Angesichts der zahlreichen Diagnosen und hohen Prävalenz ist das Tabuthema um die analen Erkrankungen noch immer bedrückend. Die wohl häufigste Diagnose um anale Beschwerden ist das Hämorrhoidalleiden, und es gibt bereits eine große und auch aktuelle Bandbreite an wissenschaftlichen Arbeiten zur besten Behandlung dieser Erkrankung. Umso mehr verwundert es, dass sich nur wenige Studien auf die Pathophysiologie und Genese des Hämorrhoidalleidens konzentrieren. Gerade aus diesem Aspekt heraus könnten möglicherweise präventive Methoden und neue Therapieansätze die Geschichte des Hämorrhoidalleidens revolutionieren.

Geschichtliches

Die Bezeichnung der Hämorrhoiden stammt aus dem Griechischen für Blut und fließen: haema und rhoos. Die ältesten und chirurgischen Therapiemöglichkeiten des Hämorrhoidalleidens werden bereits von Hippokrates erwähnt und im Papyrus von Edwin Smith (altägyptisches Wundenbuch) 1700 v. Chr. eindrücklich beschrieben. Das Interesse über die Verbesserung der Behandlung des Hämorrhoidalleidens hält über frühe indische Arbeiten und später auch römische und griechische Arbeiten bis heute an. Die Hämorrhoiden sind noch immer ein fast mystisches Gewebe und lassen v. a. bezüglich der Pathogenese des Hämorrhoidalleidens auch heute noch viele Fragen offen.

Anatomie und Physiologie des Hämorrhoidengewebes

Die physiologischen Gefäßkissen der Hämorrhoiden befinden sich in der anorektalen Transitionszone knapp oberhalb der Linea dentata. Sie bestehen aus Gefäßen, dem glatten M. canalis ani (Treitz-Muskel) und elastischen Bindegewebsfasern. Der M. canalis ani entwickelt sich aus der Muscularis mucosae auf Höhe der Linea anorectalis und erhält Fasern des M. sphincter ani internus und longitudinalis ani, welche das Hämorrhoidengewebe fein durchsetzen. Die Gefäße selbst werden durch elastische Fasern und Kollagen umgeben [8].

Das Corpus cavernosum recti ist ein physiologisches Gefäßkissen mit wichtiger Kontinenzfunktion

Das Corpus cavernosum recti (CCR) ist ein physiologisches Gefäßkissen an der anorektalen Transitionszone mit wichtiger Kontinenzfunktion. Es wurde 1962 von Stelzner als subepitheliales Gefäßkissen mit arteriovenösen Anastomosen beschrieben, welche den Zufluss über die Äste der Arteria rectalis superior und den Abfluss über die Vena rectalis superior, sehr variablen und selten bilateral auftretenden Venae rectales mediae (s. auch [18]) und inferiores finden. Ob die arteriellen Endäste auf 3, 7 und 11 Uhr in Steinschnittlage den Prädilektionsstellen von pathologischen Hämorrhoidenknoten entsprechen, ist heutzutage umstritten. Schon damals wird auf die wichtige Funktion der Teilkontinenz (10–15 %) durch diesen Schwellkörper hingewiesen [16]. Morphologische Studien belegen ein subepithelial gelegenes dichtes Netzwerk an dilatierten Gefäßen, welche den Zu- und Abfluss des CCR über glattmuskuläre Sphinktereinrichtungen regulieren. Das CCR entleert sich durch passive Kompression, Relaxierung des M. sphincter ani internus und Aktivität des M. canalis ani [11].

Pathogenese

Es gibt drei gängige Hypothesen für die Pathogenese des Hämorrhoidalleidens: die Varizen- [2], die Hyperplasie- [16] und die Prolapstheorie [17] – aber keine der drei kann die Ätiologie des Hämorrhoidalleidens suffizient erklären. Die Varizentheorie zeigte sich bei Patienten mit portaler Hypertension nicht tragbar, da sich die anorektalen Varizen als eigene Entität herausstellten. Eine häufig beschriebene Auffälligkeit bei Patienten mit Hämorrhoidalleiden ist ein erhöhter maximaler analer Ruhedruck, was zur Hypothese der Hyperplasie des CCR durch eine starke tonische Kontraktion des (nicht verdickten) inneren Schließmuskels führt. Letzteres gilt heute allerdings eher als sekundäre Folge beim Hämorrhoidalleiden [7]. Die gängige Prolapstheorie beruht auf der Annahme, dass ein erhöhter intraabdomineller Druck, wie während der Schwangerschaft oder beim Pressen, zu einer Dehnung und Schädigung von submukösen glatten Muskelfasern und damit zum Prolaps der Hämorrhoidalzone führt. Daraus resultieren eine verminderte Drainage, Vergrößerung des Schwellkörpers und eine weitere Schädigung desselben. Allerdings ist dadurch ein Hämorrhoidalleiden mit rezidivierenden Blutungen ohne Prolapskomponente kaum erklärbar. Interessanterweise zeigt eine rezente Publikation mit alleiniger konservativer Therapie durch Defäkationstraining und Stuhlregulation neben hoher Patientenzufriedenheit auch eine Verbesserung der Prolapskomponente [5].

Die Prolapstheorie hat sich als die gängigste Hypothese durchgesetzt

Einen genetischen Hintergrund vermutet man schon lange, und rezente Studien zeigen auch einen deutlichen Hinweis hierfür [13, 14]. Nicht zuletzt deswegen werden aus Hämorrhoiden-Studien zunehmend Patienten mit assoziierten Erkrankungen, wie genetischen Bindegewebserkrankungen, chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) oder Gefäßerkrankungen, Herniationen und genitourethralem Prolaps, ausgeschlossen [3, 11, 12].

In Operationspräparaten sind Entzündungsreaktionen, mukosale Ulzerationen, Ischämien und Thrombosen beschrieben. Die symptomatischen, topischen Therapieoptionen zielen meist auf diese Veränderungen hin. Eine besonders ausgiebige Literatur ist um die Wirkung von Diosmin bzw. Flavonoiden vorhanden, wobei eine erniedrigte kapilläre Hyperpermeabilität und reduzierte Leukozyten-Endothel-Interaktion bzw. verminderte perivaskuläre Entzündung im Vordergrund stehen. Interessanterweise wurde kürzlich auch die Wirksamkeit an der einzigen evidenzbasierten Risikogruppe – schwangeren Frauen – in großen epidemiologischen Daten gezeigt [9, 15].

Die nähere Betrachtung des pathologischen Gewebes zeigt neben einer abnormen Gefäßdilatation auch subepitheliale Muskel- und degenerative Bindegewebsveränderungen.

Molekularpathologisch scheint eine Desintegration von elastischen und kollagenen Komponenten vorzuliegen, die zu den weiteren Veränderungen des Hämorrhoidalgewebes führen. Die Gruppe um Schumpelick zeigte 2010 eine signifikante Reduktion der Ratio von Kollagen/Protein und Kollagen I/III bei Patienten mit Hämorrhoidalleiden Grad III–IV, was einen Hinweis auf die (lokale) Störung des Kollagenhaushalts gibt und dem Verlust der Elastizität und Zugfestigkeit des Gewebes mit zunehmendem Alter entspricht [11, 19].

Verschiedene Enzyme und Mediatoren sind für die Degradierung der extrazellulären Matrix untersucht worden, wobei eine Überexpression der Zink-abhängigen Matrix-Metalloproteinase 9 (MMP-9) im Hämorrhoidengewebe nachgewiesen werden konnte. Die durch z. B. Thrombin und Plasmin aktivierten MMP-2 und MMP-9 sind mit der Zerstörung von elastischen Fasern und der angioproliferativen Aktivität von „transforming growth factor β“ (TGF-β) assoziiert [20].

Hinweise für einen neovaskulären Aspekt im Hämorrhoidengewebe gibt auch das häufigere Auftreten des proliferativen Markers Endoglin (CD105) im Vergleich zu rektomukosalem Gewebe, das TGF-β bindet [20]. Mit Angiogenese assoziiert und ebenfalls im Hämorrhoidalgewebe höher exprimiert wird „vascular endothelial growth factors“ (VEGF; [6]).

Die vaskuläre Komponente scheint in der Pathogenese eine wesentliche Rolle zu spielen

Die vaskuläre Komponente scheint in der Pathogenese des Hämorrhoidalleidens eine wesentliche Rolle zu spielen. Die auffälligsten aller Veränderungen am pathologischen Hämorrhoidalgewebe sind die Gefäße, die sich bei näherer Betrachtung deutlich von denen im Kontrollgewebe unterscheiden. Morphologisch lässt sich im Vergleich zu gesunden Probanden an den vergrößerten Endästen der Arteria rectalis superior ein höherer und schnellerer Blutfluss mit größeren Peaks an Wirbelbildung erkennen und mit den Stadien der Hämorrhoidenknoten assoziieren. Dieser Effekt bleibt über die operative Sanierung hinaus erhalten, was einen weiteren Hinweis für die Hypervaskularisation des Gewebes gibt. Darüber hinaus wurde eine subspezifische Funktion von kleinen Gefäßen in Assoziation mit glatter Muskulatur im Hämorrhoidalkomplex vor fast 10 Jahren erstmalig beschrieben (Abb. 1; [1]).

Abb. 1
figure 1

Replikat eines anorektalen Gefäßplexus aus polymerisiertem Harz: vaskuläre Glomerula (G), Arteriolen (A) und Venolen (V). (Aus [1]). Dieser Inhalt ist nicht Teil der Open-Access-Lizenz

Zuletzt wurden solche atypischen Gefäße als myofibroblastische Malformationsgefäße (MMV) in der Mukosa und Submukosa in pathologischem Hämorrhoidalgewebe von 281 Patienten beschrieben. Die histopathologischen Merkmale dieser irregulären Gefäße sind eine fokale Dysplasie von glatten Muskelzellen und fokale fibrotische Verdickungen der Gefäßwand. Sie treten gemeinsam mit Veränderungen in der Muscularis mucosae auf, welche ausgedünnt und teilweise unterbrochen oder fibrotisch ist – dies könnte eine Folge der Ausbreitung der MMV zur Mucosa propria hin sein. Ob damit die Hypothese von den arteriovenösen Anastomosen im CCR widerlegt werden kann oder die Malformationen einer Gefäßveränderung durch exogene Ursachen entspricht, ist heute noch ungeklärt [10]. Eventuell lassen sich arteriovenöse Gefäßalterationen mit anderen atypischen Gefäßen des Körpers vergleichen und so die Entstehungsgeschichte der Hämorrhoidenknoten besser erklären. So hat erst vor kurzem eine Gruppe aus New York die Überlappungen der enzymatischen und morphologischen Charakteristika von arteriovenösen Malformationen des Gehirns mit solchen der hämorrhoidalen arteriovenösen Anastomosen aufgezeigt [4].

Die Entstehung des Hämorrhoidalleidens scheint allerdings neben genetischen und metabolischen Einflüssen auch den verschiedenen Lebensbedingungen durch soziale, kulturelle und psychologische Unterschiede zu unterliegen und damit multifaktoriell bedingt zu sein. Umso mehr gilt es in der modernen Medizin, die Risikofaktoren, die dieses häufige Leiden verursachen, zu identifizieren und das Hämorrhoidalgewebe zukünftig noch näher zu beleuchten.

Fazit für die Praxis

  • Über die genaue Ätiologie des Hämorrhoidalleidens besteht nach wie vor Unklarheit.

  • Eine kausale Therapie bleibt daher eine Herausforderung.

  • Epidemiologische Daten sprechen für eine Störung der elastischen und kollagenen Anteile in pathologischem Hämorrhoidalgewebe.

  • Intramurale Gefäßalterationen werden vermehrt im Gewebe von progedientem Hämorrhoidalleiden gefunden.

  • Genetische Hintergründe werden vermutet; es zeigen sich auch Assoziationen zu anderen Erkrankungen.

  • Eine multifaktorielle Genese kann beim Hämorrhoidalleiden vermutet werden.