Zur Anatomie und Physiologie des Nervensystems der Anencephalen

Zusammenfassung

• 1. Bei Anencephalie fehlt eine Entwicklung nicht nur aller absteigenden, sondern auch der aufsteigenden langen Bahnen (wahrscheinlich mit Ausnahme des protoneuralen Faseranteils der Hinterstränge). Das weist auf das Bestehen einer besonderen „Biotaxis“ hin, deren Wirkung sich in der zweckmäßigen Entwicklungsordnung äußert.

• 2. Das Fehlen von Zellen in den Hinterhörnern spricht dafür, dalß der einfache Reflexbogen des metameren Apparates wahrscheinlich auch ohne Beteiligung der Zwischenzellen geschlossen werden kann und zwar vermittels direkten Kontaktes der Hinterwurzelfaserkollateralen mit den Vorderhornzellen (Lenhosseks Befunde im Rückenmark der neugeborenen Maus.).

• 3. Die Wechselbeziehungen zwischen Funktion und Myelinisierung sind noch ungelöstes Problem. Gesichert ist nur die Tatsache des Bestehens dieser Beziehungen, und zwar, wie die anatomisch-physiologischen Beobachtungen zeigen, in komplizierter Wechselwirkung aufeinander.

• 4. Die Myelinisierung des peripherischen Nervenapparates ist nicht bedingungslose Voraussetzung für seine elementare automatisch-reflektorische Auswirkung, jedoch scheint sie unumgänglich zu sein, wenn die komplizierten und feinen sensomotorischen Aktionen in präziser Ausführung gewährleistet sein sollen.

• 5. Die Myelinisierung hat cellulofugale Richtung.

• 6. Das Bestehen der Bauchreflexe bei Anencephalen und dekapitierten Tieren läßt Zweifel daran aufkommen, ob die Hautreflexe überhaupt rein corticaler Herkunft sind.

• 7. Die Atmung kann kurzdauernd ohne Gehirn und Oblongata durch spinale Mechanismen vermittelt werden.

• 8. Die spinalen Automatismen können sich unmittelbar nach der Geburt bei Mensch und Tier nicht bloß in elementaren motorischen Reaktionen, sondern auch in komplizierten. bisweilen koordinierten Aktionen auswirken.