Pflege im ethischen Spannungsfeld Nach einem knappen Jahr Corona-Pandemie ist festzustellen: Meist weiß man es hinterher besser, was gut gewesen wäre, nicht aber, welcher nächste Schritt eindeutig und nachvollziehbar umsetzbar ist. Jüngste Beispiele sind die Testverordnung des Bundes ebenso wie die Impfverordnung. Viele Fragen stellen sich - auch in ethischer Hinsicht.

Schauen wir uns zunächst die Testungen an: Das Pflegepersonal in ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen ist in Berlin mindestens alle zwei Tage mittels eines Point-of-Care (PoC)-Antigen-Tests während des Zeitraumes zu testen, in dem die Pflegekraft zum Dienst eingeteilt ist. So sieht es zumindest die Verordnung vor. In ambulanten Pflegediensten ist das kaum möglich.

Was bei der Einführung von Schnelltests als ärztliche Leistung gesehen wurde, wurde nach Protesten auf Pflegefachpersonen erweitert. Später ging man noch einen Schritt weiter. Angesichts der Personalknappheit und Überlastung des Pflegepersonals können diese Tests nun auch geschulte Pflegehilfskräfte vornehmen. In der Öffentlichkeit wird bereits von der Möglichkeit der Selbsttestung im privaten Bereich gesprochen. Einen solchen einfachen Test gibt es aktuell nicht. Denn bislang kann nicht garantiert werden, dass die Testung durch Laien richtig angewandt wird. Denn es geht dabei auch um Haftungsfragen. Wer steht gerade, wenn ein Negativ tatsächlich Positiv oder ein Positiv ein Negativ ist? Wer bescheinigt wem, dass alles mit rechten Dingen zugegangen ist? Der Vergleich mit der Corona-Warn-App zeigt: Eine tolle Idee, gut gemeint, technisch auch ganz gut umgesetzt, das einzige Problem ist, dass jeder, der positiv getestet ist, sich auch in dieser App positiv melden muss. Hier liegt die Schwachstelle.

Und die Kosten? In der Testverordnung des Bundesgesundheitsministeriums war das ärztliche Honorar für die Einzeltestung ursprünglich mit 15 Euro hinterlegt, die Schulung zur Anwendung der Testung mit 80 Euro. Es ging um eine vorbehaltene Tätigkeit. Erst nach Interventionen aus der Pflege wurde die Profession der Pflegenden zur "Umsetzung" von Testungen zugelassen. Die Vergütung (die anfangs gar keine Finanzierung der Personalkosten für ambulante Pflegedienste vorsah) wurde von 7 Euro auf jetzt 9 Euro pro durchgeführtem Test festgelegt.

Soll es eine Impfpflicht geben?

Wie gehen wir mit Mitarbeitern und Patienten um, die sich nicht testen lassen wollen oder die sich schon gar nicht impfen lassen wollen? Was wiegt in der Bewertung schwerer: die individuellen Persönlichkeitsrechte oder der gesamtgesellschaftliche Gesundheitsschutz von Menschen, die Versorgungssicherheit und die Sicherheit für das Pflegepersonal? Auf diese Frage gibt es wenige Antworten, außer von einigen Juristen, die durchaus Chancen zu sehen glauben, gerade bei Mitarbeitern in der Pflege Tests und Impfungen verbindlich per Anordnung durchsetzen zu lassen.

Je mehr Pflegepersonen, Patienten und Bewohner geimpft sind, umso größer wird die Erleichterung in vielen Einrichtungen sein. Weil das Infektionsrisiko und damit auch das Anordnen von Quarantäne gerade für die Versorgung kranker und alter Menschen irgendwann ausgeschlossen werden könnte. Allerdings wird es Mitarbeiter frustrieren, dass nur mit Druck und Strafe, wie die der Einschränkung von Persönlichkeitsrechten, gehandelt wird. Was ist mit den Menschen, die wirklich Bedenken haben, mit denen, die noch nicht soweit sind, also noch keinen Zugang zur Impfung gefunden haben?

Solange es nicht die eigene Berufsgruppe betrifft, sind Menschen bei der Frage der Impfung in ihrem Urteil schnell und häufig auch unkonkret. Doch die Auswirkung, das ethische Dilemma, die Abwägung mit der bereits skizzierten persönlichen Freiheit, der Versorgungssicherheit und dem Gesundheitsschutz nehmen eine zentrale Rolle in der Diskussion um dieses Thema ein.

Ethisch fundierte Antworten notwendig

Wir brauchen politische sowie ethische klar ausdiskutierte Antworten. Die Einrichtungen in der Pflege können nicht im Regen stehen gelassen werden. Denn zur Impffrage gehört auch, ob die Mitarbeiter, die nicht geimpft sind, weiter in der Versorgung eingesetzt werden dürfen? Gleiches gilt für die Mitarbeiter, die sich nicht testen lassen wollen. Zu beantworten ist diese Frage unter Abwägung sowohl der Patientensicherheit als auch der der Aufrechterhaltung der Versorgung. Was ist, wenn etwas passiert, wenn Infektionen um sich greifen, da das Virus in die Einrichtung eingetragen wurde? Wenn andere Mitmenschen, die Patienten, die Bewohner gefährdet werden. Dies alles bedingt durch das eigene stark erhöhte Infektionsrisiko - da nicht geimpft, nicht getestet. Kann an dieser Stelle weggesehen werden, wenn Menschen deswegen versterben oder schwerwiegende Langzeitfolgen mit sich tragen? Wenn andere Mitarbeiter deswegen in Quarantäne müssen und die pflegerische Versorgung der Menschen irgendwann auf dem Spiel steht? Das Gegenargument steht natürlich im Raum, denn noch ist nicht geklärt, ob geimpfte Menschen nicht auch Träger des Virus sein können.

Müssen Patienten erfahren, wer geimpft ist?

Wie gehen die Einrichtungen des Gesundheitswesens damit um, dass Bewohner und Patienten nur noch von getesteten und geimpften Mitarbeitern versorgt werden wollen? Haben Patienten Anspruch darauf zu wissen, wer sich hat impfen lassen? Müssen Mitarbeiter, die nicht getestet oder geimpft sind, "Markierungen" tragen, damit die "Gefahr" erkannt wird? Auf diese Fragen benötigen wir dringend Antworten. Wir brauchen einen gemeinsamen Diskurs, der dann zu gemeinsamen und anwendbaren Lösungen führt. Schnelle Vorverurteilungen sind dabei fehl am Platz.

Die Frage des Homeoffice

Die Profession der Pflegenden kann nicht ins Homeoffice wechseln. Das gilt aber auch für die Mitarbeiter des Innendienstes oder der Verwaltung von Gesundheitspflegeeinrichtungen. Denn sie werden vor Ort gebraucht, da die vielen Auflagen der Kostenträger, die noch immer mit unendlich viel Papier arbeiten, kein Homeoffice zulassen. Dies zeigt wieder: Dringend benötigt wird eine Digitalisierung der Pflege. Die neue Norm im Gesundheitswesen muss papierloses Arbeiten sein. Breitbandanschlüsse, digitale Patienten-Dokumentationen mit Zugriffsrechten für alle, die beteiligt sind, Erkennung von elektronischen Unterschriften, sichere Übermittlungswege, abgestimmter und einheitlicher Datenschutz, Bereitstellen von Datenschnittstellen zu Kostenträgern und Beteiligten in der Gesundheitsversorgung - alle diese Dinge würden dazu beitragen, direkte Kontakte zu vermeiden. Sie würden das System entschlacken, entbürokratisieren und eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung sichern.

Fazit: Es ist eine große Errungenschaft, dass es nach einer so kurzen Zeit effektive Impfmöglichkeiten gibt und der Impfstoff auch zur Verfügung steht. Die Wissenschaft profitiert hier von der hervorragenden Arbeit, die sie über viele Jahre hinweg geleistet hat.

Diese Pandemie mahnt uns, zentrale Fragen der Versorgung, der Ethik und des Gesundheitsschutzes zu diskutieren und sinnvolle Antworten zu finden. Dabei brauchen wir keine schlaue Ratschläge von allen Seiten, sondern Diskussion und eindeutige, zielführende und vor allem anwendbare Antworten. Praxisnähe ist hier gefragt und Pragmatismus.