Zusammenfassung
Die Forstwirtschaft und -wissenschaft untersuchen seit langem das Verhalten und die Wünsche der erholungsuchenden Bevölkerung im Wald. Die Soziologie und die Freizeitforschung beschäftigen sich dagegen ganz allgemein mit den Lebensumständen und Prioritäten der Menschen. Die Betrachtung der Arbeiten dieses Forschungsbereichs unter dem Aspekt des Waldbesuches ermöglichen, denselben in einen weiter gefaßten Kontext aus Freizeitverfügbarkeit und Lebensstil kausal einzubinden.
Als zu Beginn des letzten JahrhundertsWilhelm Müller „Das Wandern ist des Müllers Lust“ geschrieben hat, schwebte ihm vermutlich ein auf Wanderschaft gehender Müllergeselle vor. Die Veränderungen in der Gesellschaft haben seither nicht nur die Wanderschaft der Handwerksgesellen, sondern auch das Wandern als Freizeitaktivität breiter Bevölkerungsschichten beeinflußt. Der Bedeutungswandel von Arbeit und Freizeit in den letzten 50 Jahren, und damit verbunden die veränderte Freizeitgestaltung, haben zu einer Verschiebung der Prioritäten geführt und eine variantenreiche Palette an alternativen Beschäftigungen hervorgebracht.
Parallel zu dieser Entwicklung hat auch innerhalb der Gesellschaft ein Strukturwandel stattgefunden. Um die heutigen Strukturen zu erfassen, werden in den Sozialwissenschaften zunehmend die unterschiedlichen Lebensstile als Differenzierungskriterium ausgeschieden. Diese Lebensstile beeinflussen nicht nur die Lebens- und Freizeitgestaltung, sondern damit verbunden auch die Neigung zu einem Waldbesuch.
Heute wandern zwar große Teile der Bevölkerung nach wie vor gerne. In älteren Bevölkerungsgruppen ist aber zu erkennen, daß ein bessergestellter Teil die Exklusivität dieser Sportart vermißt, während in den einfacheren Milieus die Passivität am Wandern hindert.
In den jüngeren Gesellschaftsgruppen steigt man dagegen zunehmend auf das Fahrrad (um). Dabei gibt es heute nicht mehr „das Fahrrad“, sondern ein BMX, ein All Terrain Bike, ein Mountainbike, ein Tourenrad und andered Abkömmlinge des alten Drahtesels, die jeweils unterschiedliche Rückschlüsse auf ihren Besitzer zulassen. Die Dynamisierung und Individualisierung in der Gesellschaft geht somit auch an der Walderholung nicht vorbei.
Summary
Recreational behaviour and peoples wishes concerning forests have been the subject of studies by Forest Management and the Forestry Sciences for a long time. By contrast, sociology and recreational research deal in a much more general manner with the life circumstances and priorities of mankind. The consideration of work from the latter fields under the aspect of recreation in forests may permit a closer causal link to the broader context of recreational availability and life style.
The folk song ”Das Wandern ist des Müllers Lust”, composed by Wilhelm Müller in the early 19th century, probably envisioned a millers journeyman on his travels. Since then social changes have had a definite influence not only on travelling journeymen but also on hiking as a recreational pastime of a wide range of people. The significance of both work and recreation has undergone vast changes in the course of the past 50 years, leading to a shift in priorities and to a great variety of alternative activities.
In parallel with this development society has undergone a structural change. In the social sciences the attempt at defining modern structures has increasingly caused the different life styles to be eliminated as differentiating criteria. Life styles do not only have an effect on individual lives and recreational activities, but also on peoples inclination to visit forests.
To-day, a great many people still like to hike. The more affluent among the senior age groups, however, express disappointment at the lack of exclusivity of this pastime, while a certain passivity appears to keep the less well-to-do from actively hiking.
By contrast, cycling has become the great favourite among the young. In this day and age there is no longer just ”the bike” but the BMX, the All Terrain Bike, the Mountainbike, the touring bike and other offspring of the oldfashioned two-wheeler which permit conclusions to be drawn regarding ist owner. Tendencies towards greater dynamics and individuality within society are therefore not bypassing recreation in the forests either.
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Braun, A. Walderholung in Spiegel der Sozialwissenschaften. Forstw Cbl 117, 44–62 (1998). https://doi.org/10.1007/BF02832957
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