Zusammenfassung
Mit dem Paradigma der induktiven Synthese und dem damit verbundenen Konzept der Wandlungsphasen ist im antiken chinesischen Denken ein Gedankenmodell entwickelt worden, welches im Vergleich zum kausal-analytischen Ansatz der aristotelischen Logik einen komplementären Standpunkt einnimmt. Die Gleichzeitigkeit von Geschehnissen im Rahmen biologischer Prozesse ließ sich in westlich-deterministisch-naturwissenschaftlichen Denkansätzen über lange Zeit nicht integrieren. Mit den Konzepten der autopoietischen Systeme und der dissipativen Strukturen, welche selbstreferentielle und rekursive Systeme beschreiben, könnte nunmehr eine Integration der beiden erkenntnistheoretischen Konzepte möglich sein. In dieser Arbeit wird das Konzept der Wandlungsphasen unter dem Aspekt der Selbstbezogenheit und Rekursivität betrachtet. Parallelen mit den Konzepten von autopoietischen Systemen und dissipativen Strukturen werden aufgezeigt. Hierbei wird deutlich, dass aktuelle naturwissenschaftliche Konzepte mit dem Konzept der Wandlungsphasen in Einklang gebracht werden können. Daraus wird abgeleitet, dass das Paradigma der induktiven Synthese in vielen Fällen medizinisch-klinischer Fragestellungen zur Anwendung kommen sollte.
Abstract
With the paradigm of inductive synthesis and the associated concept of the five phases, a model of thinking was developed which takes up a complementary position vis-á-vis the causal-analytic approach of Aristotelian logic. For a long time the synchronism of occurrences in biological processes was not compatible with the Western deterministic approach of thinking. Now, however, with the concepts of autopoietic systems and dissipative structures, which describe self-referential and recursive systems, an integration of the two epistemic models may be possible. In this work the concept of the Five phases is examined from the perspective of self-reference and recursivity. Parallels between autopoietic systems, dissipative structures and the Five phases will be illustrated and it will be postulated that the paradigm of inductive synthesis should be used in lots of medical and clinical questions.
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Zum Autor
Dr. med. Ulrich Reimer, Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Arzt für Anästhesie, Akupunktur. Seit 1987 klinische Anwendung der Akupunktur, seit 1998 überwiegend zur schmerztherapeutisch-anästhesiologischen Behandlung. In den Jahren 2003–2004 Tätigkeit als Tutor und Dozent der SMS in Hamburg. Ab 2003 Weiterbildung zum Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Von 2009 bis 2011 leitender Arzt einer psychiatrischen Tagesklinik. Beschäftigung mit der Integration psychiatrischer Krankheitsbilder in das Konzept der Traditionellen Chinesischen Medizin. Seit 2012 überwiegend Auseinandersetzung mit biopsychosozialen Krankheitsmodellen und Tätigkeit als Sachverständiger bei sozialmedizinischen Fragestellungen.
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Reimer, U. Wandlungsphasen, autopoietische Systeme und dissipative Strukturen: Versuch einer Annäherung und klinischen Integration. Chinese Medicine 31, 164–172 (2016). https://doi.org/10.1007/s00052-016-0114-y
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