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... bei Kerstin Protz. Sie ist Mitautorin der Studie „Kompressionstherapie — Kenntnisse und Anwendungspraxis“, in der deutlich wurde, dass viele Patienten bezüglich der Kompressionstherapie nicht optimal versorgt werden. Doch wie kann die Patientenversorgung verbessert werden?
? Frau Protz, welchen Stellenwert hat die Kompressionstherapie für die Versorgung venenkranker Patienten?
Protz: Die Kompressionstherapie ist die essentielle und für das Krankheitsbild Ulcus cruris venosum (UCV) adäquate Behandlung. Nach ärztlicher Anordnung trägt die Pflege die Durchführungsverantwortung für eine sach- und fachgerechte Kompression, die den Druck und die Volumenüberlastung im Venensystem mindern soll. Die Kompressionstherapie senkt die Rezidivrate, beschleunigt die Abheilung und ist der Standard der leitliniengerechten Versorgung. Allerdings erhalten viele Patienten nicht die Versorgung, die den aktuellen Leitlinien entspricht.
? Die Behandlung mit Kompressionsverbänden steht und fällt mit den erreichten Andruckwerten. Wie gut gelingt das in der Praxis?
Protz: Ein internationaler Konsens empfiehlt folgende Kompressionsdruckwerte: Leicht (< 20 mmHg), mittelstark (≥ 20–40 mmHg), stark (≥ 40–60 mmHg) und sehr stark (> 60 mmHg). Zur Behandlung des UCV ist eine starke Kompression notwendig. Üblicherweise beauftragt der Arzt die Pflegefachkräfte mit der Anlage der Kompressionsbandagierung. Selten enthält die Verordnung Detailangaben zu konkreten Druckwerten. Gegebenenfalls werden relative Größen wie milde, sanfte, kräftige Kompression, genannt. Auch die Wahl der Bandagierungstechnik (z.B. Pütter, Fischer, Sigg) bleibt oft der Pflegefachkraft überlassen. Das heißt: Das Behandlungsergebnis hängt von der Interpretation und dem relativen Empfinden der Pflegefachkraft ab. Diese kann sich zudem nicht sicher sein, dass die Bandagierung einen beabsichtigten Druckwert erzielt. Hier können Messgeräte weiterhelfen, die per Sonde den Druck unterhalb der Bandagierung erfassen. Auch bei Schulungen lässt sich so das Erreichen bestimmter Druckwerte trainieren. Hinzu kommt, dass die ersten Bindetouren am Großzehengrundgelenk oft zu locker angelegt werden, so dass sich Vorfußödeme ausbilden.
? Beherrschen Pflegefachkräfte die Basics der Kompressionstherapie?
Protz: Für die Praxis der Kompressionstherapie sind in der pflegerischen Ausbildung im bundesweiten Durchschnitt ein bis zwei Unterrichtsstunden vorgesehen. Das reicht meiner Ansicht nach für so ein komplexes Thema nicht aus. Zudem variieren die Lehrpläne je nach Ausbildungsstätte und Bundesland. Der Schwerpunkt liegt häufig auf der Thromboembolieprophylaxe und nicht auf der Behandlung des UCV. Und im Medizinstudium wird die praktische Ausführung einer Kompressionsbandagierung normalerweise gar nicht vermittelt.
? Wo zeigen sich die größten Lücken?
Protz: Dazu gibt es konkrete Zahlen. Wir haben 2014 eine Befragung von rund 900 Versorgern durchgeführt, darunter waren mehr als 90% Pflegefachkräfte. Sie belegt auf Anwenderseite, insbesondere bei Pflegefachkräften und Ärzten, geringe Kenntnisse über aktuell verfügbare Kompressionsmaterialien und deren Nutzung. So kannten nur 15% der Teilnehmer beispielsweise Mehrkomponentensysteme oder Ulkus-Strümpfe. Und nicht alle Befragten, die diese Materialien kannten, verwendeten sie auch in der täglichen Praxis.
Die Studie belegt, dass es schon an den Basics, d.h. der Kenntnis und Nutzung der zeitgemäßen verfügbaren Materialien mangelt. Zudem ergab ein Praxistest im Rahmen dieser Studie, dass nur 9,3% der Teilnehmer mit einer Kompressionsbandagierung einen therapierelevanten Zielwert erreichte. Und das, obwohl es sich um erfahrene Kollegen handelte!
? Wie lässt sich die Patientenversorgung verbessern?
Protz: Eine Kompression aus mehreren Komponenten fördert die Abheilung besser als eine Kompression mit nur einer, beispielsweise ausschließlich mit Kurzzugbinden. Die initiale Entstauungsphase sollte bei bestehendem UCV nach drei bis vier Wochen abgeschlossen sein. In der anschließenden Erhaltungsphase wird die Versorgung von Kompressionsbandagierungen auf eine Bestrumpfung mit Ulkusstrümpfen oder medizinischen Kompressionsstrümpfen (MKS) umgestellt. Diese haben sich den Bandagierungen gegenüber als überlegen erwiesen. Kompressionsstrümpfe halten zudem den Anlagedruck und führen zu einer besseren Adhärenz der Patienten. Nicht zuletzt tragen weiterführende Schulungen und ständiges Üben unter Nutzung von Druckmessgeräten zu einer besseren Patientenversorgung bei. Dabei sollten auch nicht vertraute Materialien genutzt werden.
? Die Kompressionstherapie lebt von der Akzeptanz und Mitarbeit des Patienten. Was ist dafür entscheidend?
Protz: Es ist unbedingt notwendig, den Patienten vorab über die Wirkungsweise und die Bedeutung der Kompressionstherapie zu informieren. Das sollte in verständlichen Worten und mit visueller Unterstützung geschehen. Dafür gibt es Flyer und Broschüren. Grundlage der Information ist aber das persönliche Gespräch. Broschüren dienen dem Nachlesen. Eventuelle Fragen sollten in einem Folgegespräch geklärt werden. Nur eine adäquate Patientenedukation kann meiner Erfahrung nach die Akzeptanz gegenüber der Kompressionstherapie steigern.
Das Interview führte Nicoletta Eckardt
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Urban & Vogel. Nachgefragt. Heilberufe 67 (Suppl 14), 6 (2015). https://doi.org/10.1007/s00058-015-1639-5
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