Zusammenfassung
Der Artikel zeigt, dass das Happy End in Fontanes letztem, erst aus dem Nachlass veröffentlichten Roman auf den Ordnungen ‚race‘, ‚class‘ und ‚gender‘ beruht, die alle drei durch die Aufstiegsbemühungen der kleinbürgerlichen Titelheldin vorübergehend gestört und zu guter Letzt wiederhergestellt werden.
Abstract
The article shows how the happy ending in Fontane’s last, only posthumously published novel relies on the orders of ‚race‘, ‚class‘ and ‚gender‘, all three of which are temporarily disturbed by the protagonist’s social ambitions, and finally restored.
Literature
Theodor Fontane, Briefe, Hrsg. Gottfried Erler, Berlin, Weimar 1968, II, 382.
Eingeklammerte Seitenzahlen folgen (auch in Rechtschreibung und Zeichensetzung) der neuen historischkritischen Ausgabe: Theodor Fontane, Mathilde Möhring, Hrsg. Gabriele Radecke, Berlin 2008 (Große Brandenburger Ausgabe. Das erzählerische Werk, XX). Zitate aus dem Kommentarteil der Ausgabe sind mit [K] gekennzeichnet.
Hugo Aust, Theodor Fontane. Ein Studienbuch, Tübingen, Basel 1998, 191.
Josef Ettlinger, »Vorwort«, in: ders. (Hrsg.), Aus dem Nachlaß Theodor Fontanes, 6. Aufl., Berlin 1908, VII–XVIII, hier: XIV.
Ernst von Wolzogen, »Theodor Fontanes Nachlaß«, Das literarische Echo 10 (1908), Nr. 14, 968–973, hier: 972. — Ich danke Peter Schäfer vom Theodor-Fontane-Archiv, Potsdam, für seine freundliche Hilfe bei der Beschaffung der frühen Rezensionen.
Friedrich Düsel, »Aus Storms und Fontanes Nachlaß«, Westermanns Monatshefte 103 (1908), 753–768, hier: 767f.
Viktor Wall, »[Rezension von: Aus dem Nachlaß von Theodor Fontane, Hrsg. Josef Ettlinger, Berlin 1908]«, Die Gegenwart 73 (1908), Nr. 18, 286.
Felix Poppenberg, »Die posthume Fontane-Tochter«, Die neue Rundschau 19 (1908), Nr. 9, 1367–1370, hier: 1368.
Carl Busse, »Neues vom Büchertisch [...]«, Velhagen & Klasings Monatshefte 22 (1907/1908), 927–931, hier: 930.
Walter Müller-Seidel, Theodor Fontane. Soziale Romankunst in Deutschland, Stuttgart 1975, 321.
Marcel Reich-Ranicki, »Der Fall Mathilde Möhring«, in: ders., Nachprüfung. Aufsätze über deutsche Schriftsteller von gestern, München, Zürich 1977, 1–21, hier: 20.
Gabriele Wittig-Davis, »‚Von den andren... hat man doch mehr...?‘ Kunst und Wirklichkeit, Weiblichkeit und Fremdsein in Theodor Fontanes Mathilde Möhring als Roman und Film«, in: Hanna Delf von Wolzogen et al. (Hrsg.), Theodor Fontane. Am Ende des Jahrhunderts, Würzburg 2000, II, 218–236, hier: 222.
Günther Mahal, »Fontanes Mathilde Möhring«, Euphorion 69 (1975), Nr. 1, 18–40, hier: 30.
Stefan Greif, »‚Neid macht glücklich‘. Fontanes Mathilde Möhring als wilhelminische Satire«, Der Deutschunterricht 50 (1998), Nr. 45, 46–57, hier: 46.
Sabine Schmidt, »‚fast männlich‘. Zu Genderdiskurs und Rollentausch in Theodor Fontanes Mathilde Möhring«, in: Sabina Becker, Sascha Kiefer (Hrsg.), »Weiher weiblich, Männer männlich«? Zum Geschlechtsdiskurs in Theodor Fontanes Romanen, Tübingen 2005, 227–252, hier: 243
Sabina Becker, »Aufbruch ins 20. Jahrhundert: Theodor Fontanes Roman Mathilde Möhring. Versuch einer Neubewertung«, Zeitschrift für Germanistik N.F. 10 (2000), 298–315, hier: 298.
Vgl. Ulrike Hanraths, Bilderfluchten. Weiblichkeitsbilder in Fontanes Romanen und im Wissenschaftsdiskurs seiner Zeit, Aachen 1997, 195f.
Heidy Margrit Müller, Töchter und Mütter in deutschsprachiger Erzählprosa von 1885–1935, München 1991, 100
Claudia Liebrand, Das Ich und die Andern. Fontanes Figuren und ihre Selbstbilder, Freiburg i.Br. 1990, 90
Maria Lypp, »Nachwort«, in: Theodor Fontane, Mathilde Möhring, Stuttgart 1973, 131–141, hier: 141.
Vgl. David S. Johnson, »The Ironies of Degeneration: The Dilemmas of Bourgeois Masculinity in Theodor Fontane’s Frau Jenny Treibel and Mathilde Möhring«, Monatshefte 102 (2010), Nr. 2, 147–161.
Eda Sagarra, »Mathilde Möhring«, in: Christian Grawe, Helmuth Nürnberger (Hrsg.), Fontane-Handbuch, Stuttgart 2000, 679–689, hier: 689.
Zur mehr oder minder zulässigen synonymen Verwendung der Begriffe ‚Kleinbürgertum‘, ‚Angestelltenmilieu‘ und ‚neuer Mittelstand‘ vgl. Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, München 1994, 1, 380.
Zum »gesellschaftliche[n] Mechanismus der Distinktion«, den Fontane an Möhrings ganz besonders facettenreich vorführt, vgl. Norbert Mecklenburg, Theodor Fontane. Romankunst der Vielstimmigkeit, Frankfurt a.M. 1998, 216–227. Vgl. »Burial«, Encyclopaedia Judaica, 2. Aufl., Detroit 2007, IV, 291–2
Vgl. Yahya Elsaghe, Thomas Mann und die kleinen Unterschiede. Zur erzählerischen Imagination des Anderen, Köln, Weimar, Wien 2004, 171 f.
Theodor Fontane, Frau Jenny Treibet, Hrsg. Tobias Witt, Berlin 2005 (Große Brandenburger Ausgabe. Das erzählerische Werk, XIV), 16.
Doktor Sponholz führt seine Ferienvertretung bei Dubslav von Stechlin mit folgenden Worten ein: »Er wird Ihnen gefallen. Neue Schule, moderner Mensch; aber doch nicht zu viel davon (so wenigstens hoff ich) und jedenfalls sehr gescheit. An seinem Namen, — er heißt nämlich Moscheies, — dürfen Sie nicht Anstoß nehmen. Er ist aus Brunn gebürtig und da heißen die meisten so«, Theodor Fontane, Der Stechlin, Hrsg. Klaus-Peter Möller, Berlin 2008 (Große Brandenburger Ausgabe. Das erzählerische Werk, XVII), 380f.
Theodor Fontane, Effi Briest, Hrsg. Christine Hehle, Berlin 1998 (Große Brandenburger Ausgabe. Das erzählerische Werk, XV), 314. Vgl. Mecklenburg (Anm.28), 33.
Vgl. Dietz Bering, Der Name als Stigma. Antisemitismus im deutschen Alltag, 1812–1933, Stuttgart 1978, 402.
Theodor Fontane, Fünf Schlösser. Altes und Neues aus der Mark Brandenburg, Hrsg. Gotthard Erler, Rudolf Mingau, Berlin 1997 (Große Brandenburger Ausgabe. Wanderungen durch die Mark Brandenburg, V), 31, 44f., 63.
So auch das Fazit der ersten Forschungsarbeit, die sich vor Radecke überhaupt mit der Darstellung jüdischer Figuren in Mathilde Möbring genauer beschäftigt, vgl. Michael Fleischer, »Kommen Sie, Cohn.« Fontane und die »Judenfrage«, Berlin 1998, 276–279.
Vgl. Hans Mayer, Außenseiter, Frankfurt a.M. 1976, 318. — Warum Fontane offenbar beabsichtigte, Silberstein an dieser Stelle später einmal zu ersetzen — am Rand notierte er sich »Hier muß ich Silberstein vermeiden; irgend eine andre Figur nehmen« (95) -, bleibt unklar; so lange Silberstein aber zu Wort kommt, scheinen seine syntaktischen Besonderheiten ebenso fest mit ihm verbunden wie die amourösen Ambitionen seiner Tochter.
Vgl. Richard Faber, ‚Der Zersetzen‘, in: Julius H. Schoeps, Joachim Schlör (Hrsg.), Antisemitismus. Vorurteile und Mythen, München 1995, 260–264. Vgl. z.B. auch die Charakterisierung des Zwillingspaars in Thomas Manns früher antisemitischer Novelle Wälsungenblut: »Sie widersprachen auf jeden Fall, als schiene es ihnen unmöglich, kümmerlich, schimpflich, nicht zu widersprechen, sie widersprachen vorzüglich«, Thomas Mann, Wälsungenblut, in: ders., Frühe Erzählungen, Hrsg. Terence J. Reed, Frankfurt a.M. 2004 (Große Kommentierte Frankfurter Ausgabe, II), 439.
Vgl. Bering (Anm. 39), 402. ‚Birnbaum‘ zählt nach Bering zu den jüdischen Herkunftsnamen, und zwar aus dem »ostd[eutschen]slav[ischen] Kolonialraum und aus Polen«. Zum freien Beruf des Arztes, den im 19. Jahrhundert entsprechend viele Juden ausübten, vgl. Monika Richarz, »Berufliche und soziale Struktur«, in: Michael Meyer, Michael Brenner (Hrsg.), Deutsch-jüdische Geschichte der Neuzeit, München 1997, III, 40f.
Vgl. Frank Pauli, Bimmel-Bolle. Ein christlicher Unternehmer in Berlin (1832–1910), Berlin 2000.
Vgl. Lukas Richter, Der Berliner Gassenhauer. Darstellung, Dokumente, Sammlung, New York, München, Berlin 2004, 421–423.
Vgl. Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschicbte, München 1995, III, 737f.
Zur »Verbürgerlichung des Kleinbürgertums« vgl. Heinz-Gerhard Haupt, Geoffrey Crossick, Die Kleinbürger. Eine europäische Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts, München 1998, 292.
Vgl. Shulamit Volkov, »Die Verbürgerlichung der Juden in Deutschland als Paradigma«, in: dies., Jüdisches Leben und Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert. Zehn Essays, München 1990, 111–130.
Harald Tanzer, Theodor Fontanes Doppelroman Die Poggenpuhls und Mathilde Möhring. Ein Erzählkunstwerk zwischen Tradition und Moderne, Paderborn 1997, 238.
Vgl. Martina Nieswandt, »Lehrerinnenseminare: Sonderweg zum Abitur oder Bestandteil höherer Mädchenbildung?«, in: Elke Kleinau, Claudia Opitz (Hrsg.), Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung, Frankfurt a.M., New York 1996, II, 174–188.
Werner Hoffmeister, »Theodor Fontanes Mathilde Möhring«, Zeitschrift für deutsche Philologie 92 (1973), 126–149, hier: 145.
Gunhild Kubier, Die soziale Aufsteigerin. Wandlungen einer geschlechtsspezifischen Rollenzuschreibung im deutschen Roman 1870–1900, Bonn 1982, 66.
Vgl. auch A[lan] F. Bance, »Fontane’s Mathilde Möhring«, The Modern Language Review 69 (1974), 121–133, hier: 123.
Obwohl der Gebrauch des Präsens bei Fontane häufig Kennzeichen früher Konzeptionsschichten ist, lässt sich an gerade dieser Stelle am Ende des Romans zumindest nicht ausschließen, dass der Tempuswechsel vom Imperfekt ins Präsens auch eine Schlussredaktion überstanden hätte — vielleicht nicht im Sinn eines » visionäre [n] Ende[s]«, das für Gabriele Radecke aus editionsphilologischer Sicht nicht eindeutig herzuleiten wäre, möglicherweise aber doch im Dienst der erzähltechnischen Verstärkung eines diesmal eben dauerhaften ‚Happy Ends‘, vgl. Gabriele Radecke, »Gedeutete Befunde und ihre Darstellung im konstituierten Text. Editorische Überlegungen zu Theodor Fontanes Mathilde Möhring«, Jahrbuch der Jean Paul Gesellschaft 41 (2006), 179–193, hier vor allem: 192f.
Vgl. Karin Hausen, »Die Polarisierung der ‚Geschlechtscharaktere‘ — Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben«, in: Werner Conze (Hrsg.), Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit, Stuttgart 1976, 363–393, hier vor allem: 365–375.
Vgl. Walter Erhart, Familienmänner. Über den literarischen Ursprung moderner Männlichkeit, München 2001, 172–208.
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Marquardt, F. ›Race‹, ›class‹ und ›gender‹ in Theodor fontanes Mathilde Möhring. Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 86, 310–327 (2012). https://doi.org/10.1007/BF03374745
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