Mitchell G. Ash 2023: Die Max-Planck-Gesellschaft im Prozess der deutschen Vereinigung 1989–2002. Eine politische Wissenschaftsgeschichte. Göttingen: V&R, geb., 394 S., 35 Abb., 70 €, ISBN: 978-3-525-30209‑5.

Jens Blecher und Jürgen John (Hg.) 2021: Hochschulumbau Ost. Die Transformation des DDR-Hochschulwesens nach 1989/90 in typologisch-vergleichender Perspektive. Stuttgart: Franz Steiner Verlag, geb., 326 S., 3 Abb., 62 €, ISBN: 978-3-515-12961‑9.

Über drei Jahrzehnte nach der deutschen Vereinigung erleben gesellschaftliche Debatten um die Transformation Ostdeutschlands derzeit eine diskursive Renaissance. Jüngstes Beispiel ist die „Hoyer-Oschmann-Debatte“, die nach den Autoren zweier polarisierender Sachbücher zum „Osten“ und der DDR benannt ist. Darin wurde die Marginalisierung von DDR-Biografien sowie die Unterrepräsentanz von Ostdeutschen in Führungspositionen mit einer neuen Schärfe aufs Tapet gebracht. Dass Narrationen einer „Kolonisierung“ Ostdeutschlands durch den Westen zur vereinfachenden Darstellung neigen, ist bekannt und verlangt nach einer differenzierenden Antwort seitens der historisch arbeitenden Disziplinen. Zunehmend werden dabei auch Stimmen nach einer Integration von Ost-West-Perspektiven und der Betonung von Rückkopplungen auf Westdeutschland laut, die Philipp Ther auf den Begriff der „Ko-Transformation“ gebracht hat.

Das Feld der Wissenschaft und der Hochschulen gilt als sensibles Terrain dieser Debatten, da der „Elitentransfer“ nach 1990 hier als besonders extensiv wahrgenommen wurde. Dieser Eindruck perpetuiert sich in der Gegenwart, schaut man auf die niedrigen Zahlen ostdeutscher Rektor*innen an den Hochschulen im gesamten Bundesgebiet. Die deutsche Vereinigung wirkte mithin als epochale Zäsur in der Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte, deren empirische Aufarbeitung durch die Öffnung der Archive allmählich einsetzt. Als jüngere Ergebnisse dieser zeithistorischen Forschungstendenz können die Monografie von Mitchell G. Ash sowie der Sammelband von Jens Blecher und Jürgen John angesehen werden. Während Ash mit der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) eine westdeutsche außeruniversitäre Forschungseinrichtung fokussiert, richtet sich der Blick von Blecher und John auf die Transformation des DDR-Hochschulwesens in typologisch-vergleichender Perspektive.

Ashs Studie versteht sich als „politische Wissenschaftsgeschichte“. Er nimmt das Verhältnis von „Wissenschaft und Politik als Ressourcen füreinander“ (12) in den Blick – ein von ihm erarbeitetes Konzept, um die Verflechtung beider Sphären zu erfassen, die in politischen Umbruchzeiten neu verhandelt wird. Dabei werden verschiedene Ressourcentypen ausgewählt, anhand derer sich das Agieren der MPG im deutschen Vereinigungsprozess nachvollziehen lässt: personelle, institutionelle und diskursive Ressourcen sowie Zeit und Geld. Ihr Engagement in den „Neuen Bundesländern“ (NBL) wird im Zeitraum von 1989 bis 2002 in drei Hauptkapiteln verhandelt: den Weichenstellungen im Gelenkjahr 1989/90, der Amtszeit des Präsidenten Hans F. Zacher (1990–1996) und der Präsidentschaft Hubert Markls bis 2002.

Unmittelbar nach der „Friedlichen Revolution“ war die MPG um Einzelkooperationen mit der Akademie der Wissenschaften (AdW) der DDR bemüht. Dieses frühe Engagement wurde vom damaligen Bundesminister für Forschung und Technik, Heinz Riesenhuber, befürwortet und vorangetrieben. Dass eine „Konvergenz der Wissenschaftssysteme“ (36) jedoch nicht zustande kommen würde, machte MPG-Präsident Zacher in seiner Antrittsrede im Juni 1990 deutlich. Auch wenn seine Bezeichnung der DDR-Wissenschaft als „Wüste“ (53) von der FAZ dekontextualisiert worden war, gerann die Übertragung der bundesdeutschen „Forschungsverfassung“ (55), wie Zacher sie nannte, auf das Beitrittsgebiet bald zum Konsens in der Wissenschaftspolitik. Dieser Umstand erhielt mit dem Einigungsvertrag und der darin angebahnten Auflösung der AdW seine rechtliche Grundlage.

Im zweiten Abschnitt zeigt Ash, dass der Umgang mit den personellen Ressourcen der AdW wesentlich durch die Evaluierungen des Wissenschaftsrats (WR) bestimmt wurde. Handlungsleitend war zudem die „Fiktion“, die „Grundlagenforschung [sei] an die Universitäten zurückzuführen“ (72). Dies veranlasste die MPG zur Gründung von Arbeitsgruppen in den NBL, mit deren Leitung tatsächlich ostdeutsche Wissenschaftler*innen betraut wurden. Es folgten erste Institutsgründungen im Osten, die zunächst vom WR „induziert“ (63), später jedoch von der MPG selbst in Angriff genommen wurden. Als wesentlich erwies sich hierbei der Autonomieanspruch, den die MPG im Zuge einer „Aufgabenerfüllung nach eigenem Ermessen“ (64) stets geltend machte. So behielt sie in der thematischen Ausrichtung und Auswahl von Institutsdirektor*innen ihre Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit bei und betrat in einigen Fällen sogar wissenschaftliches Neuland.

Die Finanzkrisen der 1990er Jahre, in deren Verlauf sich eine „Gabelung der Wege“ (148) anbahnte, führten jedoch dazu, dass die MPG abhängig von politischen Entwicklungen wurde: Sie expandierte in den NBL, das Föderale Konsolidierungsprogramm des Bundes sorgte aber gleichzeitig für Kürzungen in den alten Bundesländern. Abteilungs- und Institutsschließungen im Westen waren die Folge. Der ab 1996 tätige MPG-Präsident und „Manager Markl“ (278) brachte die Institution mit Evaluation, Effizienzsteigerung und Internationalisierung auf Kurs, obgleich sie nie ernsthaft in Geldmangel oder Existenznot geriet. Trotzdem war im langen Vereinigungsprozess das Geschick der MPG-Leitung gefragt, die „Billigung der Zuwendungsgeber“ (317) nicht zu gefährden und eine konsensorientierte Innenpolitik im Ausgleich mit den Instituten zu wahren. Im Ergebnis standen 18 neue Max-Planck-Institute im Osten des Landes. Die MPG wusste die deutsche Vereinigung folglich als Chance für sich zu nutzen und blieb dabei „zugleich Nutznießerin und Ausführende der allgemeinen Politik“ (330).

Die Stärke der Arbeit liegt in der Interdependenz, die Ash zwischen Politik und Wissenschaft auszumachen vermag. Im Fall der MPG war dies in erster Linie der „Ressourcentausch Förderung gegen Prestige“ (334). Beeindruckend ist auch, wie der Autor den verschiedenen Disziplinen innerhalb der MPG gerecht wird, indem er die fachspezifischen Argumentationen zur diskursiven Untermauerung von Neugründungsvorhaben herausarbeitet. Zumeist kam dabei das Defizitargument zum Tragen, Deutschland sei zur „nachholenden Innovation“ (142) in einem bestimmten Forschungsgebiet verpflichtet. Seiner profunden Analyse, die auf einer bemerkenswerten Fülle an schriftlichen Archivquellen fußt, tut es keinen Abbruch, dass Ash auch als Zeitzeuge spricht – er war in der betreffenden Zeit Gastforscher in Berlin und ist „mit Beteiligten des Vereinigungsprozesses und sogar mit einigen Interviewpartner*innen durch Freundschaft verbunden“ (33).

Eine stärker auf die Universitäten ausgerichtete Perspektive bietet der Sammelband von Blecher und John zum „Hochschulumbau Ost“ nach 1989/90. Dabei gerät nicht nur der „Zusammenprall der verschiedenen Wissenschaftssysteme und -kulturen“ ins Blickfeld, sondern auch der „besonders konfliktbehaftete und erinnerungsprägende Personalumbau“ (10), der noch heute als nahrhafter Boden für oben genannte Debatten fungiert. Dass die Ebene des Personals jedoch nur einen Aspekt im Hochschulumbau darstellt, verdeutlicht Peer Pasternack in seinem Beitrag, indem er neben der personellen eine „strukturelle, […] inhaltliche und die kulturelle“ (58) Dimension identifiziert. Damit liefert er ein belastbares Analysemodell für künftige Forschungen auf diesem Feld. Grundsätzlich plädiert der Band für eine vergleichende und problemorientierte Vorgehensweise, die den Erfolgserzählungen einzelner Traditionsuniversitäten bislang fehlt. Jürgen John konstatiert in seinem Aufsatz einen Mangel an „Tiefenforschungen, die oft auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen“ (33): Aufgrund der prekären Quellenlage im Zusammenhang mit archivalischen Sperrfristen verbleiben bisherige Untersuchungen zumeist an der Oberfläche – versehen mit persönlichen Erinnerungen und Zeitzeugenaussagen von Beteiligten.

Als besonders hilfreich für die historische Einordnung des ostdeutschen Hochschulumbaus erscheinen die Beiträge von Stefan Gerber und Matthias Middell, die den Umbruch in eine diachrone Perspektive rücken. Dabei konstatiert Gerber eine „Transformation ohne Reform [des bundesdeutschen Systems]“ als das „exzeptionell Neuartige“ (114) dieser Zeit, ebenso wie den umfassenden „Personalaustausch als Alleinstellungsmerkmal“ (113) in der deutschen Universitätsgeschichte. Gewinnbringend erscheint auch Middells Ansatz, den Hochschulumbau in eine gegenwartsorientierte Langzeitperspektive einzuordnen und somit heutige Leistungsunterschiede in Hochschulrankings zwischen ost- und westdeutschen Universitäten besser verständlich zu machen. Derartige Kontextualisierungen können dabei helfen, das Thema aus einer stagnierenden Verengung auf wenige Jahre nach der „Wende“ zu befreien. Auch der geografische Blick über die ehemalige DDR hinaus erscheint angezeigt, möchte man den Vergleich mit anderen postsozialistischen Ländern fruchtbar machen. Im vorliegenden Band geht jedoch nur der kurze Beitrag von Marek Ďurčanský in einer eher praxisorientierten Perspektive zu Archivbeständen der Karls-Universität Prag darauf ein.

Die Beiträge stehen mitunter recht isoliert nebeneinander, gleichwohl sich die Autor*innen löblicherweise auf den Terminus „Hochschulumbau Ost“ einigten – eine willkommene Innovation zum überholten zeitgenössischen Begriff der „Erneuerung“ oder pejorativen Bezeichnungen à la „Übernahme“. Die stark divergierenden Längen der Aufsätze (zwischen fünf und 43 Seiten) spiegeln allerdings den teils eklektizistischen Charakter wider, der bei diesem Band trotz Gliederung in drei Themenbereiche (Grundfragen, Aspekte, Quellen) zuweilen eine innere Kohärenz vermissen lässt. Nichtsdestotrotz ist positiv hervorzuheben, dass die Studie verschiedene Perspektiven beleuchtet und dabei Universitätsgeschichte nicht nur als Professor*innengeschichte, sondern auch als eine des Mittelbaus und der Studierenden versteht. Zudem werden neben den bereits gut beforschten Einrichtungen in Jena und Ost-Berlin auch Pädagogische und Technische Hochschulen in den Blick genommen, die bislang noch zu selten in der Transformationsgeschichte ostdeutscher Universitäten vertreten sind.

Die besprochenen Arbeiten liefern einen neuen Gradmesser für dieses zeithistorische Untersuchungsfeld, dessen Gegenstand sukzessive vom kommunikativen ins kulturelle Gedächtnis übergeht. Während Ash seine Analyse weitgehend auf die außeruniversitäre Forschung begrenzt – eine Ausnahme bilden die Arbeitsgruppen der MPG an ostdeutschen Universitäten –, beleuchtet der Band von Blecher und John den transformierenden Hochschulsektor in vergleichender Perspektive. Beide Studien arbeiten das Verhältnis von Bildung und Forschung zur Politik der (Nach‑)Wendezeit konzise heraus. Nationale Organisationen wie die MPG waren dabei trotz hohen wissenschaftlichen Prestiges auf die Bundesministerien sowie die seinerzeitige Haushaltslage angewiesen. Gleichwohl spielten auch regionalpolitische Interessen eine Rolle, wenn es um die Standortvergabe neuer Institute ging. Hochschulpolitik lag seit den Landtagswahlen im Oktober 1990 in den Händen der Landesregierungen und variierte dementsprechend je nach policy der zuständigen Wissenschaftsministerien. Eine signifikante Herausforderung stellten inner- wie außeruniversitär die multiplen Finanzkrisen der 1990er Jahre dar: Sie evozierten nicht nur eine andauernde Unterfinanzierung von Bildung und Forschung, sondern verschärften auch die bereits vorhandene Tendenz im deutschen Wissenschaftssystem, Konkurrenz zwischen den Institutionen zu forcieren. Diese zunehmende Wettbewerbsorientierung prägte Universitäten wie Forschungsinstitute gleichermaßen und führte den „Wissenschaftsstandort Deutschland“ schließlich ins Zeitalter der Exzellenz.