Zusammenfassung
Der Ritter von Staufenberg stellt die strukturellen Probleme des Erzähltypus der ›gestörten Mahrtenehe‹ als Aporie aus. Die Körper-Konstruktionen zeigen, dass sich der Text systematisch allen Versuchen entzieht, eine kohärente Ordnung im Verhältnis von Natur und Kultur, Körper und erzählter Figur zu rekonstruieren. Insbesondere der nackte Feenfuß am Textende erweist sich als übercodiertes Zeichen, das komplexe Vieldeutigkeit planvoll inszeniert: eine mise en abyme der Erzählung selbst und damit der prekären Textsorte ›Feenmärchen‹.
Abstract
Der Ritter von Staufenberg exposes the structural problems in narratives exploring disturbed marriages with supernatural partners (›gestörte Mahrtenehe‹) as an aporia. The constructions of body in this text demonstrate the extent to which the narrative systematically rejects all attempts to reconstruct a coherent order in the relationship between nature and culture, body and narrated figure. In particular, the naked foot of the fairy at the close of the text proves a heavily coded sign, a strategy by means of which complex ambiguity is moved into the limelight as a mise-en-abime of both the narrative itself and the unstable category of ›fairy tale‹.
Literature
Jacques LeGoff, »Melusine — Mutter und Urbarmacher in«, in: ders., Für ein anderes Mittelalter. Zeit, Arbeit und Kultur im Europa des 5.–15. Jahrhunderts, Frankfurt a.M., Berlin, Wien 1984, 147–174 (zuerst frz. 1971)
Laurence Harf-Lancner, Les fées au moyen âge. Morgane et Mélusine. La naissance des fées, Genf, Paris 1984
Friedrich Wolfzettel, »Fee, Feenland«, Enzyklopädie des Märchens, Berlin, New York 1977ff., IV (1984), 945–964.
Dazu Friedrich Wolfzettel, »Der Körper der Fee. Melusine und der Trifunktionalismus«, in: Klaus Ridder, Otto Langer (Hrsg.), Körperinszenierungen in mittelalterlicher Literatur, Berlin 2002, 353–383, hier: 354.
Darauf zielt die Unterscheidung von ›melusinischem‹ und ›undinischem‹ Feentypus von Volker Mertens, »Melusinen, Undinen. Variationen des Mythos vom 12. bis zum20. Jahrhundert«, in: Johannes Janota u.a. (Hrsg.), Festschrift Walter Haug und Burghart Wachinger, Tübingen 1992, I, 201–231.
Zu ›gestörte Mahrtenehe‹ oder ›Feenmärchen‹ Wolfzettel (Anm. 1); Mertens (Anm.4); Lutz Röhrich, »Mahrtenehe: Die gestörte M.«, Enzyklopädie des Märchens, Berlin, New York 1977ff., IX (1999), 44–53
Christoph Huber, »Mythisches erzählen. Narration und Rationalisierung im Schema der ›gestörten Mahrtenehe‹ (besonders im Ritter von Staufenberg und bei Walter Map)«, in: Udo Friedrich, Bruno Quast (Hrsg.), Präsenz des Mythos. Konfigurationen einer Denkform in Mittelalter und Früher Neuzeit, Berlin 2003, 247–275
Armin Schulz, »Spaltungsphantasmen. Erzählen von der ›gestörten Mahrtenehe‹«, in: Wolfgang Haubrichs u.a. (Hrsg.), Erzähltechnik und Erzählstrategien in der deutschen Literatur des Mittelalters. Saarbrücker Kolloquium 2002 (Wolfram-Studien 18), Berlin 2004, 233–262.
Einen detaillierten Vergleich von Lanval und Peter von Staufenberg bietet C. William Prettyman, »Peter von Staufenberg and Marie de France«, Modern Language Notes 21 (1906), 205–208.
Von einer »motivlichen Sonderform« spricht Lutz Röhrich, Erzählungen des späten Mittelalters und ihr Weiterleben in Literatur und Volksdichtung bis zur Gegenwart. Sagen, Märchen, Exempel und Schwänke, mit einem Kommentar hrsg. Lutz Röhrich, Bern, München 1962, I, 244
ähnlich Karl-Heinz Schirmer, Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle, Tübingen 1969, 148–157
Monika Londner, Eheauffassung und Darstellung der Frau in der spätmittelalterlichen Märendichtung. Eine Untersuchung auf der Grundlage rechtlich-sozialer und theologischer Voraussetzungen, Berlin 1973, 141–150
Eckhard Grunewald, »›Der túfel in der helle ist úwer schlaf geselle‹. Heidnischer Elbenglaube und christliches Weltverständnis im Ritter von Staufenberg«, in: Peter Dinzelbacher, Dieter R. Bauer (Hrsg.), Volksreligion im hohen und im späten Mittelalter, Paderborn 1985, 129–143. Aktuellere Gattungsreflexionen bei Huber, Schulz (Anm. 8).
Zur Überlieferung siehe Grunewald (Anm. 7), VII–IX u. 4–10, sowie David Blamires, »Peter von Staufenberg early editions«, in: William J. Jones (Hrsg.), Vir ingenio mirandus. Studies presented to John L. Flood, Göppingen 2003, 629–642.
André Schnyder, »Johann Fischart als Bearbeiter eines mittelalterlichen Märes. Veränderungen ästhetischer Darstellungsverfahren und kultureller Deutungsmuster im Peter von Staufenberg«, WW 39 (1989), 15–43
Götz Bubenhofer, »Melusina travestita: Die Geschichte des Ritters Peter Diemringer von Staufenberg in Sage und Dichtung unter bes. Berücksichtigung des Kapitels XXVI von Grimmeishausens Roman Der seltsame Springinsfeld«, Die Ortenau 73 (1993), 543–567, hier insbes. 552–553
Niels Kranemann, »Ritter, Fee und Teufelsheer. Die Verserzählung vom Ritter von Staufenberg im Umbruch der spätmittelalterlichen Geistesgeschichte«, Die Ortenau 67 (1987), 97–123.
Beate Kellner, »Aspekte der Genealogie in mittelalterlichen und neuzeitlichen Versionen der Melusinengeschichte«, in: Kilian Heck, Bernhard Jahn (Hrsg.), Genealogie als Denkform in Mittelalter und früher Neuzeit, Tübingen 2000, 13–38
Ursula Peters, Dynastengeschichte und Verwandtschaftsbilder. Die Adelsfamilie in der volkssprachigen Literatur des Mittelalters, Tübingen 1999.
Das Argument der Familie für die Verehelichung und Zeugung von Erben ist deutlich von memento mori und vom Gedanken einer rechtzeitigen preparatio mortis geprägt (bes. V.661–663). Zu den didaktischen Tendenzen ausf. Almut Suerbaum, »St. Melusine? Minne, Mahrtenehe und Mirakel im Ritter von Staufenberg«, in: Elisabeth Andersen u.a. (Hrsg.), Texttyp und Textproduktion in der deutschen Literatur des Mittelalters, Berlin 2006, 331–346.
Dazu jetzt Simon Gaunt, Love and Death in Medieval French and Occitan Courtly Literature. Martyrs to Love, London 2006.
Vers 330–363. In dieser Hinsicht wäre die Staufenberger-Fee wohl am ehesten noch der Fee in Renauts de Beaujeu Bel Inconnu vergleichbar. Dazu zuletzt Dietmar Peschel, »Ein schönes Spiel mit dem schönen Ich, oder: ›Ne je ne soi se je oi pere‹«, in: ders., Beziehungsknoten, Erlangen 2007, 24–49, hier: 43–45.
Zur Verwandlung der Staufenbergerin in eine Wasserfee siehe Eckhard Grunewald, »Undine kommt. Zur Genese eines romantischen Märchens«, Aurora 63 (2003), 85–97, und Fuchs-Jolie (Anm.5).
In diesem Sinne auch Schulz (Anm. 8), der beobachtet, dass der Text »nicht den geringsten Versuch unternimmt, die Feenfigur zu depotenzieren« (252). Mit Huber (Anm. 8) könnte man zumindest den Stein, auf dem die Fee bei der ersten Begegnung sitzt, als »heilig ausgegrenzten Bezirk« (255) verstehen, aber dies wäre allenfalls ein Rudiment einer Anderwelt-Topologie. Dazu auch Richard Ernest Walker, Peter von Staufenberg. Its origin, development, and later adaption, Göppingen 1980, hier: 60ff.
Terminologisch folge ich Clemens Lugowski, Die Form der Individualität im Roman, Frankfurt a.M. 1976 (zuerst Berlin 1932)
und Matias Martinez, Michael Scheffel, Einführung in die Erzähltheorie, München 72007.
Zur Anwendung dieser narratologischen Kategorien auf Tabu-Erzählungen siehe Christian Kiening, »Zeitenraum und mise en abyme. Zum ›Kern‹ der Melusinengeschichte«, DVjs 79 (2005), 3–28, hier: 12.
Zur Frage, ob es sich um triuwe-Märe handelt, siehe Londner (Anm. 12), 141f., und Ingrid Strasser, Vornovellistisches Erzählen. Mittelhochdeutsche Mären bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts und altfranzösische Fabliaux, Wien 1989, 172f.
Hans-Joachim Ziegeler, Erzählen im Spätmittelalter. Mären im Kontext von Minnereden, Bispein und Romanen, München 1985, 447–448; Mertens (Anm.4), 219f. Zum Vergleich mit Gottfrieds Tristan Schirmer (Anm. 12), 156–157 u. 178ff.
Diesen erstaunlichen Großmut der Geliebten diskutieren nur André Schnyder, »Peter von Staufenberg auf dem Artusweg. Zur Struktur eines Märes«, WW 44 (1994), 25–33, hier: 31 f., Anm. 21, und Schulz (Anm. 8), 253.
Dazu insbes. Schnyder (Anm. 30) und Bea Lundt, Melusine und Merlin im Mittelalter. Entwürfe und Modelle weiblicher Existenz im Beziehungs-Diskurs der Geschlechter, München 1991, 125–140.
Alfred A. Schmid, »Himmelfahrt Christi«, Lexikon der christlichen Ikonographie, Freiburg 1968ff., II (1970), 268–276, hier insbes. 274f.
Dr. Aigremont [= Siegmar Schultze-Gallera], Fuss- und Schuhsymbolik und -erotik. Folkloristische und sexualwissenschaftliche Untersuchungen, Leipzig 1909 [Neudr. Darmstadt 1972], hier bes. 9ff.; Hanns Bächtold-Stäubli, »Fuß«, Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Berlin, Leipzig 1927ff., III (1931), 224–236
Christoph Daxelmüller, »Fuß«, Enzyklopädie des Märchens (Anm. 1), V (1987), 600–610.
Georges Duby, Die drei Ordnungen. Das Weltbild des Feudalismus, Frankfurt a.M. 1986 (zuerst frz. 1978). Dazu Wolfzettel (Anm.2), 355f.
Die Ambivalenz von Nacktheit und Schönheit des inszenierten unbekleideten Körpers betonen auch Jacques LeGoff und Nicolas Truong, Die Geschichte des Körpers im Mittelalter, Stuttgart 2007 (zuerst frz. 2003).
Diesen Hinweis danke ich Andreas Kraß (Frankfurt a.M.), der derzeit an einem größeren Projekt zum Körper von Feen arbeitet. Siehe auch Andreas Kraß, »Das Geschlecht der Mode. Zur Kulturgeschichte des geschlitzten Kleides«, in: Gertrud Lienert (Hrsg.), Die Kunst der Mode (Mode und Ästhetik), Oldenburg 2005, 26–51.
Zur Walküren- bzw. Schutzengel-Motivik siehe Claude Lecouteux, »Das Motiv von der gestörten Mahrtenehe als Widerspiegelung der menschlichen Psyche«, in: Jürgen Janning (Hrsg.), Vom Menschenbild im Märchen, Kassel 1981, 59–71, hier: 69; Bubenhofer (Anm. 16), 547; Grunewald (Anm. 12), 87 u. 91. Schon Jacob Grimm hatte in seiner Deutschen Mythologie (4. Aufl., Berlin 1875,1, 351 f.) die Staufenbergerin den Walküren zugeordnet.
Zu einer Theorie der ›Präsenzeffekte‹ siehe Hans Ulrich Gumbrecht, Diesseits der Hermeneutik. Über die Produktion von Präsenz, Frankfurt a.M. 2004.
Dazu sei nur verwiesen auf die einschlägigen Studien von Christian Kiening, Zwischen Körper und Schrift. Texte vor dem Zeitalter der Literatur, Frankfurt a.M. 2003.
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Fuchs-Jolie, S. Von der Fee nur der Fuß Körper als Allegorien des Erzählens im Peter von Staufenberg. Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 83, 53–69 (2009). https://doi.org/10.1007/BF03374717
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