Zusammenfassung
Die folgenden Überlegungen zur Hermeneutik der Literaturwissenschaft sollen zeigen, daß in einem schriftstellerischen Werk selbst manifeste intertextuelle Bezüge für die Auslegung von Literatur besonders dann von Interesse sein mögen, wenn sie den Rückgriff auf außerhalb der schönen Literatur entstandene Systementwürfe (politische Theorie; Religionstheorie) erzwingen. Das Risiko interdisziplinären Arbeitens ist einzugehen, das Resultat kann erhellend sein. Die beiden skizzierten Beispiele, Rousseau und Benjamin Constant, die den bekannten Paradigmenwechsel des 18. Jahrhunderts bei der Auffassung der Rolle des Schriftstellers in exemplarischer Weise illustrieren, sollen die These plausibel machen, daß auf diese Weise ein ideengeschichtlich relevanter Verstehenshorizont (Gadamer) entworfen werden kann, vor dem die komplexe Modernität beider Autoren schärfere Konturen gewinnt.
Abstract
The object of the following reflections on the hermeneutics of literary criticism is to show that in a literary work even manifestly intertextual relationships can be of particular interest when they necessitate consideration of extraliterary conceptual systems (such as political or religious theory). Granted the risks associated with interdisciplinary work, the results can still be illuminating. Both instances delineated here, Rousseau and Benjamin Constant, seen as exemplary illustrations of the paradigmatic 18th century shift in the understanding of the role of the author, lend credibility to the thesis that a horizon of understanding (Gadamer) relevant to intellectual history can be adumbrated against which the complex modernity of both authors acquires sharper contours.
Literatur
Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode, 2 Bde., Tübingen 1986 und Hermeneutische Entwürfe. Vorträge und Aufsätze, Tübingen 2000.
Eine ähnliche Fragestellung: Kurt Kloocke, „Rousseau — Kant—Constant—Rawls: du Contrat social à une conception pluriculturelle du corps politique“, in: Robert Thiéry (Hrsg.), Jean-Jacques Rousseau, politique et nation. Actes du IIe Colloque international de Montmorency (24 septembre—4 octobre 1995), Paris 2001, 927–939.
Ich darf auf meinen Aufsatz verweisen, der sich mit dieser Frage befaßt: Kurt Kloocke, „,Un état plus sublime’. Le sentiment religieux dans Julie ou la Nouvelle Hélo“, in: Jacques Wagner (Hrsg.), Roman et Religion en France (1713–1866). Textes réunis, présentés et édités par J.W., Paris 2002, 137–149.
So Victor Klemperer in seiner Geschichte der französischen Literatur im 18. Jahrhundert. Band II. Das Jahrhundert Rousseaus, Halle 1966.
Vgl. Norbert Campagna, „Prärogative und Rechtsstaat. Das Problem der Not-standsgewalt bei John Locke und Benjamin Constant“, Der Staat 40 (2001), 553–579.
Immanuel Kant, „Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis“, in: Kleinere Schriften zur Geschichtsphilosophie, Ethik und Politik, hrsg. Karl Vorländer, Hamburg 1973, 94 u. 95.
Schleiermachers Theorie (Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, 1799) wahrscheinlich verpflichtet, zumindest vergleichbar.
Roland Barthes, S/Z, Paris 1970.
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Kloocke, K. Benjamin Constant liest Rousseau Überlegungen zur Hermeneutik der Literaturwissenschaft. Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 77, 197–213 (2003). https://doi.org/10.1007/BF03374619
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