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Berlioz’ coup rude de tam-tam Autobiographische Konstruktion als Kunstentwurf

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Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Es werden verschiedenen Lebensphasen zugeordnete autobiographische Szenen untersucht, die programmatisch eine Ästhetik der Überwältigung aus der Übersteigerung der psychophysischen Erregung formulieren und die im “mitrailler mes auditeurs” ihre produktionsästhetische Konsequenz finden. Verknüpft damit wird die materielle und konzeptuelle Wirkungsgeschichte des “Resurrexit” aus der Messe solennelle von 1824 dargestellt. Autobiographische Konstruktion und Kunstentwurf konvergieren für den 21jährigen Komponisten höchst zukunftsträchtig in der Schlüsselszene des “coup rude de tam-tam” bei der Uraufführung dieses Werks.

Abstract

This essay is a study of certain autobiographical scenes which introduce Berlioz’s aesthetics of ‘overwhelming.’ These scenes depict psychophysical agitation in an extreme manner and find their artistic result in the “mitrailler mes auditeurs.” At the same time the material and conceptual consequences of the “Resurrexit” from the Messe solennelle of 1824 are discussed. For the 21-year-old composer autobiographical patterns and artistic design merge in the key scene of the “coup rude de tam-tam” during the first performance of this opus.

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Literature

  1. Abgebildet in: J. Kapp, Berlioz (1917), Abbildungsteil, S. 41. Dort leider keine Her-kunftsangabe. Der Katalog der Berlioz-Ausstellung 1969 der Bibliothèque Nationale Paris datiert das Foto von Franck (Pseudonym für François-Marie-Louis-Alexandre Gobinet de Villecholle) irrtümlich “vers 1868” (Nr. 295, S. 143).

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  2. H. Berlioz, Mémoires, 2 Bde., hrsg. Pierre Citron (1969).

  3. Hugh Macdonald, “Berlioz’s Self-Borrowings,” Proceedings of the Royal Musical Association, 92 (1965/66), 27ff.

  4. H. Berlioz, Correspondance générale, bisher 4 Bde., hrsg. Pierre Citron (1972ff.).

  5. H. Berlioz, Correspondance inédite, hrsg. D. Bernard (1922), S. 259f.

  6. H. Berlioz, Les Soirées de l’Orchestre, hrsg. Léon Guichard (1968).

  7. Oder ist es die Erinnerung an ihn, die Berlioz vier Tam-tams und zehn Becken zum Einsatz bringen läßt, wenn im “Tuba mirum” der Grande messe des morts die Fanfaren der vier Blasorchester in das “Judex ergo cum sedebit” einmünden (H. Berlioz, New Edition of the Complete Works [1969ff.], Bd. IX, Takt 223 - in der Folge: NBE)?

  8. Das “Seitenthema” des Allegroteils stammt bekanntlich aus einer von zwei Quintett- Kompositionen aus La Côte-Saint-André. Wir erfahren darüber in demselben Kapitel der Memoiren, das auch über die Wiederkehr der Romanze “Je vais donc quitter” berichtet, in der nun schon bekannten Manier: “J’avais à cette époque douze ans et demi… J’ai brûlé les deux quintettes, quelques années après les avoir faits, mais il est singulier qu’en écrivant, beaucoup plus tard, à Paris, ma première composition d’orchestre, la phrase approuvée par mon père dans le second de ces essais, me soit revenue en tête, et se soit fait adopter. C’est le chant en la bémol exposé par le premiers violons, un peu après le début de l’allégro de l’ouverture des Francs-Juges” (Mém., I, 53). In der im Brief an Ferrand erwähnten Stelle der Durchführung, in die Berlioz das Solo der großen Trommel einführt, überlagern sich in der Tat “rage” und “tendresse”; die fahle, choralartige Melodie der Flöten und Klarinetten über dem Trommel- (und Pauken-)Solo läßt trotz extremer Augmentierung und gleichzeitiger Fragmentierung die “Jugendmelodie” aus dem Quintett durchscheinen. - Über die geheime Verwandtschaft der Estelle et Némorin-Romanze, der Quintett-Melodie und der Idée fixe der Symphonie fantastique ist viel gerätselt worden. Jacques Barzun (Berlioz and the Romantic Century 3. Aufl. [1969], I, 39f.) hat das auf seine geistreiche Art behandelt. Zu leisten bliebe freilich eine präzise Beschreibung des musiksprachlichen Korrelats einer mentalen Assoziationstechnik

  9. Magda Marx-Weber, “Hector Berlioz: Unbekannte Briefe an Peter Cornelius,” MF, 26 (1973), 238f.

  10. Zit. nach W. Dömling, Hector Berlioz: Die symphonisch-dramatisch en Werke (1979), S. 163.

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  11. Hugo, Notre Dame de Paris, hrsg. J. Seebacher, Y. Cohin (1975), S. 51.

  12. Lelio reflektiert das in seinem ersten Monolog: “… puis ces cloches, cet ironique chant de mort, religieux et impie, funèbre et burlesque, emprunté à l’église par l’enfer pour une insultante parodie!” (Dömling, op.cit., 161). - Auf die Vorbildhaftigkeit Hugos in Wortwahl, Stil und Syntax für den Text des Lelio hat Arnaud Laster (“Berlioz et Victor Hugo,” Romantisme, 12 [1976], 29) aufmerksam gemacht: “Jusque dans les tournures syntaxiques, le style de Berlioz dans Lelio est directement issu de celui de Hugo dans Le dernier jour d’un condamné.”

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  13. Die Katalysatorfunktion literarischer Bilder und Szenen (und jetzt auch solcher der bildenden Kunst), die die Konstanten der autobiographischen Konstruktion immer wieder flüssig machen, anreichern und umfärben, wird hier noch einmal besonders eindringlich deutlich. “Zulieferer” ist in doppelter Weise Heinrich Heine: 1.) Konstruktion, Bildhaftig-keit und Intention des Berlioz’schen Textes verdanken Heines Harzreise viel. Über die Rolle der Träume und der selbstvergewissernden “Traumarbeit” vgl. Norbert Altenhofer, Harzreise in die Zeit: Zum Funktionszusammenhang von Traum, Witz und Zensur in Heines früher Prosa, Schriften der H. Heine-Gesellschaft, 5 (1972). Berlioz zitierte Passa-gen aus Heines Reisebildern bereits am 5. 9. 1835 in seinem Feuilleton “Musiciens ambu-lants allemands et italiens” im Journal des Débats

  14. vgl. Léon Guichard, “Berlioz et Heine,” Rev. de littérature comparée, 41 [1967], 9.) 2.) Angesichts des freundschaftlichen Umgangs von Berlioz und Heine wäre die Annahme absurd, Berlioz habe erst 1855 aus der französischen Übersetzung der Lutetia Heines berühmte Charakteristik von 1844 kennen-gelernt: “Hier ist ein Flügelschlag, der keinen gewöhnlichen Sangesvogel verrät, das ist eine kolossale Nachtigall, ein Sprosser von Adlergröße, wie es deren in der Urwelt gegeben haben soll. Ja, die Berliozische Musik überhaupt hat für mich etwas Urweltliches, wo nicht gar Antediluvianisches, und sie mahnt mich an untergegangene Tiergattungen, an fabelhafte Königstümer und Sünden, an aufgetürmte Unmöglichkeiten, an Babylon, an die hängenden Gärten der Semiramis, an Ninive, an die Wunderwerke von Mizraim, wie wir dergleichen erblicken auf den Gemälden des Engländers Martin.” (Zit. nach Sämtl. Werke, XII, hrsg. H. Kaufmann [1964], S. 141f.). Die Beschreibung der Zeremonie in St. Paul’s im Brief an d’Ortigue als “Babylonienne” wie auch die spätere Charakterisie-rung des Te Deum als “Babylonien, Ninivite” im Brief aus der Uraufführungsnacht an Liszt weisen Heine bereits als Stichwortgeber aus, zumindest aber als Anstoßgeber, diese forcierten Adjektive der Unermeßlichkeit auf die eigene Produktion anzuwenden. In der Verbindung von Traum und John Martins Pandämonium aber zeigt sich die Berlioz’sche Arbeit, Heine aufzunehmen, für sich zu benutzen - und zugleich zu kritisieren. Explizit geschieht dies dann noch einmal 1858 im “Postscriptum” der Memoiren (Mém., II, 328f.).

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Kohrs, K.H. Berlioz’ coup rude de tam-tam Autobiographische Konstruktion als Kunstentwurf. Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 63, 120–153 (1989). https://doi.org/10.1007/BF03396330

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