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Die Vernichtung des Körpers durch die Geburt des Kunstwerks in der petrarkistisch-manieristischen Lyrik

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Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Durch raffinierte Anordnung der Tropen in Gedichten des europäischen Manierismus erhöht sich die Künstlichkeit der lyrischen Gebilde, wenn sie die Anatomie weiblicher Körper beschreiben. Angesichts der stilistischen Hyperbolik der Gedichte Hoffmannswaldaus (Marinos und Shakespeares) wird die Frage nach dem körperlichen Vorbild überflüssig. Die komplexen Metaphern bilden keinen Körper ab, sondern entwerfen in ihrer Pretiosität einen neuen virtuellen und medialisierten Kunstkörper, der das natürliche Original übertrifft. Durch die Überbetonung der Künstlichkeit der Textkörper wird die Naturfeindschaft moderner Ästhetik ebenso antizipiert wie ein neues Selbstbewusstsein dichterischer (und maskuliner) Potentialität.

Abstract

Because of the complex construction of tropes in poems of European manierism you can quote a high artificiality in lyrics although they describe the anatomy of female nudes. The essay follows the thesis, that the hyperbolical stylistic in poems of Hoffmannswaldau, Marino and Shakespeare destroy the evidence of the natural origin of the women’s body. The precious metaphors do not refer to a body. They create a new virtual and medial artificial body, which differs from the natural origin in quality und beauty. Therefore the anticipation of modern and antinatural aesthetics can be shown. According to the authors, a new self-consciousness of poetical and masculine power can be attested.

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Literature

  1. Vgl. Werner Kriegeskorte, Giuseppe Arcimboldo. 1527–1593. Ein manieristischer Zauberer, Köln 1988, 29. Hocke spricht angesichts des Bildes auch von »diesem fleischlosen und frierenden Mann«, zit. nach Kriegeskorte, 30.

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  2. Vgl. dazu auch Leonard Forster, Das eiskalte Feuer. Sechs Studien zum europäischen Petrarkismus, übersetzt von Jörg-Ulrich Fechner, Kronberg 1976.

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  3. Maché und Meid erkennen in Hoffmannswaldau einen Dichter, »der an geistreichen Einfällen und sprachlicher Geschliffenheit alle Vorgänger übertraf.« Vgl. »Nachwort«, in: Gedichte des Barock, hrsg. Ulrich Mache, Volker Meid, Stuttgart 1980, 351–360, hier: 358.

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  4. W.T.J. Mitchell, »Was ist ein Bild?«, in: Volker Bohn (Hrsg.), Bildlichkeit. Internationale Beiträge zur Poetik Band 3, Frankfurt a.M. 1990, 17–68, hier: 53.

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  5. Vgl. dazu den eindrucksvollen Katalog, Matthew Barney, The Cremaster Cycle, Museum Ludwig Köln 2002 und den einleitenden Aufsatz von Nancy Spector, »Nur die perverse Phantasie kann uns noch retten«, 2–91.

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  8. Die Oper enthält das Thema der unberechenbaren, kalten und männermordenden Femme fatale in Gestalt der chinesischen Kaisertochter, die jedoch Nick in zweifacher Hinsicht gebannt hat. Deshalb gilt Calafs im Futur I gehaltene Exklamation »Vincero, vincero!« auch für ihn. Vgl. Giacomo Puccini, Turandot. Lyrisches Drama in drei Akten und fünf Bildern. Übersetzung von Alfred Brüggemann, Stuttgart 1997, bes. 39.

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  9. Aus dem lebensbejahenden Künstler Pygmalion wird auf diese Weise ein sterilisierender Midas. Zur Umbesetzung dieses mythologischen Motivs in der Literaturgeschichte verweise ich auf den lesenswerten Aufsatz von Mathias Mayer, »Midas statt Pygmalion. Die Tödlichkeit der Kunst bei Goethe, Schnitzler, Hofmannsthal und Georg Kaiser«, DVjs 64 (1990), 271–310.

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  10. Für das späte 19. Jahrhundert hat das herausgearbeitet: Georg Leisten, Wiederbelebung und Mortifikation. Bildnisbegegnung und Schriftreflexion als Signaturen neoromantischer Dichtung zwischen Realismus und Fin de Siècle, Bielefeld 2000.

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  11. Vgl. als einführende Gesamtdarstellung das Buch von Volker Meid, Barocklyrik, Stuttgart 1986.

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  12. Walter Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, in: ders., Gesammelte Schriften, hrsg. Rolf Tiedemann, Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt a.M. 1980, I.1, 203–420, hier: 356.

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  14. Vgl. Gerhard Hoffmeister, Petrarkistische Lyrik, Stuttgart 1976. Diese Selbständigkeit des rhetorischen Apparats und die Autoreflexion der eigenen Poetik bewirkt ein Abrücken von jeglicher metaphysischen Legitimation der Dichtung.

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  15. Das hat sowohl für den dolce Stil nuovo als auch für die moderne Lyrik herausgearbeitet der epochenübergreifende Beitrag von Rainer Warning, »Imitatio und Intertextualität. Zur Geschichte lyrischer Dekonstruktion der Amortheologie: Dante, Petrarca, Baudelaire«, in: Willi Oelmüller (Hrsg.), Kolloquium Kunst und Philosophie Band 2, Ästhetischer Schein, Paderborn, München, Wien, Zürich 1982, 168–207. Vgl. dazu auch Robert Guiettes, hier aus mangelnder Kenntnis der Materie nicht genauer verifizierbare, auf die Troubadourlyrik und den Petrarkismus bezogene, Definition einer radikalen »poésie formelle«, die auf keinen Fall versucht »d’exprimer quelque chose (un sujet), mais bien de révéler une form dans son épanouissement.« Robert Guiette, »D’une poésie formelle en France au moyen âge«, Revue des Sciences humaines (1949), 61–69, hier: 69. Unter der Prämisse dieses formal-technizistischen Materialis mus: kann ein emotionaler oder metaphysischer Anspruch gegenüber der Poesie keine Berücksichtigung finden. So erkennt Tiedemann-Bartels: »Das destruktive Moment der Artistik, die strikte Verweigerung einer lyrischen Überhöhung des Daseins, bietet denn auch in Wahrheit noch heute ein Skandalon.«

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  16. Vgl. Hella Tiedemann-Bartels, Versuch über das artistische Gedicht, München 1971, 35.

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  17. Zum Begriff des Manierismus siehe den Artikel von Ursula Link-Heer, »Manier/manieristisch/Manierismus«, in: Karlheinz Barck (Hrsg.), Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, Stuttgart, Weimar 2001, III, 790–846.

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  18. Vgl. ferner: Arnold Hauser, Der Manierismus. Die Krise der Renaissance und der Ursprung der modernen Kunst, München 1964.

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  19. Obgleich sich auch schon in der Literatur der französischen Renaissance zahlreiche Beispiele für die Zelebration weiblicher Schönheit durch die Lyrik finden lassen. Die an der Wappenkunst orientierten Blasons lassen sich an dieser Stelle genauso zitieren wie die Gedichte von Clément Marôt, der einzelne weibliche Körperteile einer detaillierten Preisung unterzieht. Das poetologische Äquivalent zwischen Marôt und Hoffmannswaldau wird stark betont von Hartmut Böhme, »Körperfragmentierung als ästhetisches Verfahren in Renaissance und Barock«, in: Claudia Benthien, Christoph Wulf (Hrsg.), Körperteile. Eine kulturelle Anatomie, Reinbek bei Hamburg 2001, 228–253.

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  20. Zitiert wird nach der Reclam-Ausgabe, Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, Gedichte. Auswahl und Nachwort von Manfred Windfuhr, Stuttgart 1964.

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  21. Marôts Blason ist übrigens zweisprachig nachzulesen in Clément Marot: »Du Beau Tétin / Das schöne Brüstchen«, in: Friedhelm Kemp, Werner von Koppenfels (Hrsg.), Französische Dichtung. Erster Band. Von Villon bis Théophile de Viau, München 1990, 62–63.

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  22. Zur Evolution des Motivs in der europäischen Literaturgeschichte vgl. die Habilitationsschrift von Michael Jakob, »Schwanengefahr«. Das lyrische Ich im Zeichen des Schwans, München, Wien 2000.

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  23. John Shearman, Manierismus. Das Künstliche in der Kunst. Aus dem Englischen von Matthias Fienbork, Weinheim 1994. Allerdings versucht Shearman für diese künstlerische Selbstsicherheit vor allem medienhistorische und rezeptionstheoretische Ursachen zu finden. So »war die Veröffentlichung in Form von Drucken ein bemerkenswertes neues Element. Das Medium selbst war natürlich nicht neu, wurde jetzt aber verwendet, um die Ideen und den Stil eines Künstlers einer Öffentlichkeit nahezubringen, der es nicht möglich war, das Werk selber zu betrachten.« Ebd., 56. Obgleich davon bildende Kunst und Dichtung zugleich betroffen sind, erklärt der Buchdruck zunächst nur den Erfolg der Künstler, nicht jedoch die originelle Gestaltungsweise des ästhetischen Materials. Diese muss von den historischen Begleitumständen unabhängig als ein den Werken inhärentes Konzept betrachtet und epistemologisch nachvollzogen werden.

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  24. So behauptet Shearman, dass im Barock, durch Dichter wie »Marino, vom sechzehnten Jahrhundert ein erhebliches Maß an Künstlichkeit übrigblieb.« Shearman (Anm. 51), 216. Vergleichbar mit dem petrarchismo ist deshalb auch der marinismo, als Subform des Manierismus, dem sich unter anderem auch Hoffmannswaldau zugehörig fühlte. Windfuhr spricht »von seinem Vorbild Giambattista Marino, dessen Liebesepos Adone er für ein ›Wunderbuch‹ hält.« Windfuhr (Anm. 24), 141. Und der Romanist Manfred Hardt stellt fest: In der Lyrik Marinos »tobt sich der ehrgeizige Kunstwille eines Mannes aus, der nicht mehr im Rahmen einer ideellen Vorgabe oder eines Weltbildes schrieb, sondern seine Formkunst konsequent von der äußeren Wirklichkeit absonderte und für sie autonome Geltung beanspruchte — einer der modernen Züge Marinos, der auf die Poetik des ›L’art pour l’art‹ und ähnliche Formen absoluten Dichtens vorausweist.« Manfred Hardt, Geschichte der italienischen Literatur. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Frankfurt a.M. 2003, 382. Auch Hardt erwähnt den Einfluss Marinos, welchen er »in Deutschland vor allem auf die zweite schlesische Dichterschule (Hofmann von Hofmannswaldau, D.C. Lohenstein), auf B.H. Brockes und andere« ausgeübt hatte. Ebd., 383.

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  25. Hugo Friedrich, Epochen der italienischen Lyrik, Frankfurt a.M. 1964, 673–731.

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  26. Zit. nach Mario Praz, Liebe, Tod und Teufel. Die schwarze Romantik, aus dem Italienischen von Lisa Rüdiger, München, Wien 1994, 64.

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  27. Vgl. als Ausgabe: William Shakespeare, The complete works, hrsg. Peter Alexander, London 1994, 616

  28. und die klassische Übersetzung: William Shakespeare, Sämtliche Werke in vier Bänden, hrsg. Anselm Schlösser, aus dem Englischen übersetzt von August Wilhelm Schlegel u.a., Berlin, Weimar 1995, 5. Auflage, 787.

  29. Nicht umsonst übersetzt der auf Formstrenge bedachte Stefan George diese Zeile auch mit »In ewigen reimen ragst du in die zeit« und verweist damit noch stärker als die romantische Übertragung auf die Besonderheit des Gedichts an sich. Der Frauenkörper ist in seiner Schönheit und als Naturprodukt vergänglich. Die Zeilen des Gedichts überdauern die Zeit. Durch seine eigene Formenstrenge versucht das gerade der frühe George auch immer wieder zu dokumentieren. Vgl. Friedhelm Kemp, Werner von Koppenfels (Hrsg.), Englische und amerikanische Dichtung. Bd. 1. Von Chaucer bis Milton, München 2001, 169.

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  30. Obgleich es in der damaligen Zeit, angesichts der barocken Vanitasthematik, auch dieser Bedeutung hätte unterliegen können: Die Vanitas des Körpers wird ersetzt durch den beständigen Zierat, durch die Zeitlosigkeit der Kunst. Die Gegenvariante bildet zum Beispiel Gryphius’ Gedicht Über die gebeine der ausgegrabenen Pbilosetten, also das Sonett XXXIII aus dem Dritten Buch. Vgl. Andreas Gryphius, Werke in drei Bänden mit Ergänzungsband, hrsg. Hermann Palm, Darmstadt 1961, III, 116f. Auf einen Abdruck des Sonetts verzichte ich an dieser Stelle und beginne gleich mit meinem Kommentar: Der Leib Philosettens wird nicht wie bei Hoffmannswaldau, Marôt, Marino oder Shakespeare in rarefizierende Metaphern transformiert, sondern in seinem Verfallsprozess beschrieben. An die Stelle der Schönheit des Frauenkörpers treten seine sterblichen Überreste. Die Frau selbst ist — das gilt allerdings auch für den aus Tropen konstruierten Kunstkörper in der manieristischen Lyrik — getilgt. Statt des Frauenlobs wird eine genaue, eine Ästhetik des Hässlichen antizipierende, Ekphrasis der verwesenden Körperteile gegeben. Statt der Aufführung eines exquisiten Metaphernkatalogs wird der Leser hier mit einer naturalistischen Darstellung des Verfallsprozesses konfrontiert. Schließlich werden die hoch artifiziellen Modi des Vergleichs, wie sie für die petrarkistische Liebeslyrik konstitutiv sind, unter anderem »Stirnen schnee« (2), »glantz der wangen« (3), »rosen-rothe mund« (4) oder »die Sternen« (5) vertauscht durch die arg materialistische Beschreibung der Schädelknochen. Ähnliches findet sich später im Sturm-und-Drang, zum Beispiel in Jakob Michael Reinhold Lenzs Gedicht Gemälde eines Erschlagenen (Man beachte die ebenfalls über Ekphrasis garantierte Neigung zur Pikturalität, T.V.) oder in der expressionistischen Morgw-Lyrik Gottfried Benns. (Hier wäre ein Vergleich zwischen diesen drei sehr ausdrucksintensiven Poemen, vor allem auch in literatur- und epochengeschichtlicher Hinsicht, von Interesse, zumal sich die Expressionisten häufig auf die Lyrik des Barock und der Sturm-und-Drang-Zeit berufen haben. Aber das würde einen eigenständigen Essay erfordern.) Ferdinand von Ingen erkennt in Gryphius’ Sonett eine Art Manifest der barocken Vanitas-Poetik

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  31. wenn er schreibt: »Die vergangene Schönheit des fast schon verstoffwechselten Leichnams ist als drastische und äußerst dramatische Artikulation der Vanitas das Grundmuster vieler Gedichte des Barock.« Ferdinand von Ingen, »Leiden, Folter, Marter und die literarische Passionsfrömmigkeit in der frühen Neuzeit«, in: Johann Anselm Steiger (Hrsg.), Passion, Affekt und Leidenschaft in der frühen Neuzeit, Wiesbaden 2005, I, 301–313, hier: 308. Von Ingen diagnostiziert in Gryphius’ Gedicht das Modell eines binären Schematismus zwischen vergangener Schönheit und einem ernüchternden Jetzt, welches den Tod impliziert. Das bedeutet, »in der theatralischen Gestik barocker Literatur liegt die wirkungsvolle Gegenüberstellung des toten Körpers mit seiner einstigen Schönheit und seiner Todesstarre mit der Beweglichkeit des Lebens auf der Hand.« Ebd., 310. Allerdings evoziert das nicht ausschließlich eine Kontrastfolie zum manieristischen Frauenlob, da ja auch dieses den Frauenkörper durch den Prozess der Vertropologisierung denaturalisieren und mortifizieren lässt. Allerdings bleibt der Kunstkörper wie ein Untoter / Nachzehrer erhalten, während der Naturkörper bei Gryphius dem Verfall überantwortet wird: »Die durch den Tod verunstalteten Körperteile werden einzeln aufgezählt und mit den einstigen Funktionen verglichen.« Ebd., 311. Das ist quasi eine grauenvolle Pervertierung des petrarkistischen Frauenlobs. Auch hier wird eigentlich der Akt der Fragmentarisierung betrieben, der Körper also Stück für Stück ekphrastisch erfasst. Allerdings ist das Metaphernangebot weniger pretiös und stark naturalistisch oder materialistisch geprägt. Die, um mit Hartmut Böhmes Alberti-Lektüre zu sprechen, vollzogene anatomische und zergliedernde Betrachtung des Körpers ist auch bei Philosetten zu konstatieren. Insgesamt lässt sich innerhalb dieses vergleichenden Exkurses belegen, Hoffmannswaldau und Co. überwinden durch ihren Anti-Naturalismus die naturgegebene Vanitas, retten dadurch aber nur das sprachliche Kunstwerk und nicht den eigentlichen weiblichen Körper, da sie ihn schon längst durch die zahlreichen Prozesse der Hyper-Metaphorisierung destruiert, zerstückelt und metonymisch umgestaltet haben.

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  32. Nancy J. Vickers, »Members Only«, in: David Hillmann, Carla Mazzio (Hrsg.), The Body in Parts, Fantasies of Corporality in Early Modern Europe, London 1997, 3–22, hier: 5.

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  33. Vgl. auch Linda Nochlin, The Body in Pieces. The Fragment as a Metaphor for Modernity, London 1994.

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  34. Thomas Hecken, »Die Lüste des Barock. Literatur, Sexualität, Recht«, in: Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.), Barock. Text + Kritik 154 (2002), 83–93, hier: 89.

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  35. Die noch von Opitz verlangte Äquivalenz von Rhetorik und Poetik klafft hier immer weiter auseinander. Die rhetorischen Figuren werden insofern poetisiert, als dass sie sich gegenüber ihrer kommunikativen, auf den Transport von Sachverhalten ausgerichteten, Funktion verselbständigen. Das ist in der Dichtung der Frühen Neuzeit nicht ungewöhnlich. Spätestens seit der französischen Renaissance — vor allem von Boileau bis Malherbe — sind die Rhetoriken zu Frühformen poetischer Manifeste geworden, so dass auch Lothar Bornscheuer zu Recht behaupten kann, dass »mit der Öffnung zur Poetik ein Prozeß der ›Poietisierung‹ bzw. der Artifizialisierung der Rhetorik selbst einsetzte.« Lothar Bornscheuer, »Rhetorische Paradoxien im anthropologiegeschichtlichen Paradigmenwechsel«, Jahrbuch Rhetorik 8 (1989), 13–42, hier: 25. Darin erkennt Friedrich Vollhardt einen »Funktionsverlust der Rhetorik im Hinblick auf das politische Handeln.«

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  36. Vgl. Friedrich Vollhardt, »Selbstreferenz im Literatursystem. Rhetorik, Poetik, Ästhetik«, in: Jürgen Fohrmann, Harro Müller (Hrsg.), Literaturwissenschaft, München 1995, 249–272, hier: 263. Bei Hoffmannswaldau artikulierte sich das im zunehmenden Bedeutungs- und Repräsentationsverlust seiner Pretiosensprache.

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  37. Karl Kraus, »Aphorismen«, in: ders., Schriften, hrsg. Christian Wagenknecht, Frankfurt a.M. 1986, VIII, 23. In der Tat finden sich bei einem der Gründungsväter des Ästhetizismus, nämlich Théophile Gautier, mehrere Bestätigungen für die Anmerkung von Kraus. In seiner Étude de Mains widmet er der italienischen Kurtisane Impéria ein Gedicht, dessen Strophen sich in der Tat nur mit der vollkommenen Schönheit ihrer Hände auseinandersetzen. Das Fragment ist von Körper und Person der Frau separiert und dient dem Poeten als Hilfsmittel zur Metaphernbildung. Nicht mit der weiblichen Natur, sondern mit der (bildenden) Kunst wird der abgetrennte Körperteil bereits in den ersten vier Versen in Verbindung gebracht: »Chez un sculp- teur, moulée en plâtre, / J’ai vu l’autre jour une main / D’Aspasie ou de Cleopâtre, / Pur fragment d’un chef-d’oeuvre humain.« Théophile Gautier, »Étude de Mains. Impéria«, in: ders., Émaux et Camées. Édition présentée, établie et annotée par Claudine Gothot-Mersch, Paris 1981, 32–35, hier: 32. Nicht nur die Erwähnung des Bildhauers und die Bezeichnung ihrer Hand als Meisterwerk, sondern auch ihre Analogisierung mit der Schönheit Kleopatras oder der Mätresse des Perikles dienen der Illustration formaler Perfektion.

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  38. Dass der ästhetisch orientierte Blick auf den weiblichen Körper sich über Distanz generiert, hat Kraus ebenfalls pointiert ausformuliert. Die Frauen werden zu Bestandteilen einer »ästhetischen Puppenwelt, deren Friede von dem keuschen Blick des Betrachters abhängt. […] Es genügt eine Weisung die aufgestellten Gegenstände nicht zu berühren; und Erotik wäre die objektive Wertung einer Rückenlinie, einer Nasenform, einer Hand.« Kraus (Anm. 72), 19. Der Abstand vom Körper und der Natur lässt die Erotik zu einer sich der Sinnlichkeit diametral verhaltenden Epistemologie werden. Da so etwas Konkretes wie Berührungen nicht stattfindet, kommt es auch nicht zu einer authentischen Erfahrung. Die Attraktivität der Frau bleibt vom Imaginations- und Sprachvermögen des Dichters abhängig, der sich in Details verlieren und den Körper in seiner Gesamtheit, sozusagen als Subjekt ignorieren kann. In seinem kleinen Gedicht Vergleichende Erotik wird sogar das Sich-Verlieben als eine Kopfgeburt, ja als Zeugnis der Sprache herausgestellt: »So wird das Bild der Venus fertig, / Ich nehme hier ein Aug, dort einen Mund, / hier eine Nase, dort der Brauen Rund. […] Und leben wird durch meine Lebenszeit / das Venusbild, das meinem Kopf entsprungen.« Kraus (Anm. 72), 38. Der Sprachanalytiker Kraus verweist mit diesen Versen auch auf das Verfahren der Dichter des Manierismus. So wie sich der Verliebte nur für seine eigene Imagination entflammen kann, so sind die gepriesenen Frauen bei Hoffmannswaldau oder Marino virtuelle Kunstkörper, die nicht auf historische Personen referentialisiert werden können. Etwas boshaft, chauvinistisch und fast schon ein transzendentales Problem aufwerfend, fragt sich Karl Kraus sogar: »Ist eine Frau im Zimmer, ehe einer eintritt, der sie sieht? Gibt es das Weib an sich?« Kraus (Anm. 72), 14. Es sollte deutlich geworden sein, dass die Frauenkörper in der Barocklyrik erst durch die Gedichte entstanden sind. Es hat sie vorher nicht gegeben. Auch hier kann übrigens wieder Gautier eindeutig als Rezipient, zumindest des romanischen petrarkistisch-barocken Fragmentarismus fungieren, um damit auch die Modernität dieser frühneuzeitlichen Lyriker zu erkennen. In seiner Vampirerzählung La morte amoureuse von 1836 wird die schöne Dämonin durch den Nachwuchspriester Romuald auch nur partikularisiert und nicht als Subjekt wahrgenommen, so dass man auch hier eher von dichterischer Phantasie als von einer realen Bestandsaufnahme eines Gegenübers sprechen muss. Außerdem zitiert Gautier Petrarcas und Marinos Metapher des fließenden Haares und betreibt auch sonst eine Entkörperung der Frau durch reiche Tropenbildung: »Ihr feines blondes Haar war in der Mitte gescheitelt und rieselte zu beiden Seiten der Schläfe wie eine goldene Quelle nieder. Sie war wie eine Königin mit ihrem Diadem. Ihre durchsichtig weiße Stirne wölbte sich in reiner Klarheit über den Bogen der fast schwarzen Augenbrauen. […] Ihre Nase war fein und stolz gezogen und verriet die edelste Abkunft. Auf der marmorglatten Haut ihrer halb entblößten Schultern spielten perlmutterfarbene Lichter, und schwere Perlenschnüre, hellschimmernd wie ihre Haut, fielen auf ihre Brust herab.« Außerdem erkennt Romuald »zwei adelige Hände, mit langen, weichgerundeten Fingern von unendlicher Zartheit. […] Ja, so durchsichtig waren sie, daß, wie bei Ambra, das Tageslicht hindurchschimmerte.« Théophile Gautier, Die verliebte Tote, in: ders., Romane und Erzählungen, hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Dolf Oehler, Wiesbaden 2003, 221–241, hier: 224 f. Der Verweis auf Ambra sollte schon in Hoffmannswaldaus Lob-rede an das liebwertheste frauen-zimmer Vollkommenheit suggerieren. Aber auch sonst erinnern Gautiers Zeilen eher an die minutiöse Beschreibung eines Kunstwerks als an die eines lebenden Menschen. Romuald gibt seine partikularisierte Ekphrasis auch zu, wenn er von »all diesen Einzelheiten« spricht. Ebd., 225. Ebenso wird die Artifizialität und Unnatürlichkeit der Frau deutlich. Romuald gesteht es gewissermaßen ein, »Ihre Augen waren ein Gedicht, jeder ihrer Blicke eine Strophe.« Ebd., 226. Dieses Gedicht hat er — oder der Autor — soeben entworfen. Dass sich der Text Gautiers auf diese Weise auch selbst bespiegelt, ist ein anderer Aspekt. Entscheidend ist die Bedeutung, welche die Rhetorisierung des Körpers für eine reine Kunstsprache hat und die Tatsache, dass die figurative Sprache der Barocklyrik dazu einen prämodernen Beitrag geleistet hat. Durch die minutiöse und detaillierte Ausgestaltung des Körpers wurde eben dieser selbst demontiert und in seiner Nahrhaftigkeit geleugnet.

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  39. Vgl. Barbara Johnson, »Mein Monster — Mein Selbst«, in: Barbara Vinken (Hrsg.), Dekonstruktiver Feminismus. Literaturwissenschaft in Amerika, Frankfurt a.M. 1992, 130–144. Dort wird die Zusammensetzung des Geschöpfes durch Frankenstein nicht nur als ungeschlechtliche Kopfgeburt von Seiten der Autorin Mary Shelley, sondern auch — ganz im Sinne dieses Aufsatzes — als Allegorie auf den dichterischen Produktionsprozess interpretiert.

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Voss, T. Die Vernichtung des Körpers durch die Geburt des Kunstwerks in der petrarkistisch-manieristischen Lyrik. Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 83, 103–127 (2009). https://doi.org/10.1007/BF03374720

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