Kinder erleben eine Krebserkrankung häufig anders als Erwachsene. So ist für sie nicht unbedingt die Diagnose das größte Problem. Die Trennung von der Familie, lange Aufenthalte im Krankenhaus sowie die Therapienebenwirkungen sind ebenso schrecklich wie die Erkenntnis, an einer lebensbedrohlichen Erkrankung zu leiden. Darauf deuten die Ergebnisse einer Umfrage von Ärzten um Dr. Katianne Sharp von der St.-Jude-Kinderklinik in Memphis. Eine weitere Erkenntnis der Befragung: Krebskranke Kinder sind nicht häufiger traumatisiert als Kinder ohne gesundheitliche Belastungen. Für die Umfrage konnten die Ärzte 254 Kinder und Jugendliche im Alter von 8–17 Jahren gewinnen, die sich an ihrer Klinik einer Krebsbehandlung unterzogen hatten. Im Schnitt waren die Kinder 13 Jahre alt, bei der Hälfte lag die Diagnose mehr als zwei Jahre zurück, bei einem Viertel weniger als sechs Monate.

Die Kinder sollten zunächst aus einer Liste mit traumatisierenden Ereignissen solche auswählen, die sie bereits erlebt hatten, und dann dasjenige bestimmen, welches sie am schrecklichsten fanden. Über dieses Ereignis wurden sie anschließend in einem strukturierten Interview befragt. Solche Fragen wurden auch 202 Kindern ohne ernste Gesundheitsprobleme gestellt. Alter, Geschlechterverhältnis und sozioökonomischer Status in der Kontrollgruppe waren vergleichbar. Wie sich zeigte, fanden nur 54% der Krebskranken ein Ereignis im Zusammenhang mit ihrem Tumor am schlimmsten. Das war vor allem dann der Fall, wenn die Diagnose noch nicht lange zurücklag.

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Von den Kindern mit Krebs als schlimmstem Ereignis, nannten nur knapp 50%e die Diagnose als das Furchtbarste in ihrem Leben. Dies sei ein großer Unterschied zu Erwachsenen, denen in der Regel das Bewusstsein um eine lebensbedrohliche Erkrankung am meisten zusetze, so die Forscher um Sharp. Sie begrüßen es, dass nach den neueren DSM-Kriterien bei Kindern mit Tumoren nicht per se eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) angenommen wird.

Übelkeit und Haarausfall

Für die tumorkranken Kinder waren auch viele andere Faktoren belastend. So nannten 28% Übelkeit, Haarausfall, Gewichtsverlust oder Müdigkeit als Hauptgrund für ihre Einschätzung. Bei 7% standen die negativen Folgen für die Familie und sozialen Beziehungen im Vordergrund, 5% fand die Zeit vor der Diagnose am schlimmsten, weil sie nicht wussten, was sie krank machte. Ähnlich viele litten vor allem unter Spätfolgen oder der Angst vor dem Tod.

Bei den krebskranken Kindern, die den Tumor nicht als das Schrecklichste in ihrem Leben betrachteten, traten ähnliche Ereignisse in den Vordergrund wie bei den nicht erkrankten Kindern. Der Tod eines nahen Verwandten, Freundes oder geliebten Haustieres war hier das am häufigsten genannte Geschehen — es wurde von 56% dieser Kinder genannt. In der Kontrollgruppe lag der Anteil mit 36% deutlich niedriger. Entweder sind die krebskranken Kinder hier stärker sensibilisiert oder sie erleben tatsächlich mehr Todesfälle in ihrer Umgebung, etwa durch andere Krebskranke, schreiben die Studienautoren. Bei anderen Ereignissen gab es jedoch keine Unterschiede zwischen beiden Gruppen. Familienprobleme und Scheidung waren für 10% (Krebskranke) und 13% (Gesunde) am schlimmsten. Naturkatastrophen und Hausbrände spielten mit jeweils 6% eine untergeordnete Rolle, ähnlich viele Kinder in beiden Gruppen nannten auch Gewalterfahrungen, Missbrauch, Unfälle und Phobien.

Kriterien für PTBS erfüllt?

In dem Interview schauten die Forscher auch, ob die Kinder die neueren DSM-Kriterien für eine PTBS erfüllten. Das A1-Kriterium, also ein Ereignis, das als Bedrohung für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit empfunden wird, erfuhren danach 70% der Krebspatienten, die Krebs als schlimmstes Ereignis nannten, sowie 75 % der Tumorkranken mit anderen schlimmsten Erlebnissen. Die Raten waren damit nicht signifikant höher als bei Kindern ohne Krebs (72%). Ähnliche Werte wurden auch für das A2-Kriterium ermittelt. Dieses charakterisiert eine Situation mit starker Hilflosigkeit und Angst. Letztlich sei eine Tumorerkrankung nicht stärker traumatisierend als ein anderes schreckliches Ereignis, und Tumorpatienten seien deswegen nicht unbedingt stärker traumatisiert als Kinder ohne Krebs. „Krebs im Kindesalter wird aber noch vorwiegend aus der Traumaperspektive betrachtet“, bemängeln die Autoren. Man könne jedoch nicht davon ausgehen, dass bei krebskranken Kindern der Tumor das schlimmste Ereignis im Leben sei. Auch sei der Schluss nicht zulässig, dass Krebskranke, die andere Erlebnisse als furchtbarer empfinden, besonders Schreckliches erlebt haben müssen: In der Umfrage waren andere Erlebnisse auch nicht schlimmer als bei Kindern ohne Krebs.