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Artistische Ironie und die Fremdheit der Seele Zur ästhetischen Disposition in der Frühromantik bei Friedrich Schlegel und Karoline von Günderrode

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Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Friedrich Schlegels frühe innovative Impulse in den Bereichen von Dichtung, Theorie und Kritik und Karoline von Günderrodes Selbstbewußtsein als Dichterin lassen sich — bei aller grundsätzlichen Differenz — auf eine gemeinsame Disposition zurückführen, die ein für die Romantik genuines ästhetisches Verhalten repräsentiert. Ein zentrales Kennzeichen dafür ist die imaginäre Stilisierung der gegengeschlechtlichen Sphäre, bei Schlegel die Idealisierung des Weiblichen, bei der Günderrode die Heroisierung des Mannes.

Abstract

Friedrich Schlege’s innovative impulses in the areas of poetry, theory and criticism on the one hand and Karoline von Günderrode’s self-assertion as a poetess on the other can be traced back to a similar disposition, in spite of the fundamental differences between these writers. The disposition lies in an aesthetizising attitude so typical of Romanticism. One central sign for this attitude can be found in the imaginative stylization of the other sex — in Schlegel: the idealization of the feminine; in Günderrode: the heroization of maleness.

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Literature

  1. Die Frage geht zurück auf den Einleitungsaufsatz von Richard Brinkmann anläßlich des interdisziplinären Symposiums Romantik in Deutschland im Jahre 1978. Vgl. Richard Brinkmann, „Romantik als Herausforderung. Zu ihrer wissenschaftsgeschichtlichen Rezeption“, in: ders. (Hrsg.), Romantik in Deutschland. Ein interdisziplinäres Symposion, Sonderband DVjs 52 (1978), 7–37.

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  2. Vgl. etwa, stellvertretend für viele andere Äußerungen in diese Richtung: Helmut Schanze, „Einleitung“, in: Helmut Schanze (Hrsg.), Romantik-Handbuch, Stuttgart 1994, 1–15. Sowie

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  3. Ernst Behler, Jochen Hörisch (Hrsg.), Die Aktualität der Frühromantik, Paderborn 1987.

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  4. Vgl. etwa die Bemerkungen von H. Kurzke speziell zur Frühromantik: „Die Früh-romantik ist, pointiert gesprochen, ein Produkt des Sonderfriedens von Basel. … Es war eine untypische Schonzeit. Der ältere Friedrich Schlegel urteilte, die frühromantischen Ansätze hätten sich zur Bewältigung der Geschichte nicht bewährt. Wir Heutigen aber lesen fasziniert immer wieder seine Fragmente und beinahe nie sein Spätwerk. Wir verharren bei einer Utopie, die ihr Autor für erledigt hielt. Haben wir unsere Lektion nicht gelernt? Ist die Frühromantik nicht doch eine überschätzte Epoche?“ (Hermann Kurzke, „Die Wende von der Frühromantik zur Spätromantik. Fragen und Thesen“, Athenäum. Jahrbuch für Romantik 2 [1992], 165–177, hier: 176).

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  5. Siehe dazu die Arbeiten von Karl Heinz Bohrer, „Identität als Selbstverlust. Zum romantischen Subjektbegriff“, Merkur 38 (1984), 367–379. Und: Der romantische Brief. Die Entstehung ästhetischer Subjektivität, München, Wien 1987.

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  6. Hier sei nur der weitausholende Aufsatz von Bernhard J. Dotzler angeführt: „‚Seht doch wie ihr vor Eifer schäumet…‘. Zum männlichen Diskurs über Weiblichkeit um 1800“, Jb. d. dt. Schillergesellschaft 30 (1986), 339–382. Zwar geht Dotzler auf die Günderrode kaum ein, doch arbeitet er überzeugend das zeittypische Verhältnis von männlichem Schreiben und weiblichem Rezipiententum heraus, vor dessen Hintergrund weibliches Schreiben stets eine Sekundärfunktion einnimmt oder als eine Art ‚unnatür-liche ‘Aberration begriffen wird. So trifft er F. Schlegels Verständnis der Frauen im kulturellen Raum recht genau, wenn er schreibt: „Schlegels ‚Gespräch über die Poesie ‘zeigt den Übergang vom literarischen Diskurs der Salons zum wissenschaftlichen der Poesie. … Aus dem Geplapper, der schöngeistigen Konversation, soll die Ordnung der schriftlichen Rede werden. Die Männer dozieren, die Frauen — … — sind Hörerinnen — wie sonst Leserinnen — und Gesprächspartnerinnen“ (381–382).

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  7. Exemplarisch können für diesen Tenor zwei Aufsätze angeführt werden, die zwar eine jeweils ganz unterschiedliche Ausrichtung aufweisen, jedoch, liest man sie zusammen, eben das skizzierte Schlegel-Bild entwerfen: Hannelore Schlaffer, „Frauen als Einlösung der romantischen Kunsttheorie“, Jb. d. dt. Schillergesellschaft 21 (1977), 274–296. Sowie

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  8. Sigrid Weigel, „Wider die romantische Mode. Zur ästhetischen Funktion des Weiblichen in Friedrich Schlegels ‚Lucinde‘“, in: Inge Stephan, Sigrid Weigel, Die verborgene Frau. Sechs Beiträge zur feministischen Literaturwissenschaft, Berlin 1983, 67–82.

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  9. In diese Richtung zielt etwa der glänzende Essay von Christa Wolf, „Der Schatten eines Traums. Karoline von Günderrode“, in: Christa Wolf, Lesen und Schreiben. Neue Sammlung. Essays, Aufsätze, Reden, Darmstadt, Neuwied 1980, 225–284. Festzuhalten ist, daß damit sicher der Kern der Problematik bei Karoline von Günderrode getroffen wird. Bleibt nur die Frage, wie dies im Zeitkontext des romantischen Bewußtseins zu deuten wäre.

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  10. Vgl. Günter Dux, Geschlecht und Gesellschaft. Warum wir liehen. Die romantische Liehe nach dem Verlust der Welt, Frankfurt a. M. 1994.

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  11. Friedrich Schlegel, Schriften zur Literatur, hrsg. Wolfdietrich Rasch, München 1970, 335.

  12. Vgl. zu Schlegels Stellung in der Nachfolge der „Querelle des Anciens et des Modernes“ Hans Robert Jauß, „Schlegels und Schillers Replik auf die ‚Querelle des Anciens et des Modernes‘“ in: ders., Literaturgeschichte als Provokation, Frankfurt a. M. 1970, 67–106.

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  13. Gesammelt sind diese Aufsätze in: Winfried Menninghaus (Hrsg.), Friedrich Schlegel, Theorie der Weiblichkeit, Frankfurt a. M. 1982, 11–119. Die Tatsache, daß Menninghaus den Gesamttitel „Theorie der Weiblichkeit“ gewählt hat, repräsentiert an sich schon die Tendenz, die diese Essays einschlagen: weg von einer distanziert gelehrten Betrachtung der Antike und hin zu einer Einbindung des Wissens äber die Griechen in einen genuinen Diskurs, der im Horizont einer neuen Poesie und bald auch schon einer „Neuen Mythologie“ verläuft.

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  14. Die Frage, ob die „Neue Mythologie“ in der Lucinde umgesetzt sei, erscheint vor diesem Hintergrund müßtg. In einem einzigen Werk ist sie gewiß nicht umzusetzen, zumal auch dieses „Werk“ in Schlegels Verständnis noch keineswegs als abgeschlossen galt. Vgl. dazu: Cornelia Hotz-Steinmeyer, Friedricb Schlegels Lucinde als „Neue Mythologie“. Geschichtsphilosophischer Versuch einer Rückgewinnung gesellschaftlicher Totalität durch das Individuum, Frankfurt a.M., Bern, New York 1985.

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  15. Friedrich Schlegel, Lucinde. Ein Roman, insel taschenbuch 817, Frankfurt a.M. 1985, 23.

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  16. Ebd., 97. Es ist interessant, daß Schlegels Bildungsbegriff neuerdings auch von den Erziehungswissenschaften zur Kenntnis genommen und reflektiert wird. Dabei hat vor allem seine „Theorie der Weiblichkeit“ eine neue Aufwertung erfahren gegenüber der feministischen Kritik, die in Schlegels Emanzipationsbestreben eine fundamental patriarchalische Note entdeckt und angeprangert hat. Vgl.: Petra Korte, Projekt Mensch — „Ein Fragment aus der Zukunft“. Friedrich Schlegels Bildungstheorie, Minister 1995.

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  17. Strohschneider-Kohrs weist im ersten Kapitel ihrer umfassenden Untersuchung darauf hin, daß der Begriff „romantische Ironie“ besser durch „künstlerische Ironie“ zu ersetzen wäre: „Die von Adam Müller und Solger in ihren kunstphilosophischen Schriften gewählte Bezeichnung: ‚künstlerische Ironie’ lautet sehr viel glücklicher, da sie darauf hinweist, daß mit dem Begriff der Ironie in der Romantik Fragen von spezifisch ästhetischer Bedeutung zur Sprache gebracht werden … es wird einerseits die Frage nach dem kunstlerischen Schaffensprozeß und seinen inneren Bedingungen gestellt; ein anderer, aber mit diesem Gedanken eng verbundener Problemkreis öffnet sich in der Frage nach den besonderen Formen und Mitteln, in denen das objektivierte Kunstwerk seinen rein asthetischen Sinn vorträgt“ (Ingrid Strohschneider-Kohrs, Die romantische Ironie in Theorie und Gestaltung, 2. Auflage, Tübingen 1977, 7f.). In diesem Zusammenhang scheint es mir sinnvoll, den Begriff „kunstlerische Ironie“ mit dem modernistischen Schlagwort des „Artistischen“ zu konfrontieren, um das bei F. Schlegel anzutreffende,freischwebende’ Formbewußtsein sowie den Perspektivismus des Denkens und des Witzes zu bezeichnen, welche grundsatzlich auf eine metaphysische Grunddisposition bezogen bleiben. „Artistische Ironie“ meint somit die aus einem exzentrischen Subjektbe-wufitsein entspringende Haltung, in der ein ideeller Perspektivismus in eine geschichts-philosophische Dynamik eintritt. Ironie ist fur Schlegel der unabdingbare Motor der„progressiven Universalpoesie“.

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  18. Man muß sich fragen, ob man diesen Vorgang in erster Linie als „sanfte Zähmung“ der Frau begreifen soil, auf dessen Grundlage „der Frau jedwede dem Mann vergleich-bare Entwicklungsmöglichkeiten abgesprochen werden“ (vgl. Eva Domoradzki, „Und er erschuf die Frau nach seiner Sehnsucht. Zum Weiblichkeitsentwurf in Friedrich Schlegels Frühwerk unter besonderer Berücksichtigung des Romans Lucinde“, in: Sylvia Wallinger, Monika Jonas [Hrsg.], Der Widerspenstigen Zähmung. Studien zur hezwungenen Weiblichkeit in der Literatur vom Mittelalter his zur Gegenwart, Innsbruck 1986, 169–184, hier: 174). Immerhin spielt sich die Entwicklung von Julius nicht gerade in einer Realität ab, in der man(n) eine Selbstverwirklichung im emanzipativen Sinne zu erwarten hätte. Eine Deutung auf dieser Stufe von ideologischer Deutlichkeit übersieht den Idealbereich, in dem alles angesiedelt ist, nicht zuletzt auch der Mann.

  19. 29. August 1801. Birgit Weißenborn (Hrsg.), Ich sende dir ein zärtliches Pfand. Die Briefe der Karoline von Günderrode, Frankfurt a.M., Leipzig 1992, 78 f. Dieter Burdorf weist auf die Problematik der Briefedition hin, die Birgit Weißenborn zusammengestellt hat und hält fest: „Nicht nur eine historisch-kritische Ausgabe, son-dern auch eine vertretbare Leseausgabe der Briefe Günderrodes steht noch aus“ (

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  20. Dieter Burdorf, „‚Diese Sehnsucht ist ein Gedanke, der ins Unendliche starrt. ‘Über Karoline von Günderrode — aus Anlaß neuer Ausgaben ihrer Werke und Briefe“, WW 43 [1993], 49–67, hier: 65). Auch wenn die zitierte Briefausgabe bestimmten philologischen Ansprüchen nicht entspricht, so scheint sie doch insofern gelungen, als die Mehrzahl der Gunderrode-Briefe aufgefuhrt und in einen Zusammenhang mit den Personen gestellt wird, mit denen Karoline korrespondiert hat. So ergibt sich ein aufschlußreiches Bild der Briefautorin in ihrem Umfeld von Bekannten, Freunden und Geliebten.

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  21. Vgl. die erste Strophe des Gedichtes Die Einzige aus der nachgelassenen Sammlung der Günderrode „Melete“: „Wie ist ganz mein Sinn befangen,/Einer, Einer anzuhangen;/Diese Eine zu umpfangen/Treibt mich einzig nur Verlangen;/Freude kann mir nur gewähren,/Heimlich diesen Wunsch zu nähren,/Mich in Thraumen zu betoren,/Mich in Sehnen zu verzehren/Was mich tödtet zu gebären“ (Karoline von Günderrode, Sämtliche Werke und ausgewdhlte Studien. Historisch-kritische Ausgabe, hrsg. Walter Morgenthaler, I, Texte, Frankfurt am Main, Basel 1990, 326). Interessant erscheint in diesem Zusammenhang, daß auch dieses Liebesgedicht aus der Perspektive des Mannes verfaßt ist.

  22. Vgl. dazu die Bemerkungen von Bernhard Gajek: „Ein zweiter Romantizismus, der ebenfalls die Beziehung zu Friedrich Creutzer pragen sollte, wird hier schon geiibt: daß die Not der Mann-Frau-Beziehung durch einen Geschlechtertausch gemildert oder sogar überspielt werden soll: Karoline geht auf die von Savigny nahegelegte Einstellung: Freundschaft statt Liebe ein, fortan nennt sie sich Savignys ‚Freund‘, sowie sie in Creutzers Briefen jahrelang ‚der Freund ‘sein wird. Der Wunsch, ein Mann zu sein, greift gerne zu diesem — scheinbaren — Ausweg“ (Bernhard Gajek, „,Das rechte Verhältniß der Selbstandigkeit zur Hingebung‘. Über Karoline von Günderrode“, in: Christoph Jamme und Otto Pöggeler [Hrsg.], „Frankfurt aber ist der Nabel dieser Erde.“ Das Schicksal einer Generation der Goethezeit, Stuttgart 1983, 206–226, hier: 212).

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  23. An Clemens Brentano (Datierung unklar, ca. 1803). Katja Behrens (Hrsg.), Frauen der Romantik. Porträts in Briefen, insei taschenbuch 1719, Frankfurt a.M., Leipzig 1995, 36.

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  24. Vgl. zu diesem Bruch: Julia Bobsin, Von der Werther-Krise zur Lucinden-Liebe. Studien zur Liebessemantik in der deutschen Erzählliteratur, Tübingen 1994.

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  25. Vgl. Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, hrsg. von Adolf Frisé, Reinbek bei Hamburg 1978, 16, Kap. 4: „Wenn es Wirklichkeitssinn gibt, muß es auch Möglichkeitssinn geben“.

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Schärf, C. Artistische Ironie und die Fremdheit der Seele Zur ästhetischen Disposition in der Frühromantik bei Friedrich Schlegel und Karoline von Günderrode. Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 72, 433–462 (1998). https://doi.org/10.1007/BF03375503

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