Faserverbundwerkstoffe sind Werkstoffe, deren Einsatz eine neue Generation von fliegendem Gerät eingeleitet hat, so wie es einst der Einsatz von Aluminium in der Luftfahrt bewirkt hatte. Mit keiner anderen Werkstoffgruppe versuchen sich Konstrukteure und Ingenieure bei der Entwicklung und Verwendung von Faserverbundwerkstoffen so stark der Natur anzunähern, die ihre Strukturen nach den wichtigsten auftretenden Belastungen ausrichtet und so ein Optimum erreicht hat.Footnote 1 Die Suche nach den Anfängen der Entwicklung und Verwendung von faserverstärkten Kunststoffen (FVK), welche hier in Form einer ersten Bestandsaufnahme zu den wichtigsten Entwicklungsetappen im deutschen Flugzeugbau begonnen werden soll, ermöglicht einen neuen Blickwinkel auf eine interdisziplinäre Generierung technischer Produkte für ganz unterschiedliche Branchen und über Generationen hinweg.Footnote 2

Mit faserverstärkten Kunststoffen, jenen Verbundwerkstoffen, die in der Regel aus einer bettenden Matrix (zum Beispiel Thermo- oder Duroplaste) und den darin lastgerechtFootnote 3 eingelagerten hochfesten, verstärkenden Fasern (wie Glas-, Aramid- oder Kohlenstofffasern) bestehen, ist mittlerweile eine der vielversprechendsten Etappen auf dem Weg der Annäherung an Konstruktionsprinzipien der Natur erreicht worden. Wegen ihrer hohen sowohl Festigkeit als auch Steifigkeit bei gleichzeitig sehr niedriger Dichte sowie ihrer relativ freien Formbarkeit stellen – je nach Anwendungsfall – FVK eine interessante Werkstoffalternative gegenüber herkömmlichen Strukturwerkstoffen dar.

So visionär verschiedene Ansätze zum Einsatz von faserverstärkten Kunststoffen sind, über die Entwicklung dieser Hybridwerkstoffe ist bisher kaum etwas bekannt. Richtet sich der Fokus in die Vergangenheit, werden die Konturen um FVK unscharf. Ein Grund dafür ist sicher, dass die Geschichte der Materialien, erst seit kurzem intensiver von Wissenschafts- und Technikhistorikern bearbeitet wird (Hentschel 2011). Dies gilt in besonderem Maß im Hinblick auf FVK.

Obwohl eine ganze Reihe von ingenieurtechnischen Arbeiten, die sich unmittelbar mit der Herstellung und Handhabung dieser Werkstoffe befassten, mit einigen wenigen Angaben zur Entwicklung von FVK eingeleitet werden, beschränken sich diese in der Regel nur auf eine kurze Erläuterung des Konstruktionsprinzips der Faserverstärkung, oft mit einem Hinweis darauf, dass dieses Prinzip bereits in der Antike zur Anwendung kam, zum Beispiel bei der Fertigung von Lehmziegeln, deren Stabilität durch Einarbeitung von Stroh erhöht wurde. Als Geburtsstunde moderner faserverstärkten Kunststoffen werden hier oft die 1940er Jahre in den USA angegeben (Schürmann 2007, Ehrenstein 2006, Genzel 2006, Genzel/Voigt 2005, Vinson/Sierakowski 2002). Eine Darstellung über die Entwicklung dieser Werkstoffe in Deutschland liegt bisher noch nicht vor. Lediglich vereinzelte Arbeiten, wie beispielsweise von Palucka/Bensaude-Vincent 2002 oder Bensaude-Vincent 2001 sowie Parkyn 1994, haben sich überhaupt tiefgehender mit der Entwicklung von FVK befasst. Palucka und Bensaude-Vincent beleuchten dabei fast ausschließlich die Entwicklungen besagter Werkstoffe in den USA und haben im Rahmen einer breiteren Darstellung der US-amerikanischen Materialforschung erste Ansätze zur Genese von faserverstärkten Kunststoffen geliefert. Gleichsam steht noch eine übergreifende Darstellung dieser facettenreichen Hybridwerkstoffe, zum Beispiel im Kontext europäischer Intentionen, definierter sparten- und fachspezifischer Bemühungen, oder eine vergleichende Analyse zu Struktur- oder Hybridwerkstoffen aus.

Das Ziel dieses Aufsatzes ist es, einen ersten Überblick über die Entwicklung von faserverstärkten Kunststoffen für Deutschland und einen ausgewählten Industriezweig zu geben: den Flugzeugbau. Um die Übersichtlichkeit dieser Darstellung nicht zu gefährden, wurden andere Sparten ausgeblendet, wie zum Beispiel das Bauwesen, in dem FVK ebenfalls früh zum Einsatz kamen. Aus diesem Grund werden auch die streckenweise parallel oder nur kurz zeitlich versetzt einsetzenden Entwicklungen von FVK beziehungsweise deren Grundkomponenten in anderen Ländern, wenn überhaupt, nur gestreift.

Im Rahmen dieser Darstellung soll unter anderem der Frage nachgegangen werden, ab wann von einem FVK im Sinne der eingangs beschrieben Definition, einer lastgerechten Einbringung von Faserstoffen in eine Kunststoffmatrix, gesprochen werden konnte. Wer entwickelte und stellte zuerst FVK in Deutschland her? Welche Intentionen waren mit diesen Werkstoffen verbunden und wo kamen diese schließlich zum Einsatz? Aufgrund der Komplexität des Themas bleibt jedoch bei dieser Untersuchung die Entwicklung von FVK in der DDR ebenfalls einer weiterführenden Arbeit vorbehalten.

Vom Pressstoff zum FVK – zwischen Faserstoff- und Polymerforschung

Den Anfängen von faserverstärkten Kunststoffen in Deutschland im Sinne der Entwicklung und Generierung von prototypischen FVK für den strukturellen Flugzeugbau oder als tragender Werkstoff für andere technische Produkte nachzugehen, ist nicht leicht.Footnote 4 Der Grund hierfür liegt in dem Facettenreichtum der Verbundwerkstoffe und der Vielzahl von sich überlagernden Entwicklungen, gerade im Bereich der Faserstoff- und Kunststoffforschung. Eine Abgrenzung ist somit unumgänglich, gerade in Bezug auf Werkstoffe, die seit geraumer Zeit auf dem Markt waren und über eine Kunststoffmatrix verfügten, deren eingelagerte Stoffe jedoch nicht die Merkmale von FVK aufwiesen, also eine lastgerechte Einbringung von Fasern, sondern lediglich zur Masseanreicherung und einfachen Stabilisierung beitragen sollten.

Als einer dieser Vertreter ist der Pressstoff Bakelit zu nennen, der gelegentlich früher als FVK bezeichnet wurde. Der Grund dafür ist, dass diesem ersten, duroplastischen Massenkunststoff, einem Kondensationsprodukt aus Formaldehyd und Phenol, welcher 1906 von dem belgisch-amerikanischen Chemiker Leo Hendrik Baekeland entwickelt wurde, Füllstoffe wie zum Beispiel Holzmehl beigemengt wurden. Sie hatten jedoch nicht die Funktion, Bakelit als Strukturwerkstoff zu qualifizieren. Es wurde vorrangig als Verkleidungs- und Isolierwerkstoff eingesetzt, da es einer Vielzahl aggressiver Medien widerstand (Kausch 1931: 231 f.).

Die Entwicklung von faserverstärkten Kunststoffen in Deutschland setzt ab den 1920er Jahren ein, was sowohl für die Kunststoffmatrix, als auch für die dazu verwendeten Faserstoffe gilt. Auftakt hierfür bot die durch Hermann Staudinger begründete makromolekulare Chemie, die in Deutschland und über dessen Grenzen hinaus umfassende Forschungs- und Entwicklungsarbeiten auf diesem Gebiet in Gang setzte, wobei in deren Folge eine große Kunststoffindustrie entstand (Lechner/Gehrke/Nordmeier 2003). Einen nicht unerheblichen Einfluss hatten die Bemühungen der I.G. Farbenindustrie AG, die nicht nur Staudingers Forschungstätigkeit unterstützte, sondern auch das dominierende deutsche Unternehmen in diesem Bereich wurde (Plumpe 1990: 319). Es war auch die Polymerchemie, welche die Grundlage für eine leistungsfähige Kunststoffmatrix für FVK legte.

In diese Zeit fällt auch eine intensive Erforschung verschiedener Fasertypen in Deutschland. Wichtig dafür war die Gründung des Kaiser-Wilhelm-Instituts (KWI) für Faserstoffchemie 1920 sowie die des KWI für Bastfaserforschung 1938. Auch das 1921 entstandene KWI für Lederforschung befasste sich mit Fragestellungen zu Fasern (Sudrow 2002). Die Hauptstoßrichtung der in der Faserforschung dominierenden Institute war jedoch nicht die Entwicklung von Komponenten für faserverstärkte Kunststoffe, sondern die Erforschung und Entwicklung von Faserstoffen mit dem vorrangigen Nutzungshorizont textiler Stoffe (Hachtmann 2007: 751 f.). Ein wesentlicher Grund dafür war auch das starke Interesse des Militärs an textilen Fasern, das sich spätestens ab 1933 im verstärkten Maße bezüglich der Ausrüstung seiner Truppen artikulierte. Ab 1936, im Zuge der verstärkten NS-Autarkiepolitik, wurde das Interesse im Besonderen auf die Rohstoffe gelenkt, die in Deutschland zu finden waren (Luxbacher 2004: 7 f., 2011, Löser 1991: 73 f.).

In diesem Zusammenhang liegt die Vermutung nahe, dass die Entwicklung von FVK im deutschen Flugzeugbau ebenfalls militärischen Interessen geschuldet war. Immerhin war Hermann Göring, nationalsozialistischer Reichskommissar für die Luftfahrt beziehungsweise späterer Oberbefehlshaber der Luftstreitkräfte der Wehrmacht überzeugt davon, dass der nächste Krieg durch die Luftwaffe entschieden würde (vgl. Hirschel 2001). Mit der offiziellen Gründung der Luftwaffe 1935 wurde begonnen, die luftfahrttechnische Rüstungsforschung massiv auszubauen.

In werkstofftechnischer Hinsicht dominierte bei diesen Plänen die Metallforschung, nicht zuletzt aufgrund des Bekenntnisses zum Ganzmetallflugzeug. Dazu dürften auch die Junkers Flugzeug- und Motorenwerke AG und dessen alleiniger Inhaber Hugo Junkers wesentlich beigetragen haben. Der „Vater des Ganzmetallflugzeuges“ hatte die technologischen Grundlagen geschaffen, die neue Perspektiven gerade für den militärischen Flugzeugbau eröffnete, wie zum Beispiel höhere Fluggeschwindigkeiten oder Pilotensicherheit, welche von Holzflugzeugen kaum oder nicht erbracht werden konnten. Junkers’ umfassende Patentpolitik, der große Ausstoß seiner Werke an Flugzeugen und der Erfahrungsschatz im Serienbau von metallischen Flugzeugen machten sie zu einem strategischen Objekt erster Klasse für eine rasche Aufrüstung der Luftwaffe im NS-Staat (Maier 2007: 409 f., Hachtmann 2007: 295, Flachowsky 2007, Budraß 2002: 142 f., 157 f., Trischler 1992: 208 f., 242 f., Junkers Flugzeug- und Motorenwerke 1942).

Dass das Thema Fasern für die Luftwaffe interessant war, zeigt sich in dem internen Berichtwesen der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt e.V.Footnote 5, der neu entstandenen Lilienthal-Gesellschaft für Luftfahrtforschung und anderer Institute, die mit für die Luftfahrt relevanten Forschungsprojekten betraut waren (Maier 2007: 413). Aus diesen Projekten gingen Forschungsberichte hervor, welche sich mit tierischen, pflanzlichen, synthetischen und mineralischen Fasern befassten, deren vorrangiger Projektinhalt jedoch die textile Nutzung zum Ziel hatte, wie zum Beispiel für Flugzeugbespannstoffe oder für Fallschirme. Sie verfolgten die gleichen Forschungsziele wie die Kaiser-Wilhelm-Institute und bauten auf diesen auf.Footnote 6

Um die ersten Tendenzen der tatsächlich faserverstärkten Kunststoffe aufzuspüren, gilt es, sich zunächst wieder den Pressstoffen zuzuwenden. Der Übergang von klassischen Pressstoffen, wie zum Beispiel Bakelit, dem Füllstoffe beigemengt wurden, zu moderneren FVK, in die gezielt zur Verstärkung Fasern oder Fasergewebe eingebracht wurden, ist sicherlich fließend gewesen und dürfte aber schwer mit einer Jahreszahl zu verbinden sein. Einer der ersten dieser Pressstoffe – bei dem es sich gleichzeitig auch um einen sehr frühen faserverstärkten Kunststoff handelt, der in der deutschen Luftfahrt nachgewiesen werden konnte – bestand aus dem Bakelitharz Phenol-Formaldehyd, in den geschichtete und mit einem Harz vorimprägnierte Papierbahnen zur Verstärkung eingearbeitet wurden.

Verwendung fand dieser faserverstärkte Kunststoff im LZ 127 Graf Zeppelin, ein Luftschiff das 1928 ‚in Dienst gestellt wurde. Die Wände von dessen Fahrgastaufenthaltsraum wurden mit 0,8 bis 1 mm starken Platten aus besagtem Werkstoff gefertigt. Aus brandschutztechnischen Gründen wurden diese hauchdünnen FVK noch mit Aluminiumfolien hinterpresst. Aufgrund der guten Erfahrungen, die mit diesem Werkstoff im LZ 127 gemacht wurden, gerade in Hinblick auf Korrosion und die geringere Feuchtigkeitsaufnahme, wurde nach der Indienststellung des LZ 127 eine weitergehende Verwendung für das nachfolgende Luftschiff vorgesehen. Hier sollten nunmehr Fußböden und Wände von Waschräumen und Küche mit FVK-Platten verkleidet werden (Kraemer 1933a: 388). Zwar waren diese Ergebnisse vielversprechend und Gegenstand der Untersuchungen der Stoffabteilung des Instituts für Werkstoffforschung der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt in Berlin-Adlershof, dennoch blieben weitergehende Schritte auf diesem Gebiet vorerst aus – und das obwohl ab 1937 ein entsprechender Fachausschuss des Verein Deutscher Ingenieure für Kunst- und Pressstoffe existierte, in dem verschiedene Fragestellungen gerade zu diesen Pressstoffen diskutiert wurden und deren Ergebnisse Eingang in DIN-Normen fanden.Footnote 7 Eine Qualifizierung der frühen FVK im Hinblick auf hoch belastete Bauteile in der Luftfahrt wurde damals nicht umgesetzt, sondern auf die gebräuchlichen Luftfahrtwerkstoffe Stahl, Duraluminium und Hartholz zurückgegriffen (Eyb 1926: 13 f.). Ein Großteil der Kapazitäten vor allem staatlicher, aber auch industrienaher Entwicklungs- und Forschungsarbeit floss in klassische metallische Luftfahrtwerkstoffe, da hier bereits ein relativ großes Grundlagenwissen vorhanden war, bei deren weiteren Erforschung zeitnah verwertbare Forschungsergebnisse zu erwarten waren (Oeckl 1938, Nickoll 1937: 25 f., Brenner 1937, Kraemer 1933b: 420 f.).

Pressen statt sprengen. Das zweite Standbein der Dynamit Nobel

Die Entwicklung der Pressstoffe ging jedoch in verschiedenen Forschungseinrichtungen und Industrieunternehmen weiter. Die beiden führenden Unternehmen in Deutschland, die sich mit der Herstellung von Pressstoffen befassten, waren die Heinrich Römmler AG, Pressstoffe Spremberg/Niederlausitz, und die Dynamit Nobel AG/Troisdorf. Römmler beherrschte relativ lange den deutschen Markt mit seinen Produkten. Grund dafür war, dass Römmler parallel zu der im Besitz des Patents befindlichen Bakelit-Gesellschaft Europa, das Phenol-Formaldehyd-Kondensationsverfahren zur Herstellung von Kunstharzen für die Großfabrikation entwickelt hatte, und so seit 1919 das Recht von der Bakelit-Gesellschaft erhalten hatte, lizenzfrei in Deutschland zu produzieren. Bereits 1925 ging Römmler dazu über, statt der klassischen Bakelit-Füllstoffe Baumwollgewebeteile und Papier zur Verstärkung in das Harz einzuarbeiten (Römmler AG 1938: 60 f.). Kurze Zeit später kam als Matrixwerkstoff Harnstoff-Formaldehyd hinzu.

Die Fertigung von Pressstoffen wie Bakelit oder ähnlichen Produkten, die keine Strukturlasten zu tragen hatten, stellten um 1920 maschinentechnisch kaum noch eine Herausforderung dar. Jedoch bereits Mitte der 1920er Jahre, das heißt mit Beginn der Fertigung von größeren Mengen geschichteter Pressstoffe mit gerichteter Festigkeit, stiegen die Anforderungen um ein Vielfaches. Die Feststellung, dass ein Teil der mechanischen Größen, wie zum Beispiel die Zug- und Biegefestigkeit oder aber die Vermeidung von Harznestern, bei geschichteten Pressstoffen über technische Parameter der Presse während des Fertigungsvorgangs entscheidend variiert werden konnten, führte zu einer schubartigen Weiterentwicklung in der Pressentechnik, insbesondere beim Etagenpressen. Unternehmen wie die Firma Siempelkamp (Krefeld) und Werner & Pfleiderer (Bad Cannstatt) konnten zu dieser Zeit mit ihren fein justierbaren und mittlerweile automatisierten Pressen als führend angesehen werden. Sie ermöglichten ein qualitativ hochwertiges Pressstoff-Serienprodukt, welches die aufwendigen Qualitätskontrollen auf ein Minimum in der Produktion reduzierte und in einer ganzen Reihe von Unternehmen sogar komplett ablöste. Der durch die neue Pressentechnik aufflammende Konkurrenzkampf bei den Presswerkstoffherstellern führte auch zu einer neuen Preisgestaltung der Produkte und ihrer Qualität (vgl. Thum/Jacobi 1939: 1045 f., Küch 1939: 1310 f., Vieweg 1939b: 600, van Hüllen 1939: 602 f., Grodzinski 1933: 177 f.).

Römmler begann zu dieser Zeit als Erster mit dem lastgerechten Einlegen von Papierbahnen, Asbest-, Textil-, und Metallgewebe in seine Kunststoffe und baute diese als Strukturwerkstoffe aus (Römmler AG 1938: 24, Heidebroek/Zickel 1943, Strohauer 1938). Die Römmler-Produkte waren vielfältig und reichten von schlichten Gehäuseverkleidungen bis hin zu Lagerschalen für Maschinen. Obwohl sich weit über einhundert Unternehmen zu Beginn der 1930er Jahre in Deutschland mit Pressstoffen befassten und die Römmler Produktpalette bei hochwertigen Pressstoffen beachtlich war, dominierte spätestens ab 1933 die an Kapital und Ressourcen überlegene Dynamit Nobel AG, Troisdorf, dieses Marktsegment. Letztere war der größte Sprengstoff- und Munitionshersteller in Deutschland. Aufgrund der vertraglichen Bindung zwischen der Dynamit Nobel AG und der IG Farben, die durch Hermann Schmitz und Fritz Gajewski mit der Wahrnehmung von Vorstandsmandaten in beiden Unternehmen in den 1930er und 1940er Jahren eine zusätzliche Erweiterung erfuhr, verfügte der Troisdorfer Standort über fast unbegrenzte Mittel für die Entwicklung und Produktion von Pressstoffen (vgl. Dederichs 2008: 25 f., Heine 1990: 131, 161).

Ab 1925 wurde unter der Leitung des Betriebsdirektors, des Chemikers Gustav Leysieffer, in der hauseigenen Kunststofffabrik der Dynamit Nobel AG (DAG) der umfassende Einstieg in die Produktion und Weiterentwicklung von Pressstoffen vorbereitet, sowohl für die Verarbeitung als Strukturwerkstoff als auch für den Einsatz im Maschinenbau – speziell bei Pressstofflagern. Auf dem Markt befindliche Pressstoffe wurden umfassend dazu untersucht, weiterentwickelt und anschließend eigene Produkte konzipiert und Altbestände der Rheinisch-Westfälischen Sprengstoff AG aufgearbeitet. Nach Auslaufen des Hitze-Druck-Patents von Bakelit im Jahr 1931 war der Weg frei und der Einstieg in die Produktion von Pressstoffen konnte anlaufen (Gebhardt 1929: 181).

Als Sprengstoff- und Munitionshersteller zeichnete sich die DAG durch eine große Nähe zu militärischen Anwendungen aus. Zudem hatten Generaldirektor Paul Müller und sein Schwager, der Aufsichtsratsvorsitzende und Wehrwirtschaftsführer Schmitz, bereits im Ersten Weltkrieg für militärische Behörden gearbeitet. Von daher verwundert es nicht, dass bereits Anfang 1930 auf das Militär als Abnehmer der Troisdorfer Kunststoffe gesetzt wurde. Im Besonderen sahen die Troisdorfer vor allem die Luftfahrt als Einsatzgebiet ihrer Kunststoffe, aber auch den Maschinenbau und die Automobilindustrie. In letzterer schafften sie es 1937 sogar, wie in Abbildung 1 zu sehen ist, Karosserieteile beziehungsweise ganze Autokarosserien aus dem faserverstärkten Kunststoff DYNAL bis zur Fahrtauglichkeit zu entwickeln, die schließlich an die Wehrmacht und die Auto Union AG geliefert wurden (Anonym 1961: 6/7, 1938: 3-6).

Abb. 1
figure 1

Karosserieteil der Dynamit Nobel AG aus Presstoff mit gerichteter Festigkeit aus dem Jahre 1938 (Leysieffer 1939: I 668)

Die Dynamit Nobel AG Troisdorf, die bereits Ende der 1920er Jahre im engen Kontakt mit der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt stand und später auch WerkstoffprobenFootnote 8 für Versuche an die Aerodynamische Versuchsanstalt Göttingen lieferte, engagierte sich ab 1936 verstärkt in der Lilienthal-Gesellschaft für Luftfahrtforschung, hier speziell in der Fachgruppe AerodynamikFootnote 9, und wurde zum einflussreichsten und tragenden Industriepartner, der die Forschung auf dem Gebiet der Schichtpressstoffe beziehungsweise faserverstärkter Kunststoffe sowohl für deren Einsatz als Strukturbauteile, aber auch für die Anwendung in Gleitlagern, vor allem in der Luftwaffe, forcierte. Letztere haben dann gerade bei der Umstellung aller Wehrmachtsbereiche von Wälz- auf Gleitlager auch in der Luftwaffe eine bedeutende Rolle gespielt (Küch 1943: 33, Fachgruppe Aerodynamik 1937).

Im Zuge der Weiterentwicklung des Werkstoffes TROLITAXFootnote 10, eines duroplastischen Schichtpressstoffes der Dynamit Nobel AG, in dem lastgerecht Zellstoffbahnen eingebracht wurden und der 1935 auch als Strukturwerkstoff für die Luftfahrt erprobt werden sollte, wurde die Zusammenarbeit mit den Gebrüdern Horten intensiviert, den Flugzeugpionieren auf dem Gebiet von NurflüglernFootnote 11. Die Vorgabe der DAG bei dieser Kooperation war es, den prototypischen Nachweis für ein „Vollkunststoffflugzeug“ zu erbringen, wobei als Abnehmer die Luftwaffe vorgesehen war. Für die dazu nötigen Versuche stellte die Dynamit Nobel AG den Hortens und deren kleiner Mannschaft von Flugzeugbauern Mittel und Räumlichkeiten in Troisdorf bereit (Anonym 1944: 23, Leysieffer 1939: I665 f.). Das waren dieselben Räume, in denen unter anderem nach Beendigung des Projektes 1939 ausländische Zwangsarbeiter für die Dynamit Nobel AG in der Troisdorfer Kunststofffabrik kriegswichtige Arbeit leisten mussten (vgl. Dederichs 2008: 44). Vorerst galt es jedoch, den Werkstoff TROLITAX zu qualifizieren, also die Tauglichkeit des Werkstoffs für die Luftfahrt nachzuweisen. Um die Kosten für ein Kunststoffflugzeug gering zu halten, gerade weil die Fertigung spezieller Pressformen für Schichtpressstoffe außerordentlich teuer war, sollte TROLITAX im Vorfeld im Flugbetrieb getestet werden. Hierzu wurde kostengünstig eine durchgehende Tragfläche für ein Segelflugzeug nach einem Entwurf des Konstrukteurs Alexander Lippisch, aus TROLITAX gefertigt. Die Einzelkomponenten wurden mit einem Kauritleim mit Kalthärter gefügt und an die anderen aus Holz bestehenden Teile angebunden. Dieses „Hol’s der Teufel“ genannte Segelflugzeug war vermutlich das erste der Welt, das über eine Tragfläche aus faserverstärkten Kunststoff verfügte. Die erfolgreichen Flugtests während der Pfingsttage im Jahr 1936 machten den Weg frei, um nun ein „Vollkunststoffflugzeug“ zu fertigen. Am Ende dieser Bemühungen stand Ende 1936 der Nurflügler „Horten H Va“, welcher bis auf die Motoren, fast komplett aus dem faserverstärkten Kunststoff TROLITAX bestand. Ein Flugzeug, das aus heutiger Sicht werkstofftechnisch und aerodynamisch seiner Zeit nicht nur um Jahre, sondern Jahrzehnte voraus war.

Darüber hinaus wurden weitere Kunststoffprodukte wie ASTRALON-Folien und DYNOS-Vulkanfibermaterial an diesem ersten „H Va“ verarbeitet. Da es bis zu diesem Zeitpunkt keinerlei Erfahrungen hinsichtlich der Fertigung derartiger Strukturen gab, mussten sie erst selbst entwickelt werden, wobei hier im Besonderen das Fügen der 1 mm starken TROLITAX-Außenbeplankung mit der tragenden Gitterkonstruktion, welche durchgehend aus TROLITAX Platten ausgeschnitten wurde, problematisch war (vgl. Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Die zweimotorige „Horten H Va“ während der Montage 1936, mit den bereits fertigen Tragflächensegmenten aus TROLITAX (Leysieffer 1939: I 667)

Die im Rahmen dieses Projektes durch die DAG angemeldeten PatenteFootnote 12 und erworbenen Produktkompetenzen schlugen sich nach der Fertigstellung der „H Va“ in weiteren Horten-Nurflügler-Modellen nieder und endeten kurz vor Kriegsende 1945 mit den Arbeiten an der „Horten IX“, dem ersten Nurflügler mit einen Strahltriebwerk (Nickel/Wohlfahrt 1990: 268 f., Anonym 1944: 23, 1941b: 201, Leysieffer 1939: I 666). Obwohl die werkstofftechnische Überlegenheit der Troisdorfer Kunststoffe gegenüber Leichtmetallen im Zusammenhang mit der „H Va“ und die außergewöhnlichen aerodynamischen Eigenschaften der Nurflügler durch Experten aus den wichtigsten deutschen Luftinstanzen und Unternehmen kurz nach Fertigstellung der „H Va“ 1937 festgestellt wurde, erfolgte kein konsequenter Ausbau der Arbeiten.Footnote 13 Das lag vermutlich daran, dass die Entwickler der Nurflügler noch einige luftfahrttechnische Fragen für diese Flugzeuge zu lösen hatten, wie zum Beispiel die Kursstabilität bei hohen Fluggeschwindigkeiten. Darüber hinaus lagen keine Langzeitergebnisse für deren Modelle vor. Letztendlich scheiterten die Hortens an der trägen Entscheidungsfindung der Luftwaffe hinsichtlich zu präferierender Entwicklungen, trotz Fürsprechern wie Ludwig Prandtl, dem Direktor des Kaiser-Wilhelm-Institutes für Strömungsforschung,(vgl. Epple 2002: 347), was dazu führte, dass die Nurflügler und mit ihnen die verwendeten faserverstärkten Kunststoffe nie über das Stadium von Versuchsreihen hinauskamen.

Obwohl die Dynamit Nobel AG das Gebiet der Pressstoffe in Deutschland ab 1933 hinsichtlich der Produktion dominierte, verfügte die Römmler AG über die größere Erfahrung im Bereich der Pressstoffgleitlager, da sie bereits seit Ende der 1920er Jahre daran arbeitete. Daher sah die DAG im Verbund von Industrie und Hochschule einen Weg, um in diesem Marktsegment aufzuholen und sich gleichzeitig gegenüber einem seiner wichtigsten Kunden – der Wehrmacht – auf diesem Gebiet zu profilieren. Als strategischer Partner wurde Enno Heidebroek an der TH Dresden ausgewählt, der zu dieser Zeit als einer der führenden Gleitlagerexperten in Deutschland galt.Footnote 14 Der Konkurrent Römmler hatte 1936 ebenfalls seine Lagerwerkstoffe bei Heidebroek testen lassen (Römmler AG 1938: 144 f.).

Heidebroeks umfassende Untersuchungen, aber auch die Paralleluntersuchungen bei der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt gerade auf dem Gebiet der Gleitlager und Schmierstoffe bei Verbrennungskraftmaschinen hatten den Beweis erbracht, dass verschiedene Pressstoffe hohen Belastungen standhielten und als Werkstoff für Lagerbuchsen und Naben als Äquivalent zu metallischen Werkstoffen in Motoren einsetzbar waren (vgl. Heidebroek 1938b: 6 f.). Durch die Bombardierung der Schweinfurter Kugellagerindustrie 1943 (vgl. Golücke 1980: 377) und die damit zusammenhängende dramatische Auswirkung auf die Kugel- und Wälzlagerproduktion, die eine wesentliche Basis für den Maschinenbau in der Rüstungsproduktion bildeten, rückte das einfacher zu fertigende Gleitlager als eine zentrale Größe in den Mittelpunkt des Interesses der Wehrmacht. Die Dynamit Nobel AG beauftragte Heidebroek schließlich im Rahmen zweier großer Forschungsprojekte, ihre Pressstoffgleitlager zu untersuchen und weiterzuentwickeln.Footnote 15

Heidebroek, der spätestens Mitte der 1930er Jahre unmittelbar mit der militärischen Forschung im „Dritten Reich“ in Kontakt kam, als er sich mit der betriebstechnologischen Gestaltung der Fertigungsgebäude und deren Flussschemata der Heeresversuchsanstalt Peenemünde beschäftigte, war der ideale Ansprechpartner für die DAG aufgrund seiner Fachkenntnisse und Nähe zur nationalsozialistischen Militärforschung. Seine von Walter Dornberger, dem Chef der Raketenabteilung des Heereswaffenamts veranlasste Abkommandierung nach Peenemünde war allerdings nur von kurzer Dauer. Die schwere Erkrankung seiner Ehefrau und deren Tod veranlassten Heidebroek bereits 1940 wieder nach Dresden zurückzukehren.Footnote 16 Heidebroek schlug Dornberger aber noch Eberhard Rees, einen seiner ehemaligen Studenten, als Nachfolger vor, der mit seinem Sohn in einem Leipziger Industrieunternehmen arbeitete.Footnote 17 Dass Heidebroek überhaupt in das Peenemünde-Projekt eingebunden wurde, lag sicher an seinen umfassenden Kenntnissen zu den Fertigungsabläufen in Peenemünde beziehungsweise an seiner fachlichen Reputation. Ansonsten wäre er vermutlich nicht mit derartigen Forschungsthemen betraut worden, da sein Verhältnis zum NS-System eher als ambivalent bezeichnet werden muss. Auf der einen Seite war er von 1920 bis 1929 Mitglied der DDP und bekennender Demokrat, auf der anderen Seite war er später ein Förderer der Motor-SS in Dresden.Footnote 18

Bei seiner Rückkehr 1940 nach Dresden wurde Heidebroek erneut in die Militärforschung des Nationalsozialismus eingebunden. Nach einer Besichtigung der Torpedoversuchsanstalt in Eckernförde folgten 1942 zwei Arbeitstreffen in Hamburg, an denen neben Heidebroek auch Vertreter der IG Farben und des Kriegsministeriums teilnahmen.Footnote 19 Gegenstand der Arbeitstreffen waren Fragen zur Schmierung und zu Geleitlagern im Torpedomotor sowie zu Torpedoversuchsöl. Aus Heidebroeks Korrespondenz dieser Zeit geht hervor, dass es sich dabei auch um umfassende Versuche zu Pressstoffgleitlagern gehandelt hat.Footnote 20 Aufgrund der höher bewerteten Forschungsergebnisse wurde Heidebroeks Dresdner Institut durch das Oberkommando des Heeres Wa Chef Ing 1 zur zentralen Prüfstelle für Gleitlager bei der Wehrmacht ernannt.Footnote 21 Nur einige Monate später wird er von gleicher Stelle zusätzlich beauftragt, die technisch-wissenschaftlichen Grundlagen zur Umstellung der Wälz- auf Gleitlager im Rahmen der „Schnellaktion Schweinfurt“ zentral zu bearbeiten.Footnote 22 Dies verlieh Heidebroek und der TH Dresden eine nicht zu unterschätzende Position bei der alle Waffengattungen der Wehrmacht umfassenden Umstellung von militärischem Gerät von Wälz- auf Gleitlager (vgl. Maier 2002: 21).Footnote 23 Heidebroek und mit ihm auch die TH Dresden wurden damit zum Dreh- und Angelpunkt für eine ganze Reihe von Wehrmachts- und zivilen Instanzen.Footnote 24 Wurde bisher die TH Dresden bezüglich kriegsrelevanter Forschung für die Wehrmacht vorrangig mit dem „Vorhaben Peenemünde“ beziehungsweise kleinerer Projekte (vgl. Pulla 2010: 112 f., 2006: 116 f., Pommerin 2003: 203 f.) in Zusammenhang gebracht, ist nach den vorliegenden Untersuchungen davon auszugehen, dass eine höhere Anzahl an Forschungsthemen für die Wehrmacht in Dresden realisiert wurden und viele regionale, aber auch überregionale Industrieunternehmen darin involviert waren.Footnote 25

Die Zusammenarbeit zwischen Heidebroek und der Wehrmacht intensivierte sich nach dem Heidebroek in den Forschungskreis „Prüfeinrichtungen“Footnote 26 berufen wurde, der auf Veranlassung des Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion 1944 gegründet wurde. Außerdem forderte der Direktor des Instituts für Technische Physik an der TH Darmstadt, Richard Vieweg, der 1944 Leiter der Arbeitsgemeinschaft Kunststoffe beim Reichsforschungsrat wurde, ihn zur „dringlichen“ Mitarbeit auf dem Gebiet der Kunst- und Pressstoffe auf.Footnote 27 Vieweg übertrug Heidebroek die Prüfung und Auswertung von Pressstofflagern, die bei Flugzeugen der Arado-Flugzeugwerke zum Einsatz kommen sollten.Footnote 28

Die Zusammenarbeit zwischen der Dynamit Nobel AG und Heidebroek hatte sich bereits 1942 ausgezahlt. Heidebroek trug als wichtiger Befürworter die Pressstoffgleitlager der DAG als Empfehlung aber auch die Produkte weiterer Unternehmen in alle Bereiche der Wehrmacht.Footnote 29 Ein Forschungsprojekt – „Systematische Verschleißversuche mit Kunstharzpressstoffen“ – wurde über Vieweg abgewickelt, wobei Heidebroek den Eingang von finanziellen Mitteln für besagtes Forschungsprojekt sowie das Eintreffen von Wissenschaftlern aus der „Osenberg-Rückholaktion“ (vgl. Federspiel 2002: 26 f.) gegenüber Vieweg schriftlich bestätigte.Footnote 30

Da die Dynamit Nobel AG, die Römmler AG und andere Unternehmen dieser Branche sehr gut mit ihren Pressstoffen in die nationalsozialistische Autarkiepolitik passten – indem viele Rohstoffimporte durch besagte Produkte ersetzt wurden, konnten die Unternehmen mit Sicherheit auch wirtschaftlich erheblich davon profitieren. Es wäre jedoch falsch, das gesamte Repertoire der Pressstoffe und deren Entwicklung unter dem Begriff „Ersatzstoffe“ zu erfassen und zu bewerten (vgl. Luxbacher 2011).

Der Schritt zur Differenzierung in der Produktpalette der Pressstoffe macht den Brückenschlag erst sichtbar, der vom Formpressteil als Hilfs- und Zubehörteil mit zumeist pulverförmigem Füllstoff über geschnitzelte Verstärkungsstoffe zu Pressstoffen mit lastgerecht eingelegten Fasern und Gewebeschichten als tragende Bauelemente vollzogen wurde und als Scheideweg der Entwicklung moderner faserverstärkter Kunststoffe verstanden werden kann. Der Übergang von der Pressmasse zum Schichtpressstoff bedeutete die Geburt der modernen faserverstärkten Kunststoffe. Im DIN-Normblatt 7701 wurde diese Unterscheidung in Deutschland erstmals im November 1936 festgelegt und erfuhr seit 1943 eine erhebliche Erweiterung und Unterteilung.Footnote 31 Mit der 1932 vorgenommenen Typisierung, deren Grundlagen 1922 durch eine Einteilung von Pressstoffen in Klassen begonnen hatte, erlebte die Typisierung und damit einhergehende Überwachung und Vergabe eines Prüfzeichens durch das Materialprüfungsamt in Berlin-Dahlem ihren vorläufigen Höhepunkt (Nitsche 1943, Krassowsky 1943: 78 f., Mienes 1939: 5, Leysieffer 1938: 555 f.). Der Umgang mit diesen ersten FVK schlägt sich auch im Reichspatentregister nieder. In der Klasse 39, der für die Kunststoffindustrie zu diesem Zeitpunkt wichtigsten Klasse, waren alle Neuerungen zu finden. Aufgrund des expandierenden deutschen Kunststoffmarktes kommt es Anfang der 1930er Jahre zu einer Untergliederung der Klasse 39. Dies lässt erkennen, dass hier bereits die Entwicklung in Richtung FVK begonnen hatte, die sich in der DIN 7701 niederschlagen sollte. Mit der Klasse 39a, Gruppe 19,06 wurde nunmehr auch der Verarbeitung von mit „Kunststoffen imprägnierten Fasern und Geweben“ Rechnung getragen (Vieweg 1939a: 1053 f., Beuth-Verlag 1937, Anonym 1933: 134).

Spätestens Mitte der 1930er Jahre waren Pressstoffe als Werkstoff für den konstruktiven Maschinenbau in Deutschland – wie zum Beispiel als Lagerwerkstoff in Motoren – soweit in ihrer Entwicklung vorangeschritten, dass deren Qualität in verschiedenen Fällen sogar über denen von metallischen Lagern gesehen wurde und sie zum Einsatz kamen (Heidebroek 1938a: 755). Hatten sich die Pressstoffe, egal ob mit regellos, gewickelten oder geschichteten Verstärkungsmaterialien in der Matrix, bereits einen vielversprechenden Platz im konstruktiven Maschinenbau verschafft, so waren die weniger auf Drucklasten als vorzugsweise auf Zug beziehungsweise Torsion belasteten Strukturwerkstoffe kaum in Erscheinung getreten und fast ausschließlich Gegenstand der Forschung.

Faserverstärkte Kunststoffe - Entwicklungen bleiben in den „Schreibtischschubladen“ der Forschungsinstitute

Obwohl in der deutschen Fachpresse in den 1930er und 1940er Jahren eine Vielzahl an Berichten zum Thema „Flugzeuge aus Kunststoffen“ vor allem aus den USA wahrgenommen wurde, lassen sich nur wenige Berichte finden, die über die reine Wiedergabe von Meldungen hinausgingen und diese fachlich reflektierten. Dem Schlagwort „Kunststoff“ im Flugzeugbau wurde in diesen Berichten vielfach mehr Bedeutung beigemessen als einer umfassenden Auseinandersetzung mit den Fakten (Richter 1942, Anonym 1942, 1940: 15 f.).

Eine Ausnahme dieser Berichterstattung bildet die VDI-Zeitschrift. Hier wird 1942 in einem halbseitigen Bericht kurz auf einige Details eines Pilotensitzes aus einem erbeuteten britischen Kampfflugzeug, einer „Spitfire“, eingegangen und darauf hingewiesen, dass dieser Sitz aus geschichtetem Pressstoff hergestellt wurde. Laut Bericht würde dieser in den Bereich des Typs Z3 der deutschen DIN 7701 fallen. Es handelte sich also um einen FVK, bestehend aus einem Phenolharz, das durch geschichtete Zellstoffbahnen verstärkt wurde. Darüber hinaus wird berichtet, dass die Qualität der Sitze aus den erbeuteten Maschinen stark schwankte, jedoch aufgrund des „Großzahl-Einsatzes“ Rückschlüsse auf die „Frontreife“ des Produkts gezogen werden könne. Ein tatsächlicher Entwicklungsstand bezüglich geschichteter Pressstoffe ist hierzu für Großbritannien nur schwer ermittelbar. Lediglich lässt sich der Zeitraum anhand eines Analyseberichtes der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt in Berlin-Adlershof aus dem Jahre 1941 eingrenzen. Der Bericht mit detaillierten Werkstoffuntersuchungen, die über Beutemaschinen der Ende 1940 vorwiegend im Einsatz befindlichen „Spitfire II“ angefertigt wurde, belegt, dass zu diesem Zeitpunkt noch keine Pilotensitze aus geschichteten Pressstoffen zu besagtem Modell gehörten. Es ist daher davon auszugehen, dass es sich bei der Verwendung des Pilotensitzes vermutlich um eine späte Nachbesserung an der Spitfire-Modellserie handelte und dass dieser so nicht zur ursprünglichen Modellentwicklung gehörte. Eine mögliche Erklärung wäre jedoch, dass einerseits vermutlich die zu diesem Zeitpunkt beschränkt vorhandene Menge an Aluminiumlegierungen in Großbritannien ein Grund für den Einsatz eines solchen Sitzes war und andererseits, dass der große Vorteil der Presswerkstoffe, nämlich die zeitsparende Herstellung, hier zum Tragen kam (Schmidle 1942, Kränzle 1941).

Zu derartigen Entwicklungen aus deutschen Forschungs- und Entwicklungslabors lässt sich mit Beginn des Zweiten Weltkriegs keine Aussage mehr in der Fachpresse finden. Lediglich das Thema Pressholz und einige Aufsätze zu Pressstoffen, letztere im Zusammenhang mit deren Einsatz vor allem im konstruktiven Maschinenbau, wie zum Beispiel als Zahnräder oder Lagerschalen für den zivilen Markt, wurden fachlich diskutiert (vgl. Altmann 1941, Opitz/Blasberg 1939: 451 f.). Etwaige Aussagen zur deutschen Luftfahrtforschung in Hinblick auf die Entwicklung beziehungsweise Weiterentwicklung von Pressstoffen als Strukturwerkstoff lassen sich nur äußerst schwer in den damals zugänglichen Fachblättern finden und Tendenzen daraus ableiten. Wie ist also die Entwicklung in der Luftfahrt hinsichtlich des Einsatzes an Pressstoffen respektive faserverstärkter Kunststoffe zu beurteilen?

Aufgrund des Bekenntnisses zum Ganzmetallflug konzentrierte sich die Werkstoffforschung in der deutschen Luftfahrt auf metallische Werkstoffe, was von wenigen Ausnahmen, wie zum Beispiel dem Segelflugzeugbau, mit Forschung für die Luftwaffe gleichzusetzen war. War die „einzelne Faser“ in der Luftwaffe weitestgehend auf textile Themen beschränkt, wurde die Kombination „Faser“ und „Kunststoff“ – also FVK – vorrangig für Strukturwerkstoffe belegt und von deren Fachgemeinschaft auszubauen versucht (Riechers 1943).

Fast nicht wahrgenommen von der Fachwelt gab es bereits Anfang der 1930er Jahre in Deutschland intensive Bemühungen, Pressstoffe für tragende Strukturen im militärischen Flugzeugbau zunächst prototypisch zu qualifizieren. So wurde bei der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt ein Seitenleitwerk eines Heinkel-Flugzeuges – Baumuster He 45, ein leichtes Kampflugzeug – aus verschiedenen Pressstoffen statt aus Aluminium gefertigt und getestet (vgl. Leysieffer 1939: I665 f., Riechers 1938: 669 f.). Das Scheitern der ersten Versuche lag höchstwahrscheinlich an den traditionellen Vorstellungen des Flugzeugbaus. Es wurde versäumt, ihn an die neuen Werkstoffe anzupassen. Im Rahmen des genannten Projektes wurde versucht, Rohre, Platten und Profile zu verbinden, anstatt ein ganzes Seitenruder oder andere komplexere Teile komplett aus geschichteten Pressstoffen zu fertigen. Vereinzelte Äußerungen aus dem Projektbericht lassen erkennen, dass spätestens 1938, kurz vor Kriegsausbruch, ein Verständnis für diese Fragestellungen bestand. Ein Wissensstand, der in ähnlicher Form auch von Kollegen in Großbritannien und den USA geteilt wurde (vgl. Klemin 1943, 1944).

Eine Weiterentwicklung geschichteter Pressstoffe für Strukturbauteile lässt sich ab 1941 weiter verfolgen. So wurde in einem umfassenden Bericht im Ringbuch der Luftfahrttechnik, dem vom Reichsluftfahrtministerium eingeführten vertraulichen Publikationsmedium zur Übermittlung der neuesten Methoden, Werkstoffe und Verfahren aus der Forschung in ausgesuchte Industrieunternehmen, mitgeteilt, dass die Fertigung einer mit Hohlprofilen und Stegen versteiften Leitwerkschale für ein Flugzeug aus geschichtetem Pressstoff realisiert und erfolgreich getestet worden sei. Für die Prototypleitwerkschale wurden als Harze sowohl Phenol- als auch Harnstoff-Formaldehydharz und als Verstärkungswerkstoff Zellstoff- und Gewebebahnen verwendet. Die Kostenersparnis bei dem Einsatz der Pressstoffteile gegenüber dem eines metallischen Äquivalents wurde bei einer Stückzahl von 500 Pressstoffteilen auf 710 Reichsmark beziffert (Küch/Riechers 1941: IIC21, Küch 1938, Riechers 1937).Footnote 32

Dass die Luftfahrtforschung hier bereit war, neue Wege zu gehen, zeigt auch die Arbeit der Firma Focke-Wulf Flugzeugbau Bremen. Als sie im Jahr 1939 mit einem der leistungsfähigsten Jagdflugzeuge des Zweiten Weltkriegs das als Ganzmetallflugzeug konzipiert wurde in Erscheinung trat, wurde gleichzeitig ein Verfahren beim Reichspatentamt angemeldet, mit dem „Großwerkstücke für den Flugzeugbau“, also ganze Flugzeugstrukturen aus „Kunstharzen oder ähnlichen Kunststoffen“, wie es hieß, herstellbar waren. Das Patent dazu wurde 1943 erteilt.Footnote 33 Obwohl es, wie es in der Regel bei allen Patentformulierungen der Fall ist, viel Spielraum für Interpretationen offen ließ, zeigt die Prinzipskizze im Patent, dass Focke-Wulf über die Herstellung einer kompletten Halbschale eines Flugzeugrumpfes aus Pressstoffen nachgedacht hatte (vgl. Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Prinzipskizze aus dem Focke-Wulf Patent (Reichspatentamt 1943: Patentschrift 732923)

Als Endstand der Entwicklungsarbeit vor 1945 können die Versuche zu Pressstoffen mit Glasgewebeeinlagen, also glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK), gesehen werden, die sich auf hohem theoretischen und praktischen Niveau befanden und Strukturbauteile für Flugzeuge auf dieser Basis ermöglichten.Footnote 34 Dass ein weiterer Ausbau der Kunststoffthemen mit hoher gerichteter Festigkeit vorgesehen war, gab der Leiter der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt, Günther Bock, bei Verhören durch alliierte Militärangehörige nach Kriegsende zu.Footnote 35 Doch durch die zunehmenden Materialengpässe seit Ende 1943, die kriegsbedingte Zerstörung von Teilen der Forschungseinrichtungen, den Personalausfall und den Zusammenbruch des Nationalsozialisten Regimes, aber auch durch die starke Fokussierung auf metallische Werkstoffe, blieben die Ergebnisse aus der Forschung in Bezug auf faserverstärkte Kunststoffe für Strukturbauteile im deutschen Flugzeugbau größtenteils ungenutzt in den Schreibtischschubladen der Forschungsinstitute.

Studentische „Werkstoffpioniere“

Das Kontrollratsgesetz Nr. 25 vom 29. April 1946 zur Regelung und Überwachung der naturwissenschaftlichen Forschung verhinderte zunächst eine offene Weiterverfolgung von Themen aus der Luftfahrt (Heinemann 2001). Der Maschinenbau war davon stark betroffen. Es wurden jedoch Mittel und Wege gefunden, um an Forschungsthemen von vor 1945 anzuknüpfen. In der Sparte der Werkstoffforschung wurden diese Restriktionen umgangen, indem den Arbeiten neutrale Titel gegeben beziehungsweise Werkstoffe in einen neuen Verwendungskontext gesetzt wurden, so auch bei faserverstärkten Kunststoffen. Ein gutes Beispiel sowohl dafür als auch für die personelle Kontinuität im Bereich der Luftfahrtforschung nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland bietet Franz Bollenrath und seine Forschung an der RWTH Aachen. Bollenrath war Ende der 1940er Jahre Fachschriftleiter des Ringbuches der Luftfahrttechnik und zuständig für alle vertraulichen Forschungsberichte des Bereichs C „Werkstoffe“. Er hatte somit kompletten Zugriff auf alle bis zuletzt dokumentierten Ergebnisse der wichtigsten Forschungseinrichtungen der Luftfahrtforschung des Nationalsozialismus.

Es ist daher zu vermuten, dass einige der in Aachen von Bollenrath angestoßenen Forschungsthemen, welche fast ausschließlich für die Luft- und Raumfahrt der jungen Bundesrepublik bestimmt waren, auf den Endresultaten aus den Jahren 1944/1945 beruhten. Eine seiner ersten Publikationen nach dem Krieg im Jahr 1946 widmete sich „Kunstharzschichtstoffen mit Glasfasern“. Die Fußnoten in der Publikation stammen alle aus den 1940er Jahren und greifen Forschungsberichte der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt jener Jahre auf. Daher kann diese Veröffentlichung auch als eine Art Kommentierung des letzten Standes in Bezug auf glasfaserverstärkte Kunststoffe der damaligen Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt gewertet werden (Stegmann 2009, Bollenrath 1946, Zentrale für wissenschaftliches Berichtwesen 1937b). GFK etablierte sich rasch im Segelflugzeugbau der jungen Bundesrepublik. An einen zeitnahen Einsatz in größeren Flugzeugen, ob zivil oder militärisch, war, wenn überhaupt, erst mit der Aufhebung des Kontrollratgesetzes Nr. 25 im Jahr 1955 zu denken. Pionierarbeit hinsichtlich der Anwendung erster GFK-Strukturen im Flugzeugbau leisteten in Deutschland die sogenannten Akafliegs, wie die Akademischen Fliegergruppen an technisch orientierten Hochschulen kurz genannt wurden, welche zumeist aus Studenten bestanden, die sich neben ihrem Studium mit dem Bau, der Weiterentwicklung und luftfahrttechnischen Fragen vorrangig im Zusammenhang mit Segelflugzeugen befassten.

Der Ursprung der Akafliegs geht auf die Zeit des Versailler Vertrags zurück, in dem Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg untersagt wurde, motorisierte Sportfliegerei zu betreiben, woraufhin man sich alternativ dem Segelflug zuwandte, um luftfahrttechnischen Themen weiter nachgehen zu können. Eine ähnliche Situation bestand durch das Kontrollgesetz nach 1945 wieder (Fabian 2001: 55 f.).

Die Konstrukteure Hermann Nägele und Richard Eppler in der Akaflieg Stuttgart bauten 1956 mit ihrem „FS 24 Phönix“ wohl das erste Segelflugzeug aus einer volltragenden Schale aus Balsaholz und glasfaserverstärktem Kunststoff in Deutschland. Die dazu neu zu entwickelnden Rechenverfahren, zum Beispiel für Tragflächenprofile bei verschiedenen Spannweiten, realisierte Richard Eppler, der später auf den Lehrstuhl für Technische Mechanik in Stuttgart berufen wurde. Die Pionierleistung von Nägele und Eppler kann als Basis im Umgang mit faserverstärkten Kunststoffen bei Segelflugzeugen angesehen werden und fand weltweit Beachtung (Anonym 1999, von Gersdorff 1981). Die Erfahrungen aus dem Segelflugzeugbau fanden 1968 ihre konsequente Umsetzung in Form eines viersitzigen zivilen Kleinflugzeuges, der LFU 205, das von der Leichtflugtechnik Union in Zusammenarbeit mit der Deutschen Forschungsanstalt für Luftfahrt und von den drei Gesellschaftern (Bölkow, Rheinflugzeugbau und Pfützer-Kunststofftechnik) gebaut wurde und aus Mitteln des Bundesministeriums der Verteidigung sowie einer Reihe weiterer Ministerien finanziert wurde (Grüninger 1968: 341 f., Niederstadt 1968: 847 f.).

Aufbruch in die Zukunft – Flügel aus „Schwarzem Gold“

Der erste Einsatz des „Schwarzen Goldes“ – aus kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff (CFK)Footnote 36 im zivilen Flugzeugbau wurde ebenfalls durch eine Akaflieg-Gruppe realisiert, jedoch erst einige Jahre später in Braunschweig. Die Entwicklung des Segelflugzeuges aus diesen Komponenten ist ein eindrückliches Beispiel dafür, dass, wenn Materialien an ihre Grenzen stoßen, nach Alternativen gesucht wird. Mit dem Segelflugzeug SB 9 hatte die Akaflieg Braunschweig 1969 eine Grenze im Segelflugzeugbau erreicht. So herrschte jetzt beispielsweise Klarheit über die Gestaltung von Flügelgeometrie und entsprechender aerodynamischer Rümpfe. Lediglich die Spannweite der Flügel bot noch Potential für Optimierungen. Jedoch bestand das Problem darin, dass mit dem vorhandenen glasfaserverstärkten Kunststoff die anvisierte Flügelspannweite nicht erreichbar war, da bei den geplanten Spannweiten von 30 Metern eine kaum vertretbare Flügeldeformation zu erwarten war. Somit ergab sich die Notwendigkeit, einen neuen Werkstoff für den Holm des Flügelmittelstückes zu finden.

Als alternative Werkstoffe standen borfaserverstärkter Kunststoff oder kohlenstofffaserverstärkter Kunststoff zur Auswahl. Letztendlich fiel die Entscheidung zugunsten des letzteren, da erwartet wurde, dass sich CFK in der Verarbeitung ähnlich wie glasfaserverstärkter Kunststoff verhält. Die Umsetzung dieser studentischen Projektidee drohte jedoch an den enormen Kosten für die Kohlenstofffasern zu scheitern. Hilfe suchend wandte sich die Akaflieg an die TU Braunschweig und die Deutsche Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt Braunschweig, das spätere Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (Akaflieg Braunschweig 1972). Letztere wurde von 1969 bis 1972 von Hermann Blenk geleitet, dem ehemaligen Leiter der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt, die 1938 in die Luftfahrtforschungsanstalt Hermann Göring umbenannt worden war.Footnote 37

Aufgrund von Blenks Tätigkeit von 1945 bis 1947 im britischen Ministry of Supply gelang es Blenk, 1953 als Leiter des Instituts für Flugmechanik in die neu gegründete Deutsche Forschungsanstalt für Luftfahrt zu wechseln (Gerke 1991a: 17 f.). Zusammen mit Hermann Schlichting, dem damaligen Leiter des großen Windkanals der Deutsche Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt, setzte sich Blenk für das Projekt ein (Akaflieg Braunschweig 1972). Wie er selbst war Schlichting nicht nur Vorstandsmitglied der DFVLR und Luftfahrtexperte aus der Vorkriegszeit, sondern verfügte zudem auch über eine Professur an der TU Braunschweig.Footnote 38

Schlichting, der seine Karriere als Assistent bei seinem Doktorvater Ludwig Prandtl am KWI für Strömungsforschung begonnen und von 1937 bis 1945 die Windkanalabteilung der Dornier-Werke in Friedrichshafen am Bodensee geleitet hatte, wusste, dass strömungstechnische Untersuchungen unabdingbar waren. Daher ermöglichte er es auf kurzem Weg, dass der Windkanal der Braunschweiger Versuchsanstalt für die SB 10, das Segelflugzeug, das aus diesem Forschungsprojekt hervorgehen sollte, zur Verfügung gestellt wurde (Gerke 1991b: 231 f., Akaflieg Braunschweig 1972). Die SB 10 wurde in den Flügelspannweite 26 und 29 Meter gebaut. Mit ihrem erfolgreichen Erstflug 1972 bewährte sich die große Steifigkeit von kohlenstofffaserverstärkten Kunststoff und löste damit glasfaserverstärkten Kunststoff als leistungsfähigsten Strukturwerkstoff im Segelflugzeugbau ab.

Dass eine so rasche Umsetzung des Projektes erfolgte, wurde nicht zuletzt durch die kostenlose Bereitstellung der Rumpfmittelröhre für die SB 10 durch die Firma Vereinigte Flugtechnische Werke Fokker gewährleistet. Darüber hinaus trat mit Heinrich Doetsch ein weiterer Sponsor der SB 10 in Erscheinung.Footnote 39 Doetsch der 1936 die Leitung der Abteilung „Flugeigenschaften“ der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt übernommen und 1947 unter anderem zusammen mit Schlichting im Auftrag des Royal Aircraft Establishment im britischen Farnborough gearbeitet hatte, wo er maßgeblich an den Entwurfsarbeiten für ein elektrisches Primärsteuersystem für die spätere Concorde beteiligt war, wurde 1961 in Personalunion als Ordinarius und Direktor sowohl des Instituts für Flugführung als auch des gleichnamigen Instituts der Versuchsanstalt für Luftfahrt nach Braunschweig berufen. Er konnte so der SB 10 die komplette Instrumentierung zur Verfügung stellen (von Gersdorff 2004: 326 f., Völckers/Schänzer 2003: 9, Akaflieg Braunschweig 1972).

Die Finanzierung dieses Segelflugzeugs wurde durch das Bundesministerium der Verteidigung übernommen. Dass eine so rasche Finanzierung dieses Projektes durch das Ministerium erfolgte, lag auch daran, dass der Flugzeughersteller Dornier fast zeitgleich an dem leichten Jagdbomber Alpha Jet arbeitete, wobei CFK ebenfalls eine wichtige Rolle spielte. Doch die Qualifizierung von kohlenstofffaserverstärkten Kunststoff zu einem neuen Leichtbauwerkstoff war auch bei Dornier kein leichtes Unterfangen. Manfred FlemmingFootnote 40, ab 1967 Leiter der Abteilung Statik und ab 1972 Hauptabteilungsleiter für Strukturberechnung, Strukturversuch und Akustik bei Dornier, verfolgte bereits Mitte der 1960er Jahre die Idee, CFK als Werkstoff für Serienbauteile für den Flugzeugbau zu qualifizieren (vgl. Flemming/Ziegmann/Roth 1996: 13 f.).

Zur Umsetzung seiner Idee begann Flemming Ende der 1960er Jahre eine Reihe von intensiven Gesprächen mit der Geschäftsführung von Dornier zu führen. Erst durch Flemmings Argumentation, dass kohlenstofffaserverstärkter Kunststoff eine ganze Reihe von Vorteilen böte, wie zum Beispiel die Gewichtsreduzierung oder den Wegfall einer Vielzahl aufwändiger chemischer Fräsarbeiten an den Beplankungspanelen im Rumpfheckbereich sowie, dass es sich bei CFK um einen zukunftsträchtigen Werkstoff handele, stimmte Dorniers Geschäftsführung der Einführung des Werkstoffs bei der Entwicklung des Alpha Jets zu.Footnote 41

In Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium der Verteidigung, das bei der Alpha Jet-Entwicklung durch Ministerialdirigent Hans Ambos vertreten wurde, der später auch Systembeauftragter für das Mehrzweckkampfflugzeug „Tornado“ war, begann bei Dornier Ende der 1960er Jahre die Entwicklung des Alpha Jets. Im Rahmen des Forschungsprogramms „Zukunft - Technik - Luft“ beziehungsweise weiterführend durch das „Komponenten- und Experimentalprogramm“ bewilligte das Ministerium umfangreiche finanzielle Mittel für die aufwendige Entwicklungsarbeit, um diesen Werkstoff für den Alpha Jet zu qualifizieren und später entsprechende Komponenten fertigen zu können. Dabei fand auch erstmals die damals relativ neue Finite-Elemente-Methode für die Berechung der CFK-Bauteile Anwendung. In zwei Abteilungen, die Flemming bei Dornier gegründet hatte und die von Siegfried Roth und Helmut Conen geleitet wurden, befasste man sich sowohl intensiv mit kohlenstofffaserverstärkten Kunststoff als auch mit Fragen zu Bauteilen und Bauweisen.Footnote 42 Das erste Bauteil, das für die Serienfertigung beim Alpha Jet entwickelt wurde, war die Manöverbremsklappe. Obwohl sie kein Primärbauteil darstellte, eignete sie sich besonders gut als Demonstrationsobjekt, da sie neben dem Abbremsen auch für spezielle Flugmanöver und zur Flugstabilisierung vor einem Raketenabschuss diente und somit hoch belastet wurde.Footnote 43

Dornier hatte über große Strecken die Entwicklung von CFK für den Alpha Jet selbst übernommen. Dennoch bezog Flemming die auf dem Gebiet der Faserverbundforschung zu dieser Zeit führenden zwei deutschen Hochschulen – Stuttgart und Braunschweig – in den umfangreichen Entwicklungsprozess mit ein, zumal hier bereits zu anderen Themen eine Zusammenarbeit bestand. Später wurden noch weitere Hochschulen in die Entwicklung involviert, zum Beispiel für die Blitzschutzmaßnahmen für das Seitenruder aus kohlenstofffaserverstärkten Kunststoff. Versuche hierzu wurden beispielsweise im Juni 1977 an dem Institut für Plasmaphysik der Universität Hannover in Zusammenarbeit mit der Firma VFW-Fokker Bremen und Messerschmidt-Bölkow-Blohm durchgeführt (vgl. Altpeter 1984b).

Kümmerten sich in Braunschweig die bereits genannten Luftfahrtexperten Doetsch, Blenk und Schlichting vorrangig um die Rahmenbedingungen für die Entwicklung der SB 10 am Hochschulstandort, fungierte an der TU Braunschweig der Flugzeugbauer Wilhelm ThielemannFootnote 44 als Informationsdrehkreuz zwischen der Hochschule und dem Entscheidungsträger Flemming von Dornier. Thielemann war es auch, der maßgebend den vom Verteidigungsministerium bewilligten Forschungsantrag – „Erprobung von kohlenstofffaserverstärkten Kunststoffen an tragenden Teilen im Flugzeugbau“ – forciert hatte, welcher einen Großteil der SB 10 Entwicklung finanzierte. So wurden unter anderem in Braunschweig durch Thielemann verschiedene fachliche Problemstellungen, sowohl für die SB 10 als auch für den Alpha Jet, im Rahmen von Projekt- und Diplomarbeiten durch Studenten bearbeitet.Footnote 45

Stuttgart, der andere und weitaus mehr in die Entwicklungsarbeit des Alpha Jet involvierte Standort war auch gleichzeitig der Ausgangspunkt für eine weitere Entwicklungslinie für den frühen Einsatz von faserverstärkten Kunststoffen in der deutschen Luftfahrt, und zwar bei der Entwicklung von Hubschraubern. Ausgehend von den baden-württembergischen Ministerien für Wirtschaft, Kultus und Inneres wurde 1953 die „Deutsche Studiengemeinschaft Hubschrauber“ in Stuttgart gegründet. Sie vereinte zwei bereits bestehende Arbeitsgemeinschaften aus denen das heutige Institut für Bauweisen und Konstruktionsforschung des DLR in Stuttgart hervorgegangen ist.Footnote 46 Die Studiengemeinschaft nahm ihre Arbeit zunächst in zwei Abteilungen auf. Zum Jahreswechsel 1958/59 wurde aufgrund des Aufgabenspektrums eine weitere Abteilung zwingend notwendig. Unter der Leitung von Ulrich Hütter entstand so die Abteilung „Angewandte Flugphysik“.Footnote 47

Eines der ersten Projekte der Abteilung war 1959 die Entwicklung eines Kleinsthubschraubers mit Staustrahltriebwerken für das Verteidigungsministerium. Das Ziel war ein Hubschrauber, der fast komplett aus GFK bestehen sollte. Dieses Projekt hatte den Auftakt zur weiteren Erforschung und Entwicklung dieses Materials für Hubschrauber, und zwar speziell für Rotorblattsysteme, gebildet. Ein Jahr später erfolgte die Umbenennung der Stuttgarter Studiengemeinschaft in „Deutsche Forschungsanstalt für Hubschrauber und Vertikalflugtechnik“ (vgl. Rößler 1965: 115 f., Hütter u. a. 1960). Hütter war auch der Ansprechpartner für Dornier im Rahmen der Entwicklung des Alpha Jets. Aufgrund seiner langjährigen Erfahrung in der Luftfahrt war er ein gefragter Berater in diesem Bereich und wurde daher bereits 1962 von Dornier in dieser Funktion verpflichtet und mit Entwicklungsprojekten zu FVK, wie zum Beispiel mit der Entwicklung von Federbeinen aus glasfaserverstärkten Kunststoffen für das Fahrwerk des Mehrzweckflugzeugs Do 27 betraut.Footnote 48

Später wurde diese Kooperation zwischen Hütter und Dornier noch auf die verschiedensten Themen im Zusammenhang mit den faserverstärkten Kunstoffen erweitert.Footnote 49 Obwohl sich Hütter umfassend mit luftfahrttechnischen Fragestellungen auseinandersetzte und mit Themen aus dem Bereich von FVK befasste, prägte er aber vor allem mit seinen Arbeiten zu Windkraftanlagen deren Entwicklung im In- und Ausland.Footnote 50 Der Einstieg in dieses Gebiet erfolgte jedoch bereits weitaus früher. Als Leiter der aerodynamischen Abteilung der Ingenieurschule in Weimar war der damals 30-jährige Hütter 1940 auch als Chefkonstrukteur der Ventimotor GmbH tätig und setzte erste Akzente auf dem Gebiet der Windkraftanlagen. Die Ventimotor, die durch den Gauleiter von Thüringen Fritz Sauckel und den NSDAP-Gauwirtschaftsberater Walther Schieber als ein Tochterunternehmen des Gustloff-Konzerns gegründet worden war, gab dem damals parteitreuen Hütter viel Freiraum für seine Arbeit an Windkraftanlagen, welche später in den besetzten Ostgebieten zum Einsatz kommen sollten (Assmann/Hiddemann/Schwarzenberger 2002: 53 f., Heymann 1995: 260 f.).Footnote 51 Dieses Thema wurde sogar Heinrich Himmler vorgetragen und von diesem mitfinanziert (vgl. Himmler/Witte 1999: 127).

Obwohl sich Hütter bei der Ventimotor stark engagierte, endete seine Tätigkeit abrupt 1943. Nach kurzer militärischer Ausbildung erfolgte seine Abkommandierung zur „Forschungsanstalt Graf Zeppelin“ nach Stuttgart-Ruit. Die Forschungsanstalt, die 1941 aus dem Flugtechnischen Institut an der TH Stuttgart hervorgegangen und durch das Luftfahrtministerium als Reichsanstalt ins Leben gerufen worden war, befasste sich vorrangig mit Fragen der Bombenaerodynamik, der Fall- und Bremsschirmentwicklung, der Unterwassersprengphysik, Flugzeugstart- und Landehilfen sowie der Aerodynamik von Flugzeugaußenanbauten. Unter der Leitung von Georg Madelung übernahm Hütter die Hauptabteilung „Schleuderentwicklung, Flugmechanik“, eine von insgesamt zehn Abteilungen.Footnote 52 Aus dem Bericht, den Hütter im Rahmen der Operation Surgeon des britischen Ministry of Supply 1946 in Völkenrode anfertigten musste, ist zu ersehen, welche Aufgaben er in der Stuttgarter Forschungsanstalt wahrnahm.Footnote 53 So befasste sich Hütter unter anderem mit der Entwicklung der Fieseler Fi 103, der sogenannten Vergeltungswaffe 1.

Obwohl Hütter erhebliches Hintergrundwissen zu Kampfflugzeugen besaß und dies keine unwesentliche Rolle für seine Einbindung in die Entwicklung des Alpha Jets gespielt haben dürfte, gab erst ein Gespräch mit Manfred Flemming letztendlich den Ausschlag, dass verschiedene „Arbeitspakete“ zum Alpha Jet nach Stuttgart gingen. So äußerte Hütter gegenüber Flemming die Befürchtung, dass sein Institut an der Deutschen Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt aus finanziellen Gründen geschlossen werden sollte. Flemming intervenierte daraufhin bei der Deutschen Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt mit der Begründung, dass der Standort Stuttgart und die Kompetenz bei der künftigen Entwicklung von faserverstärkten Kunststoffen und im Flugzeugbau unverzichtbar seien.Footnote 54 Um die Position von Hütter, aber auch seines Stuttgarter Instituts zu stärken, vergab Flemming Forschungsaufträge im Rahmen der Entwicklung des Alpha Jets Entwicklungen nach Stuttgart, wie zum Beispiel den Test der Bremsklappe aus kohlenstofffaserverstärkten Kunststoff, aber auch Diplom- und Projektarbeiten, die vorrangig von Gerhard Grüninger betreut wurden.Footnote 55 So wurden an beiden Institutionen an denen Hütter in Stuttgart tätig war, der Deutschen Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt und dem Institut für Flugzeugbau der Stuttgarter Universität, zu Fragestellungen des Alpha Jets gearbeitet. Das erste Bauteil in kohlenstofffaserverstärkten Kunststoff für den Alpha Jet, die Bremsklappe, wurde im Juni 1971 entworfen. Die Flugerprobung erfolgte dann drei Jahre später (Conen 1977: 2).

Sie lief nicht ohne Probleme ab, da im Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung keine Einigkeit darüber herrschte, ob eine Flugerprobung mit einem CFK-Bauteil erfolgen sollte oder nicht. Was heute vermutlich unmöglich wäre: die ersten aus kohlenstofffaserverstärkten Kunststoff gefertigten Bremsklappen wurden letztendlich auf Flemmings Anweisung von den entsprechenden Fachkräften, ohne Kenntnis des Bundesamtes, eingebaut.Footnote 56 Dass sich diese Behörde hier sträubte, lag daran, dass es zu diesem Zeitpunkt noch keinerlei Vorschriften für die Qualifizierung von kohlenstofffaserverstärkten Kunststoff im Flugbetrieb gab und vermutlich keiner der Beamten die Verantwortung für einen solchen Flug tragen wollte. Lediglich das Verteidigungsministerium wusste vom Alleingang Flemmings, der jedoch im Rahmen einer Untersuchung bemerkt wurde, als der Alpha Jet aufgrund eines Ausfalls des Triebwerkschmiersystems notlanden musste und CFK-Trümmer gefunden wurden.Footnote 57 Das Bundesamt und die französische Projektleitung, denn der Testflug hatte in Frankreich stattgefunden, waren über diese Entdeckung höchst aufgebracht. Dem Verteidigungsministerium, und namentlich dem zuständigen Ministerialdirektor Hans Ambos, verdankte es Flemming, dass sich hieraus für ihn keine ernsten Konsequenzen ergaben.Footnote 58

Nach der CFK-Bremsklappe begann man 1974 das Seitenleitwerksruder, das Höhenleitwerk (vgl. Abb. 4)Footnote 59 sowie die Flügel ebenfalls aus diesem Werkstoff zu konzipieren, wobei später nicht alle Bauteile in Serie gingen (Altpeter 1984a, Andersen 1984, Conen 1977).Footnote 60 Die Bundeswehr fü hrte den Alpha Jet 1978/79 in die Luftwaffe ein.

Abb. 4
figure 4

Aufgestellte Bremsklappe mit Seitenruder und Höhenleitwerk aus CFK am Alpha Jet (Dornier 1983: 2)

Die Entwicklung am Alpha Jet und der weltweit erste serielle Einsatz eines Bauteils aus kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff im Flugzeugbau kann vor allem in Deutschland als Wegbereiter für weitere Flugzeugmodelle mit derartigen Komponenten gesehen werden. Der werkstofftechnische Durchbruch, der mit dem Alpha Jet eingeleitet wurde, wirkte sich sowohl im Hinblick auf die Entwicklung von militärischen Starrflüglern, wie zum Beispiel z.B. bei dem Mehrzweckkampfflugzeug Tornado, als auch im zivilen Bereich, für das zweimotorige Verkehrsflugzeug Do 328, oder das zweistrahlige Großraumflugzeug von Airbus – die A310 – aus.

Parallel zur Entwicklung des Alpha Jets wurde 1974 auch ein Interessenverbund gegründet, der sich aus den Luftfahrtunternehmen beziehungsweise Institutionen VFW-Fokker GmbH Bremen, Messerschmidt-Bölkow-Blohm – Unternehmensbereich Drehflügler Ottobrunn –, Dornier Luftfahrt GmbH Immenstaad und der Deutsche Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt – Institut für Bauweisen und Konstruktionsforschung Stuttgart – zusammensetzte. Das Ziel des Interessenverbundes war es, Entwurfskriterien für Faserbauweisen zu schaffen. Aus den Gründungsunternehmen wurden dazu jeweils Mitarbeiter verpflichtet, die aus den jeweils aktuellen Projekten relevante Informationen zu faserverstärkten Kunststoffen in Handhabungsvorschriften umwandelten, ähnlich einer DIN-Vorschrift. Die Finanzierung wurde durch das Verteidigungsministerium übernommen, da eine Vielzahl der dort diskutierten und dokumentierten Themen militärische Relevanz hatte. Nach Einstellung der Förderung im Jahr 1984 wurde das Handbuch ein Jahr später als Band Faserverbund-Leichtbau in das Luftfahrttechnische Handbuch eingegliedert (Arbeitskreis Faserverbund-Leichtbau 2009).

Vorläufiger Höhepunkt von Faserverbundstrukturen im Einsatz fliegenden Geräts stellt derzeit der Nato-Hubschraubers NH 90 dar, der zu 85 Prozent aus FVK-Strukturen besteht. Mit seinem fast ausschließlich aus Kohlenstoff- und Aramidfaserverbunden bestehenden Rumpf weist er für militärische Zwecke besonders gute Eigenschaften auf, wie sehr hohe Crashsicherheit und eine geringe Radarsignatur.Footnote 61 Hersteller des NH 90 ist NHIndustries, deren Aktienmehrheit von Eurocopter gehalten wird. Die Firma Eurocopter, hervorgegangen aus dem Unternehmen Messerschmidt-Bölkow-Blohm forcierte maßgeblich die zweite Entwicklungslinie von faserverstärkten Kunststoffen im deutschen Flugzeugbau, die, wie bereits erwähnt, mit Hütters Entwicklung eines Kleinsthubschraubers begonnen hatte. Nach den ersten Rotorblattprototypen aus glasfaserverstärkten Kunststoffen für den Hubschraubertyp BO 105Footnote 62 (Wetter 1981), folgten zeitnah bei Messerschmidt-Bölkow-Blohm Anwendungen in kohlenstofffaserverstärkten Kunststoff und aramidfaserverstärkten Kunststoffen für weitere Komponenten.

Von kaum einer Werkstoffgruppe wird derzeit so viel erwartet, wie von faserverstärkten Kunststoffen. Scheinbar mühelos erreichen diese Designerwerkstoffe mechanische Kennwerte, an denen klassische Strukturwerkstoffe wie zum Beispiel Stahl scheitern. Da jedoch die Entwicklung von faserverstärkten Kunststoffen im Hinblick auf Gestaltung, Fertigung und Produktion noch relativ am Anfang steht, sind Grenzen ihres Einsatzes bisher kaum abschätzbar. Es besteht jedoch die Möglichkeit, mit der Darstellung ihrer Entwicklung ein erstes Verständnis für diese Werkstoffkonstruktionen zu bekommen, die mittlerweile von vielen Branchen forciert werden. Als Einstieg hierzu soll der deutsche Flugzeugbau dienen, in dem als einem der ersten versucht wurde, faserverstärkte Kunststoffe als Leistungsträger für seine Produkte einzusetzen.

Die Römmler AG kann als Wegbereiter für einen solchen Weg in Deutschland gesehen werden. Ihre Bemühungen, neue Märkte durch innovative Produkte und fertigungstechnische Weiterentwicklungen zu erschließen, führte Mitte der 1920er Jahre zu den ersten modernen faserverstärkten Kunststoffen in Deutschland. Erst nach Ablauf des Hitze-Druck-Patents 1931 verlor Römmler die Marktposition bei hochwertigen Presswerkstoffen an die an Kapital und Ressourcen überlegene Dynamit Nobel AG, die gezielt diesen Werkstoff mit luftfahrttechnischen Anwendungen verband.

Die Präsenz der Dynamit Nobel AG in ausgewählten Fachgremien der Luftfahrt, welche man sich über das große zur Verfügung stehende Netzwerk des Konzerns in fast allen Bereichen des Militärs zu schaffen wusste, wie beispielsweise in der Fachgruppe Aerodynamik der Lilienthal-Gesellschaft für Luftfahrtforschung, ermöglichte es ihnen, bereits frühzeitig vielversprechende Anwendungen in der Luftfahrt mit ihren Produkten zu verknüpfen. Als eine dieser Verknüpfung kann die Qualifizierung des faserverstärkten Kunststoffs TROLITAX an dem Horten-Nurflügler H Va 1936 gesehen werden. Der Dynamit Nobel AG gelang es hierbei zeitnah, entscheidende Patente für eine mögliche Serienproduktion ihrer FVK-Produkte für luftfahrttechnische Anwendung zu generieren. Wäre eine konsequente Umsetzung der Horten-Nurflüglertechnologie einschließlich werkstofftechnischer Aspekte durch die Luftwaffe Mitte der 1930er Jahre erfolgt und nicht an deren Entscheidungsschwäche gescheitert, so wäre zu diesem Zeitpunkt ein breiter Einsatz von leistungsfähigen faserverstärkten Kunststoffen als Strukturwerkstoff in der Luftfahrt noch vor Kriegsende denkbar gewesen. In diesem Fall wäre der Dynamit Nobel AG nicht nur ein enormer Absatzmarkt durch ihre mit Patenten abgesicherten Produkten in FVK entstanden, sondern auch ein erheblicher Einfluss erwachsen, und zwar als entscheidender Lieferant einer ganz neuen Generation militärischer Flugzeuge, deren Relevanz für den Luftkrieg nur anhand der 1945 noch im Flug getesteten Horten IX mit Strahltriebwerken erahnt werden kann.

Ein ganz anderes Bild stellt sich bei den Gleitlagern mit faserverstärktem Kunststoff dar, die als zweite Anwendung von FVK im Flugzeugbau zum Einsatz kam. Ein Grund dafür war, dass die Entwicklung dieser Maschinenelemente zu dem Zeitpunkt, als der Werkstoff für Strukturbauteile im Flugzeugbau in Erwägung gezogen wurde, in seiner Entwicklung bereits viel weiter fortgeschritten war. Für die Dynamit Nobel AG, die lediglich Vorlauf im Bereich der Strukturwerkstoffe besaß, galt es zeitnah auch im Bereich der Gleitlager aufzuholen. Dies wurde nicht nur erforderlich, um die Marktführerposition im Bereich der Pressstoffe in Deutschland zu behalten, sondern auch um sich bei ihrem Großkunden, dem Militär, entsprechend positionieren zu können. Die Allianz mit dem Dresdner Gleitlagerexperten Enno Heidebroek kann in diesem Fall geradezu als folgerichtiger Schritt der Dynamit Nobel AG gesehen werden. Sie gewann mit Heidebroek nicht nur einen Forschungsdienstleister, der in seinem Institut ihre Produkte auf hohem Niveau weiterentwickelte, sondern auch einen Befürworter der Dynamit Nobel-Gleitlager beim Militär. Spätestens mit der Ernennung des Dresdner Instituts zur zentralen Prüfstelle für Gleitlager im Rahmen der „Schnellaktion Schweinfurt“, trat Heidebroek als ein wichtiger Mittler zwischen Forschung, Industrie und Wehrmachtsinstanzen in Erscheinung.

Bedingt durch den nahenden Zusammenbruch des Nationalsozialismus fanden lediglich faserverstärkte Kunststoffe als Gleitlagerwerkstoff für Motoren Eingang in luftfahrttechnische Anwendungen. Trotz des hohen Entwicklungsstands in der Fertigung und bei der theoretischen Durchdringung der Werkstoffmechanismen, von dem seit Anfang der 1940er Jahre auf dem Gebiet von geschichteten Pressstoffen auszugehen ist, blieb die Umsetzung von FVK als Strukturwerkstoff im Flugzeugbau der Nachkriegsgeneration vorbehalten. Von der Glasfaser über Aramidfasern und Borfasern wird schließlich die Kohlefaser im Verbund als kohlenstofffaserverstärkten Kunststoff 1972 in einem Segelflugzeug der Akaflieg Braunschweig zu dem bis heute leistungsfähigsten Leichtbauwerkstoff für die Luftfahrt qualifiziert. In diesem Zusammenhang wird auch das Netzwerk erkennbar, das staatlich finanziert und von Industrieinteressen, welche die universitäre sowie außeruniversitäre Forschung über lange Strecken in diesem Bereich an verschiedenen Hochschulstandorten stark beeinflussten, getragen wurde. Am Beispiel der Entwicklung von Faserverbundwerkstoffen wird ebenfalls deutlich sichtbar, dass ein großer Teil der Akteure aus dem Bereich der deutschen Luftfahrtforschung, wie zum Beispiel Franz Bollenrath, Ulrich Hütter oder Karl Heinrich Doetsch, ungeachtet der Zäsur 1945, fast problemlos an ihre Biografien aus der Zeit davor anknüpfen und ihre Vorstellungen und Forschungsthemen auf die Nachkriegsgeneration übertragen konnten.

Die Einbindung von kohlenstofffaserverstärkten Kunststoff in die Entwicklung des Alpha Jets ist wohl der Hartnäckigkeit von Flemming und seinem Team bei der Geschäftsleitung von Dornier geschuldet, was eine entscheidende Trendwende im Konstruieren von fliegendem Gerät ausgelöst hat. Letztendlich waren es jedoch allein die Ambitionen des Verteidigungsministeriums und dessen Wunsch nach Konzipierung neuer Waffentechnik, die ermöglichten, dass Flemming diesen Weg gehen konnte. Wie bei einer Vielzahl von anderen Technologien, wie beispielsweise später beim Internet, übernahm auch hier das Militär die Rolle des Innovationstreibers. Dass eine Vielzahl von militärischen Technologien in zivile Anwendungen Eingang fanden und auch eine zeitversetzte Adaption luftfahrttechnischer Anwendung durch andere Industriezweige, wie zum Beispiel durch die Automobilindustrie realisiert wurde, kann mittlerweile fast durchgängig beobachtet werden. Es zeigt aber auch ein Stück ingenieurwissenschaftlicher Entwicklung, denn die damals gerade entstandene Finite-Elemente-Methode ermöglichte es den Ingenieuren von Dornier erst, anisotrope Werkstoffe nach speziellen Belastungsfällen zu berechnen. Selbst heute steht beispielsweise das Fachgebiet der Bruchmechanik noch vor einem umfassenden Fragenkatalog, den es im Hinblick auf faserverstärkte Kunststoffe zu lösen gilt, wie zum Beispiel das Thema der Spannungskonzentrationen, wie man sie von isotropen Werkstoffen nicht kennt.

Der Weg von isotropen Konstruktionswerkstoffen, wie beispielsweise Stahl, zu anisotropen faserverstärkten Kunststoffen war auch ein langer und nicht zu unterschätzender Weg für Ingenieure und Naturwissenschaftler. Auf diesem Weg waren nicht nur rein fachliche Barrieren zu überwinden, sondern auch die Vorbehalte von Skeptikern aus den eigenen Reihen sowie die der einfachen Konsumenten auszuräumen, die oftmals generell gegen Kunststoffe waren und werkstofftechnische Stabilität eher mit Materialen wie Stahl und Titan verbanden.

Erst mit der medialen Einbindung einer breiteren Öffentlichkeit bei der Inbetriebnahme des Großraumflugzeuges von Airbus, und zwar des A380, wurden FVK und vor allem kohlenstofffaserverstärkter Kunststoff als akzeptabler Hochleistungswerkstoff vorgestellt. Dies ebnete, einhergehend mit der fertigungstechnischen Weiterentwicklung von Komponenten in FVK, den Weg für das 2010 vorgestellte Megacity Vehicle des Automobilherstellers BMW, ein Serienprodukt aus CFK, das somit langsam finanziell beherrschbar wird. Dadurch wird die Hemmschwelle in Bezug auf die Verwendung von gezielt beinflussten Werkstoffen für den Konsumenten weiter abgebaut und die Weiterentwicklung von Hybridwerkstoffen zusätzlich vorangetrieben.