschmacks war er aber mindestens ebenso lange auch als "Kinderschreck" in Verruf. Lebertran hat einen extrem hohen Gehalt an Vitamin A und D. Dadurch kann er Nachtblindheit, Infektanfälligkeit und Rachitis vorbeugen. Ob er auch antidepressiv wirkt, ist noch nicht ganz geklärt: Eine aktuelle norwegische Studie hat gezeigt, dass bei Menschen, die regelmäßig Lebertran zu sich nehmen, Depressionen deutlich seltener sind. Nun rätseln die Wissenschaftler, ob eine regelmäßige Lebertraneinnahme Depressionen lindern und vorbeugen kann oder, ob man im Vorfeld schon über eine sehr positive Gemütslage verfügen muss, um freiwillig Lebertran einzunehmen …

Dr. Andrea Jessen