Die Pille, die als erstes 1960 in den USA offiziell als Verhütungsmittel zugelassen wurde, war nie ein gewöhnliches Arzneimittel. Zwar war sie seit ihrer Einführung in den meisten westeuropäischen und nordamerikanischen Ländern nur durch ärztliche Verschreibung zugänglich und mit medizinischen Untersuchungen verbunden. Sie sollte jedoch keinen pathologischen Zustand, sondern eine Schwangerschaft verhindern. Aus diesem Grund bezeichnet Lara Marks 2001 die Pille als das erste Lifestyle-Medikament, also als ein Medikament, das die Lebensqualität verbessern, aber nicht unmittelbar eine Krankheit heilen oder lindern sollte.

Die Pille wurde relativ schnell zu einem wirtschaftlichen Erfolg. Das Unternehmen Searle, das in den USA die erste Pille Enovid auf den Markt gebracht hatte, steigerte seine Verkäufe innerhalb von zwei Jahren nach der Einführung um 27 Prozent und erreichte dadurch seinen damaligen Rekordumsatz (ebd.). Im Jahr 1973 produzierten bereits zwölf große Arzneimittelfirmen aus vorzugsweise nordamerikanischen und westeuropäischen Ländern orale Verhütungsmittel und vertrieben diese international, neben Searle aus den USA, auch Schering aus Deutschland, Roussel aus Frankreich und Organon aus den Niederlanden. Bis heute sind orale Verhütungsmittel ein Verkaufsschlager: Obwohl inzwischen eine Stagnation auf dem westeuropäischen und nordamerikanischen Absatzmarkt zu verzeichnen ist, handelt es sich um eine Stagnation auf hohem Niveau. Im Jahr 2009 wurden etwa gemäß IMS Health Antibabypillen für ungefähr 420 Millionen Euro in deutschen Apotheken verkauft (Schick 2010). Doch die ökonomischen Auswirkungen betrafen nicht nur das Arzneimittelgeschäft. Durch die schon früh aufkommenden Bedenken hinsichtlich der gesundheitlichen Risiken der Pille – besonders in Hinblick auf Thrombose und Krebs (etwa Marks 2006) – und die damit verbundene Verschreibungspflicht besuchten seit den 1960er Jahren gesunde Patientinnen regelmäßig Frauenärzte und -ärztinnen. Dies modifizierte und intensivierte nicht nur das Verhältnis von Frauen und Gynäkologen beziehungsweise Gynäkologinnen, sondern sicherte letzteren auch eine neue und relativ konstante Einnahmequelle.

Doch die Pille hatte nicht nur Auswirkungen auf den medizinischen und pharmakologischen Bereich, sondern bildete ebenfalls einen zentralen Bestandteil des kulturellen Imaginären und ging mit gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Veränderungen einher. Diese wurden bereits in einigen Arbeiten untersucht.Footnote 1 Diskutiert wurde hierbei vor allem ihre Rolle bei modifizierten Einstellungen zu Sexualität, insbesondere innerhalb der Sexuellen Revolution. So wurde das Verhältnis zwischen Pille und Frauenbewegung vielfach hervorgehoben, ebenso wie ihre Bedeutung für eine allgemeine Gesundheitsbewegung, die Formation von Patientinnengruppen, die Arzneimitteltestung und die Ausweitung der Information in Beipackzetteln von Medikamenten (etwa Siegel Watkins 1998).

Ganz unabhängig davon, welche Wirkrichtung man hierbei annehmen möchte – ob die Pille einen kausalen Faktor darstellte oder nur einen Teil größerer gesellschaftlicher Prozesse bildete – zweifellos durchliefen seit ihrer Einführung in den 1960er Jahren sowohl die gesellschaftliche Rolle der Frau und die Einstellung zu Sexualität als auch das Verhältnis von Patientinnen und Medizinern oder Medizinerinnen und die Sicht auf das Pharmazeutikum selbst gravierende Veränderungen.

Diese Transformationen sind vor allem für die USA und Großbritannien analysiert worden (Cook 2004, Marks 2001, Siegel Watkins 1998). Für den europäischen Raum im Allgemeinen und den deutschen und französischen im Besonderen liegen dagegen bisher nur wenige Untersuchungen vor, obwohl gerade Westeuropa heute die Region mit dem weltweit höchsten Pillenkonsum darstellt (United Nations 2009). Zudem konzentrieren sich die meisten der vorhandenen Studien nur isoliert auf einzelne Länder, die dortigen Absatzzahlen und gesellschaftlichen Reaktionen auf das Medikament. Im Falle Westdeutschlands beschränken sich viele Arbeiten dabei sehr oft – wie etwa die jüngst erschienene, äußerst umfassende Studie von Eva-Maria Silies – auf die ersten beiden Jahrzehnte nach Einführung der Pille und enden Anfang der 1980er Jahre, also gerade in der Zeit, in der die Nutzung des Präparats zur Normalität geworden war. Für Frankreich existieren nur wenige Untersuchungen, die zudem oft lediglich auf Nutzerinnenzahlen und auf rechtliche und politische Bedingungen abzielen.Footnote 2 Darüber hinaus wurden veränderte Wahrnehmungen der Pille und Repräsentationen in Werbemitteln bislang nicht systematisch analysiert. Allenfalls die ersten Anzeigen in den Anfangsjahren wurden teilweise berücksichtigt, besonders die frühen Werbungen von Enovid (Searle) im englischsprachigen Raum (Siegel Watkins 1998) und die von Anovlar (Schering) in der BRD (Silies 2010, Theweleit 1998).

In diesem Artikel diskutiere ich wandelnde Konzepte von der Pille einerseits und deren Konsumentin andererseits von 1961 bis 2005 in Werbeanzeigen in Westdeutschland und Frankreich. Dabei zeigt sich die beiderseitige Verwobenheit von Frauen- und Pillenbildern mit nationalen Gesetzgebungen, kulturellem Wertewandel, Entwicklungen auf dem Medikamentenmarkt und einer zunehmenden Internationalisierung des Marketing. In einer vergleichenden Betrachtung von Werbematerial für die Antibabypille in gynäkologischen Zeitschriften in beiden Ländern frage ich sowohl nach lokalen therapeutischen Kulturen (Löwy/Weisz 2005) und länderspezifischen Vorstellungen, als auch nach transnationalen VerläufenFootnote 3 und übergreifenden kulturellen Prozessen in den Werbe-, Markt- und Konsumentwicklungen. Schließlich war die Pille, wie etwa Silies 2010 betont, schon früh in übergreifende Kontexte eingebunden: Sowohl die Diskussionen um Nebenwirkungen als auch das Verbot von Verhütung durch die päpstliche Enzyklika 1968 hatten weltweite Effekte. Zudem operierten viele Herstellerfirmen im internationalen Raum.

Um Darstellungsmuster der Pille und ihrer Nutzerin untersuchen zu können, erscheint es sinnvoll, auf Werbe- und Anzeigenmaterial in gynäkologischen Fachzeitschriften zurückzugreifen. Die Wahl der Fachzeitschriften erklärt sich daraus, dass in Deutschland und Frankreich Werbung von verschreibungspflichtigen Medikamenten, die sich direkt an Patienten und Patientinnen richtet, verboten ist. Aus den Anzeigen lassen sich Präsentationsbestrebungen der Herstellerfirmen, das Auftauchen neuer Produkte und gewandelte Modi der Darstellung und Argumentation wie auch generelle gesellschaftliche und ökonomische Entwicklungen ablesen. Werbung zielt nicht nur darauf ab, Einstellungen und Wahrnehmungsmuster zu verändern, sondern reagiert ebenso auf sich wandelnde Einstellungen und Wahrnehmungsmuster. Dies machen wissenschaftsbasierte Marketingstrategien deutlich, die ab den 1950er Jahren für pharmazeutische Werbung relevant wurden und die Mittel von Meinungsumfragen, Markt- und Werbewirksamkeitsforschung nutzten.Footnote 4 Werbeanzeigen fungieren damit als signifikanter Umschlagplatz gesellschaftlicher Konsumphantasien und Imaginationen, die sowohl Abbilder als auch Agenten kultureller Transformationen sind. Wird die Pille mit Donna Haraway 1995 als materiell-semiotischer Akteur betrachtet, so bilden die Anzeigen Teil ihrer semiotischen Elemente, die jedoch stets mit den materiellen verbunden sind.

In Bezug auf den westdeutschen Kontext der 1960er und 1970er Jahre orientiert sich die Analyse an der historischen Phaseneinteilung von Silies 2010, die durch das untersuchte Quellenmaterial bestätigt werden konnte. Allerdings gehe ich vor allem in drei Punkten über Silies Arbeit hinaus: durch den Fokus auf Werbeanzeigen, den Einbezug des Zeitraumes ab den 1980er Jahren und schließlich durch die Integration der französischen Situation. Wie wurde für die Pille geworben? Welches Bild wollten die Unternehmen von diesem äußerst umsatzstarken, erfolgreichen und ungewöhnlichen Arzneimittel und seiner Konsumentin vermitteln? Und welche nationalen Unterschiede und Gemeinsamkeiten sind dabei in den beiden westeuropäischen Ländern festzustellen?

Die Hauptquelle meiner Untersuchung stellen Werbeanzeigen für die kontrazeptive Pille in gynäkologischen Fachzeitschriften dar. Dazu wurden fünf (beziehungsweise mit Einbezug von Umbenennungen sechs) französischeFootnote 5 und zwei westdeutsche JournaleFootnote 6 von 1961 bis 2005 analysiert. Diese unterschiedliche Anzahl ergab sich aus der heterogeneren Situation der Gynäkologie in Frankreich. Hier existierten mehrere einflussreiche gynäkologische Gesellschaften, die teilweise eigene Fachzeitschriften herausbrachten, von denen aber viele nur kurze Zeit erschienen oder ihre Namen wechselten. Insgesamt wurden circa 60 verschiedene französische Anzeigen für 37 Pillentypen und 80 westdeutsche Anzeigen für 36 Pillen von 1961 bis 2005 ausgewertet.

Um die Anfangsjahre adäquat zu erfassen, wurde zusätzlich an Ärzte und Ärztinnen verteiltes deutsches und französisches Werbematerial wie Postkarten, Flyer, Informationsbroschüren und Anzeigen zwischen 1961 und 1975 aus dem Archiv der Schering AG (im Folgenden abgekürzt als AS) in die Untersuchung einbezogen, also der Firma, die unter anderem Anovlar, die „erste europäische Pille“ (Sieg 1998) hergestellt und vertrieben hatte.

Bei der Analyse des Werbematerials wurden sowohl Anzeigetexte, Slogans, die inhaltliche Argumentation und Listen mit Indikationen und Nebenwirkungen ausgewertet, als auch die grafische Gestaltung, Bildlichkeit und visuelle Präsentation. Durch letztere sollten neben textuellen und sprachlichen Analysen auch Ansätze der historischen Bildwissenschaft in Sinne einer visual history integriert werden (Becker 2008, G. Rose 2007).

Die multifunktionale pilule versus die kontrazeptive Pille. Nationale Unterschiede und Gemeinsamkeiten bis Mitte der 1970er Jahre

Wenn das Quellenmaterial auf länderspezifische Muster bei der Darstellung des Medikaments untersucht wird, finden sich nur für die ersten zehn bis zwanzig Jahre nach seiner Einführung auf dem Arzneimittelmarkt markante Unterschiede. Diese frühen nationalen Differenzen korrespondieren sicherlich größtenteils mit verschiedenen Konstellationen in den jeweiligen Netzwerken wie auch mit unterschiedlichen gesetzlichen, gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen in beiden Ländern: In der BRD wurde das noch aus der Zeit des Nationalsozialismus stammende Verbot von Empfängnisverhütung erst 1961 formell aufgehoben. Im gleichen Jahr kam die erste Pille Anovlar von Schering in den westdeutschen Handel. Da Verhütung in dieser Zeit sowohl einen moralisch fragwürdigen Ruf als auch unseriös und nichtwissenschaftlich konnotiert war, gestaltete sich die Informationspolitik für das neue Produkt zunächst äußerst zurückhaltend. Teilweise wurde die Pille in den ersten Jahren nur an ausgewählte Mediziner und Medizinerinnen verteilt. Zudem wurde ihre Verschreibung lediglich für verheiratete Frauen mit mindestens zwei Kindern empfohlen (Silies 2010). Allgemein bestimmte die Sorge vor moralischem Verfall und vermeintlichem Missbrauch den Diskurs der Anfangszeit. Dem gemäß beurteilt Silies diese erste Phase von 1961 bis 1966 als verhaltene Nutzung der Pille, die mit einer restriktiven Verschreibung durch die Ärzte und einer nur rudimentären Thematisierung von Verhütung und Sexualität einherging. Früh wurde allerdings über mögliche Nebenwirkungen der Pille berichtet. So befürchtete man etwa Frigidität, ein erhöhtes Krebsrisiko oder die Zunahme von Thrombosefällen. Zu dieser Verunsicherung trug nicht zuletzt auch der Contergan-Skandal 1961/1962 bei, der zu einer Skepsis gegenüber möglichen Nebenwirkungen neuer Pharmazeutika und zu verstärkter Medikamententestung und -regulierung führte (Gaudillière/Hess 2008, Kirk 1999, Steinmetz 2003). Dennoch gewann die Pille allmählich an Bekanntheit und Popularität: Nach einer Meinungsumfrage von Schering kannten 80 Prozent der Frauen sie 1965 in Deutschland (Silies 2010).

Dies bereitete die zweite Phase vor, die gemäß Silies von 1967 bis 1972 andauerte und von einem rapiden Anstieg der Pillennutzung geprägt war. In dieser Zeit vollzog sich parallel dazu ein gesellschaftlicher Wandel, der sich unter anderem an einer zunehmenden Liberalisierung der Sexualität, mehr nackter Haut in den Medien und einer verstärkten Politisierung von Sexualität und Reproduktion in der Frauen- und Studentenbewegung zeigte. Vor allem Vertreterinnen der sich formierenden Frauenbewegung setzten sich nun für einen erweiterten Zugang zur Pille und gegen die Beschränkung auf verheiratete Mütter ein.

Nachdem auch auf Grund dieser Interventionen orale Verhütung tatsächlich mehr Frauen offenstand und breiter genutzt wurde, veränderte sich allerdings das zuvor befürwortende Verhältnis der Frauenbewegung zur Pille Mitte der 1970er Jahren grundlegend: Sie erfuhr nun zunehmende Ablehnung, weil sie etwa als Mittel einer sogenannten männlichen Medizin, als potentiell gesundheitsschädlicher Eingriff in einen als natürlich verstandenen Körper und Zeichen einer allein an Frauen delegierten Verantwortung für Verhütung angesehen wurde. Auch deswegen setzten viele erwachsene Frauen in dieser Zeit das Präparat wieder ab, so dass von einer Pillenmüdigkeit gesprochen wurde (Schwarz 1998). In absoluten Zahlen gesehen blieb ihre Gesamtnutzung aber relativ stabil, da die gesunkene Nachfrage bei den Älteren durch junge Konsumentinnen ausgeglichen wurde. Für die dritte Phase der Pillennutzung macht Siles 2010 eine Stagnation auf relativ hohem Niveau ab 1973 aus. Während 1969 noch etwa 16 Prozent aller Frauen im Alter von 15 und 45 Jahren die Pille nahmen, stieg dieser Anteil Mitte der 1970er Jahre auf 30 Prozent, um dann wieder leicht zu sinken und lange auf diesem Wert zu verharren.

In Frankreich dagegen herrschte in diesem Zeitraum eine vollkommen andere Situation. Dies betraf vor allem die rechtlichen Bedingungen. Hier bestand Anfang der 1960er Jahre ebenfalls ein Verbot von Verhütungsmitteln, das auf ein am 31. Juli 1920 in Kraft getretenes Gesetz gegen Verhütung und Abtreibung zurückging. Dieses Verbot wurde allerdings auch bei der ersten Einführung oraler Kontrazeption aufrechterhalten. So wurde Enovid, das 1961 auf dem französischen Markt kam, zunächst nur zur Behandlung von Unfruchtbarkeit zugelassen (Chauveau 2003) – eine Indikation, die auch in den USA in der Zulassungsphase dieser Präparate durchaus prominent war (Marks 2001, Siegel Watkins 1998). Enidrel von Byla, „la premiére pilule francaise“, die erste französische Pille, war ungefähr zeitgleich und mit ähnlichen Indikationen auf den Markt (Mondenard 2004: 1267, vgl. Abb. 1). Die Aufhebung des französischen Verbots erfolgte erst mehr als sechs – beziehungsweise in der Praxis sogar zwölf – Jahre später als in der BRD. Im Dezember 1967 legalisierte das sogenannte loi Neuwirth (benannt nach dem Abgeordneten Lucien Neuwirth), Verhütung im Allgemeinen und die Pille im Besonderen. Allerdings wurde dieses Gesetz nur sehr langsam von der französischen Verwaltung implementiert, so dass es erst ab 1972 angewendet werden konnte. 1973 erlangten schließlich die ersten Pillen die authorisation de mise sur le marché und damit ihre offizielle Verkaufserlaubnis als Verhütungsmittel (Chauveau 2003). Ein Jahr später wurde der Zugang zu Verhütungsmitteln für alle Frauen gesetzlich noch weiter erleichtert (Khanine 1998). Wie Chauveau 2003 beschreibt, war diese administrative Verzögerung einem Widerstand gegen weiblich kontrollierte Verhütungsmittel geschuldet, aber auch mit Berichten von potentiell gesundheitsschädlichen Nebenwirkungen und mit verstärkten Sicherheitsmaßen auf Grund des Contergan-Skandals verbunden. Die Konfliktlinien um das Gesetz zur Legalisierung spalteten in Frankreich das Feld der Gynäkologie, das weniger einheitlich als in Deutschland war und sich aus vier verschiedenen Gruppen zusammensetzte.Footnote 7 Hierbei lehnte die statusreichste Gruppe, die aus einer Kombination von Gynäkologie und Geburtshilfe bestand, größtenteils männliche Mediziner umfasste und einen chirurgischen Schwerpunkt hatte, die Legalisierung der Verhütung ab. Dahingegen wurde sie von der kleineren Gruppe der medizinischen Gynäkologie befürwortet, die eine endokrinologische Ausrichtung hatte, aus einem höheren Frauenanteil bestand und oft mit dem Eintreten für Frauenrechte assoziiert wurde. Durch den zähen Kampf für die Zulassung hormoneller Verhütungsmittel war auch in der französischen Frauenbewegung der Einsatz für die Pille sehr viel zentraler als in Deutschland (Gauthier 2002). Dies führte dazu, dass es nach der Legalisierung keineswegs zu so einer tief greifenden Pillen- und Medizinkritik wie in Deutschland kam und auch von einer in den 1970er Jahren zunehmenden Pillenmüdigkeit keine Rede sein konnte. Dementsprechend erhielt einige Jahre später die Hormonersatztherapie in der Menopause und der allgemeine Einsatz von weiblichen Geschlechtshormonen in Frankreich eine sehr viel breitere Zustimmung als in vielen anderen westlichen Ländern (Löwy/Weisz 2005).

Die lange Zulassungsdauer schlug sich auch in den Verkaufszahlen der französischen Pille, die offiziell keine sein durfte, nieder. Ihre Zahlen lagen weit unter denen der BRD in derselben Zeit. Demgemäß ist das für den deutschen Raum bis 1980 erstellte Dreiphasenmodell hier nicht anzuwenden. Eher ist von einer relativ kontinuierlichen Steigerung beziehungsweise einem Zweiphasenmodell zu sprechen, das ungefähr mit den Legalisierungsschritten korrelierte. Dabei kann die Zeit bis 1970 als die erste Phase bezeichnet werden, in der eine kleine, langsam anwachsende Zahl von Nutzerinnen zu verzeichnen war, die weniger als fünf Prozent aller Frauen zwischen 15 und 49 Jahren entsprach (Chauveau 2003, Toulemon/Leridon 1991). In einer zweiten Phase ab 1971 kam es dann zu einem schnelleren und steileren Anstieg, der lange relativ konstant anhielt. So nutzten 1974 bereits 17 Prozent der Frauen dieser Altersgruppe die Pille und bis 1988 stieg dieser Anteil allmählich bis knapp unter 30 Prozent (Toulemon/Leridon 1991). Trotz dieses vergleichsweise intensiven Anstiegs vollzog sich der Prozess jedoch sehr viel langsamer als in Deutschland, wo bereits über ein Jahrzehnt früher, nämlich Mitte der 1970er Jahre, die Marke von 30 Prozent erreicht worden war. Es handelt sich damit in diesem Zeitraum in Frankreich um eine relativ lang andauernde und gemächlich-kontinuierlich steigende Phase.

Bei der Betrachtung deutscher und französischer Werbeanzeigen für diese hormonelle Medikation bis Mitte der 1970er Jahre finden sich vor allem in Bezug auf die Präsentation der Pille signifikante Unterschiede. Kaum überraschend war das französische Werbematerial noch dezenter gestaltet als das, zumindest in der Anfangsphase, ebenfalls recht (vgl. Abb. 1) zurückhaltende Vergleichsmaterial in der BRD. Schließlich wurde in den westdeutschen Werbe- und Informationsmaterialien das Thema der Verhütung thematisiert, selbst wenn dies zunächst nur verschämt und implizit vor sich ging. So war in der BRD – vor allem in der ersten Phase – in Werbeslogans statt von Verhütung lieber euphemistisch von der ärztlichen „Beratung junger Ehepaare“ beziehungsweise der „Beratung junger Mütter“ wie bei Anovlar von Schering (AS 1964), von „Familienplanung“ wie bei Lyndiol von Organon (DG 1968) oder von „verantwortungsvoller Elternschaft“ wie bei Ovulen von Boehringer (DG 1968) die Rede.Footnote 8 Zudem wurde in den Anzeigetexten häufig darauf hingewiesen, die Pille mache eine Pause in vielen, aufeinander folgenden Schwangerschaften möglich, wie bei Anovlar durch Schering (AS 1964). Die Anzeigen schienen mit dieser Rhetorik die Vorstellung vermeiden zu wollen, dass die Pille ganz allgemein Schwangerschaften – und nicht nur zu viele oder zu schnell aufeinander folgende – verhüten könnte. Die Möglichkeit der Kontrazeption wurde zwar angesprochen, aber innerhalb der Rahmung von Ehe, Familie und Mutterschaft so präsentiert, dass die Vorstellung sexueller Exzesse und als unmoralisch betrachteter Praktiken nicht aufkommen sollte. Dies passte in der Tendenz zu einigen frühen Vorschlägen, nicht von einer Antibabypille, sondern lieber von einer Wunschkindpille zu sprechen – was primär daran scheiterte, dass das entsprechende Präparat bereits in der DDR so bezeichnet wurde (Schwarz 1998).

Wurden Indikationen genannt – was in der frühen Zeit allerdings keineswegs in allen Anzeigen und Werbematerialien der Fall war – so wurde in den meist kleiner gedruckten Texten durchaus auf die antikonzeptionelle Wirkung hingewiesen, wenn auch oft nur als eine von verschiedenen genannten Indikationen. Zudem wurden andere postulierte Effekte wie die Regulierung von Menstruationsbeschwerden und Zyklusstörungen (siehe etwa Schlünder 2005), analog zu den USA oder Großbritannien, hervorgehoben. So empfahl eine Anzeige für die Pille Aconcen von Merck aus dem Jahr 1964, das Präparat zur Konzeptionskontrolle, bei Dysmenorrhoe, Endometriose und funktioneller Sterilität einzusetzen (GF 1964) und 1966 wurde in einer Informationsbroschüre für Eugynon von Schering angegeben, dass diese Pille auch bei Frauenkrankheiten und Menstruationsbeschwerden Abhilfe schaffe (AS). Allerdings tauchte bereits 1965 in einer Anzeige für dieses Präparat das Thema der Kontrazeption nicht nur im Kleingedruckten auf, sondern bereits prominent im Slogan, in dem „das weltweit bewährte orale Kontrazeptivum in der praktischen Kalenderpackung“ vorgestellt wurde (AS). Spätestens ab 1975 wurde Empfängnisverhütung schließlich meist als einzige Indikation genannt, wobei die anderen Gründe weitgehend nicht mehr erwähnt wurden. Diese Befunde bestätigen Silies Phaseneinteilung: In der ersten Phase bis 1967 waren durchaus vorhandene aber diskrete und den Sittlichkeitsnormen entsprechende Hinweise auf die Verhütung festzustellen, die aber ab der zweiten Phase sehr viel expliziter und deutlicher wurden.

In Frankreich dagegen durfte das frühe Marketing für die Pille schon aus legalen Gründen Kontrazeption nicht ansprechen und in der Werbung dafür musste zu viel subtileren Mitteln gegriffen werden als in den vergleichbaren Anzeigen in Westdeutschland. Und so waren die Vermarktungsstrategien bis zur endgültigen Legalisierung der Pille 1974 vor allem von zwei gegenläufigen Tendenzen geprägt: Einerseits durfte die Werbung nicht zu sehr hervorstechen und musste die Ähnlichkeit dieses Präparats zu hormonellen Pharmazeutika ohne antikonzeptionellen Effekt, die sich als Mittel gegen diverse sogenannte Frauenleiden bereits lange auf dem Markt befanden, betonen. Andererseits mussten sich die Anzeigen trotzdem von der Darstellung anderer Hormonmittel absetzen und auf diskrete Art und Weise die spezielle Wirkung der Pille hervor heben.

Es muss oft schwer gefallen sein, Werbung für hormonelle Antikonzeption von jener für hormonelle Präparate ohne kontrazeptive Effekte zu unterscheiden. Denn Anzeigen für frühe Präparate wie Enidrel, die erste französische (Nicht-)Pille (Byla, CR 1963, Abb. 1) oder Lyndiol (Laboratoires Endopancrine, GP 1963) waren schwarz-weiß gehalten, grafisch sehr schlicht gestaltet, enthielten meist keine Bilder und nur wenig Text. Sie nannten ausschließlich unproblematische Indikationen wie Ovulationsprobleme, Amenorrhoe, Dysmenorrhoe oder Endometriose, die für die Anfangsjahre in vielen Ländern üblich waren. Damit unterschieden sie sich nicht von den – in der Zeit in Frankreich allgemein relativ schlichten – Anzeigen für hormonelle Präparate, die mit identischen Indikationen eingesetzt wurden. Die meisten französischen Werbemittel begnügten sich mit dieser Methode, wie in der äußerst reduzierten Anzeige für Enidrel von 1963 in Abbildung 1 zu sehen ist. Die darauf angegebenen kontrazeptiven Effekte zu verstehen, erforderte medizinisches Fachwissen oder die Kenntnis der Zusatzwirkung aus anderen Zusammenhängen durch die Adressaten. In einigen Anzeigen wurde diese zurückhaltende Strategie noch weiter auf die Spitze getrieben, indem auf die Liste von Indikationen und Wirkungen komplett verzichtetet wurde. Genannt wurden nur Name und Marke des Produkts, aber ansonsten wurden keine weiteren Informationen gegeben.

Abb. 1:
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Werbung für das französische Präparat Enidrel von Byla (CR 34 (1963), Heft 1; der Rechteinhaber konnte trotz intensiver Bemühungen nicht ermittelt werden).

Die Werbung für das Präparat Planovine bietet hierzu ein gutes Beispiel und verdeutlicht zudem die nationalen Unterschiede zwischen Frankreich und Westdeutschland: 1968 erschien in beiden Ländern eine Anzeige von Novo Industrie für dieses Produkt, die jeweils eine Fotografie zeigte, auf der die Statue einer Frau mit Säugling zu sehen war (vgl. Abb. 2, 3). In beiden Fällen setzte sich das Weiß der steinernen Statue vor einem dunklen Hintergrund ab und es dominierte die Säuglingsfigur, entweder, weil sie sich unmittelbar im Zentrum des Bildes befand oder weil sie den Endpunkt des dreiecksförmigen Bildaufbaus und der Blickachse der Frauenfigur bildete. Auf visueller Ebene überführten beide Ausführungen das Thema Verhütung in den positiv konnotierten Bereich von geplanter Reproduktion, indem sie die Idee eines Kindes – beziehungsweise eines abstrakten Wunschkindes – in den Mittelpunkt setzten. Die steinerne Materialität der Statue, der Hell-Dunkel-Kontrast und die eher kühle Farbgebung sollten die Assoziation von Reinheit, Transzendenz und schöpferischer Sublimation hervorrufen, womit die Verbindung zu Sexualität und Körperlichkeit gleichzeitig untergraben wurde. Aber während die westdeutsche Variante auf textueller Ebene auskunftsfreudiger war und mit ihr relativ eindeutig Werbung für die Pille, wie wir sie heute kennen, gemacht wurde – etwa indem die Vorzüge „verantwortungsvoller Familienplanung“ betont und das Präparat zur „nebenwirkungsarmen Kontrazeption“ empfohlen wurde – beschränkte sich die Veröffentlichung für den französischen Markt allein auf das Bild und den Namen von Produkt und Herstellerfirma, verzichtete aber auf alle weiteren Angaben. Es schien also in Frankreich auszureichen, allein mit der Markenbezeichnung und gegebenenfalls mit den einschlägigen Indikationen des hormonellen Präparats in Fachzeitschriften präsent zu sein.

Abb. 2:
figure 2

Werbung für das französische Präparat Planovine von Novo Industrie Pharmaceutique Paris (GP 19 (1968), Heft 5; Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Novo Nordisk A/S).

Abb. 3:
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Werbung für das westdeutsche Präparat Planovin von Novo Industrie GmbH Pharmazeutika Mainz (DG, 1 (1968), Heft 1; Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Novo Nordisk A/S).

Neben dieser Tendenz zur Mimikry und dem Vertrauen auf Insiderwissen zeigten die Werbeanzeigen auch, dass eine subtile Art der Distinktion gegenüber anderen Produkten betrieben wurde. Dies wurde vor allem durch den Hinweis auf die kontrazeptiven Qualitäten des Produkts realisiert, so durch einen Ausdruck, der seine Effekte auf medizinisch-physiologischer Ebene darstellte. „Mise au repos de l’ovaire“ hieß es mitunter, also, das Präparat führe dazu, dass die Eierstöcke pausieren und so die Ovulation aussetzt.Footnote 9 Diese Aussage, die meist durch Farbe und Schriftgröße besonders hervorgehoben wurde, ermöglichte im Prinzip, die antikonzeptionellen Qualitäten eines Produkts zu identifizieren, auch wenn dies für die medizinischen Laien zunächst nicht klar ersichtlich gewesen sein mag. Dass diesem Ausdruck doch eine gewisse Signalfunktion zukam, wurde dadurch deutlich, dass sich andere Hormonpräparate mit ähnlichen Indikationen, aber ohne kontrazeptive Wirkung, häufig sogar explizit davon abgrenzten. So griff die Werbung für das Hormonpräparat Colpormon vom Laboratoire de L’ Hépatrol 1963 diese Formulierung auf, indem sie erklärte: „sans effet sur l’ovulation“ (CR 1963). Erst ab 1974, dem Jahr nach dem endgültigen Inkrafttreten der Legalisierung von Verhütungsmitteln in Frankreich, tauchte dann der Begriff Kontrazeption als ein Punkt auf der Indikationsliste auf. Abgesehen von dem Mittel Gynophase, das als „contraceptif“ auch grafisch hervorgehoben wurde (JG/G 1974), waren die Slogans der Anzeigen immer noch relativ zurückhaltend. Meistens wurde die jeweilige Pille weiterhin entweder medizinisch-neutral als „inhibiteur de l’ovulation“, also als Ovulationshemmer (Relevois, Laboratoires Substantia, JG 1974) oder euphemistisch-sittlich als Teil von Familienplanung und künftiger Mutterschaft beworben. Die Pille Ovanon von Organon sollte etwa laut Titel „pour le respect de ses maternites futures“, also aus Rücksicht auf künftige Mutterschaft verschrieben werden (JG 1974), was stark mit den Strategien der frühen westdeutschen Werbematerialien im Einklang stand. Im Jahr 1979 dagegen tauchten die Begriffe Kontrazeption und Pille beziehungsweise pilule bereits im Slogan der Anzeigen sehr viel offener auf. Dennoch wurden viele der alten Indikationen wie Menstruationsbeschwerden und Probleme bei der Ovulation weiterhin angegeben. Es dauerte noch bis Anfang der 1980er Jahre, also mindestens ein halbes Jahrzehnt länger als in der BRD, bis auch in französischen Anzeigen Verhütung zur alleinigen Indikation wurde und die Pille primär als ebensolche in Erscheinung trat.

Damit erschien dieselbe Substanz im französischen Marketing in den beiden ersten Jahrzehnten als multifunktionale hormonale Medikation. Als solche sollte sie verschiedene Beschwerden lindern, die oft grob unter dem Label Frauenkrankheiten zusammengefasst wurden. Dagegen trat das Präparat in Deutschland schon früh in erster Linie als Verhütungsmittel auf. Trotz der vergleichbaren Inhaltsstoffe kann man für diesen Zeitraum also als Zwischenfazit ziehen, dass für zwei verschiedene Medikationen geworben wurde: für ein multifunktionelles Präparat in Frankreich und eine kontrazeptive Pille im engeren Sinne in Westdeutschland.

Es ist relativ augenfällig, dass diese nationalen Diskrepanzen hauptsächlich von einer unterschiedlichen Medikamentenregulierung herrührten, im Besonderen aufgrund der administrativen und juristischen Regulierungsmethoden.Footnote 10 Für den französischen Kontext waren hierbei sicherlich die bereits erwähnten Gesetze von 1967 und 1973/1974 von großer Bedeutung, die das mögliche Ausmaß der expliziten Bezüge auf Kontrazeption direkt bestimmten. Allerdings ließe sich damit allein nicht erklären, warum relativ lange nach der Legalisierung an multiplen Indikationen festgehalten wurde und erst spät ausschließlich die Kontrazeption genannt wurde. Dies scheint in Verbindung mit der Herausbildung verschiedener therapeutischer Kulturen gestanden zu haben (Daemmrich 2004). So haben die in den Anfangsjahren etablierten Darstellungsweisen durchaus die Wahrnehmung eines multifunktionellen Hormonpräparats mit zusätzlichen antikonzeptionellen Wirkungen geprägt, die auch nach 1974 noch einige Zeit Relevanz besaßen. Selbst wenn davon auszugehen ist, dass in den frühen Jahren viele der in Frankreich praktizierenden Ärzte und Ärztinnen die Pille zwar offiziell mit anderen Indikationen, inoffiziell aber zu Verhütungszwecken verschrieben (Chauveau 2003), mag dies keineswegs in allen Fällen zugetroffen haben. Teilweise stellten die offiziellen Verschreibungsgründe wohl durchaus die tatsächlichen dar. Deswegen hatten sich die Verantwortlichen möglicherweise durch eine breite Indikationsliste und Werbestrategie höhere Verkaufszahlen versprochen. Es wäre somit voreilig, den französischen Prozess lediglich als Verzögerung zu interpretieren. Vielmehr war die Vorstellung einer multifunktionellen Medikation nicht nur mit rechtlichen Strukturen verbunden, sondern auch mit kulturellen Deutungsmustern und Nutzungspraktiken.

Neben den länderspezifischen Unterschieden, die bis Mitte der 1970er Jahre, beziehungsweise teilweise bis in die frühen 1980er Jahre bestanden, existierten viele Parallelen zwischen beiden Ländern, die sich vor allem auf zwei Ebenen abspielten: der Betonung der Medikamentensicherheit und der Darstellung der Nutzerinnen. So wurde erstens dieses Arzneimittel häufig als zuverlässige, geprüfte und standardisierte Medikation dargestellt. Dies spielte sich im Kontext des Contergan-Skandals sowie früh laut werdender Befürchtungen von Gesundheitsschäden durch die Pille ab, die transnationale Effekte hatten. In den Anzeigeslogans und -texten wurde die Medikamentensicherheit explizit betont. Die Pille AlfameseE etwa warb mit dem Spruch „Ein Ovulationshemmer mit beruhigender Sicherheit“ (Dr. Kade, DG 1974), Anovlar präsentierte sich sogar als „zuverlässiges, gut verträgliches und leicht anzuwendendes Kontrazeptivum“ (Schering, AS 1964) und Préventa von Midy betonte „simplicite et securite“ (GO 1969). Daneben wurden die ständige Kontrolle und Überprüfung pharmakologischer Effekte betont, was in beiden Ländern etwa durch die in den ersten zwanzig Jahren immer umfangreicher werdenden Listen an Nebenwirkungen und Kontraindikationen realisiert wurde.

Die häufigste Methode, auf die Sicherheit und Kontrollierbarkeit des Medikaments hinzuweisen, war jedoch, sich direkt auf Studienergebnisse – etwa zu einzelnen Nebenwirkungen – zu beziehen und auch wissenschaftlich konnotierte Elemente dabei zu verwenden, wie Tabellen, Grafiken, Diagramme und Bilder von Zellabstrichen (unter anderen Oraconal von Astra & Lappe, DG, 1974; Lyndiol von Organon (GF 1972) oder Ovariostat von Organon (GO 1969)). Diese Vorgehensweise war vor allem von den 1960ern bis in die späten 1980er Jahre stark verbreitet. Dabei war in beiden Ländern besonders in den 1970er Jahren ein Höhepunkt festzustellen, also genau zu der Zeit, in der in den USA die weltweit beachteten Nelson Hearings zu den Risiken und Nebenwirkungen der Pille stattfanden (Marks 2001).

Ein weiterer Weg, die Sicherheit des Medikaments hervorzuheben, der in den ersten beiden Jahrzehnten nach seiner Einführung sehr prominent war und danach fast vollständig verschwand, war der Hinweis auf die Standardisierung der Kalenderpackung, der oft über ihre fotografische Abbildung erfolgte. Das war beispielsweise bei der Anzeige für Préventa von Midy der Fall, bei der die Frontalansicht der Packung und die schlichte, reduzierte Grafik zusätzlich den Eindruck von Überblick und Klarheit vermittelten (GO 1969, vgl. Abb. 4). Das wurde teilweise von textuellen Hinweisen auf das übersichtliche und bedienungsfreundliche Einnahmesystem ergänzt, wie bei der Werbung für Lyndiol 2,5 von Organon (DG 1968). Auf diese Art und Weise erschien die Verpackung als Garant für sicheren Konsum und die Frau als einzig mögliche Quelle des Irrtums und der Unregelmäßigkeit – eine Assoziation, die gleichsam an traditionelle Stereotype von Weiblichkeit wie an zu dieser Zeit kursierende Narrative falsch verstandener Einnahmeregeln anschloss (Marks 2001, Silies 2010). Dagegen wurden andere Möglichkeiten von Unsicherheit und Irregularität, etwa durch mangelnde oder irreführende ärztliche Erklärungen oder die Interaktion mit anderen Arzneien nicht erwähnt. Insgesamt zeigten all diese, in Frankreich und Westdeutschland durchgängig vertretenen Werbestrategien, dass zwar in den ersten Jahren verschiedene landesspezifische Medikationen beworben wurden, ihre Sicherheit und Kontrolle jedoch gleichermaßen demonstriert werden musste.

Abb. 4:
figure 4

Werbung für das französische Präparat Préventa von Midy (GO 68 (1969), Heft 2; der Rechteinhaber konnte trotz intensiver Bemühungen nicht ermittelt werden).

Zweitens ähnelten einander auch die Frauenbilder beziehungsweise die Darstellungsschemata der Pillennutzerinnen in der Tendenz. Da in den französischen Zeitschriften der ersten Jahre weniger Abbildungen zu finden waren, verdeutlichten sich bestimmte frühe Grundmuster in den Frauendarstellungen besonders in den Anzeigen der BRD. Wie bereits erwähnt, wurden die Patientinnen in den ersten westdeutschen Werbematerialien von Schering oft gemäß damaliger Weiblichkeitsideale als Ehefrauen und Mütter gezeigt, die sich in einer moralisch einwandfreien Situation an den – ausschließlich männlichen – Mediziner wandten. Dabei erschienen sie auf den Fotografien nie allein, sondern waren stets zusammen mit dem Arzt, mit ihrem (teilweise durch Ehering markierten) Ehemann oder mit Kindern abgebildet. Bekannt ist etwa ein Werbebild aus den frühen 1960er Jahren, auf dem eine einfach und ordentlich gekleidete, sitzende Frau mit zwei Kindern zu sehen war, die sich hilfesuchend an einen Arzt richtete: „Zwei Kinder so kurz hintereinander waren einfach zu viel für mich“ wurde ihr dabei in den Mund gelegt (vgl. Abb. 5). Allein schon die Dreieckskomposition der Fotografie setzte ein Hierarchiegefälle in Szene. Dabei nahm die Kameraperspektive – der Blick über die Schulter des Mannes – die Position des Mediziners ein. Auch der Slogan richtete sich an ihn: „Anovlar 21 erleichtert Ihnen die Beratung junger Mütter“. Die Frau wurde so als fast hilflose aber sittlich integre Person inszeniert, der Arzt dagegen erschien in überlegener Stellung, sowohl auf visueller Ebene als auch in seinem Wissen und seiner Handlungsfähigkeit. Hierbei mag zudem eine soziale Codierung von Bedeutung gewesen sein. Die Frau gehörte auf Grund ihrer schlichten, unprätentiösen Garderobe wohl eher zur Arbeiterschicht oder zum Kleinbürgertum, was nicht nur ihre Unterlegenheit demonstrierte, sondern die Frage nach der Familienplanung zu einem sozioökonomisch begründeten Problem werden ließ. Der Arzt wurde so als gesellschaftlich verantwortungsvolle Autoritätsperson adressiert und nicht etwa – wie es berufsbezogenen Befürchtungen entsprach – als Befürworter sittlich fragwürdiger Verhütungsmittel. Mit dieser Bildsprache und der Rhetorik von Ehe- und Familienberatung wurden jegliche Assoziationen zwischen Pille und Sexualität untergraben, insbesondere in Bezug auf nicht-repoduktive und außereheliche Sexualität.

Abb. 5:
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Werbung für das westdeutsche Präparat Anovlar 21 von Schering (AS ca. 1964; gedruckt mit freundlicher Genehmigung vom Schering Archiv, Bayer AG).

In Frankreich dagegen wurden Mediziner gar nicht gezeigt, wie auch Konsumentinnen in den 1960ern seltener als in Westdeutschland in Erscheinung traten. Als die Nutzerinnen schließlich ab Ende des Jahrzehnts verstärkt repräsentiert wurden, orientierten sich diesbezügliche Bilder, ähnlich wie hierzulande, oft am Mutterschaftsideal: So zeigte die bereits erwähnte Anzeige 1968 für Planovine der Novo Industrie (GP 1968) eine Frauenstatue mit Kind und ein Jahr später wurde für dasselbe Präparat mit der Fotografie einer echten Frau geworben, die liebevoll einen Säugling hielt (GP 1969).

Für diesen weitgehenden Verzicht auf Frauen- und insbesondere Ärztebilder in der Anfangszeit können zwei Faktoren ausgemacht werden. Zum einen dürften die besagten Bilder trotz ihrer Orientierung an Mutterschaft und Ehe in Anbetracht des Verhütungsverbotes immer noch zu explizit und direkt gewesen sein, schließlich wurde hier primär für eine Medikation gegen gynäkologische Beschwerden geworben. Dementsprechend waren die Anzeigen, die auf visueller Ebene Mutterschaft evozierten, auf textlicher Ebene reduziert. Slogans, die wie in Westdeutschland etwa eine verantwortungsvolle Elternschaft anpriesen, fehlten hier völlig. Zum anderen wurden in Frankreich eventuell deswegen keine Bilder von Medizinern gezeigt, weil das gynäkologische Berufsbild dort in dieser Zeit heterogener war und bereits einen höheren Frauenanteil als in Westdeutschland verzeichnete (Lapeyre/Le Feuvre 2005). So dürfte das Bild des männlichen, latent paternalistischen Arztes, das in Westdeutschland so prominent war, in Frankreich ein weniger breites und generalisierbares Identifikationsangebot dargestellt haben.

Trotz der verschiedenen nationalen Differenzen in den Werbestrategien für die Pille – beziehungsweise für das multifunktionale Hormonpräparat – variierten die Darstellungen der Konsumentinnen ab den späten 1960er Jahren kaum noch. So war in beiden Ländern eine Diversifizierung festzustellen, die zur Ablösung der dominanten Figur der Ehefrau und Mutter führte. Schon ab Mitte der 1960er Jahre erschienen Frauen zunehmend allein auf den Fotos. Ohne Kinder, Mann und Arzt waren meist junge und lachende Frauengesichter zu sehen, die stark den Konventionen weiblicher Schönheit entsprachen, oft durch Großaufnahmen individualisiert waren und statt dezenter und bescheidener Kleidung, nun Make-up, auffällige Garderobe und modische Haarschnitte trugen (wie etwa für Anovlar 21, AS um 1965). Zudem wendete sich die Werbung ab Anfang der 1970er Jahre zunehmend an jüngere Frauen, da die Verschreibungs- und Konsummuster sich hin zu einem früheren Einnahmebeginn verschoben (Siegel Watkins 1998, Silies 2010). Die Pille Exlutona von Organon warb in Westdeutschland beispielsweise damit, dass sie besonders „der jungen Patientin“ Schutz biete und das Präparat Yermonil von Geigy verwendete den Slogan „Die passende Pille von Anfang an“ (DG 1974). Ähnlich erklärte Ovanon von Organon in Frankreich: „Pour la femme jeune, elle veut être bien, elle veut être sure“ (JG 1974).Footnote 11 Das Bild dazu zeigte eine junge Frau, die in die Kamera blickte und eine Aktentasche hielt, wodurch ein Assoziationsraum jenseits von Küche und Kindern eröffnet wurde, der öffentliche Tätigkeitsbereiche wie Arbeit, Schule oder Universität nahe legte.

Darüber hinaus veränderten sich in diesem Zeitraum die Darstellungsformen von Sexualität, die nun sehr viel expliziter thematisiert wurde und hierbei auch nicht mehr unbedingt die Absicherung durch die Fixpunkte von Ehe und Mutterschaft zu benötigen schien. Gezeigt wurden mitunter deutlich sexualisierte Bilder wie in der Werbung für die Pille Oraconal von Astra & Lappe von 1974 (vgl. Abb. 6). Dort blickte eine fast nackte Frau, die nur mit einem transparenten und zudem leicht verrutschten Morgenmantel bekleidet war, versonnen in den Spiegel. Der abgebildete Plüschteppich und das Blumenarrangement sowie ein an Serifen reicher, runder Schrifttyp kreierten einen Eindruck von Intimität und Sinnlichkeit. Dieser wurde allerdings durch die blaue Einfärbung der Fotografie und die Kontrastierung mit Bildern von Zellabstrichen in medizinischer Distanz gehalten. Zudem betonte der Slogan „Sie hat sich für die Pille entschieden“ noch einmal die moralische Dimension, die für die Konsumentin, deren Gesicht über einen Spiegel sichtbar wurde, als Anlass der Selbstreflexion inszeniert wurde.

Abb. 6:
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Werbung für das westdeutsche Präparat Oraconal von Astra & Lappe (DG, 7 (1974) Heft 2; Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Bristol-Myers Squibb).

Zusammenfassend lässt sich für die ersten zwei Jahrzehnte nach Einführung der Pille in beiden Ländern festhalten, dass zunächst verschiedene Produkte beworben wurden. In den Darstellungen traten jedoch viele Parallelen auf. Denn in beiden Ländern wurde die Sicherheit des Präparats betont und die Darstellung seiner Konsumentin veränderte sich ebenfalls nach einem ähnlichen Muster: Die Figur der Mutter trat zugunsten diversifizierter und individualisierter, sexuell freizügiger, junger und ökonomisch gut situierter Weiblichkeitstypen zurück. Das Medikament wurde auf diese Weise in den Werbeanzeigen zunehmend in einem veränderten Wertesystem von sexueller Befreiung und Konsumkultur verortet.

Pillentypen, Frauentypen und Consumer-Lifestyle. Transnationale Verläufe seit Mitte der 1970er Jahre

Die 1970er Jahre waren in vielen westlichen Ländern wie Frankreich und der BRD von grundlegenden Modifikationen in der Frauen- und Gesundheitspolitik, in der Sexualmoral, Medizin und Ökonomie geprägt, die sich in den 1980er Jahren teilweise sedimentierten, aber auch von neuen Dynamiken beeinflusst wurden. Dies betraf auch Geschlechterrollen und Weiblichkeitsvorstellungen. Symptomatisch dafür feierte etwa der Popstar Madonna Anfang der 1980er Jahre erste internationale Erfolge. Sie verkörperte einen mit dem Mainstream kompatiblen Frauentyp, der unabhängig, offensiv und sexuell selbstbewusst auftritt, jedoch auch stark an Konsum, Schönheit und Jugendlichkeit orientiert ist. Bereits Ende der 1960er Jahre hatten in vielen westlichen Ländern Frauenbewegungen an Bedeutung gewonnen. Zu ihren Errungenschaften gehörten auch die feministischen Gesundheitszentren, die mit dazu beitrugen, die paternalistische Autorität der Medizin zu hinterfragen und die Deutungs- und Entscheidungshoheit über den weiblichen Körper stärker der Frau selbst zuzuweisen. Parallel dazu veränderte sich allgemein das traditionelle Verhältnis zwischen Ärzten beziehungsweise Ärztinnen und Patientinnen. Denn Patienten- und Interessengruppen formierten sich, um gemeinsam gesundheitspolitische Ziele durchzusetzen. Dazu kritisierten sie einerseits medizinische Praktiken, arbeiteten andererseits jedoch auch teilweise mit der Medizin zusammen. Deswegen erkennt hier etwa Nikolas Rose (2007) eine Transformation von der passiven Patientin hin zur aktiven Konsumentin, die informiert zwischen verschiedenen medizinischen und heilkundlichen Angeboten auswählt. Darüber hinaus eroberten Lifestyle-Medikamente seit den frühen 1980er Jahren einen stetig steigenden Marktanteil. Damit erlebte eine Medikamentengruppe ihren Aufstieg, die nicht auf Pathologien abzielte, sondern die helfen sollte, die Lebensqualität zu erhöhen, soziale Normen zu erfüllen und das eigene Selbst zu optimieren, indem die Konsumierung derartiger Produkte etwa Falten, Haarausfall und männliche Impotenz zu beheben versprachen.

Die kontrazeptive Pille war in diesen Zeitraum in vielen westlichen Ländern normalisiert und gehörte mittlerweile zum Alltag. In den 1980er Jahren war sie in Deutschland ebenso wie in Frankreich schon lange ein legales Medikament, das klar der Verhütung diente, auch von jüngeren Frauen konsumiert wurde und kaum mehr zu moralischen Bedenken führte. Dazu gehörte auch, dass die ihr zunächst zugesprochene Fähigkeit nun relativiert wurde. Ihr temporärer Höhenflug als sicherstes aller Verhütungsmittel, das den Sexualverkehr einfach und folgenlos machte, wurde vor allem durch die sich seit den 1980ern ausbreitende AIDS-Epidemie eingeschränkt, mit der Kondome als ansteckungssichere Verhütungsmittel ein Revival erlebten. Zudem hatte sich in der Zwischenzeit das Angebot an hormonellen Kontrazeptiva stark ausdifferenziert und die materielle Seite dieses materiell-semiotischen Akteurs modifiziert. Es war schon längst eine große Anzahl verschiedener Produkte auf dem Markt, deren Hormondosis zunehmend verringert wurde und die oft mit weniger starken Nebenwirkungen einhergingen. Die ersten sogenannten Minipillen, die frei von Estrogen nur auf Gestagenen basierten, existierten bereits Anfang der 1970er Jahre. Mikropillen mit gesenkter Estrogendosis kamen verstärkt Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre hinzu. Waren die ersten Pillen sogenannte Einphasenpräparate, bei denen der Anteil an Estrogenen und Gestagenen in allen Pillen einer Monatspackung identisch war, so kamen ab Mitte der 1970er Jahre verstärkt Mittel auf den Markt, deren Bestandteile während des Einnahmezyklus variierten, nämlich zwei- oder dreistufige Pillen und Sequenzpräparate. Außerdem wurden Pillen mit intendierten Nebenwirkungen produziert: 1978 kam Scherings Diane auf den deutschen Markt, die gezielt gegen Androgenisierungserscheinungen und Akne eingesetzt wurde. In gewisser Weise entwickelte sich die Pille dadurch erneut zu einer multifunktionellen Medikation, wenn auch in anderer Form als zuvor, da die Indikationen eines Pillentyps nun nicht mehr breit gefächert waren, sondern individuell spezifiziert divergierten.

Diese Ausdifferenzierung erfolgte nicht nur mit dem Ziel, Gesundheitsrisiken zu senken, sondern war auch Ausdruck der zunehmenden Konkurrenz auf dem Markt. Zwar stiegen die Nutzerinnenzahlen in den achtziger und frühen neunziger Jahren in vielen westlichen Ländern weiterhin an, so dass 2009 ungefähr 46 Prozent aller Frauen zwischen 15 und 49 Jahren in Westeuropa die Pille einnahmen (United Nations 2009). Allerdings erfolgte dieser Prozess relativ langsam und kam schließlich ins Stocken, so dass seit Anfang der neunziger Jahre eine Sättigung des Marktes zu beobachten ist.

Einen ähnlichen Trend in den Konsumentinnenzahlen wiesen die beiden hier untersuchten Länder auf, allerdings mit geringen Abweichungen. Wie bereits erwähnt, stieg in Frankreich der Anteil der Frauen, die mit der Pille verhüteten, langsamer, aber dafür kontinuierlicher an als in der BRD. Im Jahr 1978 nutzten in Frankreich rund 28 Prozent aller Frauen zwischen 20 und 44 Jahren die Pille. Zehn Jahre später stieg dieser AnteilFootnote 12 auf knapp 34 Prozent, dabei wurde sie unter jungen Frauen immer beliebter. Schließlich verwendeten im Jahr 1994 circa 40 Prozent und 2000 fast 46 Prozent der in Frankreich lebenden Frauen in dieser Altersgruppe das Verhütungsmittel (Serfaty 2007). Das Niveau der Nutzerinnen pendelte sich schließlich bei einem Anteil von circa 40 Prozent ein und lag auch im Jahr 2009 bei den 15- bis 49-jährigen in diesem Bereich (United Nations 2009). Insgesamt lässt sich damit für Frankreich seit der Einführung von Hormonpräparaten mit kontrazeptiver Qualität von drei Phasen sprechen: Die erste Phase der Illegalität, in der die Nutzungsrate sehr niedrig war und äußerst langsam anstieg; die zweite Phase ab Anfang der 1970er Jahre, in der es zu einer weitaus höheren Nutzerinnenzahl und einem konstanten Anstieg kam, der sich zunächst vergleichsweise schnell und dann etwas langsamer vollzog; und schließlich die dritte Phase seit Mitte der 1990er Jahre bis heute, in der die Einnahmequote auf dem relativ hohen Niveau von etwas über 40 Prozent mit leichten Schwankungen stagniert.

Schon in der Frühphase lag die Nutzerinnenzahl in Westdeutschland stets über der in Frankreich und dieser Trend setzte sich nach den 1980er Jahren fort, wobei die verschiedenen Zahlenangaben aufgrund methodologischer Unterschiede und divergierender Altersspanne der befragten Frauen nicht direkt vergleichbar sind. Im Jahr 1978 verwendeten rund 29 Prozent aller Frauen zwischen 15 und 44 Jahren die Pille (Dose 1989). 1985 nutzten schon rund 38 Prozent der Frauen zwischen 15 und 45 Jahren orale Verhütung. Nach der Vereinigung mit Ostdeutschland, wo der Anteil der Pillennutzerinnen mitunter höher als im Westen lag, waren es 1992 bereits fast 51 Prozent der Frauen dieser Altersgruppe (Oddens/Vemer/Visser/Ketfing 1993). Nach einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung konsumierten 1998 sogar 58 Prozent aller Frauen – man beachte die veränderten Altersgrenzen – zwischen 20 und 44 Jahren die Pille (BzgA 1998). Und auch im Jahr 2009 waren es mehr als die Hälfte der 15- bis 49-jährigen, womit die BRD weltweit das Land mit der höchsten Verwendung oraler Kontrazeptiva bildet (United Nations 2009). Insgesamt müssen in Deutschland den bereits von Silies (2010) festgestellten drei Phasen der Anfangszeit noch zwei weitere hinzugefügt werden. So folgte nach der dritten Phase, der Stagnation auf dem Niveau von 30 Prozent in den 1970ern, eine vierte Phase mit einem erneuten Anstieg in den 1980er Jahren. Schließlich kam es mit der Wiedervereinigung zu einer fünften Phase seit den 1990ern, in der ungefähr die Hälfte aller Frauen im reproduktiven Alter orale Verhütungsmittel nutzen.

Die vergleichbaren Entwicklungen in beiden westeuropäischen Ländern seit den ausgehenden 1970er Jahren spiegelten sich in der Ähnlichkeit der Anzeigen für die Pille – bis vielleicht auf den Unterschied, dass in deutschen Quellen weiterhin ab und zu männliche Ärzte gezeigt wurden (so bei Oviol 22 von Nourypharma, DG 1982) während in französischen Materialien keine Darstellung von Medizinern oder Medizinerinnern erfolgte. Ansonsten aber herrschten fast identische Werbestrategien und Darstellungsmuster und zwar sowohl von der Pille als auch ihrer Konsumentin.

In den meisten Anzeigen erschien die Eigenschaft der Pille als Verhütungsmittel meist nicht mehr ausreichend – konkurrierten doch zu viele Präparate mit dieser Wirkung auf dem Markt. Daher setzten die meisten Werbemittel in den späten 1970er und den 1980er Jahren stark auf Distinktion, Klassifikation und Ausdifferenzierung – von Pillentypen ebenso wie von Konsumentinnentypen. Es gab zwei Wege, diese beiden Kategorisierungen in Verbindung zu bringen: zum einen dadurch, die Passgenauigkeit von einem spezifischen Pillen- und Frauentyp zu betonen und zum anderen, die Breitenwirkung einer einzigen Pille anhand der Unterschiedlichkeit ihrer Nutzerinnen und deren individuellen Bedürfnissen zu demonstrieren.

Im ersten Fall fokussierten die meisten Anzeigen auf die Ausdifferenzierung der verschiedenen Medikamententypen. Zwei- und Dreistufenpräparate wurden dezidiert als solche beworben, wobei oft ihre spezifische pharmakologische Zusammensetzung und ihre proklamierten Effekte hervorgehoben wurden, etwa bei Triella (JG 1984). Analog dazu erfolgte eine Differenzierung der Konsumentinnen in verschiedene Untergruppen, so dass der jeweilige Pillentyp perfekt auf einen entsprechenden Frauentyp abgestimmt dargestellt wurde. Dieser Prozess wurde bereits vereinzelt um 1970 eingeleitet. „Frauen sind verschieden”, so lautete etwa der Werbespruch des Sequenzpräparats Tri-Ervonum von Glaxo, das als besonders geeignet für Frauen mit Menstruationsproblemen angepriesen wurde (GF 1969, DG 1974). Gerieten zunächst junge Frauen als neue spezifizierte Untergruppe in den Fokus, so erweiterte sich dieses Spektrum bald: ältere Frauen, Frauen, die besonders sensibel auf Gestagene reagierten oder Frauen mit Zyklusstörungen wurden nun ebenfalls in vielen Anzeigen thematisiert. Bezeichnend dafür waren die Sammelanzeigen von Schering, in denen in einer Werbung gleichzeitig verschiedene Präparate und deren Unterschiede vorgestellt wurden. So wurde etwa sechs Seiten lang in einheitlichem Design für die Mittel Sequilar, Microgynon und Ediwal geworben, wobei ersteres für jüngere, das zweite für reifere Frauen und das dritte für Patientinnen mit Zyklusproblemen empfohlen wurde (DG 1979).

Dabei zielten die Differenzierungen und Klassifizierungen der einzelnen Frauen jedoch nicht mehr nur auf deren körperliche Unterschiede und auf verschiedene medizinische Indikationen. Denn zunehmend wurden ihre Bedürfnisse, individuellen Wünsche und persönlichen Situationen in den Vordergrund gerückt. Kategorien wie Lebensqualität, Wohlbefinden und Zufriedenheit wurden in der Folge relevant. Diese Strategie ging einher mit einem allgemeinen Fokus auf Konsumentscheidungen und der graduellen Verschiebung des Arzt-Patientinnen-Verhältnisses weg von einer hierarchisch-paternalistischen Konfiguration und hin zu einer mehr kooperativen und serviceorientierten Beziehung. Ein Beispiel hierfür war die deutsche Anzeige für die Pille Diane von Schering: 1979 wurde hier noch relativ neutral in klassisch medizinischer Argumentation ihre Verordnung an Frauen mit klinischen Formen der Akne empfohlen, was mit Angaben zu Studien unterstrichen wurde, in denen therapeutische Effekte nachgewiesen wurden. Akne erschien hier als Pathologie und körperliche Kategorie. Im Jahr 1994 verkündete die Anzeige nun allerdings, dass das Präparat weitaus „mehr als Aknetherapie“ sei, sondern – wie der groß gedruckte Slogan hervorhob – die „Wechselwirkung Selbstbewusstsein“ besäße. In einem relativ langen Begleittext wurde ausführlich und emphatisch geschildert, welche negativen Effekte Hautprobleme auf das psychische Befinden einer Frau haben könnten (DG). Das dazu gehörende Foto zeigte, was auf dem Spiel zu stehen schien: eine junge, hübsche Frau, die von einem Mann geküsst wurde. Hier wurde somit das Präparat mit Fragen des Liebens- und Lebensglücks sowie des persönlichen Wohlbefindens und der Selbstmaximierung verbunden. Diese Werbestrategie überschnitt sich so verstärkt mit der Programmatik der Lifestyle-Medikamente, die ja gerade zu dieser Zeit einen Aufschwung erlebten. Ob die verschiedenen Anzeigen nun aber über körperliche oder, wie hier, über psychische Aspekte argumentierten, auf biochemische Differenz oder Lebensqualität zielten – gemeinsam war ihnen, dass sie die spezifische Kongruenz von einem Pillen- und einem Frauentyp betonten.

Eine zunehmende Personifikation der Pillennutzerinnen fand auch in einer zweiten Gruppe von Werbeanzeigen statt. Beispielsweise stellte die französische Anzeige für die Pille Cilest der Firma Cilag von 1989 drei Frauen vor, nämlich Nicole, Brigitte, und Patricia (GOP). Die drei wurden mit Vornamen individualisiert und durch dokumentarisch anmutende Schwarz-Weiß-Fotografien porträtiert, die sie bei verschiedenen Tätigkeiten zeigten, etwa bei der Arbeit in einem Büro oder der Beschäftigung mit einem Kind. Auch ihre Lebenssituation und Wünsche wurden in einem längeren Text spezifiziert. Hierbei repräsentierte jede Frau einen bestimmten Typus. Nicole beispielsweise hatte gerade erst ein Kind bekommen und wollte nun weiterhin mit der Pille verhüten. „Nicole veut reprendre“ lautet der Slogan hierzu, der stark das ‚Vouloir‘, das ‚Wollen‘ und ‚Wünschen‘ betonte. Brigitte hatte auf Grund der Nebenwirkungen schlechte Erfahrungen mit ihrem vorherigen Präparat gemacht und beabsichtigte die Pille zu wechseln: „Brigitte veut changer“ hieß es entsprechend. Allerdings wurden den Frauen trotz ihrer heterogenen Befindlichkeiten nicht verschiedene Präparate, sondern immer die gleiche Lösung empfohlen: Cilest. Diese Anzeigen waren somit Beispiele für den zweiten Weg, die Klassifikationen von Frauen und Pillen in ein Verhältnis zu setzen. Denn letztlich empfahlen die Anzeigen für alle verschieden repräsentierten Frauentypen stets dieselbe Pille, wodurch die Vielseitigkeit, breite Anwendbarkeit und Verträglichkeit des Präparats hervorgehoben wurden.

Die Kategorisierung verschiedener Frauen, verbunden mit emotionalisierenden und psychologisierenden Elementen, kulminierte in einer Typologie des weiblichen Teenagers, die in einer Anzeigenkampagne des Mittels Femovan von Schering ebenfalls im Jahr 1989 vorgenommen wurde (DG, vgl. Abb. 7). Die Materialien präsentierten verschiedene Typen von Mädchen, deren spezifische Charakteristika in längeren Textbeschreibungen erläutert wurden. Anstatt auf den Unterschieden einzelner Präparate lag der Fokus dieser Werbekampagne, wie im Fall von Cilest, auf der Heterogenität der Konsumentinnen. Vorgestellt wurde hier etwa die psychologische Charakteristik des „Typus 2: Sie will, was andere wollen“ oder des „Typus 3: Eigentlich weiß sie alles besser.“ Wie die Anzeige erklärte, basierten diese Klassifikationen auf einer von Schering gesponserten Studie zur Lebenssituation junger Frauen. Illustriert wurden die Typen mit Fotografien des stets gleichen Models in verschiedenen Kleidungen und Posen, das jeweils allein abgebildet direkt in die Kamera blickte. Die frontale Kameraperspektive sowie der schlichte Hintergrund ließen dabei an die Tradition medizinischer Fallfotografien denken. Hiermit wurde so noch der Rest einer paternalistischen Haltung des Arztes oder der Ärztin bedient, der oder die die junge Patientin so gut zu kennen schien, dass diese sogar vor sich selbst (oder zumindest vor ungewollten Schwangerschaften) geschützt werden konnte. Dabei sollte die Verwendung des identischen Models demonstrieren, dass all diese Typen den gleichen weiblichen Körper besaßen und das Präparat daher bei allen gleichermaßen wirksam wäre. Durch die Betonung der Kategorisierung und der unterschiedlichen Attitüden erhielt jedoch zugleich die Perspektive dieser Frauen Gewicht: Vorgestellt wurden hier schließlich auch Konsumentinnen und Kundinnen, deren Bedürfnisse und Befindlichkeiten für die Ärzteschaft ebenso wie die Medikamentenindustrie relevant erschienen.

Abb. 7:
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Werbung für das westdeutsche Präparat Femovan von Schering (DG, 22 (1989), Heft 4; abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Bayer Pharma AG).

Doch auch fernab von Klassifikationssystemen und der Unterscheidung von Pillen- und Frauentypen trat in den Anzeigen dieser Zeitperiode zunehmend die Figur der selbstbewussten Konsumentin in den Vordergrund. Demgemäß spiegelte sich die von Rose 2007 beschriebene Transformation von der passiven Patientin zur aktiven Konsumentin und zum neoliberalen Subjekt in den Anzeigen. Schon lange war die überforderte, uninformierte und den Arzt um Hilfe bittende Mutter der ersten Werbemaßnahmen verschwunden, stattdessen stellte der Slogan einer weiteren Kampagne für Femovan die Konsumentin folgendermaßen vor: „Anspruchsvoll, kritisch, mit eigenem Kopf. Junge Frauen von heute“ (AS 1988). Illustriert wurde die Werbung mit der Popkultur entlehnten, bunten Zeichnungen von tanzenden oder joggenden Personen und modisch gekleideten, lachenden Frauen.

Zusammen mit der aktiven Konsumentin, deren Wünsche bedient werden sollten, verschob sich ab den frühen 1990er Jahren der Schwerpunkt vieler Anzeigen noch stärker auf Konsumkultur und Attribute von Spaß, Freizeit und sogenanntem Lifestyle. Letzterer kann als Ausdruck eines Bourdieuschen Habitus verstanden werden, der Popkultur, Mode und Design zentral setzte und der vor allem von der zeitgenössischen westlichen, meist weißen und jungen Mittelschicht relativ demonstrativ zur Schau gestellt wurde. Dazu gehörte auch eine scheinbar befreite, nicht-reproduktive und hedonistische Sexualität, die nun in den Werbeanzeigen offenherziger und expliziter als in den 1970ern gezeigt wurde. So präsentierte die Werbung für die beiden Pillen Minisiston und Trisiston von Jenapharm eine ästhetisierte Fotografie eines nackten Paares beim Geschlechtsverkehr. Der Slogan beinhaltete ein Wortspiel mit dem Firmennamen und lautete: „JENAer die beiden sich kommen, desto mehr brauchen sie uns“ (DG 1994). Etwas weniger explizit war die französische Anzeige für die Pille Cycleance 20 von Searle (GO 1999). Hier konnte man eine, wahrscheinlich unbekleidete, von einer Decke umhüllte junge Frau sehen, die im Bett liegend in die Kamera lachte. Der Text dazu spielte auf die Freuden der Liebe an und lautete: „Un jour on devient Cycleane par amour.“Footnote 13 Doch Hedonismus, Lifestyle und Konsum wurden auch in anderen Lebensbereichen betont. Zu sehen waren etwa extravagant und äußerst modisch gekleidete junge Frauen, wie bei der Werbung für die Pille Minesse von Wyeth (JG 1998). Es wurden auch Mädchen, beim Tennisspielen oder Cocktailtrinken gezeigt wie für Minulet von Wyeth (DG 1989) oder gut gelaunte und braun gebrannte junge Menschen am Strand für das Präparat Microgynon von Schering (DG 1994).

Dagegen kamen Themen wie Sicherheit, Zuverlässigkeit und wissenschaftliche Kontrolle eines Präparats, die in den Anfangsjahren so wichtig erschienen, in der Werbung kaum mehr vor. Auch die Differenzierungen und Klassifikationen aus den 1980ern nahmen in der Folgezeit ab, ebenso wie die Ausführung inhaltlicher Aspekte und der Umfang der Anzeigen allgemein. Spätestens ab 2000 ging ihre Anzahl in vielen Zeitschriften zurück. Die Anzeigen, die nun erschienen, gaben relativ wenig Informationen. Es war offenbar ausreichend, auf die Bekanntheit der einschlägigen Präparate zu vertrauen und diese als Marken aufzubauen, die einen entsprechenden Lifestyle konnotierten. Die aktive Konsumentin und ihre moderne und freudvolle Lebenseinstellung blieben dagegen weiter zentral. Das passende Schlussbild bietet die Anzeige für die Pille Leios von Wyeth (DG 2003).Footnote 14 Es zeigt die Fotografie einer schlanken, jungen und modischen Frau, die allein und glücklich auf dem Boden ausgestreckt liegt. Um sie herum stehen viele Einkaufstaschen. Der Slogan dazu lautet „Was frau will“. Die Vogelperspektive der Kamera gibt, erstens den Blick frei auf eine Welt voller Konsummöglichkeiten, zu denen inzwischen auch die Pille selbst zählt, und zweitens auf die potentielle Konsumentin, die mit ihren weit geöffneten Armen diese Welt gerade umschließen will.

Vom Mittel der Familienplanung zum differenzierenden Lifestyle-Präparat

Die Pille ist als materiell-semiotischer Akteur in verschiedenen Deutungsmustern wirksam, die von wechselnden politischen, kulturellen und ökonomischen Konstellationen geprägt wurden und werden. Insgesamt lassen sich von der Einführung der oralen Kontrazeption bis heute in den gesichteten Annoncen nationale Differenzen nur für die ersten vierzehn bis zwanzig Jahre nach ihrer Einführung beobachten. Die Werbeanzeigen dieser Zeit demonstrieren die Herausbildung zweier national verschiedener Arzneimittel: ein hormonal multifunktionales Medikament für diverse weibliche Befindlichkeiten in Frankreich und eine Pille im engeren Sinne in Westdeutschland, die zunächst euphemistisch der Familienplanung und etwas später explizit der Verhütung angetragen wurde. Die Darstellungsmuster zeigen dennoch Überschneidungspunkte zwischen beiden Ländern auf zwei Ebenen: zum einen in Bezug auf die Darstellung der Sicherheit und Standardisierung des Präparats und zum anderen in Bezug auf die Präsentationsschemata der Nutzerin. Diese waren in den ersten Jahren besonders von konservativen Idealen der Hausfrau und Mutter geprägt. Erst Ende der 1960er Jahre verschoben sich die Werbedarstellungen hin zu Bildern jüngerer, individualisierter, ökonomisch gut situierter und partiell sexualisierter Frauen. Hierbei muss allerdings einschränkend festgestellt werden, dass französische Zeitschriften dieser Zeit generell weniger Bilder von Konsumentinnen zeigten und Abbildungen von Medizinerinnen und Medizinern gänzlich fehlten. Diese nationalen Unterschiede sind auf das lange bestehende Verbot von Verhütungsmitteln in Frankreich zurückzuführen. Sie sind aber auch ein Ausdruck unterschiedlicher therapeutischer Kulturen und Charakteristika der beteiligten gynäkologischen Disziplinen. Die Gemeinsamkeiten begründen sich dagegen in veränderten Frauenrollen und Geschlechterverhältnissen in den meisten westlichen Ländern dieser Zeit. Sie standen außerdem im Kontext bereits früh präsenter Debatten um Medikamentenkontrolle und potentielle Nebenwirkungen der Pille.

Nach Angleichung der länderspezifischen Rechtslagen wirkten transnationale Dynamiken umso stärker, vor allem die zunehmende Sättigung des Marktes, die Vervielfältigung des Arzneiangebots und die Herausbildung einer Konsumkultur. Demgemäß ist ab Ende der siebziger und Anfang der achziger Jahre kein prägnanter Unterschied in den Werbeanzeigen mehr festzustellen. In beiden Ländern kam es zu einer zunehmenden Klassifizierung und Ausdifferenzierung von Pillen- und Frauentypen. Zudem wurden die Nutzerinnen nicht mehr nur in ihrer körperlichen, sondern auch in ihrer psychischen und sozialen Diversität dargestellt. Sie traten nun verstärkt ins Bild als selbstbewusste, aktive Konsumentinnen mit individuellen Wünschen und Bedürfnissen, die die Medizin erfüllen sollte. Ab den neunziger Jahren sind verstärkt Vorstellungen von Hedonismus und Konsum zu beobachten, wohingegen die Unterscheidungs- und Klassifikationssysteme sowie die Aspekte der Medikamentensicherheit im Kleingedruckten verschwanden. Die Pille avancierte in der Werbung nun endgültig zu dem Lifestyle-Medikament, das Lara Marks 2001 bereits in ihren Anfängen strukturell angelegt sah, und zwar in doppelter Hinsicht: Erstens inszenierte die Werbung die Pille zunehmend als Element eines konsumorientierten Lifestyles. Zweitens wurden spezifische Pillentypen wie etwa Diane als permanent zu konsumierende Mittel der Selbstmaximierung präsentiert, die nach Dumit (2002) „drugs for life”, also Medikamente fürs Leben – zumindest jedoch für einen Lebensabschnitt – darstellten.

Die Pille nimmt seit ihren Anfängen somit verschiedene Rollen ein: Sie agiert nicht nur als Instrument der Familienplanung und Verhütung, sondern auch als Mittel der gesellschaftlichen Klassifikation, der täglichen Optimierung, der sozialen Distinktion sowie einer Subjektivierung, die mit der Produktion von Identitätskategorien biologisch fundierte Lebensentwürfe ermöglicht. Allerdings – und das ist die methodische Restriktion des hier ausgewerteten Quellenmaterials – waren dies lediglich die Rollen, die in den von Pharmafirmen an Mediziner und Medizinerinnen gerichteten Werbeanzeigen dargestellt wurden. Dabei wurden professionelle und geschlechtsspezifische Erwartungshaltungen und Deutungsmuster bewusst antizipiert. Sicherlich standen diese in Verbindung zu generelleren kulturellen Mustern und Konzepten, die sie gleichermaßen prägten wie auch von ihnen geprägt wurden. Ob beide jedoch kongruent gingen und den praktischen Erfahrungen und Erwartungen der jeweiligen Konsumentinnen in ihrem Alltag entsprachen, ob sie deren Wahrnehmung der Pille trafen und sich diese in das von ihr gebildete Bedeutungsgeflecht integrierte, das sind Fragen, die weitere Studien beantworten müssten.

Danksagung

Diese Untersuchung wurde durch das Exchange-Programm des ESF-RNP „Standard drugs and drug standards“ gefördert und entstand im Rahmen des Forschungsprogramms GEPHAMA (gefördert von der DFG und ANR). Ich danke besonders Jean-Paul Gaudillière, Volker Hess und Ulrike Thoms, den drei anonymen Gutachterinnen und Gutachtern von NTM und Christian Pischel. Ebenfalls bedanke ich mich für die Unterstützung durch das Graduiertenkolleg „Geschlecht als Wissenskategorie“ sowie den Gleichstellungsfond der Humboldt-Universität zu Berlin.