Zusammenfassung
Die allgemein vertretene Auffassung, Hofmannsthal sei sich seiner jüdischen Identität kaum bewußt gewesen oder habe sie verdrängt, wird kritisch überprüft. Die Analyse unveröffentlichter Materialien zeigt, daß der junge Hofmannsthal sich intensiv mit seinem jüdischen Erbe auseinandergesetzt hat; der Verdrängungsprozess begann erst um 1900.
Abstract
The widely shared opinion that Hofmannsthal was hardly conscious of his Jewish identity or had repressed it is critically reexamined. The analysis of unpublished materials shows that the young Hofmannsthal was intensely concerned with his Jewish heritage; the process of repression did not begin before 1900.
Literatur
Vgl. Renate Böschenstein, “Mythos als Wasserscheide. Die jüdische Komponente der Psychoanalyse: Beobachtungen zu ihrem Zusammenhang mit der Literatur des Jahrhundertbeginns”, in: Hans Otto Horch, Horst Denkler (Hrsg.), Conditio Judaica. Judentum, Antisemitismus und deutschsprachige Literatur vom 18. Jahrhundert bis zum ersten Weltkrieg, 2. Bde., Tubingen 1989, II, 302.
Vgl. Hugo von Hofmannsthal, Leopold von Andrian, Briefwechsel, hrsg. Walter Perl, Frankfurt/M. 1968, 44f.
Siehe: Steven Beller, Vienna and the Jews 1867–1938. A Cultural History, Cambridge 1990, 76.
Jacques Le Rider, Das Ende der Illusion. Die Wiener Moderne und die Krisen der ldentität, Wien 1990, 351.
Einen Teilaspekt dieses Problemkomplexes, Hofmannsthals und Freuds divergierende Einstellungen zum Mythos, hat Renate Böschenstein in ihrem anregenden, oben (Anm. 2) erwähnten Aufsatz aus der Perspektive der jüdischen Problematik untersucht. Hinzuweisen ist auch auf zwei Aufsätze von Ernst Simon, “Hugo von Hofmannsthal: seine jüdischen Freunde und seine Stellung zum Judentum”, Mitteilungsblatt 38 (1977), 3–5 und ”Agur, fils d’Jaké. Hugo von Hofmannsthals jüdische Legende”, in: E. E. Urbach (Hrsg.), Studies in Mysticism and Religion, Jerusalem 1967, 235–260.
Hans Dieter Hellige, “Generationskonflikt, Selbsthaß und die Entstehung antikapitalistischer Positionen im Judentum. Der Einfluß des Antisemitismus auf das Sozialverhalten jiidischer Kaufmanns- und Unternehmersöhne im Deutschen Kaiserreich und in der K.u.K.-Monarchie”, Geschicbte und Gesellscbaft 5 (1979), 499.
Siehe auch John Milfulls Replik auf diesen Aufsatz: “Juden, Österreicher und andere Deutsche. Anmerkungen zum Identitätsproblem am Beispiel der Prosa Hofmannsthals 1912–1916”, Geschicbte und Gesellscbaft 7 (1981), 582–589.
Hermann Broch, Hofmannstbal und seine Zeit. Etne Studie, München 1964, 129.
Hugo von Hofmannsthal, Arthur Schnitzler, Briefwecbsel, hrsg. Therese Nickl, Heinrich Schnitzler, Fischer Taschenbiicher 2535, Frankfurt/M. 1983, 238.
Siehe Schnitzlers Brief vom 10.10.1912 an Alfred Mayer in: Arthur Schnitzler, Briefe 1875–1912, hrsg. Therese Nickl, Heinrich Schnitzler, Frankfurt/M. 1981, 701f.
Hugo von Hofmannsthal, Richard Beer-Hofmann, Briefwechsel, hrsg. Eugene Weber, Frankfurt/M. 1972, 145.
Hugo von Hofmannsthal, Rudolf Borchardt, Briefwechsel, hrsg. Marie Luise Borchardt, Herbert Steiner, Frankfurt/M. 1954, 137.
Hugo von Hofmannsthal, Willy Haas, Ein Briefwechsel, hrsg. Rolf Italiaander, Berlin 1968, 46.
Willy Haas, “Hugo von Hofmannsthal”, in: Gustav Krojanker (Hrsg.), Juden in der deutschen Litteratur, Berlin 1922, 156.
Zu den Schwierigkeiten bei dem Umgang mit diesem Problem siehe: Egon Schwarz, “Der ‘Beitrag’ der Juden zur deutschen Literatur”, Literatur und Kritik 229/30 (1988), 385–401. Schwarz weist u.a. darauf hin, daß allein “[s]chon das Vokabular, das ich bei diesen Überlegungen gezwungen bin, anzunehmen, Ausdrücke wie Halbjude, Juden stämmlinge und dergleichen... weit besser in die Hundezucht als in die Literaturgeschichte” paßten (386).
Siehe: David Bronsen, Jews and Germans from 1860 to 1933. The Problematic Symbiosis, Heidelberg 1979, 265.
Siehe z.B. Paul Fechter, Geschicbte der deutschen Literatur vom Naturalismus bis zur Literatur des Unwirklichen, Leipzig 1938, 217.
In diesem Sinne zählt z.B. Arthur Eloesser Hofmannsthal zu dem Kreis “Wiener jüdischer Dichter”. Siehe: Siegmund Kaznelson (Hrsg.), Juden im deutschen Kulturbereich. Ein Sammelwerk, 3. Aufl. mit Ergänzungen und Richtigstellungen, Berlin 1962, 38.
Ursula Renner, “Leopold von Andrian über Hugo von Hofmannsthal. Ausziige aus seinen Tagebiichern”, Hofmannsthal Blatter 35/36 (1988), 5f.
Zum Thema des Antisemitismus in diesem Drama siehe: Ruth Kluger, “The Theme of Anti-Semitism in the Work of Austrian Jews”, in: Sander Gilman (Hrsg.), Anti-Semitism in Time of Crisis, New York 1991, 173–176.
Theodor Herzl, Briefe und Tagebücher, hrsg. Alex Bein et al., Berlin 1983, 614.
Hugo von Hofmannsthal, Sämtliche Werke, Erzählungen II, hrsg. Ellen Ritter, Frankfurt/M. 1978, XXIX, 14.
Siehe: Srdan Bogosavljevic, “Der Amiel-Aufsatz. Zum Dilettantismus- und Décadence-Begriff des jungen Hofmannsthal”, Hofmannsthal Forschungen 9 (1987), 207–235
Joelle Stoupy, “Hofmannsthals Beriihrung mit dem Dilettantismusphänomen. Ergänzende Bemerkungen zur Begegnung mit Paul Bourget”, Hofmannsthal Forschungen 9 (1987), 237–264.
Hugo von Hofmansthal, Reden und Aufsätze III 1925–1929. Aufzeichnungen, hrsg. Bernd Schoeller, Ingeborg Beyer-Ahlert, Frankfurt/M. 1980, 383.
Willy Haas, Die literarische Welt. Erinnerungen, München 1957, 44.
Vgl. zum folgenden William McGrath, “How Jewish Was Freud?”, The New York Review of Books, December 5, 1991, 27–31.
Arthur Schnitzler, Jugend in Wien. Eine Autobiographie, hrsg. Therese Nickl, Heinrich Schnitzler, Frankfurt/M. 1981, 322.
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Rieckmann, J. Zwischen Bewußtsein und Verdrängung Hofmannsthals jüdisches Erbe. Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 67, 466–483 (1993). https://doi.org/10.1007/BF03396216
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