Zusammenfassung
Literaturwissenschaftliche Begrifflichkeiten bedürfen der Historisierung, um sie auf die Literatur des Mittelalters anwenden zu können. Die Forschung hat sich hierbei stark auf den Autor konzentriert und den Erzähler nur marginal in den Blick genommen. Doch ist es gerade der Erzähler, der bei mittelalterlicher Epik grundsätzlich anders aufgebaut ist als bei neuzeitlicher.
Abstract
One has to historicise conceptualities of literary studies if you want to apply them to medieval literature. Scholarly studies have focused on the author, and nearly forgot the narrator. But, regarding to medieval epics, especially the narrator is fundamentally different to modern narrators.
Lieterature
Vgl. Karin Kress, »Narratologie«, in: Jost Schneider (Hrsg.), Methodengeschichte der Germanistik. Unter redaktioneller Mitarbeit von Regina Grundmann, Berlin, New York 2009, 507–528, hier: 519f.
Vgl. Armin Schulz, Erzähltheorie in mediävistischer Perspektive, Berlin u.a. 2012, 367–395.
Sehr viel umfangreicher wendet Gert Hübner die Erzähltheorie Genettes auf die höfische Epik an (vgl. Gert Hübner, Erzählform im höfischen Roman. Studien zur Fokalisierung im ›Eneas‹, im ›Iwein› und im ›Tristan‹, Tübingen, Basel 2003). Hübner klammert den Erzähler selbst aus seiner ganz auf die Anwendung des Genette’schen Modells ausgerichteten Arbeit aus: Eine systematische Auseinandersetzung mit dem Erzählerbegriff sucht man in seiner Monografie vergebens, ebenso wie eine grundsätzliche Historisierung der Genette’schen Kategorien. Zur Auseinandersetzung mit Genette und Hübner s.u.
Sonja Glauch, An der Schwelle zur Literatur. Elemente einer Poetik des höfischen Erzählens, Heidelberg 2009, 79.
Zum breiten Tätigkeitsspektrum des spilmans vgl. Joseph Harris, Karl Reichl, »Performance and Performers«, in: Karl Reichl (Hrsg.), Medieval oral Literature, Berlin 2012, 141–202
Maria Dobozy, Re-Membering the Present. The Medieval German Poet-Minstrel in Cultural Content, Turnhout 2005.
Vgl. Henrike Manuwald, »Der Autor als Erzähler? Das Bild der Ich-Figur in der ›Gro½en Bilderhandschrift9 des Willehalm Wolframs von Eschenbach«, in: Gerald Kapfhammer u.a. (Hrsg.), Autorbilder. Zur Medialität literarischer Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit, Münster 2007, 63–92
hier: 64. Manuwald selbst (vgl. auch Henrike Manuwald, Medialer Dialog. Die ›Gro½e Bilderhandschrifu des Willehalm Wolframs von Eschenbach und ihre Kontexte, Tübingen, Basel 2008) spricht allerdings konsequent vom Erzähler, wenn sie sich auf die entsprechende Figur in den Bildern bezieht. Ihre ausgewogene Diskussion, ob es sich bei der Erzählerfigur evtl. auch um ein Autorbild handele (vgl. ebd.), lässt sich vor dem Hintergrund des hier Dargestellten auch als Hinweis auf die paradoxale Identität des höfischen Erzählers lesen.
Die Anwesenheit und Inszenierung eines Codex ist dabei nicht notwendig: Mary Carruthers hat nachgewiesen, dass die Vorstellung einer imaginären Bibliothek eine der wichtigsten Modelle des künstlichen Gedächtnisses im Mittelalter darstellt (vgl. Mary Carruthers, The Book of Memory. A Study of Memory in Medieval Culture, 2. Aufl., Cambridge 2008, 18–37; 118–122; 139–143), sodass das Bild vom Aufschlagen eines Buchs auch den Akt des Erinnerns eines Erzählers codieren kann.
Manfred Günter Scholz, Hören und Lesen. Studien zur primären Rezeption der Literatur im 12. und 13. Jahrhundert, Wiesbaden 1980,126; zur Kritik vgl. Däumer (Anm.21), 151f.
Diese Lesart legt etwa Sandra Linden an (Sandra Linden, »Das sprechende Buch. Fingierte Mündlichkeit in der Schrift«, in: Claudia Dobrinski [Hrsg.], Text — Bild — Schrift. Vermittlungen von Information im Mittelalter, München 2007, 83–100, hier: 99), die den Eingang des Wigalois als gezielten medialen Verfremdungseffekt liest.
Vgl. Ivan Illig, Im Weinberg des Textes. Als das Schriftbild der Moderne entstand, München 2010, 57f.
Vgl. Umberto Eco, »Zwischen Autor und Text«, in: Fotis Jannidis u.a. (Hrsg.), Texte zur Theorie der Autorschaft, Stuttgart 2000, 279–294, wo Eco immer wieder seine Lesart seiner Romane als exemplarischer Leser anderen Leseeindrücken auf derselben autoritativen Ebene gegenüberstellt.
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Wagner, S. Die Dreinatur des höfischen Erzählers: Versuch einer systematischen Historisierung des Erzählerbegriffs für die Epik des Hochmittelalters. Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 89, 3–40 (2015). https://doi.org/10.1007/BF03375717
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