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Schuldenmanagement, Urszene und Rattengeschichten Nietzsche, Freud, Grass und die Apokalypse

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Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Am Beispiel von Nietzsche, Freud und Grass soll hier gezeigt werden, wie Vertreter aus Philosophie, Psychoanalyse und Literatur die Apokalypse dekonstruieren. Dabei zeigt sich, daß durchgehende Argumentationsmuster die drei Autoren verbinden: die Apokalypse wird analysiert als Phantasma einer Schuldenvererbung, die Schuld immer im Rahmen eines ödipalen Vertrages verrechnet.

Abstract

Taking Nietzsche, Freud, and Grass as examples, this essay attempts to show how writers from the fields of philosophy, psychoanalysis, and literature deconstruct the notion of the apocalypse. It becomes clear that all three authors are connected by similar lines of thinking: the apocalypse is analyzed as a phantasy of the inheritance of debt, in which guilt is always negotiated within the framework of an oedipal contract.

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Literatur

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  3. Auf die Beschwörung des die Särge verfertigenden Tischlers folgt für den Apotheker sofort die Vorstellung von der Vorbereitung für das eigene Begräbnis: “Ailes sah ich sogleich im Geiste wirklich geschehen” (9. Gesang, V. 32–43). Zitiert wird nach: Johann Wolfgang von Goethe, Goethes Werke, Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, hrsg. Erich Trunz, 11. Aufl., München 1978, II, 437–514.

  4. Sigmund Freud, Studienausgabe, hrsg. Alexander Mitscherlich, Angela Richards, James Strachey, Fischer Wissenschaft, 10 Bande, Frankfurt/M. 1982, IX, 49. Im folgenden wird diese Ausgabe zitiert als StA unter Angabe von Band- und Seitenzahl in röm. bzw. arab. Ziffern.

  5. Ich akzentuiere hier natürlich gewollt einseitig. Über weitere Deutungsaspekte von Hermann und Dorothea unterrichtet neuerdings Paul Michael Lützeler: “Hermann und Dorothea (1797)”, in: Goethes Erzählwerk. Interpretationen, hrsg. Paul Michael Lützeler und James E. McLeod, Reclam UB 8081, Stuttgart 1985, 216–267. Auch Lützeler halt das Brautwerbungsmotiv für das “zentrale Thema” (248) des Textes und deutet die Verbindung von Hermann und Dorothea als Symbiose zwischen konservativem, empfindsamem Besitzdenken und den Idealen oder positiven Seiten der Französischen Revolution.

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  6. Unter “Phantasma” wird hier und im folgenden verstanden: “Imaginäres Szenarium, in dem das Subjekt anwesend ist und das in einer durch die Abwehrvorgänge mehr oder weniger entstellten Form die Erfüllung eines Wunsches, eines letztlich unbewußten Wunsches, darstellt.” Vgl. den Eintrag “Phantasie” in: J. Laplanche, J.-B. Pontalis, Das Vokabular der Psychoanalyse, übers. Emma Moersch, suhrkamp taschenbuch wissenschaft 7, Frankfurt/M. 1972, 388–394, hier: 338 (frz. Original Paris 1967). Zum Gebrauch des Terminus “Phantasma” vgl. ebd.

  7. Dietmar Kamper hat in Anlehnung an Klaus Vondung, der den Begriff zum erstenmal gebraucht hat, von einer “kupierten Apokalypse” gesprochen, was meint: “Ende der Welt ohne neuen Anfang, katastrophischer Untergang der Zivilisation ohne den Aufgang eines ‘Himmlischen Jerusalem’, Jüngster Tag und Weltgericht ohne die Auferstehung der Toten.” Kamper sieht die Apokalypse als Teil einer unannehmbaren Alternative zwischen Ende der Welt und Ende der Geschichte, Eschatologie oder Posthistoire, vgl. seinen Aufsatz “Die kupierte Apokalypse”, Ästhetik und Kommunikation 16 (1985), 93–90, hier: 83. Einen nützlichen Überblick über den Stand der Apokalypse-Diskussion zwischen Postmoderne und Posthistoire gibt Martin Schönherr, “Abschied von der Apokalypse–Anmerkungen zur Postmoderne-Diskussion”, Neue Deutsche Hefte 35/4 (1988), 746–763.

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  8. Eine Füllé von Material zu diesem Punkt bietet Klaus Vondung, Die Apokalypse in Deutschland, dtv 4488, München 1988.

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  10. Vgl. dazu Apokalypse. Weltuntergangsvisionen in der Literatur des 20. Jahrhunderts, hrsg. Gunter E. Grimm et al., suhrkamp taschenbuch materialien 2067, Frankfurt/M. 1986.

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  12. Vgl. hierzu den materialreichen Aufsatz von Sigrid Mayer: “Zwischen Utópie und Apokalypse. Der Schriftsteller als ‘Sehe’ im neueren Werk von Günter Grass”, Literarische Tradition heute. Deutschsprachige Gegenwartsliteratur in ihrem Verhaltnis zur Tradition, hrsg. Gerd Labroisse und Gerhard P. Knapp, Amsterdam 1988, 79–116.

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  13. Hier wird bereits ansatzweise hingewiesen auf das “Unterwühlen heilsgeschichtlicher Vorstellungen” (109,113) in Die Rättin sowie auf die Tatsache, daß es sich dabei um “die Umdeutung des apokalyptischen Endzeitbegriffs selber” (114) handelt. Eine ausruhrliche Analyse der Apokalypse bei Grass habe ich versucht in meiner Studie Die Genealógie der Post-Apokalypse. Günther Grass’ “Die Rättin”, Passagen Literatur, Wien 1991.

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  18. Wie Laurence Rickels bereits aufgefallen ist, war die Grass-Forschung bisher im allgemeinen eifrig damit beschäftigt, alle Spuren, die Nietzsche bei Grass hinterlassen hat, zu verwischen. Vgl. “Die Blechtrommel zwischen Schelmen- und Bildungsroman”, Der moderne deutsche Schelmenroman. Interpretationen, hrsg. Gerhart Hoffmeister, Amsterdam 1986, 109–132, hier: 114. Diese Arbeit der Verleugnung bedarf noch einer Analyse in Gestalt einer Untersuchung über Grass und Nietzsche.

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  21. Manfred Durzak, Der deutsche Roman der Gegenwart. Entwicklungsvoraussetzungen und Tendenzen, Stuttgart 1971, 269.

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  22. Zit.: Hannah Ahrendt, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bősen, Reclam-Bibliothek 1379, Leipzig 1990. Die vorangehenden Zitate finden sich auf Seite 380.

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  23. Vgl. Freud (Anm. 5), St A VII, 192f. Ein Versuch, die psychotische Projektion für die Lektűré von Weltuntergangstexten fruchtbar zu machen, ist Joachim Metzners Studie Persönlichkeitszerstörung und Weltuntergang. Das Verhältnis von Wahnbildung und literarischer Imagination, Tübingen 1976.

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  24. Die andere Seite der Wiedergeburtsphantasie ist die Konversion in der Hystérie, die ihr Vorbild in den Veränderungen am Körper des Heranwachsenden hat. Zur Theorie der Konversionshysterie und ihrer Bedeutung für das Phantasma des ganz Neuen vgl. das Kapitel “Teen Passion” in: Laurence A. Rickels, The Case of California, Baltimore and London 1991, 158–165.

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  25. Vgl. dazu Rainer Nägele, Reading after Freud. Essays on Goethe, Holderlin, Habermas, Nietzsche, Brecht, Celan, and Freud, New York 1987, 177–78.

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  26. Grass hat betont, daß die biblische Apokalypse kein Vorbild für die Situation der Menschheit am Ende des 20. Jahrhunderts ist. Vgl. seine Äußerung in: Francoise Giroud, Günter Grass, Wenn wir von Europa sprechen. Ein Dialog, Sammlung Luchterhand 835, Frankfurt/M. 1989, 100f. Diesen Gedanken hatte Grass bereits in der Rede “Die Vernichtung der Menschheit hat begonnen” vom November 1982 formuliert. Vgl. Grass (Anm. 15), WA IX, 830-833, hier: 830.

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  27. Aus marxistischer Sicht vgl. dazu Joachim Schuhmacher, Die Angst vor dem Chaos. Über die falsche Apokalypse des Bürgertums, makol bibliothek 26, Frankfurt/M. 1972 (Erstveröffentlichung 1937).

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  28. Vgl. dazu das Kapitel “Betrauerbare und unbetrauerbare Tode”, in: Laurence Richter, Der unbetrauerbare Tod, übers. Sabine Gross, Passagen Philosophic, Wien 1989, 49–59.

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Kniesche, T.W. Schuldenmanagement, Urszene und Rattengeschichten Nietzsche, Freud, Grass und die Apokalypse. Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 67, 541–564 (1993). https://doi.org/10.1007/BF03396219

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