Erst im 17. Jahrhundert wurde die ärztliche Schutzkleidung durch ein weiteres Element ergänzt: eine Halterung für Duftstoffe, die direkt vor der Nase platziert wurde. Dadurch sollte zum einen die kontinuierliche Aufbereitung der Atemluft gewährleistet werden, zum anderen musste sich der Arzt nun nicht länger den Riechapfel, Duftschwamm oder Kräuterbeutel vor die Nase halten, sondern hatte beim Krankenbesuch beide Hände frei. Die ersten Überlegungen zu dieser Optimierung sollen auf den Leibarzt Ludwigs XIII, Charles Delorme (1584–1678), zurückgehen (Mollaret & Brossollet 1965: 43–44).
Der früheste bekannte Beleg für die Verwendung eines solchen Nasenfutterals in Seuchenzeiten bezieht sich auf die Epidemie, die 1656 in Rom herrschte. Der dänische Arzt Thomas Bartholin (1616–1680) nahm die ihm aus Rom übersandte Abbildung eines solchen Pestarztes zum Anlass, um in seiner 1661 erschienenen Sammlung anatomischer und medizinischer Merkwürdigkeiten auch die „Kleidung des Arztes in Seuchenzeiten“ zu behandeln (Bartholin 1661: 142–145; Abb. 2). Er referierte zunächst unter Rückgriff auf ältere Autoren über die Kleidung des Arztes im Allgemeinen sowie in Seuchenzeiten, um sich dann der nur wenige Jahre zurückliegenden Pest von Rom zuzuwenden: Die Pestärzte kleideten sich in ein Gewand aus gepresstem Leinen, an dem die Keime der Krankheit nicht leicht haften blieben; in der linken Hand trugen sie einen Stock als Zeichen ihres Amtes und vor dem Gesicht eine Schnabelmaske, die mit schützenden, wohlriechenden Substanzen angefüllt war. Bartholin bezeichnet diese Aufmachung als „singularis habitus“ (einzigartige Gewandung). Die Gestalt des römischen Schnabeldoktors mit dem Stock in der Hand war für den Arzt in Kopenhagen offenbar eine neue, ungewöhnliche Erscheinung.
Als Jean-Jacques Manget (1652–1742) rund 60 Jahre später in Genf anlässlich der Pestepidemie von Marseille sein auf Literaturstudien und Briefen basierendes Traité de la Peste veröffentlichte, stellte er ihm als Titelkupfer eine weitere Darstellung des Schnabeldoktors voran (Abb. 3). Die Bildlegende lautete: „Gewand der Ärzte, und anderer Personen, welche die Pestkranken besuchen, Es ist aus levantinischem Maroquinleder, die Maske hat Augen aus Kristall, und eine lange Nase voller Duftstoffe (parfums).“ (Manget 1721). Diese knappe Erläuterung wird im zweiten Teil des Werkes durch einen ausführlicheren Kommentar ergänzt. Demzufolge sei diese Schutzkleidung keine neue Erfindung, sondern in Italien schon vor langer Zeit bekannt gewesen. Wichtig war Manget der Hinweis, dass der lederne „Schnabel“ zwar nur zwei Nasenlöcher habe, diese aber zum Atmen ausreichten. Die Duftstoffe in seinem Inneren aromatisierten die einströmende Luft und schützten den Arzt so vor dem gefürchteten Pesthauch.
Für das Gewand des Pestarztes wurde weich gegerbtes Ziegenleder verwendet, das durch seine geschlossene, glatte Oberfläche das Anhaften von Contagien noch besser verhindern sollte als Leinen. Dieses Leder war in verschiedenen Varianten im Handel: Das im Osmanischen Reich nach einem geheimen Verfahren hergestellte, besonders hochwertige „Maroquin“ war auch in Rot und anderen Farben erhältlich (Krünitz 1802), das vor allem in Hamburg und Lübeck produzierte „Corduan“ dagegen hatte stets eine schwarze Farbe, was der daraus gefertigten Arztkleidung eine düstere, an Tod und Trauer gemahnende Anmutung verlieh (vgl. Abb. 5; Zedler 1733).
Die beiden Darstellungen weisen, bei aller Ähnlichkeit, doch einige Unterschiede auf: Bei Bartholin (Abb. 2) hat der Pestarzt bloße Hände, während er bei Manget (Abb. 3) Lederhandschuhe trägt, deren Stulpen über die schmal geschnittenen, langen Ärmel gezogen sind. Noch auffallender ist die Ausgestaltung des Kopfschutzes: Bei Bartholin trägt der Pestarzt eine das Gesicht bedeckende Schnabelmaske mit Brille, die an die Figur des Dottore in der Commedia dell’Arte erinnert. Erst durch die Kombination dieser Maske mit dem hochgezogenen Mantelkragen und dem Doktorhut wird die gewünschte Verhüllung des Hauptes erreicht; bei Manget hingegen sind der Schnabel und die Augengläser in eine Haube eingearbeitet, die den ganzen Kopf und die Schultern bedeckt. Alle späteren Abbildungen von Pestärzten basieren auf diesen beiden Varianten. Für die weitere Beschäftigung mit dem Phänomen des Schnabeldoktors bietet sich daher eine typologische Unterscheidung in einen „Maskentyp“ (nach Bartholin 1661) und einen „Haubentyp“ (nach Manget 1721) an.
Die frühesten bekannten Belege für die Anwendung des schnabelartigen Nasenfutterals stammen, wie oben ausgeführt, aus dem 17. Jahrhundert. Sie beziehen sich allerdings nur auf Frankreich und Italien. Für den deutschsprachigen Raum sind keine entsprechenden Quellen nachweisbar.Footnote 4 Für die Zeit davor, also vom „Schwarzen Tod“ des Spätmittelalters bis zum ausgehenden 16. Jahrhundert, lässt sich nur ex negativo argumentieren: In den zeitgenössischen Dokumenten und Druckschriften haben sich bislang keinerlei Hinweise auf die Diskussion oder Verwendung dieser auffallenden Schutzkleidung finden können.Footnote 5