AgeQualiDe war eine empirische, quantitative Studie, bei deren Ersterhebung in sechs deutschen Großstädten zwischen Januar 2014 und September 2015 Daten von 864 Patienten, die in Hausarztpraxen in Behandlung waren, erhoben wurden; zum Einsatz kam eine Reihe von Fragebögen, die nach Alter, Geschlecht, Bildungsgrad, sozialer Unterstützung, dem allgemeinen, subjektiven Gesundheitszustand, den Kompetenzen in der Alltagsbewältigung, dem Vorliegen einer Demenz, dem Schweregrad der Demenz, der Inanspruchnahme von Pflegeleistungen und dem Aufenthalt in einem Heim in den letzten sechs Monaten fragten. Die bei dieser Befragung ermittelten Daten werden nun unter verschiedenen Aspekten ausgewertet; die Auswertung der Daten zur informellen Pflege ist nur eines der Ergebnisse dieser breit gefächerten Studie.

Informelle Pflege = acht Einzelleistungen

Informelle Pflege soll nicht als eine Einheit aufgefasst werden, sondern als ein „heterogenes Konstrukt“ von acht Einzelleistungen: Grundpflege, Einkaufshilfe, Hilfe bei der Medikamenteneinnahme, Zubereitung von Speisen, Regelung finanzieller Angelegenheiten, Haushaltsführung, Fahrten und Transport sowie Beaufsichtigung. Die informelle Pflege spielt bei den Leistungen, die von Menschen mit demenzieller Erkrankung in Anspruch genommen werden, eine „herausragende Rolle“ und hat auch eine volkswirtschaftliche Bedeutung unter anderem deswegen, weil die pflegenden Angehörigen in der Zeit, in der sie die informellen Pflegeleistungen erbringen, nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.

Alle informellen Leistungen hängen mit der demenziellen Erkrankung signifikant zusammen. Hervorzuheben ist, dass demenziell Erkrankte vor allem Hilfe bei der Regelung finanzieller Angelegenheiten, bei der Beaufsichtigung und bei der Medikamenteneinnahme in Anspruch nehmen. Das hat zwei Gründe: 1. In diesen Bereichen scheint der Unterstützungsbedarf bei den Pflegebedürftigen besonders hoch zu sein, da die demenzielle Erkrankung zu „kognitiven Einschränkungen und herausfordernden Verhaltensweisen, wie Agitiertheit und Aggressivität“ führt. 2. Der pflegende Angehörige kann diese Leistungen besonders gut mit seinem sonstigen Alltag vereinbaren; die Medikamente sind schnell verabreicht, und er kann den demenziell Erkrankten auch neben anderen Tätigkeiten beaufsichtigen und er vermag es, sich die Hilfe bei den finanziellen Angelegenheiten zeitlich flexibel einzuteilen. Zudem hängt das Ausmaß der Leistungen vom Grad der Demenz der Leistungsempfänger ab. Die Erbringung informeller Leistungen lässt „drastisch“ nach, sobald der demenziell Erkrankte in ein Pflegeheim zieht.

Nebenbei bemerkt wirft diese Studie auch ein paar Krumen für die Erforschung der Demenzprophylaxe ab, denn ganz beiläufig wurde durch diese Studie bestätigt, dass der Bildungsgrad (bestimmt nach CASMIN) mit Demenz in Verbindung steht: In der Gruppe der Personen mit Demenz ist der Anteil der niedrig Gebildeten höher als in der Gruppe der nicht von Demenz Betroffenen; in der Gruppe der Personen, die nicht von Demenz betroffen sind, ist der Anteil der mittelgradig und hoch gebildeten Personen höher als in der Gruppe der demenziell Erkrankten.

Kommentar

Da in der vorliegenden Studie nicht von „Laienpflege“, sondern von „informeller Pflege“ die Rede ist, zeigt sich, dass man wenigstens in der Fachsprache die pflegenden Angehörigen aufwerten will. Die vorliegende Studie liefert die überaus interessante Erkenntnis, dass die informelle Pflege abnimmt, sobald die bisher von Family & Friends versorgte, demenziell erkrankte Person in ein Pflegeheim zieht. Dies mag daran liegen, dass gemäß der Vorgabe des SGB XI der ambulanten Pflege gegenüber der stationären Pflege der Vorzug zu geben ist. Und tatsächlich versorgen viele Menschen ihren pflegebedürftigen Angehörigen solange, bis sie völlig ausgebrannt und erschöpft sind, gewissermaßen „Frauen und Männer am Rande des Nervenzusammenbruchs“.

Eine schnelle Lösung ist die Verlegung des Hilfsbedürftigen in eine Pflegeeinrichtung. Nun sind aber die neuen Heimbewohner in ihrer Demenz meistens schon so weit fortgeschritten, dass es ihnen ganz besonders schwer fällt, in der Pflegeeinrichtung Fuß zu fassen und sich dort adäquat einzuleben; Anpassungsstörungen, Desorientiertheit und herausforderndes Verhalten sind die Konsequenz. Die Nahestehenden erholen sich erst mal von den Strapazen der letzten Jahre, aber sie sollten sich nicht zu sehr von der informellen Pflege zurückziehen, sondern ihrem Angehörigen bei der Eingewöhnung im Heim beistehen. Die Einrichtungsleitungen sollten schon bei der Aufnahme des neuen Bewohners die Angehörigen in die Pflicht nehmen, denn wir alle wissen, wie defizitär die pflegerische Heimversorgung aufgrund des chronischen Personalmangels ist. Kleine Ausflüge mit dem Angehörigen unternehmen, als Abwechslung zum Heimessen auch mal „Leckereien“ mitbringen, ihn trösten und unterhalten: für informell Pflegende ist hier viel Potential vorhanden, auch wenn nun professionell Pflegende die Hauptarbeit erledigen.

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Markus Hieber