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Zur Kritik des Unbewußten

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Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie

Zusammenfassung

“Das Unbewußte” ist nicht ein leerer Name, sondern ein Begriff, der etwa mit der nämlichen Wahrscheinlichkeit abgeleitet wird, wie Neptun aus den Störungen der Uranusbahn. Zum Verständnis der psychischen Symptome bei Gesunden und Kranken ist dieser Begriff nicht zu entbehren, nicht nur, weil hinter ihm Tatsachen liegen, sondern namentlich, weil die Ursachenketten des psychischen Geschehens vielfach über diese Tatsachen gehen.

Es geht nicht an, das Unbewußte von der Psyche zu trennen, weil dadurch sofort falsche Auffassungen hineingebracht werden, und weil die bewußten und die unbewußten Funktionen in allen sonstigen Beziehungen eine Einheit bilden, die auseinander zu reißen nicht besser wäre, als wenn man den Walfisch seiner Gestalt wegen von den Säugetieren lostrennen wollte.

Der vorgeschlagene andere Name, das Ungewußte, ist direkt falsch. Von bloßen Hirnfunktionen zu reden geht nicht an, weil die unbewußten Funktionen Eigenschaften haben, die wir sonst nur der Psyche zuschreiben, und weil diese nach der Seite der anderen Hirnfunktionen scharf umschriebene Klasse von Vorgängen irgendwie von den physiologischen Hirnfunktionen unterschieden werden muß, wenn man sich noch verstehen will.

Unbewußte Funktionen sind etwas Normales. In der Pathologie haben nicht nur die Hysterie, sondern alle psychischen Krankheiten damit zu rechnen. Die Frage, ob krank oder nicht, hat also mit der Annahme oder Verwerfung des Unbewußten nichts zu tun. Vom “Wesen der Hysterie” und von einer Abgrenzung von gesund und krank kann man nicht reden, solange diese Begriffe nicht umschrieben sind.

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References

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  2. Bei der Gelegenheit möchte ich Einspruch erheben gegen die Auffassung, daß man bei einer Theorie nicht zu fragen habe: Ist sie wahr? sondern: Bringt sie uns Erkenntnis? (S. 372).

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Bleuler, E. Zur Kritik des Unbewußten. Z. f. d. g. Neur. u. Psych. 53, 80–96 (1920). https://doi.org/10.1007/BF02919240

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