Zusammenfassung
Th. Mann hat im amerikanischen Exil die Gelegenheit wahrgenommen, seine politische Vergangenheit hinter sich zu lassen. Durch editorische Entscheidungen und Selbstäußerungen, die sein künstlerisches Werk als zeitlos und seine politische Haltung als immer schon prodemokratisch ausgeben, hat er das Klischee vom Klassiker und Repräsentanten des Humanismus mit geprägt.
Abstract
During his American exile Th. Mann took the opportunity to leave his political past behind. As a result of his editorial decisions and autobiographical statements his artistic work is presented as timeless and his political position is seen as always having been prodemocratic. Thus, Mann promoted the stereotype of himself as a classic and representative of German humanism.
Literature
Hans Magnus Enzensberger, “Mann, Kafka and the Katzenjammer Kids,” The New York Times Book Review, 17. Nov. 1985, 1 u. 37–39.
Gottfried Benn, Ausgewählte Briefe (1957), S. 292f. (25. Aug. 1955).
Hermann Kurzke, “Tendenzen der Forschung seit 1976,” in ders. (Hrsg.), Stationen der Thomas-Mann-Forschung: Aufsätze seit 1970 (1985), S. 7–14, Zitat S. 7.
Thomas Mann, Reflections of a Nonpolitical Man, übers. Walter D. Morris (1983)
Thomas Mann, Betrachtungen eines Unpolitischen (1918).
Thomas Mann irrt sich, wenn er in “On Myself” meint, der in der Zeitschrift The Dial (März-Mai 1924) erfolgte Vorabdruck von “Death in Venice” sei sein erstes in Amerika erschienenes Werk. Vgl. Thomas Mann, Gesammelte Werke in dreizehn Bänden (1974), XIII, 150. Zitate aus dieser Ausgabe sind im folgenden unter Angabe der Band- und Seitenzahl im Text nachgewiesen.
Vgl. John C. Thirwall: In Another Language: A Record of the Thirty-Year Rela tionship between Thomas Mann and His English Translator, Helen Tracy Lowe-Porter (1966), S. 85. Thomas Mann hatte sich nur zögernd für Lowe-Porter entscheiden können und hätte gerne einem Mann den Vorzug gegeben (vgl. ebd., S. 8ff.). Die Ausgaben des Verlages Alfred A. Knopf geben bis heute nur die Initialen ihrer Vornamen an, wodurch verschwiegen wird, daß es sich um eine Übersetzerin handelt.
Vgl. Thomas Mann, Tagebücher 1937–1939, hrsg. Peter de Mendelssohn (1980), Anm. S. 677f, sowie Tagebücher 1944–1946, hrsg. Inge Jens (1986), S. 98; Anm. S. 352.
In den Jahren 1929 bis 1949 gab es mehr als dreißig amerikanische Erstausgaben und–zusammen mit den britischen Lizenzausgaben–über einhundert Auflagen seiner Werke (avgl. Bürgin, Das Werk Thomas Manns, S. 78–81, 115–120). Zu den regulären Buchtantiemen und Einkünften kam noch das Entgelt für die zahlreichen Vortragsreisen und “Adresses,” d.h. Ansprachen zu öffentlichen Anlässen. Ein Beispiel mag zur Veranschaulichung dieses Umstands genügen: Am 5. und 6. November 1938, also eine Woche nach dem Einzug in das von ihm gemietete, herrschaftliche Princetoner Haus, vermerkt Thomas Mann den Erhalt von 600 Dollar von der Universität Princeton für eine Reihe von künftigen Gastvorlesungen sowie von “4000 Dollars für die Manuskripte der Jaakobsgeschichten u. des J.J. [sc. Der junge Joseph]” Tagebücher 1937–1939, S. 305) von Sinclair Lewis. Die letztgenannte Zusatzeinnahme allein entsprach dem zweifachen Jahresgehalt seines nicht weniger prominenten Princetoner Kollegen Albert Einstein.
Vgl. Hans Waldmüller, “Thomas Mann: Zahlen, Fakten, Daten seiner Rezeption,” Aus dem Antiquariat, 3 (1980), A97–A111
Hermann Kurzke, Thomas Mann: Epoche–Werk-Wirkung (1985), S. 301f.; ferner zwei ausführliche “Beispielanalysen” zur internationalen Wirkungsgeschichte der Romane Buddenbrooks und Dr. Faustus (ebd., S. 303–308).
Vgl. die unterschiedlichen Stimmen in der deutschen Presse der Jahre 1914 bis 1933 (Klaus Schröter [Hrsg.], Thomas Mann im Urteil seiner Zeit: Dokumente 1891–1955 [1969], S. 67–197). Für die Zeit nach 1945 vgl. ebd., S. 327–450 sowie
J.F.G. Grosser, Die große Kontroverse: Ein Briefwechsel um Deutschland. Walter von Molo–Thomas Mann (1963).
Thomas Mann, Von Deutscher Republik (1923); engl. “The German Republic,” übers. H(elen) T(racy) Lowe-Porter, in Order of the Day: Political Essays and Speeches of Two Decades (1942), S. 3–45. Zitate aus Order of the Day sind im folgenden im Text nachgewiesen (Sigle: O).
Thomas Mann, “Gedanken im Kriege,” Neue Kundschau, 25 (1914), 1471–84. Während des Krieges erschien der Aufsatz dann noch zusammen mit “Friedrich und die große Koalition” und der Entgegnung “An die Redaktion des ‘Svenska Dagbladet,’ Stockholm” in Friedrich und die große Koalition (1915, 2. Aufl. 1916); die Neuausgaben in den Jahren 1918, 1924 und 1930 enthalten hingegen nur den “Friedrich”-Essay.
Lowe-Porter berichtet von mehreren vergeblichen Versuchen, Thomas Mann zu einer amerikanischen Ausgabe der Betrachtungen zu bewegen (vgl. Thirwall, In Another Language, S. 33f., 183f.). Der Übersetzung ins Englische geht lediglich eine italienische Ausgabe voraus (Thomas Mann, Considerazioni di un impolitico, übers. Marianello Marianelli [1967, 3. Aufl. 1977]). Allein in Italien gibt es auch eine Ausgabe von Übersetzungen, die die Kriegsessays mit aufnimmt (Thomas Mann, Scritti storici politici, übers. Bruno Arenzi u.a. [1957]).
Thomas Mann hatte sich während eines Amerikaaufenthalts im März 1938 angesichts der Nachricht von der Annexion Österreichs zu diesem Schritt entschlossen. So erfolgte bereits am 5. Mai die offizielle Einwanderung in die Vereinigten Staaten über Kanada. Die formellen Schritte hatte Agnes E. Meyer eingeleitet. Vgl. Hans Bürgin und Hans-Otto Meyer, Thomas Mann: Eine Chronik seines Lebens (1974), S. 139f.
Vgl. Thomas Mann, Brieft, 3 Bde. (1961–65), I, 409–413.
Vgl. Luis Araquistain, “Good Germans? Letter to the Editor,” The Times Literary Supplement, No. 2168, 21. Aug. 1943, 403. Der Autor antwortet hier auf eine Rezension des Buches Order of the Day und weist mit erhobenem Zeigefinger auf Thomas Manns politische Vergangenheit hin. In diesem Zusammenhang werden einige Passagen aus dem Aufsatz “Gedanken im Kriege” in englischer Übersetzung angeführt.
Thomas Mann: “The Making of The Magic Mountain,” The Magic Mountain, übers. H(elen) T(racy) Lowe-Porter (1953), S. 719–29, Zitat S. 724. Zitate werden im folgenden nach dieser Ausgabe im Text nachgewiesen (Sigle: M).
Dies läßt sich vor allem an den Interviews aus dieser Zeit nachweisen (vgl. Frage und Antwort: Interviews mit Thomas Mann 1909–1955, hrsg. Volkmar Hansen und Gert Heine [1983], S. 17, 234–245, 251–253, 264).
Vgl. etwa Fritz Kaufmann, Thomas Mann: The World as Will and Representation (1957), S. 7, 12, 24, 40, 53, 73f., 96 Anm., 235f.; ferner
Erich Heller, The Ironie German: A Study of Thomas Mann (1958), S. 25, 28–31, 38f., 61, 74, 77, 85.
Erika Mann, “Einleitung,” Betrachtungen, Stockholmer Ausgabe (1956), S. IX–XXV.
Ein Zeugnis hierfür ist der Sammelband The Stature of Thomas Mann, hrsg. Charles Neider (1947). Über die Hälfte der zweiundsechzig Beiträge, die zum größten Teil schon in den Jahren 1933 bis 1945 außerhalb Deutschlands erschienen waren, stammen von Exilanten, davon allein zehn aus Thomas Manns Familienkreis. Einige dieser Emigranten hatten bei amerikanischen Universitäten und Colleges als Sprach- und Literaturdozenten Anstellung gefunden. Die übrigen Beiträge wurden von einheimischen Germanisten und Persön lichkeiten des öffentlichen Lebens abgefaßt. Unter ihnen befinden sich vornehmlich Personen–etwa Agnes E. Meyer–aus Thomas Manns Freundeskreis. Wie Erika Mann war ihnen daran gelegen, Thomas Manns Stimme als Sprachrohr ihrer politischen Anliegen zu benutzen, und zumeist konnten sie mit seinem Wohlwollen rechnen. Hierfür haben sie sich ihrerseits erkenntlich gezeigt. Es nimmt also nicht wunder, daß auch Hans Rudolf Vaget zu dem Ergebnis kommt, Thomas Mann habe in Amerika zumeist mit “einer guten Presse” rechnen können Thomas Mann: Kommentar zu sämtlichen Erzählungen [1984], S. 261).
Vgl. Peter Pütz, “Thomas Manns Wirkung auf die deutsche Literatur der Gegenwart,” Thomas Mann 1875–1975: Vorträge in München–Zürich–Lübeck, hrsg. Beatrix Bludau u.a. (1977), S. 453–465.
Joseph Pischel, “Bezüge zu Thomas Mann in der aktuellen theoretischen Selbstverständigung der DDR-Schriftsteller,” Werk und Wirkung Thomas Manns in unserer Epo che: Ein internationaler Dialog, hrsg. Helmut Brandt und Hans Kaufmann (1978), S. 380–395; Zitat S. 383.
Vgl. Hans H. Schulte, “Ist Thomas Mann noch lebendig? Verständigungsschwierig keiten zwischen einem deutschen Klassiker und seinem Publikum,” Thomas Mann: Ein Kolloquium, hrsg. Hans H. Schulte und Gerald Chapel (1978), S. 95–126 und “Dokumen tation: Presse-Kritik und -Polemik im Jubiläumsjahr 1975” (ebd., S. 127–148); ferner Hermann Kurzkes Überblick und bibliographische Hinweise zur Wirkungsgeschichte Thomas Manns Thomas Mann [1985], S. 296–311).
Vgl. Judith Ryan, The Uncompleted Past: Postwar German Novels and the Third Reich (1983), S. 43–69, Anm. S. 169–171
Hannelore Mundt, Thomas Mann und die Folgen (1989).
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Adolphs, D.W. Thomas Manns Einflußnahme auf die Rezeption seiner Werke in Amerika. Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 64, 560–582 (1990). https://doi.org/10.1007/BF03396182
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