Zusammenfassungen
Im Verhältnis von Teilen der Medientheorie und der Medienforschung hat sich eine Ambivalenz herausgebildet: Auf der einen Seite sieht die Theorie der neuen Medien einen Rezipienten, der passiv und hilflos den Inszenierungen und Täuschungen der Medien ausgeliefert ist. Dieser Sichtweise fehlt eine Subjekttheorie. Auf der anderen Seite verweist die handlungstheoretisch ausgerichtete Rezeptionsforschung auf die Möglichkeiten eines aktiven und kritischen Umgangs der Subjekte mit den Medien. Die Begründung dieser Ansicht kann bislang medientheoretische Lücken nicht verbergen. Mit zwei Fallbeispielen wird illustriert, daß beide Positionen trotz der theoretischen Mängel bestimmte empirische Aspekte der Massenkommunikation erfassen: Der Golfkrieg kann als Beispiel für die mediale Überwältigung der Rezipienten, die öffentliche Auseinandersetzung um die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl als Beispiel für die Möglichkeiten einer kritischen Rezeption der Medien herangezogen werden. In der Medienforschung sollten deshalb beide Aspekte empirisch berücksichtigt und theoretisch miteinander verknüpft werden. Besonders interessant erscheint dabei die Frage, wie aus subjekttheoretischer Sicht die Probleme der zunehmend autonomen medialen Form entstanden sind.
Summaries
An ambivalence has emerged in the relationship of parts of media theory and media research: On the one hand, the theory of new media postulates a recipient who is passively and helplessly exposed to the spectacles and deceptions of the media. This perspective lacks a subject theory. On the other hand, reception research based on action theory hints at the chances of a subject's active and critical media behavior. So far, reasoning of this perspective has not been able to cover theoretical gaps. Two case studies illustrate that both positions, in spite of their theoretical deficiencies, grasp certain empirical aspects of mass communication: The Persian Gulf War can be seen as an example of the stupefaction of recipients by the media, whereas the public discussion of the nuclear accident at Chernobyl can be looked as an example of a critical reception of the media. Therefore, media research should empirically consider both aspects, and make an effort to link them theoretically. One question appears to be especially interesting: From a subject theory position, how did the problems of the increasingly autonomous media form develop?
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Sutter, T. Zwischen medialer Überwältigung und kritischer Rezeption. Publizistik 40, 345–355 (1995). https://doi.org/10.1007/BF03654086
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