Zusammenfassung
‘Artistik’ nennt Gottfried Benn den Versuch der Kunst, “sich selber als Inhalt zu erleben.” In seiner Gedichtsammlung selbstporträt des sch ach spielers als trinkende uhr (1983) unternimmt Ernst Jandl diesen Versuch einmal mehr. Das Ergebnis ist eine katastrophale Einschätzung der Möglichkeiten von Poesie, Kunst überhaupt.
Abstract
‘Artistik’ is the name that Gottfried Benn gives to the attempt of art “to experience itself as substantial content.” In his anthology selbstporträt des schachspielers als trin-kende uhr (1983) Ernst Jandl undertakes this attempt once again. The result is a catastrophic evaluation of the possibilities of poetry, of art at all.
Literature
Gottfried Benn, “Probleme der Lyrik,” Gesammelte Werke, hrsg. Dieter Wellershoff, 5. Aufl., 4 Bde. (1978), I, 500.
Vgl. Friedrich Nietzsche, Werke, hrsg. Karl Schlechta, 9. Aufl., 3 Bde. (1982), III, 694. Nietzsche kommentiert in einem nachgelassenen Fragment der 80er Jahre mit dem Begriff “Artisten-Evangelium” jene Konzeption von Kunst, die er in dem 1872 veröffentlichten Werk über Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik entworfen hatte. Vgl. Werke, I, 7–134.
Vgl. Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung (1977). “Der Genuß des Schönen, der Trost, den die Kunst gewährt, der Enthusiasmus des Künstlers, welcher ihn die Mühen des Lebens vergessen läßt, dieser eine Vorzug des Genius vor den Ändern, der ihn für das mit der Klarheit des Bewußtseyns in gleichem Maaße gesteigerte Leiden und für die öde Einsamkeit unter einem heterogenen Geschlechte allein entschädigt, — dieses Alles beruht darauf, daß … das Ansich des Lebens, der Wille, das Daseyn selbst, ein stetes Leiden und theils jämmerlich, theils schrecklich ist, dasselbe hingegen als Vorstellung allein, rein angeschaut, oder durch die Kunst wiederholt, frei von Quaal, ein bedeutsames Schauspiel gewährt” (I, 335).
Ernst Jandl, Das Öffnen und Schließen des Mundes: Frankfurter Poetik-Vorlesungen (1985), S. 124. Jandl zitiert
John Cage, Silence, Lectures and Writings (1973), S. 109.
Vgl. Michael Liebmann, “Ikonologie,” Ikonographie und Ikonologie: Bildende Kunst als Zeichensystem, hrsg. Ekkehard Kaemmerling, 3. Aufl., (1984), 307: “Die Ikonologie ist machtlos, wo sie es mit der Landschaftsmalerei zu tun hat (jedenfalls mit der europäischen), mit dem Stilleben, der Genremalerei und, ich möchte hinzufügen, mit dem Porträt. ” Der letztgenannte Aspekt ist von Belang gerade auch für die Interpretation des selbstporträt: Erst recht nicht das “bedeutungslose” Porträt wird dem “nichts erinnere an etwas” gerecht.
Vgl. Gotteslob, hrsg. Bischöfe Deutschlands, Österreichs und der Bistümer Bozen-Brixen und Lüttich (1975), S. 391.
Friedrich Nietzsche, Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik, in Werke, hrsg. Karl Schlechta, 9. Aufl., 3 Bde. (1982), I, 93. Das Werk erschien 1872.
Joseph von Eichendorff, Werke, hrsg. Wolfdietrich Rasch (1984), S. 162.
Vgl. Anette von Droste-Hülshoff, Sämtliche Werke, hrsg. Günther Weydt und Winfried Woesler, 2 Bde. (1975), I, 432–433.
Vgl. Johann Wolfgang Goethe, Poetische Werke, Berliner Ausgabe (1965), IV, 465–473.
Wilhelm Bernhardi, Allgemeines deutsches Lieder-Lexikon, 4 Bde. (1844, Nachdruck 1968), I, 133–134.
Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie, hrsg. Gretel Adorno und Rolf Tiedemann (1973), S. 329.
Heinz F. Schafroth, “Jandl live, oder: Wie schreit man? Zu Jandls Gedichtband der gelbe hund,” Ernst Jandl Materialienbuch, hrsg. Wendelin Schmidt Dengler (1982), S. 65–67.
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Motto aus Ernst Jandl, Aus der Fremde: Sprechoper in sieben Szenen, Gesammelte Werke, 3 Bde. (1985), III, 286. Diese Ausgabe wird im Folgenden zitiert als Jandl, GW.
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Brülls, H. Nach der Artistik Zur immanenten Poetik in drei Gedichten Ernst Jandls. Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 62, 363–386 (1988). https://doi.org/10.1007/BF03375998
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