Zusammenfassung
Ernst Jünger hat bisher nur in der Literatur der Weimarer Republik einen festen Platz, obwohl er bis heute schreibt. Seine frühen Werke hat Bohrer neben Benjamin gestellt: als herausragend “modern.” Hier soll am Gesamtwerk gezeigt werden, daß Jünger ein vormoderner Autor ist, den metaphysische Ansprüche beherrschen (die meist auch den Stil verderben).
Abstract
Ernst Jünger has only taken a confirmed place in the literature of the Weimar Republic, although he has been writing up to now. Bohrer placed his early writings beside Benjamin, qualifying them as exceptionally “modern.” I want to demonstrate — contrary to some up-to-date interpretations — that Jünger is a pre-modern author, ruled by metaphysical pretentions.
Literature
Hans Peter des Coudres und Horst Mühleisen, Bibliographie der Werke Ernst Jüngers, Veröffentlichungen der Deutschen Schiller-Gesellschaft, 43 (1985), Zitate S. 7, 8.
Dabei dominiert die Perspektive auf die Literatur der Weimarer Republik, z.B.: Thomas Koebner, “Die Erwartung der Katastrophe: Zur Geschichtsprophetie des ‘neuen Konservativismus’ (O. Spengler, E. Jünger),” Weimars Ende, hrsg. Thomas Koebner, st 2018 (1982), S. 348–359; Peter Sloterdijk, Kritik der zynischen Vernunft, es 1099, II, 816ff.
David Roberts, “Individuum und Kollektiv: Jünger und Brecht zu [sie!] Ausgang der Weimarer Republik,” Orbis litterarum, 41 (1986), 157–175.
Weiter ausholend: Rolf Schroers, “Der kontemplative Aktivist: Versuch über Ernst Jünger,” Merkur, 19 (1965), 211–225
Thomas Kielinger, “Der schlafende Logiker: Über Ernst Jüngers Surrealismus,” Merkur, 29 (1975), 930–946
Wolfgang Kaempfer, “‘Der Tod ist ein Meister aus Deutschland’: Zu einem Leitmotiv im nihilistischen Schrifttum Ernst Jüngers,” Recherches Germaniques, 6 (1976), 137–151, sowie der Band der Sammlung Metzler 201 vom selben Verf.: Ernst Jünger (1981) (mehr Verriß als Sammlung von ‘Realien’). Andere, mir wichtige Titel werden in den folgenden Anmerkungen genannt.
Das bekräftigt zuletzt der Aufsatz von J. Hervier, “Ernst Jünger et la question de la modernité,” Revue d’Allemagne, 14 (1982), 145–160, der im Titel die wesentliche Frage stellt.
Vgl. dazu die in Anm. 4 genannte Literatur. Die beste Arbeit zum Thema ist immer noch die von Christian Graf von Krockow, Der Dezisionismus bei Ernst Jünger, Carl Schmitt und Martin Heidegger: Seine soziale Funktion und seine sozialtheoretische Bedeutung;, Diss. (1954) (dazu die unten erwähnte von Schwarz).
So der Titel eines Aufsatzes von Karl Prümm, “Vom Nationalisten zum Abendländer: Zur politischen Entwicklung Ernst Jüngers,” Basis: Jahrbuch für deutsche Gegenwartsliteratur, 6 (1976), 7–29.
Karl Heinz Bohrer, “Das Böse — eine ästhetische Kategorie?,” Merkur, 40 (1986), 459–473.
Dazu muß man auch auf zwei — einander recht nahe stehende — Autoren hinweisen, ohne alle aufzuzählen: Hermann Lenz und Peter Handke. Jünger spielt eine Rolle in Lenz’ Poetik-Vorlesungen Leben und Schreiben: Frankfurter Vorlesungen, es, 1425 (1986) als jemand, dessen Darstellung des 2. Weltkrieges er recht gibt und der dadurch besticht, daß er “schreibt, wie er ist,” also einem Lenz’schen Ideal entspricht (vgl. 56ff.). Ähnlich eine Erwähnung im Roman Ein Fremdling (1983), S. 455.
Bei Handke finden sich nur negative Formulierungen (z.B. in Die Geschichte des Blei-stifts [1982], S. 42), aber in der Substanz, in grundlegenden ästhetischen Positionen steht er Jünger nicht gar so fern wie er glauben machen könnte. Michael Rutschky hat das gemerkt; er verweist auf den Zusammenhang von autonomer Wahrnehmung und Schrek-ken in Passagen des Handke-Tagebuches von 1977 Das Gewicht der Welt, wo die systema-tische Ausnutzung des Plötzlichen deutlich wird (Michael Rutschky, “Die Ästhetik des Schreckens: Zu Karl Heinz Bohrers Untersuchung,” Die Neue Rundschau, 89 [1978], 463). Man kann aber ebenfalls auf zentrale Erfahrungen in anderen Texten Handkes verweisen (wie Die Stunde der wahren Empfindung [1975]); die vielen ‘Augenblicke’ der Wahrheit sind die deutlichsten Signale, aber einzubeziehen ist auch der welt-erschließende Anspruch des Schreibens (vgl. Bleistift, S. 49f., 161, 169, 238), dem es darum geht, die Gegenwart der Welt zu verherrlichen. Nicht Kongruenz, aber strukturelle Konvergenz deutet sich an.
Alfred Andersch, “Deutsche Literatur in der Entscheidung: Ein Beitrag zur Analyse der literarischen Situation,” zitiert nach: Das Alfred Andersch Lesebuch, hrsg. Gerd Haffmans (1979), S. 119.
Alfred Andersch, “Amriswiler Rede” (1973), abgedruckt in: A.A., Öffentlicher Brief an einen sowjetischen Schriftsteller, das Überholte betreffend: Reportagen und Aufsätze (1977), S. 73 (da auch die folgenden Zitate).
Alfred Andersch, “Achtzig und Jünger” (1975), ebenfalls in: Öffentlicher Brief, S. 87–107, hier S. 89.
Solch radikale Konsequenz, das Subjekt in ihr auflösend, zieht die post-strukturalistische Philosophie, z.B. bei Michael Foucault, Von der Subversion des Wissens (1982), das Gespräch mit Paolo Caruso: da verweist er auf den radikalen Materialismus der späten Aufklärung des 18. Jahrhunderts, die Einsicht, daß Lebewesen “einfach existieren. Der Organismus funktioniert” (29). “Tatsächlich hat die Menschheit keine Zwecke” (30): Außer Rechtfertigungen ihres Funktionierens könne sie sich auch vernünftige oder ethisch notwendige Zwecke nicht setzen. Zu den wissenschaftlichen Konsequenzen auch Foucault, Die Ordnung der Dinge: Eine Archäologie der Humanwissenschaften, stw, 96 (1974). Analyse und Kritik bei Manfred Frank, Was ist Neostrukturalismus?, es, 1203 (1984), und Jürgen Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne, 3. Aufl. (1986).
Enthalten in: Heinrich Böll, Werke: Essayistische Reden und Schriften, Bd. III, 1973–1978, hrsg. Bernd Balzer (o.J.), S. 226–229. Hier zitiert nach: H.B., Spuren der Zeitgenossenschaft: Literarische Schriften (1980), S. 171–174. Verweise im Text.
Peter Gorsen, “Ernst Jünger über den Schmerz,” Streit-Zeit-Schrift, hrsg. Horst Bingel, VI, 2 (September 1986): Ernst Jünger, Sp. 23–27, hier Sp. 23 (weiterer Beleg im Text). Hier finden sich viele interessante Belege für die Jünger-Rezeption gerade der 60er Jahre.
Ich zitiere durchweg nach neueren, möglichst leicht zugänglichen Ausgaben. Zwar ist einmal eine gründliche philologisch-genetische Untersuchung des Gesamtwerks wünschenswert. Auf die Probleme, die mit den ständigen Umarbeitungen vieler Werke durch Jünger anläßlich von Neuauflagen für den Leser und fürs Jünger-Bild entstehen, haben vor allem zwei Arbeiten aufmerksam gemacht: Ulrich Böhme, Fassungen bei Ernst Jünger, Deutsche Studien, Bd. 14 (1972) und Johannes Volmert, Ernst Jünger “In Stahlgewittern”: Text und Geschichte (1985).
Nicht nur Formeln wie diese verweisen auf die geistige Abkunft des Autors Jünger aus den Traditionen des Dandy turns und der Adoration des ‘schönen Bösen.’ Die ersten guten Hinweise dazu hat Rainer Gruenter mit seinem Aufsatz “Formen des Dandysmus: Eine problemgeschichtliche Studie über Ernst Jünger” (Eupkorion, Folge 3, 46 [1952] 170–201) gegeben; zu erwähnen ist auch Wolfgang Kaempfer, “Das schöne Böse: Zum ästhetischen Verfahren Ernst Jüngers in den Schriften der dreißiger Jahre im Hinblick auf Nietzsche, Sade und Lautréamont,” Recherches Germaniques, 14 (1984), S. 103–117.
Ernst Jüngers Beziehung zur Literatur der ‘Neuen Sachlichkeit’ ist bis heute ebenfalls nicht gründlich untersucht (vgl. Helmut Lethen, Neue Sachlichkeit 1924–1932: Studien zur Literatur des ‘Weißen Sozialismus’ [1970] — marxistische Ansätze sind gelegentlich blind für ästhetisch produktive Konvergenzen über ideologische Grenzen hinweg). Ein Begriff wie “magischer Realismus” ist eine wenig erhellende Metaphorisierung, verdeckt eher den Zusammenhang von Bewußtseinsgeschichte und Schreibweisen.
Daß solche Vorstellungen im Dritten Reich in die ganz falschen Köpfe geraten konnten, ist keine sehr tief schürfende Erkenntnis. Bedenkenswerte Einwände zu den Thesen Boh-rers bei Michael T. Jones in seiner Besprechung (The German Quarterly, 55 [1982] 442–445).
Albert von Schirnding, “Lynkeus, den Schrecken im Aug: Ernst Jünger in seinen späten Tagebüchern,” Merkur, 35 (1981), 1287–1294, hier 1291.
Walter Hinck, “Der Denkspieler Ernst Jünger: Sein Roman ‘Eumeswil,’” Germanistik als Literaturkritik (1983), S. 94–99.
Wolf Lepenies, “Gesinnungsästhetik: Zu Karl Heinz Bohrers Auseinandersetzung mit Ernst Jüngers Frühwerk,” Merkur, 32 (1978), 1055–1060 (weitere Zitate im Text).
Ernst Jünger, “Aus den Tagebüchern,” Merkur, 40 (1986).
Zitiert als ein Motto am Anfang des Aufsatzes von Günter Scholdt, “Gescheitert an den Marmorklippen: Zur Kritik an Ernst Jüngers Widerstandsroman,” ZfdPh, 98 (1979), 543. Dies, der Aufsatz von Prümm (vgl. Anm. 18), der von Raddatz (vgl. Anm. 88) und die frühe Monographie von Karl O. Paetel (Ernst Jünger: Weg und Wirkung [1949]) geben neben dem Sonderheft der Streit-Zeit-Schrift (vgl. Anm. 39) die ergiebigsten Hinweise auf Jünger-Rezeption. Daneben wären vor allem noch zu nennen: Siegfried Lenz “Gepäckerleichterung: Ernst Jünger zum 70. Geburtstag (1965),” Beziehungen: Ansichten und Bekenntnisse zur Literatur (1970), S. 143–149, und Helmut Heißenbüttel, Zur Tradition der Moderne: Aufsätze und Anmerkungen 1964–1971, SL, 51 (1972), S. 263ff. (in einem ‘Carl-Einstein-Porträt’).
Die literaturwissenschaftlichen Bemühungen darum gehen durchaus über Bohrer hinaus, stützen sich zuweilen auch auf ihn. Vgl. z.B. Gerd Hemmerich, “Ernst Jünger — ein moderner Autor?,” Germanistik in Erlangen (1983), S. 389–396. Der bejaht die gestellte Frage, z. T. über Bohrer hinausgehend und gegen ihn, gerade unter Hinweis auf Jüngers Verhältnis zum 18. Jahrhundert. Noch einmal erinnert sei hier an die Arbeit von Hervier (vgl. Anm. 13)
Fritz J. Raddatz zieht in seinem Jünger-Beitrag (in: Die Nachgeborenen: Leseerfahrungen mit zeitgenössischer Literatur [1985]) kaum produktive Konsequenzen aus der Ankündigung im Inhaltsverzeichnis, die Jünger unter die “Autoren der Vorkriegszeit” rechnet, “die die Nachkriegsliteratur wesentlich prägten” (S. 5).
Eberhard Lämmert, “Beherrschte Prosa: Poetische Lizenzen in Deutschland zwischen 1933 und 1945,” Neue Rundschau, 86 (1975), 415. Er fährt dann fort: Jüngers “denkwür-dige Rechtsabweichung vom Nationalsozialismus ist eine Vorstufe zu seiner rigorosen politischen Abstinenz nach der nationalsozialistischen Machtergreifung.” Ich würde da eher ästhetizistischen Radikalismus als politischen am Werke sehen.
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Philippi, KP. “Versinken im Wirbel” Chaos und Ordnung im Werk Ernst Jüngers. Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 63, 154–193 (1989). https://doi.org/10.1007/BF03396331
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