Abstract
The mechanisms of disruption in paradigmatic performances of Christoph Schlingensief like »Talk 2000« and »Chance 2000« which established his reputation as »agent provocateur« are to be investigated in this paper. With his artistic events and stagings that often integrated marginalized people Schlingensief aimed less at creating scandals, but at irritating the ways of perceiving societal reality. The paper illustrates the functionality of the »image disruption machine«, Schlin-gensief’s mode of achieving alienation effects that implies a subversive counter-strategy against commercialization and exclusion.
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Literatur
Janke, Pia/ Kovacs, Teresa (Hg.): Der Gesamtkünstler Christoph Schlingensief. Wien 2011.
Lehmann, Hans-Thies: Postdramatisches Theater. Frankfurt a.M. 52011, S. 179 f.
Müller, Heiner: »Stöhnend unter der Last meines Versprechens…«. In: Christoph Marthaler: Straßen der Besten (Programmzettel). Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Berlin 1996.
Vgl. Goodman, Nelson: Weisen der Welterzeugung. Frankfurt a.M. 1984.
Schlingensief, Christoph: »Betroffenheitstypen«. In: Ders./Carl Hegemann: Chance 2000. Wähl dich selbst. Köln 1998, S. 17.
»Die Leistung eines Kunstwerks besteht für Luhmann genau darin, daß es seine Form als notwendig vorführt und zugleich die Kontingenz erkennen lässt […].« Werber, Niels: »Niklas Luhmanns Kunst der Gesellschaft. Ein einführender Überblick«. In: Niklas Luhmann: Schriften zur Kunst und Literatur. Hg. v. Niels Werber. Frankfurt a.M. 2008, S. 438–476, hier S. 467.
Stäheli, Urs: Sinnzusammenbrüche. Eine dekonstruktivistische Lektüre von Niklas Luhmanns Systemtheorie. Weilerswist 2000.
Vgl. Luhmann, Niklas: Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt a.M. 1998, S. 867.
Luhmann, Niklas: »Die Welt der Kunst«. In: Ders.: Schriften zu Kunst und Literatur. Hg. v. Niels Werber. Frankfurt a.M. 2008, S. 299–315, hier S. 301.
»Die Leute warten doch nur darauf, die Gedanken warten darauf, die Bilder warten darauf, dass sie gestört werden.« Schlingensief, Christoph: Die 120 Tage von Bottrop. Zit. n. Kuhlbrodt, Dietrich: »Schlingensief Inflation«. In: Thekla Heineke/ Sandra Umathum (Hg.): Christoph Schlingensiefs Nazis rein. Frankfurt a.M. 2002, S. 142.
Z.B. der eingespielte Fluglärm im Post-9/11-Stück Rosebud, der aufgrund seiner Lautstärke die Kommunikation auf der Bühne unverständlich werden lässt und so sinnfällig macht, dass der 11. September eine massive Diskurs-Verknappung im Medium der Angst erzeugt hat. Zugleich macht dieser Einbruch des Turbinenlärms deutlich, wie sehr die Assoziationstätigkeit der Zeitgenossen von Medienbildern und -tönen geprägt ist: »Diese Tonizität wurde von fast 80% der Zuschauer erkannt und als eindeutig verurteilt. Noch während der Premiere wurde das Geräusch gegen das Geräusch einer Cessna ausgetauscht. In diesem Moment erkannten es nur noch 20% der Anwesenden. Erst Wochen später, als ein 15jähriger in den USA mit seinem Flugzeug in ein Bürogebäude krachte, verstanden es wieder 80% der noch anwesenden Zuschauer und empfanden dasselbe Geräusch als interessant und aufrichtig.« (Schlingensief, Christoph: Rosebud. Das Original. Köln 2002, S. 48 f.).
Nissen-Rizvani, Karin: Autorenregie. Theater und Texte von Sabine Harbeke, Armin Petras/tFritz Kater, Christoph Schlingensief und René Pollesch. Bielefeld 2011, S. 178.
Baecker, Dirk: Theater der Gesellschaft am Standort Berlin. Denkschrift im Auftrag des Theaters Hebbel am Ufer. Berlin 2003, S. 16.
Steiner, Benedikt: »Der mythische Raum im Film oder Präsenz als Perturbation–Zum Zusammenhang von Raumdarstellung, Narrativ und Störung im audiovisuellen Medium«. In: Carsten Gansel/ Pawel Zimniak (Hg.): Störungen im Raum–Raum der Störungen. Heidelberg 2012, S. 459–485, hier S. 461.
Vgl. Harlan, Volker: Was ist Kunst? Werkstattgespräch mit Joseph Beuys. Stuttgart 1986.
Gilles, Catherina: Kunst und Nichtkunst. Das Theater von Christoph Schlingensief. Würzburg 2008, S. 93.
Belting, Hans: Das echte Bild. Bildfragen als Glaubensfragen. München 2005, S. 7.
»Personen interagieren, ohne die Verhaltensregeln genau zu verzeichnen. Trotzdem wird ständig auf dieses Wissen Bezug genommen. Solange Realitätskonstruktionen normal verlaufen, ist dieses Bezugnehmen üblicherweise nicht statthaft. Sobald die Realität zerbrochen ist, wird das Interaktionshandeln, welches die Realität strukturiert, sichtbar.« (Mehan, Hugh/ Wood, Houston: »Fünf Merkmale der Realität«. In: Elmar Weingarten u. a. (Hg.): Ethnomethodologie. Beiträge zu einer Soziologie des Alltagshandelns. Frankfurt a.M. 1986, S. 29–63, hier S. 50).
»Das Normale entzieht sich aufgrund seiner geringen Signifikanz seiner Repräsentation. Sichtbar wird es entweder in den abstrakten Formen mathematischer Visualität bzw. unscharfer Symbolik oder eben, indem es selbst unsichtbar bleibt, nämlich durch Inszenierung seiner Gegenteile, als deren Anderes das Normale dann erscheinen kann.« (Cuntz, Michael/ Krause, Marcus: »(Hyper-)Normalisierung«. In: Christina Bartz/ Ludwig Jäger/ Markus Krause/ Erika Linz (Hg.): Handbuch der Mediologie. Signaturen des Medialen. München 2012, S. 192–202, hier S. 197).
Diedrichsen, Diedrich: »Magie und Massenarbeitslosigkeit: Christoph Schlingensiefs ›Chance 2000‹ im Prater in Prenzlauer Berg«. In: Zeichen 4: Engagement und Skandal. Berlin 1998, S. 99–122, hier S. 119.
In diesem Sinne ist auch Schlingensiefs wiederholt kritisierte Zusammenarbeit mit körperlich oder geistig Behinderten als Bilderstörung zu verstehen, die aus einer anderen, oftmals als irritierend empfundenen sozialen Interaktion erwächst. Wichtig ist etwa das Mienenspiel des behinderten Schauspielers, das Sehgewohnheiten unterbricht: Das weniger durchkalkulierte Ausdrucksspiel, die gebrochene Inszenierung von ungewohnten Affektbildern, rückt die Grimasse als einen Grenzfall der Semiotisierung der Affekte in den Blick, es kommt zu einer Störung humanwissenschaftlicher Zeichenpraktiken, weil die Hermeneutik der nonverbalen Kommunikation kompliziert wird (vgl. Löffler, Petra: »›Mimische Störungen‹. Zum Bild der Grimasse«. In: Albrecht Kümmel/ Erhard Schüttpelz (Hg.): Signale der Störung. München 2003, S. 173–197).
Vgl. etwa Baudrillard, Jean: Der symbolische Tausch und der Tod. München 1982.
Lyotard, Jean-François: »L’Acinema«. In: Ders.: Essays zu einer affirmativen Ästhetik. Berlin 1982, S. 25–43, hier S. 36.
Schößler, Franziska: »Wahlverwandtschaften: Der Surrealismus und die politischen Aktionen von Christoph Schlingensief«. In: Ingrid Gilcher-Holtey/ Dorothea Kraus/ Franziska Schößler (Hg.): Politisches Theater nach 1968. Regie, Dramatik und Organisation. Frankfurt a.M./New York 2006, S. 269–293, hier S. 270.
Schlingensief: Ausländer raus. Bitte liebt Österreich. Dokumentation. Hg. v. Matthias Lilienthal und Claus Philipp. Frankfurt a.M. 2000, S. 100.
Rebentisch, Juliane: Ästhetik der Installation. Frankfurt a.M. 2003, S. 278.
Christoph Schlingensief im Interview mit Alexander Kluge, zit. n. Antonic, Thomas: »Authentizität und Meta-Täuschung in Christoph Schlingensiefs Talkshows«. In: Pia Janke/ Teresa Kovacs (Hg.): Der Gesamtkünstler Christoph Schlingensief. Wien 2011, S. 419–434, hier S. 430.
Williams, Raymond: Television: Technology and Cultural Form. New York 1974.
Eine theoretische Bestärkung seiner Position hätte sich Schlingensief bei Hans Blumenberg holen können, der in seiner »Metaphorologie« feststellt: »Nicht nur die Sprache denkt uns vor und steht uns bei unserer Weltsicht gleichsam ›im Rücken‹; noch zwingender sind wir durch Bildervorrat und Bilderwahl bestimmt, ›kanalisiert‹ in dem, was überhaupt sich uns zu zeigen vermag und was wir in Erfahrung bringen können.« (Blumenberg, Hans: »Paradigmen zu einer Metaphorologie«. In: Archiv für Begriffsgeschichte 6 [1960], S. 7–142, hier S. 69).
»Entscheidend ist, dass Public Art nicht deshalb ›öffentlich‹ ist, weil sie ihren Ort in einem urbanistisch zu bestimmenden ›öffentlichen Raum hat‹ statt im semi-privaten Raum einer Galerie. Sondern Kunst ist öffentlich, wenn sie im Öffentlichen stattfindet, d. h. im Medium des Antagonismus. […] Erst in dem Moment, in dem ein Konflikt ausgetragen wird, entsteht über dessen Austragung eine Öffentlichkeit […] Öffentlichkeit ist nichts als der Aufprall selbst.« (Marchart, Oliver: »›There is a crack in everything.‹ Public Art als politische Praxis«. In: Christoph Schenker/ Michael Hiltbrunner [Hg.]: Kunst und Öffentlichkeit–Kritische Praxis der Kunst im Stadtraum Zürich. Zürich 2007, S. 237–244, hier S. 239 f. und 241).
Schößler, Franziska: »Intermedialität und ›das Fremde in mir‹: Christoph Schlingensiefs ReadyMadeOper Mea Culpa«. In: Pia Janke/ Teresa Kovacs (Hg.): Der Gesamtkünstler Christoph Schlingensief. Wien 2011, S. 117–134, hier S. 118.
Hochreiter, Susanne: »›Den Skandal erzeugen immer die anderen.‹ Überlegungen zu künstlerischen und politischen Strategien Christoph Schlingensiefs«. In: Pia Janke/ Teresa Kovacs (Hg.): Der Gesamtkünstler Christoph Schlingensief. Wien 2011, S. 435–452, hier S. 444.
In diesem Sinne argumentiert etwa Dirk Rustemeyer: »Lager und Gefängnisse können selbst zu Symbolen werden, die kulturelle Unterscheidungen markieren, und zum Anlass zu Konflikten oder Erzählungen, wenn nicht Mythen werden. Bei ihnen handelt es sich um Orte der Beobachtung, die selbst im Mittelpunkt gesellschaftlicher Aufmerksamkeit stehen können, obwohl und weil sie die Möglichkeiten der Beobachtung minimieren.« (Rustemeyer, Dirk: Diagramme: Dissonante Resonanzen: Kunstsemiotik als Kulturtheorie. Weilerswist 2009, S. 165 f.).
Vgl. Burri, Regula Valérie: Doing Images. Zur Praxis medizinischer Bilder. Bielefeld 2008.
Foucault, Michel: Dispositive der Macht. Michel Foucault über Sexualität Wissen und Wahrheit. Berlin 1978, S. 120.
Elias Canetti schreibt: »[W]ie von keiner anderen Figur, die man kennt, lässt sich von ihm das Wesen der Freiheit ablesen. […] Er belustigt [… die Leute], indem er ihnen alles durch Umkehrung verdeutlicht.« (Canetti, Elias: Die Provinz des Menschen. Aufzeichnungen 1942–1972. Frankfurt a.M. 2011, S. 192 f.; vgl. hierzu auch Schüttpelz, Erhard: »Der Trickster«. In: Eva Eßlinger/ Tobias Schlechtriemen/ Doris Schweitzer/ Alexander Zons [Hg.]: Die Figur des Dritten: ein kulturwissenschaftliches Paradigma. Berlin 2010, S. 208–224).
Vgl. Serres, Michel: Der Parasit. Frankfurt a.M. 1987.
Eine systemtheoretische Wendung wird formuliert bei Luhmann, Niklas: »Ethik als Reflexionstheorie der Moral«. In: Ders.: Gesellschaftsstruktur und Semantik. Bd. 3. Frankfurt a.M. 1989, S. 338–447, hier S. 422 f.
Vgl. Rancière, Jacques: Das Unvernehmen. Politik und Philosophie. Frankfurt a.M. 2002.
Rancière, Jacques: Zehn Thesen zur Politik. Zürich 2008, S. 11
Seeßlen, Georg: »Radikale Kunst. Über Schlingensiefs Ästhetik der Öffnung«. In: Pia Janke/ Teresa Kovacs (Hg.): Der Gesamtkünstler Christoph Schlingensief. Wien 2011, 76–87, hier 76.
Primavesi, Patrick: »Theater als Labor und Experiment«. In: Stefanie Kreuzer (Hg.): Experimente in den Künsten. Transmediale Erkundungen in Literatur, Theater, Film, Musik und bildender Kunst. Bielefeld 2012, 131–162, hier S. 147.
Vgl. Schaub, Mirjam/ Suthor, Nicola/ Fischer-Lichte, Erika (Hg.): Ansteckung. Zur Körperlichkeit eines ästhetischen Prinzips. München 2005.
Rancière, Jacques: »Die Ästhetik als Politik«. In: Ders.: Das Unbehagen in der Ästhetik. Wien 2007, S. 29–56.
Zit. n. Heineke / Umathum (Hg.): Christoph Schlingensiefs Nazis rein (wie Anm. 16), S. 5.
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Koch, L. Christoph Schlingensiefs Bilderstörungsmaschine. Z Literaturwiss Linguistik 44, 116–134 (2014). https://doi.org/10.1007/BF03379708
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